Tanah Lot: 24 ~ Pi

Fünf Monate. Über fünf Monate war es her, dass ich durch die Straßen gefahren war. Ich hatte gedacht, dass mir alles vertraut vorkommen würde, aber es fühlte sich seltsam fremd an. Ich fühlte mich fremd in dieser Stadt an.

„Bist du in Ordnung?" Jan sah zu mir hinüber und lenkte den Audi von der Hauptstraße in eine weniger befahrene Seitenstraße. Mein Herz schlug mir bis zum Hals.

Ich hatte in den letzten Tagen mit dem Doc intensiv an diesem Moment gearbeitet und ich schob die Bilder, die sich vor mir aufbauten beiseite und wechselte, wie wir es geübt hatten in meinem Kopf, an den Ort, den ich mir in den letzten Wochen aufgebaut hatte und wurde ganz ruhig. Ich schloss die Augen, spürte das warme Leder des Beifahrersitzes unter mir und sah vor meinem inneren Auge den leuchtenden Sonnenuntergang, das glitzernde Meer und vor mir auf de Felsen im Meer den Felsentempel Tanah Lot mit seinen rauen Felsen, den grünen Bäumen oben auf und den Schaumkronen der Brandung, die sich an den vorgelagerten Felsen brachen. Ich seufzte leise und spürte, wie mein Puls sich beruhigte.

Ich hätte niemals gedacht, dass das funktionierte. „Ja, ich bin okay."

„Sicher?" Jan sah mich besorgt an und setzte den Blinker, ehe er in meine Straße einbog.

„Ja, ich bin nur etwas nervös."

Jan nickte abwesend und fand relativ schnell einen Parkplatz. Er half mir beim Ausladen meiner Reisetaschen und machte Anstalten, mir zu folgen, aber ich legte hm sanft die Hand auf die Brust. „Nein." Ich schüttelte den Kopf. „Sei mir nicht böse, Jan, aber das muss ich alleine machen."

Jan ließ den Kopf sinken und seufzte leise. „Echt jetzt? Ich kutschier dich her und bekomm für meine Dienste noch nicht mal Kaffee?"

Ich drückte ihm einen Kuss auf die Wange. „Ich hab dich lieb..."

„Ich weiß. Ich dich auch." Er legte mir die Hand in den Nacken und küsste sanft meine Stirn. „Ich bin stolz auf dich, Zwerg. Dass du das durchgezogen hast. Hut ab." Er öffnete die Fahrerseite seines Wagens und sah mich noch einmal lächelnd an. „Drei Dinge... Erstens: ich erwarte dich demnächst zum Essen bei mir. Deine Karre blockiert noch meinen Tiefgaragen Stellplatz."

Ich stöhnte leise. Das hatte ich einfach nicht drauf. Mein Auto brauchte dringend eine automatische Heimfahrfunktion. „Abgemacht."

„Zweitens: Wenn du demnächst mal das Bedürfnis haben solltest dieses Pferd zu besuchen, musst du nach Norden fahren, nicht mehr nach Süden. Ich hab ihn vor zwei Wochen zu mir geholt, okay? Aber mein Angebot steht immer noch. Wenn du Pico willst, gehört er dir."

„Jan..."

Er winkte ab. „Drittens: in zwei Wochen ist Weihnachten. Du weißt, dass ich da keinen Wert drauf lege, aber wenn du keinen Bock hast nach Düsseldorf zu fahren und nicht alleine in Heidelberg sein willst und sonst keine Optionen hast, bist du herzlich willkommen, erstens und zweitens mit drittens zu kombinieren, okay?"

Ich atmete tief durch und reckte mein Gesicht etwas weiter in die balinesische Sonne. „Okay." Dann stieg er ein und ich sah ihm nach, wie er in seinem schicken Firmenwagen Heidelberg verließ.

