Mistelzweig: 29 ~ Nick

Heiligabend verließ ich ordentlich angezogen und mit frischem, vorzeigbaren Weihnachtshaarschnitt die Wohnung, Pi in Leggins und einem scheußlichen Pullover mit dem Gesicht des Grinch darauf und dem Spruch Merry Whatever. Ihre Daunenjacke stand offen und um den Hals hatte sie sich zweimal ihren Slytherinschal gebunden.

Hätte man mir das mit zehn gesagt, dass ich mich in eine Slytherin verknallen würde, wäre wohl der Gryffindor in mir explodiert. Grinch und Slytherin. Als sie die beiden Teile heute morgen aus dem Karton gezogen hatte, war ich fast vom Glauben abgefallen. Ich hatte den Schal angestarrt, als ob sie ein Stück vergammelten Hippogreif herausgezogen hätte. Sie hatte nur gelacht und gesagt: „Nicht alle Slytherin sind böse Zauberer."

Vor ihrem Auto reckte sie sich auf die Zehenspitzen küsste sie mich sehr langsam und raunte mir „Frohe Weihnachten", ins Ohr. „Ich... hab ein Geschenk für dich. Aber das bekommst du erst, wenn wir uns sehen. Das war Teil eins."

„Okay...? Jetzt werd ich neugierig." Er Kuss hatte nach mehr geschmeckt. Mach sehr viel mehr. Ich grinste vermutlich wie ein Idiot.

„So soll das sein."

Ich runzelte die Stirn. „Fahr vorsichtig und melde dich, wenn du angekommen bist..."

„Du bist so..." Sie rollte die Augen. „... alt."

Ich lächelte. Es war unser altes Spiel. Ich war steinalt. Sieben Jahre älter als sie. „Ja ja, und du jung und unvernünftig und so weiter." Ich zog am Kragen ihrer Jacke und presste meine Lippen erneut auf ihre. „Grüß deinen Cousin. Sag ihm Happy Birthday von mir."

„Das will er nicht hören. Er hasst seinen Geburtstag."

Pi griff erneut in meinen Navken und küsste mich. Ihre Zunge strich über meine, warm und vertraut, und sofort spürte ich, wie eine gewisse Hitze in mir aufstieg. Wenn sie jetzt nicht sofort in dieses Auto stieg, würd ich mich wirklich drei Tage mit ihr in der Wohnung verschanzen und Weihnachten einfach Weihnachten bleiben lassen.

„Tschüss, Nicki!" Sie grinste in den Kuss, löste sich von mir und öffnete die Tür ihres Seats. Ich sah ihr nach, wie sie ausparkte, und hob die Hand, während sie die Straße hinunter fuhr.

Ich war total verknallt.




Sie meldete sich anderthalb Stunden später und postete ein Bild von sehr viel Geburtstagssushi. In einem Lachs-Nigiri steckte eine blaue Geburtstagskerze. Ich saß unterdessen bei Kartoffelsalat und Würstchen mit Lea, Isa und Lucy unter dem Weihnachtsbaum und zockte Uno, während Mutter Becky schwangerschaftsbemutterte.

Drea, Hendrik und meine Neffen feierten Heiligabend zu Hause und würden erst morgen kommen, daher war Heiligabend verhältnismäßig ruhig.

Bescherung hielten wir wie jedes Jahr: wir schenkten uns offiziell nichts, jeder hatte aber trotzdem ein Geschenk für jeden dabei. Seit zwei Jahren machten wir Geschwister untereinander unabgesprochen liebevolle Schrottwichtelgeschenke. Das heißt, es waren ziemlich unnütze Sachen, die wir uns schenkten, aber wir gaben uns Mühe beim Aussuchen. Tom machte mit Begeisterung mit. Die Einzige, die anständige Geschenke bekam, war Mama.

Meine Geschenke-Highlights in diesem Jahr waren eine Rolle Sudoku-Toiletten-Papier von Lucy und ein USB-Tassenwärmer in Keksform von Tom. Ich hoffte wirklich, dass der funktionierte.

„Wenn sie mich noch einmal fragt, ob ich meine Vitamine nehme, werf ich sie in die Tanne." Becky quetschte sich neben mich auf den Sessel und legte mir den Arm um die Schultern. „Uh... gutes Blatt." Ich hatte nur Schrott auf der Hand. Lauter blaue Zahlen.

Lea kniff die Augen zusammen. „Du lügst. Er kann nichts auf der Hand haben." Sie warf eine „Zwei ziehen" und ich warf Becky einen bösen Blick zu. Ich zog selbstverständlich nur Mist, konnte noch nicht mal die Farbe bedienen und lehnte mich zurück.

„Wenn du Mama in den Baum schubst, gibt es morgen kein Essen", gab ich zu bedenken.

