Spukschloss: 26 ~ Pi
Es war vier, als es anfing. Der Traum war schlimm, aber ich hätte nicht sagen können, von was ich geträumt hatte. Aber ich hatte geschrien. Die ganze Zeit.
„Hey... Pi..." Sanft berührte er mich an der Schulter, doch es half erst nicht. Mein Oberteil hing feucht und durchgeschwitzt an meinem Oberkörper, ich zitterte und wieder, immer wieder, schluchzte ich die gleichen Worte: „Nein, nicht."
Ich kannte das. Ich kannte diese Alpträume von früher. Ich hatte damals von Carrie geträumt, aber dieser Traum war anders. Lauter, heftiger... realer. „Wach auf!" Fest rüttelte Nick an mir, bis ich endlich aufwachte und ihn geschockt und atemlos anstarrte.
Meine Lippen standen offen, meine Brust hob sich unkontrolliert und er sah, dass ich erst nicht verstand, warum ich in mein Gesicht sah. „Nick...?"
„Hey... es ist alles okay, du hast nur geträumt... ja?" Er setzte sich vorsichtig neben mich und strich mir eine feuchte Strähne aus der Stirn. „Du bist bei mir... es ist alles okay..."
Desorientiert sah ich mich um und richtete mich vorsichtig auf. Mein Atem wurde ruhiger und flacher, meine Augen fanden seine und schließlich nickte ich. Ich war bei ihm, in seinem Wohnzimmer und allmählich kam die Erinnerung zurück. Ich war zu ihm gefahren und... „Fuck...", flüsterte sie und fuhr sich über die Augen. „Entschuldige... Ich wollte dich nicht wecken..." Schon zum zweiten Mal in dieser Nacht. Mein Blick fiel an ihm vorbei auf die Kartons und mir wurde wie vorhin ganz anders.
Abwesend strich er mir erneut durch das schweißnasse Haar. Dann reichte er mir die Hand. „Komm mit..."
Ich folgte Nick mit noch immer wild pochendem Herzen. Ich konnte nicht sagen, ob es an dem Alptraum lag oder an seiner Anwesenheit oder daran, dass ich mich unglaublich schämte. Ich hatte es nicht geschafft.
Ich hatte es einfach nicht geschafft. Ich war durchgedreht. Es war einfach zu viel gewesen und der Drang nach meiner Wolke war größer geworden als mein Sicherer Ort. Ich hatte keine Chance gehabt, nach Bali zu kommen. Ich war viel zu schnell an den Alkohol gekommen. Schneller, als dass ich eine Exitstrategie hatte anwenden können. Schneller als dass ich jemanden hatte anrufen können. Nick oder Mo oder... ich hatte sogar an Daniel gedacht.
Aber letztlich war die Panik zu groß gewesen und der Weg zu kurz. Die Sicherung war rausgeflogen und als ich Ida gesucht hatte... Ich war in ihr Zimmer gegangen und mein Blick war sofort auf die Lösung gefallen. Ida sammelte Vodka Absolut Flaschen. Ich hasste Wodka.
Ich ekelte mich so sehr vor mir selbst.
Ich hatte es einfach nicht geschafft.
Ich war rückfällig geworden.
Vor lauter Panik. Ich war so blöd.
Nick sah müde aus, verschlafen. Seine Pyjamahose hing ihm viel zu tief auf den Hüften als es sich gehörte. Er hielt meine Hand locker mit seiner verschränkt und zog mich hinter sich her durch den dunklen Flur in sein Schlafzimmer. Überall standen diese Umzugskartons herum. Er zog um. Weg. Er zog wirklich weg. Warum hatte er mir das nicht gesagt?
Hatte er mir nicht gesagt, dass er mich immer noch liebte?
Hatte er nicht gesagt, dass Schluss machen für ihn absolut gar keine Option war?
Und war nicht gerade mal eine knappe Woche her?