Ich schulterte die kleine und die große Reisetasche und stiefelte die Straße hinunter zu meinem Wohnhaus. Bei jedem Schritt stellte ich mir vor, dass es ein Weg an den Klippen entlang sei, auf die Tempelanlage von Tanah Lot zu. Schritt für Schritt zu meinem sicheren Ort. Als ich meinen Schlüssel aus meiner Jackentasche zog, zitterten meine Hände nur halb so sehr wie ich es erwartet hatte und meine Knie waren stabil und nicht puddingweich. 

Es war seltsam, dass ich mich an nichts erinnerte. Nicht an das, wie ich dieses Haus verlassen hatte. Ich erinnerte mich nur daran, wie Lüttkenhaus vor mir gestanden hatte und er mir diese Nadel in den Arm gerammt hatte. Danach war alles verschwunden. Aber ich wusste noch, wie ich diese Treppe zum letzten Mal hoch gehetzt war. Außer Atem und mit dem unglaublichen Verdacht im Kopf, dass Mo Carrie getötet hatte, weil ich sein Freundschaftsband gefunden hatte. Ich verstand immer noch nicht, wie ich das damals hatte finden können und wie ich das hatte verdrängen können – über all die Jahre. Das war so verrückt.

Dr. Harris hatte gesagt, das sei das Trauma gewesen. Mein Gehirn hätte verschiedene Erinnerungen einfach blockiert. Der Schock, Carrie so zu finden, sei viel zu heftig gewesen, und mein Hirn hätte manche Dinge nicht mehr richtig verarbeiten können – voller Arbeitsspeicher. Trotzdem war es verrückt.

Ich stieg die restlichen Stufen hinauf und starrte die Wohnungstür einen Moment an wie einen eitrigen Fremdkörper. Ich stand genau an der gleichen Stelle wie Tristan Lüttkenhaus damals. Mein Herz schlug mit einer rohen Gewalt gegen meine Brust, dass ich Angst hatte, es würde mir den Brustkorb zerreißen und ich ließ die Reisetaschen fallen. „Fuck." Ich taumelte nach hinten und spürte das Geländer das Treppe im Kreuz. Das Bild, das negative Bild, von dem der Psychologe wochenlang gesprochen hatte, bei seinem Gerede von Imagination und sicheren Orten, war da, noch bevor ich überhaupt die Wohnung betreten hatte. Lüttkenhaus stand direkt vor mir. Groß und bullig, mit diesem dämlichen Hipsterdutt und diesem dunklen Bart, wegen dem ich ihn nicht erkannt hatte und am liebsten hätte ich mich übergeben, weil ich damals, im Frühjahr so dumm gewesen war, mich in diesem Club so abzuschießen, dass ich mich von ihm hatte abschleppen lassen. Scheiße, der Wichser hatte mich in der Nacht vermutlich v...

Ich schloss die Augen und dachte den Gedanken nicht zu Ende.

Lass dich nicht mitziehen, Pi.
Du bekommst einen Panikanfall.

Lass das nicht zu.

Ich atmete tief ein. Sonnencreme. Ich brauche Sonnencreme, wenn ich diesen Ausflug nach Tanah Lot mache. UV-Schutz ist wahnsinnig wichtig auf Bali. Und keine Flip Flops. Diese wilden Affen klauen einem die angeblich von den Füßen hatte ich gelesen. Meine Eltern hatten das auch erzählt als sie damals zurückgekommen waren. Außerdem hatte ein Affe Vaters Sonnenbrille verschleppt.

Lüttkenhaus Umrisse vor der Tür verblassten allmählich und ich atmete auf. Tanah Lot. Ich lächelte. Nimm das, du Wichser. Mit dem Daumen fuhr ich über die Einkerbung an meinem Schlüssel, stieß mich vom Geländer ab und zögerte nicht länger. Ich steckte den Schlüssel kurzer Hand ins Schloss und öffnete die Tür zu unserer Wohnung. Die Reisetaschen schob ich über die Türschwelle. „Ida? Bist du da?", rief ich und wusste nicht, was ich erwartete. Eine Überraschungsparty auf jeden Fall nicht. Die bekam ich auch nicht. Stattdessen lag die Wohnung absolut verlassen und eingesaut da. Der Flur war voller Schuhe und Klamotten, in der Küche stapelte sich verdrecktes Geschirr, das Bad wurde seit Wochen nicht mehr geputzt und den Kalkrändern auf dem Boden nach zu urteilen hatte ihr Freund Marco es regelmäßig geflutet.