„Tommy grillt doch eh... das bekommt er ohne Mama hin, oder Schatz?" Becky grinste ihn verschwörerisch an. Dann sah sie mich an und ich konnte nicht sagen, on ich Zustimmung oder Abneigung in ihrem Blick sah – oder sie mich einfach weiterhin für verrückt hielt. „Ich habe gehört, du kommst nicht alleine..."

„Ja, kann sein..."

Lea sah mich an. „Ich habe gehört, sie ist bei dir eingezogen?"

„Was?!" Lucy war gerade dabei, von ihrem Wein zu trinken und verschluckte sich prompt. „Diese Sophie? Ich dachte, ihr habt Schluss gemacht?!"

Ich warf Becky einen vernichtenden Blick zu. Sie war so berechnend. Hexe. „Musste das sein?"

Sie zuckte mit den Schultern. „Sie bekommen es morgen doch ohnehin mit."

„Ja, diese Sophie", sagte ich giftig Lucys Richtung und wunderte mich ein bisschen, dass Isa es ihr nicht direkt weitergetratscht hatte. Isa wusste es immerhin schon eine Weile und die beiden waren quasi wie die personifizierte Hydra. „Ja, sie kommt morgen mit und du bist nett zu ihr", sagte ich scharf. Ich hatte nämlich die Vermutung, dass ich nur noch Lucy einnorden musste. Und an Lea gewandt sagte ich: „Ja, ist sie irgendwie..."

„Aber du ziehst doch aus..."

„Ja..." Ich zuckte mit den Schultern. „Und sie geht auf gar keinen Fall zurück in diese Wohnung."

Die Mädels sahen mich schweigend an. Ich konnte nur raten, was sie dachten. Vor allem Lucy war ihre ungefragte Meinung deutlich anzusehen. Mach keinen Fehler, wie damals vor Di. das Mädchen hat viel durchgemacht. Sie tut dir nur weh. Lucy setzte bereits an, etwas zu erwidern, allerdings kam Mama kam aus der Küche zurück und setzte sich zu uns auf die Couch. „Was ist los?", fragte sie angeheitert? Habt ihr über mich gesprochen?"

Tom prustete hinter vorgehaltener Hand. „Ja. Marion, genau..." Er hustete trocken und lachte dann.

Mama warf Tom einen tadelnden Blick zu. „Nicht immer dieser sarkastische Ton, mein Lieber! Sonst bist du ziemlich schnell nicht mehr mein Lieblingsschwiegersohn."

Jetzt war es an mir, trocken zu lachen. Ich tätschelte Tom mitleidig die Schulter. „So schnell geht es, Tommy..."

Das Thema Pi war vorerst vom Tisch. Ich wusste allerdings, dass es ich nur eine gewisse Schonzeit bekommen hatte. Vor allem Lucy würde das mit mir noch ausdiskutieren wollen und Lea sicherlich auch. Frohe Weihnachten, das konnte heiter werden.

Der weitere Abend verlief friedlich und traditionell. Die Mädels saßen unter dem Weihnachtsbaum, tranken Wein, wir sahen Kevin allein zu Haus und Mama schlug uns alle wie in jedem Jahr breit, mit ihr Monopoly zu spielen. Das war der Moment, wo Tom vorsorglich den Ouzo holte, weil den irgendjemand brauchen würde. Gemeinhin ich.

In diesem Jahr nicht. Ich fand es nicht richtig zu trinken. Ich konnte das einfach nicht. Nicht nach all dem, was Pi durch gemacht hatte. Ich hielt es für nicht richtig, mich hier im Kreise meiner Familie wegzuschießen, während sie immer noch gegen ihre Dämonen kämpfte und gerade auf Jans Geburtstagsparty war.

Gegen elf vibrierte mein Handy und ich sah bereits auf dem Display, dass sie es war. Ich würfelte gerade und zog gerade über Los. Sie hatte noch ein Bild geschickt. Die leere Sushi-Platte und ein zweites Bild von ihrem Bauch.

Ich: Sexy... war gut?

Pi: Unkonventionellstes Weihnachtsessen ever. Wie ist es bei euch?

Ich kratzte mich am Kinn, schoss ein Bild von Monopoly-Spielfeld und schickte es ihr mit einer repräsentativen Auswahl an Emojis, die eine Kurzzusammenfassung eines Blitzkrieges darstellten.

Pi: I see. Wer besitzt die Schlossallee?

Ich: Tom.

Pi: Autsch.

Ich grinste und sah auf die Scheine vor mir und das klägliche Scheinchen, das noch vor Tom lag. Mein Kumpel war kurz davor, weinend seinen vierten Kurzen zu trinken, wenn er demnächst aus dem Gefängnis raus kommen würde.

Ich: Bringt ihm nichts. Ich habe alle Bahnhöfe und die orangenen Straßen...