Wieso um alles in der Welt erwähnte er denn dann nicht mit einem Sterbenswörtchen, dass er umziehen würde? Meinte er denn nicht, dass das eventuell relevant sein könnte? Zumindest für mich, die im Moment jeden Tag mit Heidelberg einen privaten Kampf ausfocht?! Nicht, dass es jemals – und vor allem aktuell – zur Debatte stehen würde, dass wir zusammenziehen würden. Von einem Wir waren wir gerade ziemlich weit entfernt, aber einmal vor einiger Zeit war es ganz anders gewesen. Da war zusammenziehen für mich jedenfalls ein Schritt gewesen, der gar nicht so weit entfernt gewesen war, weil ich eh ständig bei ihm gewesen war.
Ich hielt inne. Ich. Ich war schon verdammt auf mich fokussiert.
Und doch hatte er mir nichts davon gesagt.
Warum? Hatte er es wirklich einfach vergessen, wie er gesagt hatte?
All diese Geheimnisse zwischen uns. Ich hielt das nicht mehr aus.
Ich hielt mich nicht mehr aus.
Er knipste das Licht im Schlafzimmer ein, blieb vor dem Bett stehen und ließ meine Hand los. War das Widerwillen in seinem Blick? Wirklich? Widerwillen? Mein Herzschlag setzte kurz aus.
Er öffnete eine Schranktür, griff hinein und zog ein schwarzes T-Shirt heraus. Dann sah er mich unschlüssig an. „Du bist klatschnass geschwitzt...", sagte er leise und trat zaghaft auf mich zu. Ich schluckte, während er mir das Shirt hinhielt. Gott, er hatte mich so oft nackt gesehen... da sollte das jetzt doch nicht komisch sein, oder?
Regungslos stand ich vor ihm. Ich kam mir vor wie ein kleines Kind. Schämte ich mich? Vor ihm?
Ja, in diesem Moment, jetzt, heute, schon. Diese Situation war so seltsam. Als ich zuletzt vor ihm gestanden hatte – nackt – hatte ich einen Nervenzusammenbruch gehabt. Und jetzt? Jetzt hatte ich einen Entzug hinter mir, war gescheitert, wieder betrunken, er hatte mir gesagt, dass er umziehen würde und ich war mir nicht sicher, ob er überhaupt gewollt hatte, dass ich davon erfuhr.
Zaghaft griff ich nach dem Shirt und drehte mich langsam um, während ich mir meines vom Kopf zog. Ich spürte seinen Blick auf mir. Verdammt. Ich spürte ganz genau, wie sein Blick an meinem viel zu dünnen Körper hinab wanderte und ich wusste genau, was er dachte. Wann war das mit ihr passiert? Wann war sie so dünn geworden?
Im Entzug. Das hätte ich ihm gerne gesagt, aber ich bekam die Worte nicht heraus. Schnell zerrte ich mir das schwarze T-Shirt über den Kopf und warf meins achtlos auf den Boden. Der Geruch von Waschmittel stieg mir in die Nase. Der Geruch von Waschmittel und von ihm. Unverkennbar von ihm. „Danke...", murmelte ich schnell und trat schnell auf die Tür zu. Ich hatte das Gefühl, keine Luft zu bekommen. Seine Anwesenheit nahm mir den Atem und die Tatsache, dass ich ihn enttäuscht hatte, wieder und wieder, machte es nicht besser.
Aufgeben war keine Option.
„Hör schon auf mit dem Quatsch." Nick klang erschöpft und griff nach meinem Handgelenk. Seine Finger schlossen sich warm und fest darum und zogen mich sanft, aber bestimmt zurück. Zurück zu ihm. Von hinten umarmte er mich und legte sein Kinn auf meiner Schulter ab. „Du wirst auf der Couch ohnehin keine Ruhe finden... ich pass auf dich auf... versprochen..."
