Spukschloss: 26 ~ Nick
Ich schrak auf. Mein Herz raste und ich wusste nicht wieso. Desorientiert sah ich mich um, bis mein Blick auf den Wecker auf dem Nachttisch fiel. Es war 2 Uhr 12. Dann durchschnitt erneut das Klingeln der Wohnungstür die Stille.
„Was zum..."
Ich sah noch einmal auf meine Uhr, schwang mich müde aus dem Bett und lief zur Tür. Im Flur standen noch immer Umzugskartons herum. Ich musste endlich packen. Aber ich kam einfach nicht dazu. Die Vorstellung auszuziehen war noch immer zu absurd.
Wieder klingelte es, diesmal nur kurz und ich öffnete die Tür „Was?", fragte ich, sichtlich genervt und hielt abrupt inne, als ich sie sah. Sie, die sich gerade zum Gehen wandte. „Pi?"
Sie verharrte in der Bewegung.
„Was machst du denn hier?" Ich widerstand dem Drang erneut auf die Uhr zu sehen und sie zu fragen, ob sie wisse, wie spät es eigentlich sei – denn ich sah ihren Blick. Ich sah die tiefen Ringe unter ihren Augen, wie blass ihr Gesicht war. Ich sah, wie sie ihre Jacke um sich geschlungen hatte und ich sah, dass sie offensichtlich ihren Pyjama trug. „Hey... ist alles okay?"
Sie sah zu mir hinauf und wollte nicken, doch ihr traten sofort die Tränen in die Augen. Dann schüttelte sie den Kopf. „Nick, es tut mir so leid...", flüsterte sie.
„Was tut dir leid?", fragte ich. Aber dann... Ich sah es an ihren Blick und ich nahm diesen ganz leichten Hauch von Alkohol in ihrem Atem wahr. Scheiße. Verdammte Scheiße...
„Hey..." Ich schluckte. Sie so zu sehen, brach mir das Herz. Ich streckte die Hand nach ihr aus, wohlwissend, dass ich es vielleicht besser nicht tun sollte und zog sie an mich. Ich schloss sie in meine Arme und hielt sie fest. Sehr fest. Ich spürte den Widerstand in ihr, das Beben in ihr, dann das Schluchzen. Laut schluchzte sie auf, vergrub sich zitternd in meinen Armen und weinte, während ich sie so fest hielt, wie ich es in diesem Moment konnte.
Ich atmete aus. Die letzten Tage waren... anstrengend gewesen. Wir verbrachten Zeit miteinander, als Freunde, machten Schritte aufeinander zu, kleine Schritte, wie sie es gewollt hatte, und dann auch immer einen großen voneinander weg. Das war der Preis. Wir hatten Spaß, aber es war trotz allem anstrengend. Sie war verändert und dünnhäutig und schnell erschöpft, die Wohnung machte sie krank und es war... Sie sprach nicht. Sie gab sich Mühe, aber es war einfach... anstrengend. Ich machte mir Sorgen um sie.
Und jetzt? Jetzt hatte sie nicht nur einen Schritt zurück gemacht, sondern gleich zehn auf einmal. Sie hatte getrunken. Warum? Was war passiert, dass sie rückfällig geworden war?
Fuck.
Was sollte ich tun?
„Entschuldige, dass ich hiereinfach so aufgetaucht bin..."
Sie saß mir gegenüber auf dem Sofa mit angezogenen Knien und hatte zwei Decken um sich geschlungen, weil sie so fror.
„Kein Problem, jeder Zeit...", murmelte ich. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Sie so unvermittelt zu sehen, brachte mich total aus dem Konzept. Sie so fertig zu sehen noch viel mehr. „Was ist denn passiert?"
„Ich..." Sie atmete zittrig aus. „Ida hat... sie hat gesagt, sie wäre zuhause, aber... Sie war nicht da. Ich lag wach und sie war nicht da..." Sie brach ab und Tränen traten ihr in die Augen. „Ich halte es alleine nicht in dieser Wohnung aus, Nick. Ich halte es da einfach nicht mehr aus."
Ich nickte langsam und versuchte herauszuhören, ob das wirklich alles war. Sie sah nicht gut aus. Sie sah wirklich furchtbar aus. Gestresst. Mitgenommen. Erschöpft. Tiefe Augenringe. Sie hatte sicher seit Wochen, Monaten nicht richtig geschlafen. Sie war dünn geworden. Sehr dünn. Und unwahrscheinlich blass. Mit der Frau, die ich damals im Wunder kennengelernt hatte, hatte diese hier wenig gemeinsam. Aber seitdem war auch sehr, sehr viel passiert. Der Entzug, ja, der hatte ihr gut getan, aber etwas war passiert, das sah ich ihr an. Irgendetwas wühlte sie gerade enorm auf. Mehr noch als in den letzten Tagen und dieses etwas musste dazu geführt haben, dass sie wieder getrunken hatte. Was war passiert?