Ich streckte mich. Lucy landete beim Würfeln auf dem Ostbahnhof. Ich kassierte mit breitem Grinsen meine Miete, sie zeigte mir den Mittelfinger. „Du bist so ein Arsch, ey", fauchte sie.

„Jedes Jahr das gleiche Theater!"

Pi: Heißt?

Ich: Nichts...

Ich schickte ihr das scheinheilige Emoji mit dem Heiligenschein und hielt direkt wieder die Hand auf, als Mutter auf der nächsten meiner Straßen landete.

„Dieses Kind!", fluchte sie. „Ich bin pleite!" Sie warf ihre Karten auf den Tisch. „Wie dein Vater! Das hast du von deinem Vater gelernt!"

Ich sortierte grinsend ihre Scheine ein und nickte. „Stimmt." Tatsächlich hatte unser Vater mir seine Monopoly-Tricky verraten. Die waren aber auch nicht allzu schwer. Die Schlossallee war die teuerste Straße, ja, aber die erreichte man eben nur selten. Strategisch am geschicktesten war es, die Bahnhöfe zu kaufen und die orangenen Straßen – den an denen musste man immer vorbei, wenn man aus dem Gefängnis wieder heraus kam.

Pi: Pff...

Ich: Ich verrate nicht meine Tricks, bevor wir miteinander Monopoly gespielt haben.

Becky schielte zu mir hinüber. „Dein Geburtstagsgeschenk?" Sie würfelte, landete auf der Wiener Straße, fluchte und ich hielt die Hand auf. „Ich hasse dich."

Ich hielt mein Handy immer noch in der Hand und zeigte Becky den Mittelfinger. „Ja, es ist mein Geschenk."

Ich: Schläfst du bei Jan oder fährst du nach Hause?

Nach Hause. Das klang immer noch ungewohnt. Ich legte das Handy neben mich, würfelte selbst, zahlte brav an Isa meine Miete und wartete auf ihre Antwort. Es dauerte etwa zehn Minuten, bis mein Handy wieder vibrierte.

Pi: Nach Hause...

Ich: War das jetzt die Antwort oder ein melancholisches Nachhorchen der Worte?

Pi: Beides...

Ich lächelte und legte das Handy zur Seite.

Meine Familie hielt noch genau eine Runde durch, danach waren die Mädels pleite und Tom zu betrunken, um noch weiter zu spielen. Ein Hoch auf die Weihnachtstraditionen.

„Ich bring 'es' besser heim..." Becky tätschelte Tom den Kopf. „Dieser verflixte Ouzo... Den hättest du ihm abnehmen müssen, Nicki."

„Ich?!", ich hob abwehrend die Hände, „Entschuldige mal bitte? Er ist über achtzehn, voll strafmündig und Anwalt. Der kann alleine auf sich aufpassen."

Becky schnaufte. „Diese Schwangerschaftshormone steigen ihm zu Kopf." Sie rollte dramatisch die Augen und zog Tom aus dem Sessel. „Schatz, wir gehen."

„Ich komme mit." Ich stand ebenfalls auf und schob Tom vor mir her. „Mädels... Fröhliche Weihnachten. Es war mir ein Fest, euch finanziell zerstört zu haben."

Lucy stöhnte frustriert, Isa rollte die Augen und Lea schnaufte auf. „Revenge, morgen!" Lea hob drohend die Faust. „Viel Spaß noch, Brudi..." Sie stand auf und drückte mir einen Kuss auf die Wange.

Wir verabschiedeten uns von den Mädels und Mama, steckten Tom, der leise I'm driving home for Christmas vor sich hin trällerte, in seine Jacke und liefen dann draußen zu den Autos. Becky rollte genervt die Augen. „Nein, Schatz. Du fährst nicht nach Hause." Sie packte Tom ins Auto und umarmte mich fest.

„Also du und Pi", sagte sie, als sie mich losließ.

Ich stöhnte auf und rollte die Augen. „Wo ist dein Problem, Becky?"

„Ich habe kein Problem."
„Aber?"

Becky seufzte schwer. „Ich mag Pi. Ich mag dich. Aber... Zusammenziehen, Nick? Nach diesem ganzen Mist? Meinst du nicht, dass das zu früh ist?"

„Nein." Ich hielt ihrem Blick stand. „Keine Ahnung. Vielleicht schon. Aber Becky, und wenn, dann geht es dich nichts an. Es ist meine Sache und Pis Sache."

Becky musterte mich eindringlich. „Ich will dass du glücklich bist."

„Ich bin glücklich." Zumindest löste sich jeden Tag die Anspannung etwas mehr und wich dem, was einmal Glück gewesen war. „Es... wir brauchen das. Sie braucht das."

„Und du?"
„Ich brauche es auch. Ich muss einfach wissen, dass sie okay ist."