Irgendwie war ich froh, dass ich Jan nach Hause geschickt hatte. Sicher wäre er ausgerastet beim Anblick dieser Wohnung. Immerhin mein Zimmer sah noch genauso aus wie vorher. Mit einer Ausnahme: jemand hatte den Dreck vom Bett gesaugt und meinen Nachtschrank, den ich damals hektisch aufgezogen habe, wieder aufgeräumt. Ich fragte mich, wer das wohl gewesen war. Ida sicher nicht, dem desolaten Zustand des Rests der Wohnung nach zu urteilen.

Ich zog mein Handy aus meiner Jacky und setzte mich auf mein Bett. Schnell tippte ich Jan eine Nachricht, dass ich die Treppe besiegt hatte und dass er sich wirklich keine Sorgen machen brauchte.

Dann suchte ich Nicks Nummer heraus und überlegte, ob ich ihn anrufen sollte, entschied mich aber dagegen. Ich war zu nervös. Wir hatten regelmäßig telefoniert und jedesmal war es ein Stück normaler, vertrauter geworden. Dass ich jetzt wieder hier war, das war ein gewaltiger Schritt für mich, vielleicht auch für uns und deshalb war ich auch nervös. Auf Beckys Hochzeit war es fast so gewesen wie früher und dann war das mit dem Elefanten passiert. Ich hatte mich so dumm verhalten und er... er hatte eigentlich alles richtig gemacht. Trotzdem war da diese Kluft zwischen uns. Ich wusste, dass er es auch spürte. Es war nicht so, dass ich wollte, dass diese Klippe da war... sie war einfach entstanden... Es war so, als ob Lüttkenhaus Sprengsätze zwischen uns gelegt hätte, die jederzeit detonieren könnten. So fühlte es sich an. Er hatte mich kaputt gemacht und damit auch ein Stück weit Nick und mich. Aber ich wollte uns zurück. Was es auch kostete. 

Ich tippte eine kurze Nachricht. Ich bin zurück. Mehr nicht. Dann warf ich bin Handy auf mein Bett und wartete. Als auch nach fünf Minuten noch keine Antwort gekommen war, stand ich auf, ging in die Küche und begann angewidert, Idas angekrusteten Saustall zu beseitigen. Widerlich. Ich war sicherlich niemand mit Putzfimmel und wir hatten in Düsseldorf immer eine Haushälterin gehabt, aber das war... ekelhaft. Und sie hatte gewusst, dass ich heute zurückkommen würde. Während ich spülte, fiel mein Blick auf unser ehemals volles Vorratsregal und – ganz unten – auf unser WG-Fach. Ich schluckte. Fuck... Daran hatte ich nicht gedacht. Ich sah den Weißwein... den Rotwein, die Flasche Jack Daniels, die Mo mal zum Spieleabend mitgebracht hatte. Den Tequila, den wir zum Vorglühen gerne tranken... Ich drehte den Kopf weg und atmete durch. Ich spürte, wie ich zu zittern begann. Nicht, weil ich dringend das Bedürfnis hatte, all das in mich reinzuschütten, sondern weil ich schlichtweg nicht damit gerechnet hatte überhaupt in dieser Wohnung mit Alkohol konfrontiert zu werden.

Natürlich hatten wird darüber gesprochen. Aber... ich hatte einfach geglaubt, dass ich in meiner eigenen Wohnung keinen Tropfen haben würde, weil...

Das Schrillen der Türklingel riss mich aus den Gedanken und ließ mich auf Schreien. „Fuck!" Mein Puls schnellte in Sekundenschnelle auf hundertachtzig und die Tasse, die ich in der Hand zum Abtrocknen hielt, fiel auf den Boden und zerbrach in hundert Teile.

Lüttkenhaus.