„Willst du darüber sprechen?", fragte ich leise und sah sie an. Sie wirkte zumindest nicht stockbetrunken. Aber das hatte sie... sie vertrug eine ganze Menge. Ich konnte nicht einschätzen, wie viel sie getrunken hatte.
Pi schüttelte den Kopf. „Nein." Sie wischte sich wieder über die Augen.
„Solltest du aber vielleicht..."
Sie sah mich an und schluckte. Sie wischte sich über die Augen. „Ich schäm mich so", flüsterte sie und schluchzte leise auf.
Scheiße. Ich ertrug das nicht. Ich ertrug es nicht, wenn sie weinte.
„Du kannst hier schlafen...", sagte ich leise. Ich wusste, dass sie deswegen hergekommen war. Sie wollte nicht alleine sein und sie durfte es jetzt auch nicht. Vermutlich sollte ich sofort sämtlichen Restalkohol wegschütten, aber das war vielleicht auch übertrieben.
Immerhin war sie hier. Bei mir.
Ich konnte sie nicht gehen lassen. Nicht so. Nicht in diesem Zustand, in dem sie war. Vielleicht war es zu früh, ihr anzubieten hier zu schlafen. Aber gerade war es das Einzige, das mir einfiel. Sie war fertig, weinte und um ehrlich zu sein fehlte mir das: neben ihr einzuschlafen und neben ihr aufzuwachen und ich hätte alles gegeben, um ihr endlich wieder diese Sicherheit geben zu können, die sie ganz offensichtlich brauchte.
Sie setzte an, etwas zu sagen, schwieg dann aber. Sie schlang die Decke ein wenig fester um sich und wiegte leicht hin und her. „Es sieht anders aus..." Sie sah sich um und dann plötzlich, schien sie die Erkenntnis zu treffen. „Nick?"
Ich zuckte matt mit den Schultern. „Mh?"
„Was machen die Umzugskartons da in der Ecke?"
Ich sah sie eine Weile schweigend an und zuckte dann mit den Schultern. Fuck. Das hatte ich ihr noch nicht erzählt und hatte es sicher nicht so vorgehabt. Egal, was ich jetzt sagen würde, ich stand auf sehr dünnem Eis. „Ich, ähm... ich ziehe aus."
Ihre Augen weiteten sich entsetzt. „Du – was?" Ihr wich sämtliche Farbe aus dem Gesicht und sie sah aus, als würde sie auch den letzten Halt verlieren.
„Pi..."
„Warum? Wohin? Die Wohnung ist – Wieso?" Fassungslosigkeit schwang in ihrer Stimme mit. „Warum erzählst du mir das nicht?!"
Ja... das war eine gute Frage. Tatsächlich hatte ich es ihr nie erzählt. Es hatte sich einfach nie ergeben. Ich zog ein Knie an und seufzte schwer. „Ich brauche Abstand... von allem, was passiert ist."
„Ziehst du weg?" Ihr Mund stand offen. Sie wirkte unfassbar verletzt.
„Nur um... Die neue Wohnung ist etwas außerhalb." Ich rang mir ein müdes Lächeln ab. „Ich muss aus der Wohnung hier raus. Zu viele Erinnerungen." Ich dachte an Diana. Die guten Erinnerungen und die schlechten. Die Geister und Gespenster, die hier hausten. Und auch die Erinnerungen an Pi. Wie wir gemeinsam auf der Couch eingeschlafen waren, zum Beispiel. Solange die Situation so unklar war, war es einfach jedes Mal ein Stich ins Herz.
„Aha..." Sie sah mich kurz an und schluckte. „Wann hattest du vor mir das zu sagen?"
„Ich weiß nicht... es... es hat sich einfach noch nicht ergeben?" Ich schluckte.
„Ich bin seit fast einer Woche zurück. Wir sehen uns fast täglich." Sie sah mich aus großen, blauen Augen an. Dass sie nicht enttäuscht den Kopf schüttelte, war alles.
„Ich weiß..." Ich holte tief Luft. „Es tut mir leid... Ich hab es auch... ein bisschen von mir weggeschoben... vergessen?"
„Hier stehen Umzugskartons, Nick!", zischte sie und machte Anstalten aufzustehen. Offensichtlich wurde ihr schwindelig und sie fiel zurück. „Wie kannst du das vergessen?" Sie zog die Schultern hoch und ich spürte, dass sich etwas in ihr verschloss. „Ich bin müde", sagte sie steif. „Ich fahre dann."
„Du fährst nirgendwohin!", gab ich zurück. Ich dachte an Beckys Hochzeit und mir wurde übel. Allein die Vorstellung, was damals hätte passieren können, trieb mir Schweißperlen auf die Stirn. „Bist du wirklich mit dem Auto hier?"