Becky lehnte sich gegen den Wagen und verschränkte die Arme vor der Brust. „Das verstehe ich... Ich will nur... Nicki, ich mache mir Sorgen. Du bist mein kleiner Bruder."

„Ich bin keine fünf mehr. Du musst nicht dauernd auf mich aufpassen und gucken, dass ich mir die die Knie nicht aufschlage. Ich bin fast dreißig, Rebecca. Ich weiß, was ich mache und was mir gut tut. Und ich kann auf mich aufpassen. Und..."

Sie seufzte schwer. „Du liebst sie."
Ich schwieg. „Das weißt du doch..."

„Es ist nur... ich weiß, dass du das brauchst. Dass sie das braucht. Und dass ihr wollt, dass es wieder so wird wie vorher. Aber... Nick, ich denke nicht, dass es jemals wieder so wird wie vorher. Ich glaube einfach nicht, dass..."

Ich starrte sie an. „Und ich glaube, dass du hier deinen Kompetenzbereich überschreitest, Becky. Ich weiß das. Ich weiß, was passiert ist. Und ich weiß auch, wie schwierig das alles für sie ist. Glaub mir das. Ich weiß das genau. Ich schlafe neben ihr. Ich bekomme ihre Träume mit. Ich weiß, dass es nicht mehr wird, wie es früher war." Ich holte Luft. „Ich bin auch nicht mehr der gleiche wie nach Dis Tod. Aber ich komme klar... und sie wird auch klar kommen..."

Becky seufzte. „Okay..." Sie schnaufte schwer, löste sich von ihrem Auto und umarmte mich fest. „Pass auf dich auf. Bitte."

„Das mache ich..."

Sie küsste mich sanft auf die Wange. „Fühlt es sich richtig an?"
Ich nickte ohne zu zögern. „Total richtig. Richtiger als dieser Mist davor..."

„Okay... Dann... dann sag ich nichts mehr. Du hattest immer einen guten Instinkt. Es ist Weihnachten, kleiner Bruder...", sagte sie und ihre Augen strahlten hell auf, „Hast du ein Geschenk für dein Geschenk?"

Ich schmunzelte. „Das geht dich gar nichts an."

„Also nein. Dein Penis zählt nicht, Nick."
„Du hast gesagt, du willst, dass ich glücklich bin."

Becky rollte die Augen. „Es ist Weihnachten, Nick!!"

Ich grinste, drückte ihr einen Kuss auf die Stirn und hielt ihr die Tür auf. Tom war bereits eingepennt und lehnte mit dem Kopf gegen das Fenster. „Eben... ich bin ja nicht blöd. Fröhliche Weihnachten, Becks."

„Was schenkst du ihr?!"
„Das verrate ich dir nicht!"
„Nick!"

„Bring deinen betrunkenen Ehemann heim. Ich hab jetzt noch ein Date..."

Becky seufzte schwer. „Na toll... und ich hab das da..." Sie deutete auf den leise schnarchenden Troll im Auto und verzog das Gesicht. „Bis Morgen, kleiner Bruder. Und verhütet. Nicht, dass es zu einem September-Baby kommt..."

Ich rollte die Augen, klopfte zum Abschied aufs Autodach und lief zu meinem eigenen Auto. Ich blieb einen Moment sitzen und atmete durch. Becky war... Ich liebte sie, aber sie sorgte sich manchmal zu sehr. Ob es in diesem Fall so war, konnte ich, um ehrlich zu sein, nicht einschätzen. Was ich einschätzen konnte war: es fühlte sich gut und richtig an, Pi bei mir zu haben.

Gemächlich fuhr ich zurück nach Heidelberg, fand wie immer keinen Parkplatz in der Nähe meiner Wohnung – was auch dafür sprach, umzuziehen – und parkte letztlich fast bei Pi. Der Weg zurück zu mir zog sich etwas, es war eisig und es begann zu schneien, als ich die Altstadt erreichte. Dicke weiße Flocken segelten vom Himmel und blieben auf den alten Pflastersteinen liegen. Mit der Weihnachtsbeleuchtung und der einkehrenden Stille durch den immer dichter werdenden Schneefall setzte auch bei mir zunehmend eine innere Ruhe ein wie seit Wochen nicht.

Als ich in meine Straße einbog und Pis Auto sah – direkt vor der Haustür – war es genau so, wie es sein sollte. Ich kam nach Hause. Zu ihr. Und sie kam nach Hause zu mir.

Ich hatte das Gefühl, dass wir beide endlich eine reelle Chance hatten, dieses Chaos zu überwinden.

Miteinander.
Gemeinsam.
Zusammen.


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🎅🌲

Happy Halloween, ihr Lieben 😅🤭 ein bisschen freaky, Weihnachten an Halloween zu schreiben

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