Totalschaden: 15 ~ Jan
Als sich die Aufzugtür hinter uns schloss, war ich nicht darüber überrascht, dass seine Anspannung irgendwohin musste. Ich war früher auch so gewesen. Seine Faust krachte neben mir gegen die Wand. Wenn es ihm weh tat, verzog er keine Miene.
„Fuck...", flüsterte er dann und lehnte seine Stirn gegen die Wand.
„Alles okay?"
Er reagierte nicht. Der Aufzug surrte und blieb im zweiten Stock stehen. Die Tür öffnete sich. Eine ältere Dame stieg ein und Nick löste seine Stirn von der Wand. Er lehnte sich stattdessen in die Ecke und mied meinen Blick. Er schüttelte schweigend den Kopf.
Als der Aufzug im Erdgeschoss hielt, ließen wir die Dame vor und folgten ihr dann langsam. Ich steuerte im Foyer eine Bank an und setzte mich demonstrativ darauf. Nick zögerte, bis er sich angespannt und sichtlich verkrampft zu mir setzte. Die Anspannung war immer noch da, die Wut auch, aber mittlerweile erkannte ich in seinem Blick auch jede Menge andere Gefühle. Vor allem Verzweiflung und Angst.
„Du hättest da oben Dinge gesagt und getan, die du morgen bereut hättest", sagte ich „Du musstest da weg."
Er stützte beide Ellbogen auf den Knien auf und verbarg sein Gesicht in seinen Händen. „Ich weiß... ich weiß... ich hab Rot gesehen..."
„Das hab ich gemerkt..." Ich sah auf seine linke Hand. Sie sah ziemlich rot aus. „Tut's weh?"
„Geht... Hab gut getroffen." Er schwieg einen Augenblick. „Das... ist ne posttraumatische Belastungsstörung... Ich... hab das im Moment nicht so gut im Griff."
Ich hob den Kopf und sah ihn überrascht an. So viel zu Päckchen, die jeder mit sich herumtrug. „Merkt man... Scheiße, Alter..." Ich legte ihm lahm eine Hand auf die Schulter und atmete tief durch. „Hast du Hilfe?", frage ich leise und zog meine Hand wieder zurück. „Also... du weißt schon..."
Er stöhnte leise und genervt auf. „Ich bin dran... Es... gibt wichtigeres im Moment als meine mentale Verfassung."
Ich sah ihn von der Seite an und fuhr mir nachdenklich über das Kinn. Da war ich mir nicht sicher. Seine mentale Verfassung war meiner Meinung nach ziemlich wichtig für alles was jetzt folgte... Aber das sagte ich nicht.
Nick schluckte. „Er hat mich echt rausgeworfen..."
„Ja..." Ich zuckte mit den Schultern.
„Ich muss da wieder hoch..."
„Nick, das bringt nichts. Das macht nur Ärger und..." Ich schüttelte den Kopf. „Ich liebe meinen Onkel und meine Tante, aber ich glaube, in dieser Situation... Du hast keine Chance... Fred lässt dich rauswerfen."
Er riss den Kopf hoch und stand auf. Begann vor mir auf und ab zu tigern, nervös und angespannt, zerrissen und unendlich müde zugleich. Dann blieb er abrupt stehen und sah zum Aufzug. „Jan, ich dreh durch. Ich hab nicht mit ihr gesprochen. Ich hab sie den ganzen Tag nicht gesehen. Ich muss wissen, wie es ihr geht."
„Ich weiß..." Ich sah zum ihm hinauf und seufzte schwer. „Aber sie schläft... Du kannst hier nichts machen. Du bist selbst total durch."
„Ich bin nicht total durch", sagte er und klang gereizt.
„Ja", machte ich gedehnt, „sicher."
Er blieb stehen und ließ die Schultern sinken. Ich sah die dunklen Schatten unter seinen Augen, die eingefallenen Wangen, die fahle Haut. Auf seiner Stirn hatten sich tiefe Sorgenfalten gebildet. Er war total durch.
Schwerfällig stand ich auf und trat vor ihn. „Fahr nach Hause, Mann... Ich melde mich bei dir, wenn es was Neues gibt, okay?", sagte ich leise und legte ihm die Hand auf die Schultern.
Alles in ihm sträubte sich dagegen zu gehen. Das sah ich. Fred hatte ihm schwer zugesetzt. Am liebsten hätte ich meinem Onkel selbst nachträglich eine geschossen dafür. Nach allem, was Nick getan hatte, ihn so abzustrafen... Das ging gar nicht. Ihn so heimzuschicken. Das hatte er nicht verdient.
Aber ich wusste, dass Nick verloren hatte – und er vermutlich auch. Er musste gehen. Sie wollten ihn nicht hier haben. Er konnte auch nicht mehr tun. Er würde hier nur weiter durchdrehen. „Geh pennen, Nick, ja? Fahr heim und schlaf dich aus." Ich lächelte ihn warm an. „Du bist fix und fertig...", sagte ich ruhig. „Sie ist in Sicherheit. Ich passe auf sie auf. Versprochen..."