Sie sah unter sich und wurde rot. Dann nuschelte sie etwas Unverständliches. Verdammt, Pi. Tu das nicht. Sie baute eine Mauer um sich auf und schloss mich aus, das sah ich mehr als deutlich.
Ich atmete tief durch. „Du bist fix und fertig. Hast getrunken und einen Rückfall. Du schläfst hier." Ich rang mir ein müdes Lächeln ab.
„Ich-"
„Nein. Darüber diskutiere ich nicht mit dir." Ich schüttelte den Kopf. „Nicht mehr."
Ich sah, wie sie aufatmete. Egal, wie sauer oder verletzt sie war, dass ich ihr nicht gesagt hatte, dass ich auszog, die Erleichterung, dass sie nicht betrunken in diesem Zustand zurück in ihre eigene Wohnung musste, überwog. Sie griff nach einem der Couchkissen und begann, es sich mit einiger Wut zurecht zu drücken.
Mach das nicht...
Ich schluckte. So viel zu meinem Wunsch, neben ihr aufzuwachen. „Du kannst das Bett haben...", murmelte ich unverständlich.
Pi schüttelte bestimmt den Kopf und griff nach einer Ewigkeit nach einem zweiten Kissen. „Deine Couch reicht. Ich bin dir dankbar, dass... du mir nicht die Tür vor der Nase zugeknallt hast." Sie schluckte und sah kurz aus, als kämpfe sie wieder mit den Tränen.
„Das würde ich nie tun..." Ich hätte sie so gern in den Arm genommen, aber ihre gesamte Körperhaltung verriet mir, dass sie das nicht zulassen würde. Sie war total verletzt. Und betrunken. Ich hätte es ihr viel früher sagen müssen. Sehr, sehr viel früher. Sie würde ausflippen, wenn sie erfuhr, wann ich beschlossen hatte, die Wohnung zu verkaufen.
„Ich weiß..."
„Und du möchtest wirklich auf der Couch schlafen?", versuchte ich es noch einmal. Pi nickte und eine Strähne löste sich aus ihrem Zopf. Ich schluckte und musste mit aller Kraft dem Drang widerstehen ihr nicht diese lose, dunkle Strähne hinters Ohr zu schieben...
Dieser verdammte Elefant.
Oh Gott, ich liebte sie wirklich noch immer. „Okay... wenn du es dir anders überlegst, du weißt, wo das Schlafzimmer ist...", gab ich heiser zurück und schluckte. Mir wurde heiß. Steh auf, du Idiot.
Trotzdem streckte ich die Hand aus und legte sie ihr behutsam an die Wange. Ihre Haut war eiskalt. Sanft strich ich mit dem Daumen über ihren Wangenknochen. Wie früher.
Sie schloss die Augen und atmete tief ein. Ihre Wimpern flatterten leicht.
Was war nur passiert?
Was war heute passiert, dass sie in so einem Zustand war?
Dass sie doch aufgegeben hatte?
Aufgeben war doch keine Option... das hatten wir doch ausgemacht.
„Nick...", flüsterte sie. Ich wusste nicht, ob es ein Hilferuf war, eine Bitte aufzuhören oder damit weiterzumachen.
Mit einem lauten Räuspern riss ich mich los von ihr – weniger körperlich, als emotional. Ich sollte das nicht tun. Sie hatte ziemlich deutlich signalisiert, wo ihre Grenze war. Auf der Couch. „Schlaf gut, Sophie..." Sichtlich enttäuscht zog ich die Hand zurück.
Sie atmete durch, nickte dann aber. „Du auch, Nick..."
Ich stand auf und räusperte mich erneut; diesmal, um meine Verlegenheit zu überspielen.
Pi nickte langsam und breitete dann umständlich die Decken aus, schlüpfte hinunter und ich sah ihr dabei zu, wie sie sich hinein kuschelte. Es war so absurd. So unglaublich absurd, dass sie noch vor ein paar Monaten ganz selbstverständlich bei mir im Bett geschlafen hatte. Und jetzt? Deine Couch reicht, danke.
Sie sah mich an, mit ihren blauen Augen, die in den letzten Monaten ihr Strahlen fast verloren hatten. Sie sah so müde aus. „Wenn was ist... du weißt ja, wo das Schlafzimmer ist", murmelte ich erneut und kam mir vor, wie ein Idiot.
Was glaubte ich? Dass sie später klopfen würde, sich die Klamotten abstreifen und mit mir schlafen würde? Im Traum würde das nicht passieren...
Sie nickte nicht. Schloss nur die Augen und drehte sich wortlos zur Wand.
Toll, Nick. Das war ja ganz toll gelaufen.
............
🥃 und 📦
Da haben sich gerade ein paar Schürfwunden angestaut, was meint ihr?
Und wie schlimm war ihr Absturz wirklich?
Fragen über Fragen.
Nächster Teil ist bereit... ⭐⭐⭐😎
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