Tanah Lot: 24 ~ Pi
Vier Tage lange hatte ich mich fast ausschließlich nur übergeben. Ich hätte niemals gedacht, dass mein Körper so heftig darauf reagieren würde von jetzt auf gleich gar keinen Tropfen Alkohol mehr zu bekommen. Ich war in den ersten zwei Tagen fast durchgedreht. Abgesehen von der Übelkeit, dem Erbrechen und dem Durchfall hatte ich enorme Kreislaufprobleme, Kopfschmerzen, als ob ich Migräne hätte und immer wieder so wildes Herzrasen, als ob ich mit Mo durch den Wald gejoggt wäre. Als ob ich das tun würde – als ob mein Körper im Moment überhaupt dazu in der Lage wäre.
Ich hatte geschwitzt, wie nach einem intensiven Workout – keine Ahnung, wann ich mein letztes absolviert hatte – und dann gleichzeitig gezittert wie mit Schüttelfrost. Ganz ehrlich: wenn mir irgendeiner der Idioten, die mit mir diese verfickte Intervention gemacht hatten, mir das im Vorfeld gesagt hätte, ich hätte dankend auf diesen Entzug verzichtet. Wobei: das stimmt nicht. Als ich die Hütte verlassen hatte und Hals über Kopf in den Wald gerannt war, hatten sie mir netter Weise Basti hinterher gejagt. Als Neutralisator. Als denjenigen, der über a) die nötige Ruhe besaß, um meine Wut runterzukochen und b) über eine gewisse psychiatrische Vorgeschichte. Geschickt eingefädelt, Jan. Was ich vorher nicht gewusst hatte, war – und das hatte Basti mir im Dunkeln erzählt, als wir beide auf einem Baumstamm gesessen hatten – dass er mit sechzehn einen übertrieben intensiven Konsum an diversen Rauschmitteln gehabt hatte.
Noch geschickter eingefädelt, Jan. In meiner Wut auf Nick und Jan hatte ich nicht gemerkt, dass das alles ein abgekartetes Spiel gewesen war und hatte Basti den Flachmann präsentiert.
Basti jedenfalls hatte gesagt, dass so ein Entzug nicht angenehm war. Wirklich nicht. Nichts für Pussys. Das waren seine Worte gewesen.
Es nicht zu schaffen war keine Option.
Ich hatte geheult. Wirklich, mir war es so dreckig gegangen in den letzten Tagen. Immer wieder, wenn ich mich erbrochen hatte, hatte ich abbrechen wollen. Ich hasste das. Ich wollte, dass das aufhörte. Dass mein Körper wieder mir gehörte. Nicht mehr schwitzte, nicht mehr umkippte. Nicht mehr verschwommen sah. Aber immer, immer, immer wenn ich daran dachte, dass ich es nicht schaffen würde, dass aufhören würde, dann hatte ich seine Stimme im Ohr. Es nicht zu schaffen ist einfach keine Option. Und immer, wenn ich glaubte, dass mir das nicht reichte, hörte ich den anderen Teil im anderen Ohr. Weißt du, ich liebe dich immer noch.
Heute war der erste Tag ohne nennenswerte Entzugssymptome. Mir war immer noch abwechselnd heiß und kalt, aber im Rahmen, doch die Übelkeit hatte aufgehört. Ich hatte keine Kreislaufprobleme mehr, dafür hatte ich ständig das Gefühl, etwas trinken zu müssen, weil mein Mund staubtrocken war. Witzig, Sucht, wirklich witzig.
Die Klinik war ganz okay. Jan hatte das alles organisiert und ich war ihm unendlich dankbar dafür. Ich war über meine Eltern versichert, aber ich wollte auf gar keinen Fall, dass sie hiervon jemals irgendetwas erfahren würden. Überhaupt war ich mir noch nicht so sicher, wie ich mit meinen Eltern nach dieser ganzen Sache würde umgehen wollen. Ich hatte mit ihnen kein Wort gesprochen, seit ich aus Düsseldorf abgehauen war. Mutter hatte ein paar Mal versucht mich anzurufen, aber ich war nicht rangehen. Sicher dachten sie, dass ich doch in Heidelberg war und das Studium wieder aufgenommen hatte – trotzig wie ich war. Das hatten sie mir früher immer vorgeworfen. Dass ich trotzig war. Trotzig und sperrig. Unbequem. Anders. Anders als Maja.
Vater hatte es dann doch hingenommen. Wir hatten uns noch ein paar Mal am Telefon gestritten. Ich war es so leid. So unglaublich leid. Er war so sauer gewesen, dass ich auf Beckys Hochzeit gefahren war und noch viel mehr, dass ich nicht zurück gekommen war. Er hatte gedacht, dass ich wieder entführt worden war, aber das war ja wirklich unwahrscheinlich. Ein Komet schlägt nie zweimal an derselben Stelle ein. Dass ich bei Jan war hatte ihn dann beruhigt, aber auch nur für kurze Zeit. Auf Jan war er immer noch nicht gut zu sprechen, es schien aber der saure Apfel, in den Frederick von Frankenthal derzeit beißen musste – weil sein Töchterchen kam auf gar keinen Fall zurück in die Festung nach Düsseldorf.
Jan jedenfalls hatte das... geregelt, wie er es nannte. Vermutlich hatte er mit Theo gesprochen und das fiel unter den Punkt „Familienschande vertuschen". Ich meine: Charly hatte schon so oft Mist gebaut, die auf Familienkosten vertuscht worden war, da konnte doch das nicht der Rede wert sein, oder? Ich hoffte nur, dass meine Eltern wirklich nie, nie, nie von dieser Entziehungskur Wind bekommen würden. So angespannt unser Verhältnis war, ich war mir sehr sicher, dass wir danach gar keines mehr haben würden. Da würde ich ihnen erklären können, was ich wollte. Da würde auch keine Entführung als Katalysator herhalten können, da war ich mir sicher. Sie würden einfach nicht verstehen, warum ich trank. Und ich würde es ihnen auch nicht erklären können.