Mein erster Gedanke galt Lüttkenhaus, so irrational er auch war. Du katastrophierst. Das kann nicht sein. Lüttkenhaus sitzt noch immer in U-Haft.

Es klingelte erneut und ich konzentrierte mich auf die inzwischen lilafarbenen Wolken am Horizont, löste meine Füße vom Felsvorsprung und sprang. Ich sah durch den Spion und atmete erleichtert auf. Es war nicht Lüttkenhaus. Ich entriegelte die Tür und starrte in zwei vertraute, strahlende Gesichter.

„Hey Pi-Sophie." Nick grinste schief und zog die Hände aus den Hosentaschen und umarmte mich schneller als ich Hallo sagen konnte. Dankbar vergrub ich mein Gesicht an seiner Schulter und atmete aus.

Ich hatte damals so Recht gehabt. Er war mein Ort. Mein personifiziertes Tanah Lot.

Als er mich freigab trat er zur Seite und ich stand ein wenig unschlüssig vor Mo. Ich konnte nicht sagen – abgesehen von dieser beschissenen Intervention – wann ich ihn zuletzt gesehen hatte. Er hatte sich so verändert.

Er war dünn geworden. Und älter. So viel älter. Als ob die ganze Last der Welt auf ihn geladen worden war. „Mo..." Er setzte an, etwas zu sagen, doch ich kam ihm zuvor. Ich schüttelte den Kopf, stellte mich auf die Zehenspitze und schlang meine Arme um ihn. „Es tut mir so leid...", flüsterte ich. „Mir tut das alles so unglaublich leid..." Er sagte nichts. Ich spürte nur, wie sich seine Arme ein Stück fester um mich schlossen und sein Kopf auf meinen sank. Dann nickte er fast unmerklich. Mehr war nicht möglich und auch nicht nötig.




Wir saßen bis in den späten Abend hinein in meinem Zimmer und redeten. Wir saßen auf dem Boden im Schneidersitz wie die Indianer, bestellten Pizza und es war so herrlich normal. Ich kam mir zum ersten Mal seit Monaten vor wie ein ganz normaler Mensch. Mehr noch: ich fühlte mich auch so. Ich war zu Hause. In meiner Wohnung, in meinen Klamotten, bei meinen Freunden. Ohne, dass mir jemand sagte, was ich tun oder lassen sollte. Ich war endlich wieder frei.

Ich war endlich frei.

Ich konnte gar nicht in Worte fassen, was mir das bedeutete.

Als die zwei um kurz vor elf aufstanden und aufbrechen wollten sah Mo, schließlich gönnerhaft an. „Weißt du was? Ich glaube, ich laufe."

„Was, spinnst du? Das ist total weit und es friert!" Nick schüttelte den Kopf.

Moritz grinste breit und legte ihm entspannt die Hand auf die Schulter. „Jaja, mach dich locker, Mann. Das schaff ich schon. Ich bin groß. Quatscht ihr mal noch zehn Minuten ohne mich, wenn ihr wollt." Damit küsste er mich sanft auf die Wange. „Ich freue mich, dass du wieder hier bist, Pr..." Er biss sich auf die Lippe. „Mist... tut mir leid... Das ist so drin..."

Ich atmete tief durch. „Ich weiß." Ich legte ihm die Hand an die Wange. „Frühstück? Morgen früh um zehn?"

Er verzog das Gesicht. „Mittagessen um zwei und ich bin dabei. Hab Uni."

„Gebongt." Ich strahlte und brachte ihn zur Tür, während ich Nicks Blick auf meinem Rücken spürte. Als ich von der Tür zurück kam hatte er den Kopf schief gelegt und lehnte mit vor der Brust überkreuzten Armen im Türrahmen und musterte mich. „Was ist?"

„Nicht, dass du denkst, dass das im Vorfeld abgesprochen war...", sagte er und ein Lächeln umspielte seine Lippen.

