Mistelzweig: 29 ~ Nick
Knapp zwei Wochen später konnte ich nicht glauben, dass wir die Zeit ohne nennenswerte Katastrophen überstanden hatten. Pi war bei mir eingezogen, während ich aus der Wohnung auszog. Julius hatte mich für vollkommen unzurechnungsfähig erklärt. Ebenso meine Schwester Rebecca. Ich sei vollkommen bekloppt. Ein solches Urteil von Becky fand ich überraschend, weil sie es immerhin gewesen war, die Pi zu ihrer Hochzeit eingeladen hatte und mir zu Geburtstag geschenkt hatte. Tom hatte für die Aktion nur anerkennend genickt.
Tatsächlich tat es uns unwahrscheinlich gut, Zeit so viel miteinander zu verbringen. Die Tage ließen wir einfach auf uns zu kommen, wie sie kamen, und wir schmiedeten keine großen Pläne.
Pi arbeitete ziemlich hart an sich. Sie ging täglich zum Arzt, ließ sich durchchecken, und hatte eine Therapie begonnen. Dann hatte sie nach zwei Sitzungen den Therapeuten gewechselt, weil es nicht gepasst hatte. Mit dem Neuen lief es nun besser. Und Pi ging zu den Meetings der AA. Letzteres überraschte mich tatsächlich sehr – und sie auch. Sie sprach nicht darüber und ich fragte sie auch nicht danach, aber Pi verschwand jeden Tag zur gleichen Uhrzeit und kam nach etwa anderthalb Stunden zurück. Manchmal guter Dinge, manchmal war sie in sich gekehrt. Selten ging sie danach duschen. Sehr, sehr lange duschen. Vermutlich waren das keine guten Meetings. Nach dieser Reinigung war sie immer sehr still. Aber sie ging am nächsten Tag immer wieder hin. Sie zog es durch.
Ich war stolz auf sie. Sehr stolz.
Sie kam, so wie ich das beurteilen konnte, gut klar. Sie machte Sport und ging tatsächlich in diesen zwei Wochen viermal mit mir laufen – eine Pi-taugliche Mini-Runde. Sie schnaufte wie ein Walross und war nach den noch nicht mal fünf Kilometern fix und fertig. Beim dritten Mal musste ich sie Huckepackdie Treppe hochtragen. Zur Belohnung bekam sie danach jedes Mal eine kleine Tafel Rittersport – und Matratzensport.
Es lief wirklich gut.
Das einzige, was wir tatsächlich planten und worüber wir sprachen, war Weihnachten. Weihnachten war einfach ein riesen Ding. Sie wohnte bei mir und ich wagte zu behaupten – vor allem, weil wir in einem Bett schliefen und ich daran arbeitete, aus dieser verflixten 7,5 zumindest eine 8 zu machen – dass sich unser Beziehungsstatus von „es ist kompliziert" auf „es ist deutlich weniger kompliziert" verändert hatte.
Jedenfalls war es Weihnachten. Das Familienfest schlechthin. Sie wollte auf gar keinen Fall nach Düsseldorf, was ich total verstehen konnte. Sie hatte immer noch nicht mit ihren Eltern gesprochen und schob das weiterhin vor sich her. Sie ging dem ganzen aus dem Weg und ihre Eltern gingen der Konfrontation mit ihr ebenso aus dem Weg. Man konnte unter Umständen eine gewissen Familienähnlichkeit erkennen. Pi war klar, dass sie sich dem Ganzen irgendwann würde stellen müssen, aber vor Weihnachten wollte sie das einfach nicht.
Und sie wollte sich aber auch nicht Heiligabend meiner Familie aufdrängen, was totaler Bullshit war. Mum stellte einen Topf mit heißem Wasser auf den Herd, schüttet wie jedes Jahr eine Menge Würstchen hinein und jeder brachte irgendeinen Salat mit. Fertig. Dazu gab es viel Gelächter, irgendwann Uno und wenn es dumm lief: Monopoly und danach eingeschnappte Tote.
Vermutlich ging es ihr aber um den Alkohol. Sie wusste, dass meine Familie gerne feierte und wollte das vermeiden. Sie hatte große Angst, nochmal rückfällig zu werden.
Immerhin hatte ich Weihnachten frei.
Pi drehte sich auf der Couch herum und schob ihre langen Beine über meine. „Also, nochmal wegen Weihnachten..."