Lass dich nicht so gehen. Ich hatte förmlich die aufgebrachte Stimme meiner Mutter im Ohr, wie sie mir damals tadelnd auf dieser Gartenparty bei von Söders den Aperol weggenommen hatte. Ich war vielleicht siebzehn gewesen und um ehrlich zu sein war Maja deutlich betrunkener gewesen als ich – alle waren betrunkener gewesen als ich. Aber ich hatte mit dem weißen Kleid im Teich gestanden und alles getan, um schnell von dieser Party verschwinden zu können. Whatever it takes. Mo hatte mich heimgebracht. Zum Missfallen von Daniel von Söder. Ich glaube Daniel hätte es besser gefallen, wenn ich mein weißes, durchnässtes Sommerkleid in seinem Zimmer gewechselt hätte und er mir dabei hätte helfen dürfen. Gott, ich war so erleichtert gewesen, nicht weiter auf dieser Party sein zu müssen.
Ich trat zum Fenster und sah mit verschränkten Armen hinaus in die Parkanlage. Wie gerne hätte ich jetzt ein Glas Aperol. Oder besser Rotwein. Oder ein Glas Cognac. Oder Desinfektionsmittel, egal was, Hauptsache Alkohol. Die Erinnerung an diese Party überrollte mich mit einer Wucht wie so vieles seitdem ich hier war und mich nicht mehr in meine Wolke zurückziehen konnte. Scheiß Entzug.
Du schaffst das. Es nicht zu schaffen ist keine Option. So trocken mein Mund auch war und so groß das Verlangen in diesem Moment an mir zerrte, ich klammerte mich an die Worte wie an ein Mantra.
Später war Gruppentherapie. Gestern hatte ich zum ersten Mal daran teilgenommen. Die ersten beiden Tage waren die Entzugssymptome einfach zu heftig gewesen. In der Gruppe waren neben mir noch sechs weitere Insassen. Zwei Frauen, der Rest Männer. Ich war mit Abstand die jüngste, wobei der eine Typ – Ronny – vielleicht sechsundzwanzig war. Er war am ganzen Körper tätowiert und hatte das halbe Gesicht voller Piercings. Er war seit zwei Wochen hier und es war sein vierter Entzug.
Ingrid war Anfang fünfzig und Hausfrau. Sie hatte kurzes, graues Haar und ein freundliches Gesicht. Niemals hätte ich gedacht, dass sie trank. Sie hatte gestern erzählt, dass ihr Mann nie zu Hause war und dass sie aus purer Langeweile angefangen hatte, morgens bei der Hausarbeit immer ein Glas Chardonnay zu trinken.
Thomas war Anfang vierzig und Unternehmer aus Stuttgart. Er stand enorm unter Druck, Druck, Druck wie er immer wieder betonte. Zahlen, Zahlen, Zahlen. Deshalb hatte er mit dem Koksen angefangen und Alkohol war irgendwann eine Begleiterscheinung gewesen. Ich konnte ihn nicht leiden. Ich konnte nicht sagen, warum. Vielleicht lag es daran, dass er im Anzug bei dem Gruppenmeeting saß. Er war in einer verdammten Entzugsklinik, nicht in der Firma.
Die anderen Namen hatte ich mir nicht merken können.
Es klopfte an meiner Zimmertür und ich zuckte unwillkürlich zusammen. „Herein."
„Sophie?" Eine junge Mitarbeiterin steckte den Kopf herein und lächelte mich an. „Es ist Zeit für Ihren Termin. Geht es Ihnen gut?"
Ich nickte. „Ja, viel besser als gestern." Sie lächelte. Ich glaube, ihr Name war Tanja. Gestern war ich nicht klar genug im Kopf gewesen, um mir den Namen zu merken.
„Das ist prima. Kennen Sie den Weg?"
Ich hatte keine Ahnung um ehrlich zu sein. Die Klinik war ein Labyrinth und ich nahm ihr Hilfe dankbar an, mich zu meinem Termin zu bringen. Mein erstes Einzelgespräch. Davor graute mir. Die beiden Gruppensitzungen hatte ich irgendwie überstanden. Ich hatte beide Male ziemlich ungerührt von Carrie erzählt. Da hatte ich genug Abstand und irgendwie schien es, als sei das auch genug Grund, um mit der Trinkerei anzufangen. Allerdings hatte ich bei dieser Sitzung mit der beigen Frau gelernt, dass so eine Einzeltherapiesitzung sehr unangenehm sein würde.
Sie sind noch nicht bereit für eine Therapie.
Sie müssen erstmal nüchtern werden.
Eine Traumatherapie ist schmerzhaft und unbequem.
Man muss sich darauf einlassen.
So lassen Sie sich auf gar nichts eine.
Nüchtern war ich jetzt. Bereit für eine Therapie war ich immer noch nicht und ich wusste nicht, ob ich mich darauf einlassen wollte. Ich hatte keine Wolke mehr, auf die ich mich zurückziehen würde können.
Ich war mir sicher, dass der Therapeut an der Ursache für meine Sucht mit mir arbeiten würde. Aber... vielleicht war es doch einfacher für mich, erst dieses Trauma anzugehen, das Lüttkenhaus mir zugefügt hatte, als den Grund zu erforschen, wegen dem ich damals angefangen hatte zu trinken.
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Da ist sie nun, die Pi-Sophie... in der Therapie...
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