„Oh, glaub mir, so verdattert, wie du eben geschaut hast, warst das ganz sicher nicht abgesprochen, dass Mo jetzt durch die halbe Stadt läuft. Bei Nacht und Frost." Ich kicherte. „Du bist so edelmütig, dass du ihn fahren wolltest."

„Gut erzogen", verbesserte er mich.

„Jaja, das hatten wir doch alles schon." Breit grinsend stand ich nun vor ihm und spürte, wie diese bleierne Leere der letzten Woche von meinen Schultern fiel und etwas anderem wich. Etwas viel leichterem, reinerem. Ich spürte, wie sein Blick mich abtastete, zum ersten Mal heute richtig, als ob er sich erst jetzt traute mich richtig anzusehen.

Dann stieß er sich von der Wand ab und streckte seine Hand nach meinen Haaren aus. Ich trug sie offen und um ehrlich zu sein wunderte es mich, dass weder er noch Mo es angesprochen hatten. Sie hatten noch nicht mal „wow" gesagt oder „oha" als sie mich gesehen hatten. Aber jetzt konnte er dem Drang offensichtlich doch nicht länger widerstehen. Ich hatte sie gefärbt. Ich war vor vier Tagen zu Fuß in den nächsten Ort gelaufen, was einem Gewaltmarsch glich, und hatte mir die Haare nochmal schneiden lassen. Sie waren lang geworden in den letzten Wochen und irgendwie hatte ich Lust auf eine richtige Veränderung gehabt. Meine Haare waren jetzt Schokoladenbraun. Jan hatte mich nicht erkannt. Meine blauen Augen stachen durch die dunkle Farbe nun extrem hervor.

Sanft strichen seine Finger durch meinen Longbob und er schüttelte nachdenklich den Kopf.

„Was ist?", fragte ich.

„Nichts... es ist nur... Ich hätte das nicht erwartet..."

„Die dunklen Haare?"

Er nickte.

„Gefällt es dir nicht?"

„Es ist ungewohnt..." Dann wanderte sein Blick blitzschnell zu meinen Lippen und wieder zurück zu meinen Augen, bevor er seine Hand langsam zurückzog und nichts zurück ließ als Millionen und aber Millionen von Schmetterlingen in meinem Bauch. „Aber es steht dir. Sehr." Er lächelte und lehnte sich wieder gegen die Wand.
„Wie geht's dir, Pi?", fragte er dann leise.

Ich seufzte leise. „Echt jetzt? Darüber willst du reden?"

Er zuckte mit den Schultern, sein Lächeln blieb. „Warum nicht? Es ist doch das einzig, was wirklich zählt. Whatever it takes. Schon vergessen? Wie geht es dir?" Jetzt verschwand sein Lächeln und er sah mich ernst an.

„Ich weiß es nicht. Besser. Viel besser als vorher." Und das stimmte. „Ich hab aber auch ein bisschen Angst, wie das jetzt alles hier wird." Ich lehnte mich an die Wand gegenüber. „Die ganze Küche ist voller Alkohol. Davor gabe ich zum Beispiel Angst."

Er atmete tief ein. Ich glaubte ein Zittern heraus zu hören. Eine leichte Unsicherheit. „Das ist nicht so gut."

„Nein... Aber ich schaff das schon. Es ist zu schaffen ist nämlich keine Option. Zur Not... fahre ich zu Jan. Er... hat Pico geholt."

Nick legte überrascht den Kopf schief. „Das Pferd?"

Ich nickte. „Ja. Er steht in seinem alten Stall. In Endingen."

„Wow..."

Ich schwieg kurz. „Ja. Wow..." Ich schluckte. Meine Gedanken drifteten kurz zu meinem Therapeuten und ich schluckte. „Ich trinke nicht mehr... und ich mach 'ne Therapie... Der Doc meint, ich soll die Therapie auf alle Fälle fortführen."

„Das ist vielleicht nicht dumm..."

Ich sah ihn offen an und ließ die Schultern sinken, dann ließ ich mich die Wand hinunterrutschen und sah zu, wie er das gleiche tat. „Hm... Dir gegenüber hab ich mich auch ganz schön verhalten wie ein Arschloch. Ich hab mich nie entschuldigt oder mich bedankt..."