Ich schloss die Augen. Versprochen. Er hatte mir schon ganz andere Dinge versprochen. Ich begann zu zittern. Ich spürte, dass er es merkte, denn er verstärkte seine Umarmung.
Sein Atem strich warm über meinen Hals und mein Körper schickte verräterische Signale in weit entlegene Regionen. Ich sollte das nicht fühlen. Auf gar keinen Fall sollte ich das fühlen... Nicht dieses Ziehen im Unterleib, nicht dieses Kribbeln im Bauch. Nicht dieses starke Klopfen in meiner Brust. Er zog weg. Er hatte gar nicht vorgehabt mir das zu sagen mit dem Umzug. Was sollte das? Wo standen wir?
Aber... aufgeben? Ich atmete aus und spürte, wie sich mein Körper ganz automatisch gegen ihn lehnte und er seine Umarmung verstärkte. Es fühlte sich immer noch zu gut in seinem Arm. Dann konnte aufgeben doch wirklich keine Option sein – oder nicht?
Ich atmete tief ein und sehr langsam aus. Dann nickte ich. „Okay...", flüsterte ich und hoffte, dass er nicht spürte, dass mein Körper mit jeder Zelle hoffe, dass er etwas anderes im Sinn hatte, als nur auf mich auszupassen. „Okay..."
Nick holte ebenfalls noch einmal tief Luft, bevor er mich langsam losließ. Sein Atem strich über meine Haut, ebenso wie seine Fingerkuppen über meine Unterarme. Ich bekam am ganzen Körper Gänsehaut und mir stieg eine verlegene, verräterische Röte ins Gesicht, vor der ich inständig hoffte, dass er sie nicht bemerkte.
Mit gesenktem Kopf lief ich ums Bett herum und schlüpfte unter die zurück geschlagene Bettdecke. Gott, die roch so sehr nach ihm. Er fehlte mir so. Er fehlte mir jeden Tag.
Nick beobachtete mich einen Moment lang schweigend. Ich vermied es, ihn anzusehen, doch es gelang mir nicht. Ich konnte ihn einfach nicht nicht ansehen. Ich hätte zu gerne gewusst, was er jetzt dachte. Jetzt, in diesem Moment. Jetzt, als sein Blick nur für den Bruchteil einer Sekunde, für einen Wimpernschlag nur, meinen traf – als sich das Blau seiner Augen auf das Blau meiner traf.
Er sagte nichts. Er lächelte nicht. Er blinzelte nicht. Er kam nur irgendwann näher, löschte das Licht und legte sich neben mich. Mit deutlichem Abstand und doch war ich mir mit jeder Faser meines Körpers seiner Nähe bewusst. Ich spürte seine Wärme und ich wusste genau, wie weit entfernt er lag. Als ich mich auf die Seite drehte wusste ich, obwohl meine Augen geschlossen waren, dass mein Gesicht nur wenige Zentimeter von seinem entfernt war. Ruhig und regelmäßig strich sein Atem über meine Haut. Er schlief nicht. Ich hatte zu viele Nächte neben ihm verbracht um zu wissen, wann er wach war und wann nicht... und er wusste es vermutlich auch von mir.
Nick seufzte leise und drehte sich ein Stück. Er schob seinen Oberarm vorsichtig unter meinen Kopf und ließ seine Hand langsam über mein Schulterblatt wandern, bis ich seiner Aufforderung folgte und näher an ihn heran rutschte. Wäre diese Distanz, die Kluft, zwischen uns nicht gewesen, hätte es sich angefühlt wie früher. Fast. Seine Fingerspitzen tanzten leicht wie Federn über meinen Arm und meine Schulter, zogen sanft streichelnd Kreise über mein Schulterblatt, bis die Anspannung von mir abfiel, bis irgendwann die Nervosität ging und die Müdigkeit kam und ich endlich... endlich nach Wochen... nach Monaten länger als sechs Stunden am Stück schlafen konnte.
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