Ich legte den Kopf schief. „Ich höre..."
„Mo hat noch mal angeboten, dass ich mit zu ihm kann..."
Das hatte er neulich schon gemacht. Da war ich total dagegen. Da würde ich sie über die Feiertage entweder gar nicht sehen oder sie müsste Zug fahren. Das war bescheuert. „Nein, abgelehnt." Ich beugte mich zu ihr hinüber und küsste sie.
Sie seufzte schwer und grinste. „Ist das immer noch diese blöde Rivalität zwischen euch?"
„Nein, Mo und ich sind jetzt so." Ich formte mit den Daumen und Zeigefingern ein Herz und grinste. Das war etwas übertrieben und das wusste sie auch. Aber wir kamen klar. Vor ein paar Tagen waren wir zu dritt Pizza essen gewesen und es war wirklich ein netter Abend gewesen.
„Wir können auch zu zweit was machen..." Ich streichelte von ihrem Knie an ihrem Oberschenkel hinauf. „Uns die ganzen Feiertage hier einschließen mit genug Essen und das Bett nicht verlassen..." Ich hielt kurz vor ihrem Schritt inne und sah ihr in die Augen. Ihre Wangen liefen rosa an und sie lehnte sich entspannt zurück.
„Jaa", sagte sie gedehnt. „Klingt super, Hase. Ich habe aber jetzt tatsächlich einen guten Plan, den du vermutlich absegnen musst."
„Der da wäre?"
Sie sah mich an. „Also, du machst Heiligabend wie geplant Gehrig-Family-Time-Chaos wie jedes Jahr. Mit Würstchen und Kartoffelsalat. Ohne mich." Bevor ich protestieren konnte, fuhr sie fort. „Ich fahre stattdessen nach Frankfurt und mache Familien-Joint-Venture mit meinem Lieblingscousin Jan, der an Heiligabend ein Jahr älter wird, Weihnachten hasst, ohne seine Freundin daheim hängt, weinen wird und mich eingeladen hat. Du siehst, du hast keine Chance!" Sie beugte sich vor und küsste mich sehr lange auf den Mund. „Am ersten Feiertag komme ich meinetwegen mit zu deiner Familie und ertrage deine Schwestern." Sie setzte einen schnellen Kuss hinterher und ließ sich zurück in die Couchkissen sinken.
Sie griff nach einer Flasche Wasser, die auf einer Umzugskiste stand und trank einen Schluck. Mittlerweile stapelten sich an der Wand im Wohnzimmer kistenweise Umzugskartons. Am 30. Dezember war Umzugstermin, Schlüsselübergabe am 28. Richtig darüber gesprochen hatten wir nicht, aber ich ging stark davon aus, dass ich Pi mitnehmen würde nach Ladenburg. Letzte Woche war ich mit Isa auf der „Baustelle" gewesen und hatte Pi kurzerhand mitgenommen. Schon als wir die Wohnung betreten hatten – es war noch alles mit Folie abgeklebt gewesen – war Pi aus dem Staunen nicht mehr herausgekommen und total begeistert gewesen.
„Ich hab dir gesagt, dass der erste Weihnachtsfeiertag noch härter wird, als Heiligabend? Ganze Familie? Plus Anhänge? Open House Veranstaltung?"
Pi holte tief Luft. „Jaa", sagte sie gedehnt. „Das klingt aber besser, als Bescherung unter dem Weihnachtsbaum. Außerdem hast du was von Weihnachtsgrillen gesagt."
Ich legte meine Hände auf ihrer schlanken Wade ab und nickte schwerfällig. „Okay. Also bist du Heiligabend bei Frankyboy und dann am ersten bei uns. Klingt doch gut. Um am zweiten..."
„Am zweiten liegen wir entspannt auf der Couch, gucken Herr der Ringe, trinken Bier und haben Sex..." Dann stutzte sie. „Warte, ohne das Bier." Mit einem Schwung richtete sie sich auf, glitt geschmeidig auf meinen Schoß und küsste mich tief und innig. „Fröhliche Weihnachten, Nicki..."
Heidewitzka. Sie schmeckte nach einem Hauch Zimt und Orange. Mir sackte bei der Berührung ihrer warmen Lippen das Blut augenblicklich vom Kopf in abwärts gelegenere Regionen.
Fröhliche Weihnachten.
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Es wird weihnachtlich... 😎
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