„Ich kann nicht...", sagte er matt. Einfach, um es gesagt zu haben. Er schloss die Augen und lehnte sich ein wenig gegen meinen Händedruck. Ich wusste, was er meinte.
Er konnte nicht fahren. Ich hatte damals, als Basti damals in Oslo in der Klinik gewesen war, auch nicht nach Hause gekonnt. Mein Vater hatte mich zwingen müssen zu gehen. Ich hatte bleiben müssen, weil ich nicht darauf vertraut hatte, dass es Basti wirklich gut ging. Genauso ging es Nick vermutlich. Er musste sich selbst davon überzeugen, dass es Pi gut ging und sie ließen ihn nicht zu ihr - und das machte ihn wahnsinnig.
„Doch", sagte ich. „Du kannst. Du kannst und du musst. Wenn du für sie stark sein willst, spiel jetzt nicht aus den falschen Gründen den Helden. Sie braucht dich, aber in deutlich besserer Verfassung als so..." Ich lächelte knapp. Ich legte ihm den Arm um die Schulter. „Komm schon, Alter. Ich bring dich zu deinem Auto..."
Ich sah zu, wie plötzlich die Luft aus ihm zu weichen begann wie aus einem angesprochenen Luftballon.
„Das musst du nicht..."
„Oh, und ob ich das muss", ich schmunzelte. „Und zur Not fahre ich dir ein Stück hinterher bis ich sicher bin, dass du wirklich fährst..."
Er sah mich erschöpft an und nickte dann. „Ja, okay, ich hab's kapiert. Ich fahre heim... Hat dir mal jemand gesagt, dass du unmöglich bist?"
„Meine Freundin. Jeden Tag unserer Beziehung ungefähr zehn Mal." Wenn das reichte. Ich schmunzelte.
Er seufzte schwer und lief dann etwas leichter neben mir her aus der Klinik und dann Richtung Parkplatz. „Jan?"
„Mh?"
„Danke."
„Wofür denn?"
„Dass du --"
„Nein." Ich schüttelte den Kopf. „Nein. Nick, einfach nein. Nicht für so eine Selbstverständlichkeit."
Er steuerte einen dunkelgrauen Seat Leon an und blieb davor stehen. „Trotzdem. Ohne dich... deine Freundin Maica... ich weiß nicht..."
„Gut, das mit Maica verstehe ich. Kauf einfach sehr viele Schokobons und stecke sie in ein rosafarbenes Paket, die Adresse schick ich dir später. Pack vielleicht noch irgendwas sinnloses mit Einhörnern ein. Dann ist das erledigt."
„Mach ich..." Er schloss die Augen und entriegelte den Seat. Die Sonne stand schon relativ tief.
„Fahr vorsichtig, ja? Und schreib mir, wenn du angekommen bist."
„Ja, Papa."
Ich zeigte ihm den Stinkefinger und er lachte tatsächlich. Ich mochte den Typen. Ehrlich. Mittlerweile mochte ich ihn wirklich.
Er ging an den Kofferraum und holte eine Sporttasche heraus. „Hier... Für Pi. Mit lieben Grüßen von meiner Schwester..."
Ich starrte die Tasche einen Moment zu lange an. „Die hättest du ihr geben sollen."
„Wollte ich auch. Dein Onkel ist ein Arsch..."
Ich stöhnte. Mein Onkel war echt ein Arsch. Ein gestresster Arsch. Ich nahm ihm die Tasche ab und umarmte ihn fest. „Schlaf dich aus, ja?"
„Pass auf sie auf..."
„Pass du auf dich auf, Alter... Fahr vorsichtig!"
Er stöhnte genervt und stieg endlich in sein Auto ein. Ich hatte das Gefühl, dass er ein bisschen freier war, obwohl er so einen Tiefschlag hatte einstecken müssen. Er starrte eine Weile ins Leere, bis er die Zündung anließ und dann vom Parkplatz rollte.
Ich sah ihm nach. Was für eine gottverdammte Scheiße...
PTBS.
Das war echt... eine gottverdammte Scheiße.
Ich hatte ein ganz schlechtes Gefühl bei der Sache. Das würde in den nächsten Wochen wirklich eine ganz schwierige Sache werden für alle Beteiligten. Vor allem für diejenigen unter uns, die mit einer nicht unerheblichen mentalen Vorerkrankung belastet waren. Wie Nick...
Wenn ich daran zurückdachte, was es damals für ein Kampf gewesen war, Basti wieder auf Spur zu bekommen. Und wir waren damals alle jung und unverbraucht gewesen. Unbelastet – zumindest weitestgehend. Und es hatte uns alles abverlangt. Ich war total am Ende gewesen.
Und um ehrlich zu sein... ich hatte die Befürchtung, dass Pi nicht in besserer Verfassung sein würde als mein bester Freund damals.
Ich hatte wirklich bedenken, dass der Junge das aushalten würde... und ich hatte keine Ahnung, was Pi passiert war.
Scheiße.
Was für eine gottverdammte Scheiße.
.........
Good morning in the morning
Schon der 50. Teil 😳😳😳🎉🎉🎊🎈
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top