„Pi..."

„Nein... lass..." Ich wollte nach seiner Hand greifen, aber sie war zu weit entfernt. „Du hast alles getan. Du warst für mich da und ich hab dich weggestoßen. Dir ging es selbst total mies. Was du durchgestanden haben musst wegen mir, muss grauenvoll gewesen sein... und ich hab dich wieder und wieder weggestoßen."

Er schluckte schwer. „Es war für uns beide eine extreme Situation..."

„Aber das entschuldigt es nicht. Wir waren zusammen... wir sind es... Sind wir es?" Ich senkte den Blick und schluckte schwer. „Da waren immerhin Gefühle im Spiel." Waren. Toll, Pi. Ganz toll.

Ich sah, wie er den Kopf hob und mich skeptisch ansah. Vermutlich stolperte er genauso über das gleiche Wort. „Also ist das eine Entschuldigung?"

„Es soll eine sein, ja..." Unbeholfen lächelte ich. „Verzeih mir... bitte."

Nick lachte trocken. „Naja, was erwarte ich von dir schon? Du warst ja noch nie eine große Dating-Queen, da kann ich ja nicht erwarten, dass du sonderlich viele Erfahrungen im Schluss machen hast, oder?"

„Das war fies."

„Schluss machen, Pi, ist für mich übrigens auch keine Option, genauso wenig wie aufgeben oder es nicht zu schaffen, verstanden?" Er zwinkerte mir zu und etwas in mir atmete auf. „Es war eine harte Zeit. Für dich. Für mich. Ich hab gedacht, ich überleb das nicht als du weg warst. Nicht nochmal – nach Diana. Und als du wieder da warst... da war mir schnell klar, dass du eben nicht mehr da warst. Das war eigentlich noch schlimmer. So hilflos zu sein und dir nicht helfen zu können. Dass du mich nicht an dich rangelassen hast... das war das Schlimmste." Er schloss die Augen. Als er sie wieder öffnete, war der entspannte Ausdruck in ihnen verschwunden. Er sah nicht mehr erholt aus, sondern um Jahre gealtert. „Ich weiß, dass du nicht anders konntest, aber das war für mich das Schlimmste. Dich zu haben und jeden Tag mehr zu verlieren."

Meine Augen brannten. Wie konnte er nur diese Sachen sagen? Wie konnte er nur diese Worte haben für das, was er empfand? Wie schaffte er das? „Ich will, dass wir das schaffen. Ich will nicht, dass wir uns in dieser Kluft verlieren, die da aufgetaucht ist...", flüsterte ich. „Ich will das nicht."

Nick hob den Kopf und lächelte vorsichtig. Er streckte ein Bein aus und stieß mich behutsam an. „Gut. Das ist gut. Weil ich will das auch nicht. Auf gar keinen Fall gebe ich dich nochmal her, das sollte dir klar sein. Ich stell mich im Sturm vor dich, wenn es sein muss. Ich werf mich in der Lawine über dich, um dich zu schützen. Aber ich gebe dich nicht mehr her. Wenn du es zulässt..."

„Whatever it takes..."
„Whatever it takes..."

Ich schluckte. So bedingungslos ich diese Worte auch meinte, so aufrichtig sie gemeint waren,  so schwer fiel es mir dabei, befreit durchzuatmen. Ich konnte nicht sagen,  warum. Vielleicht war das alles zu früh. „Ich brauche noch etwas Zeit..."

„Alle Zeit, die du brauchst..."

„Können wir... ganz kleine Schritte machen...?"

„So klein sie sein müssen... was es auch kostet... Das war mein Ernst."

Ich lächelte, hob meine Beine an und legte sich vorsichtig über seine. Nick atmete tief durch, schob seine Hände auf meine Unterschenkel und sah mich an.

Ich war frei.
Ich war zu Hause.
Ich war zurück bei ihm.

Ich war in Tanah Lot.



Noch eins... einfach, weil ich gerade so in Erinnerungen schwelge...

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