Krisentreffen: 23 ~ Jan

Pi saß die gesamte Heimfahrt über schweigend neben mir und starrte aus dem Seitenfenster. Ich konnte nicht einschätzen, ob sie nachdachte oder wütend war. Vermutlich beides. Ich wäre stinksauer auf meine Freunde und meine Gedanken würden Karussell fahren.

Ich holte geräuschvoll Luft und konzentrierte mich auf die Fahrbahn. Ich war müde. Der Abend hatte mich mehr ausgelaugt als ich anfangs geglaubt hatte. Basti hatte mir im Vorfeld sowas prophezeit. Du weißt nicht, auf was du dich da einlässt, Jan, hatte er gesagt. Das ist ein Fehler. Vermutlich hatte er Recht. Wenn ich Pi so ansah, war ich mir sehr sicher, dass er Recht hatte. Aber ich hatte eine Ahnung gehab, wie wir – wie ich – dieser Nummer sonst hatte Herr werden sollen.

Hätte ich ihre Eltern anrufen sollen? Das hätte sie mir vermutlich noch weniger verziehen als das.

Der Schock, dass sie den Flachmann – den vollen Flachmann – vom General in ihrer Jackentasche gehabt hatte, saß bei mir immer noch tief. Sicher war es ein gutes Zeichen, dass sie den Flachmann präsentiert hatte. Ein Eingeständnis. Ich war mir aber nicht sicher, ob das alles richtig bei ihr angekommen war. Ob sie wirklich, bereit war, an ihrem Alkoholproblem zu arbeiten.

Ich fuhr von der Autobahn ab und hielt dann keine zehn Minuten später vor dem Haus, in dem meine Wohnung war. Kommentarlos stieg Pi aus und knallte die Autotür hinter sich zu. So viel dazu, ob sie sauer war.

Ich schloss den Wagen ab und folgte ihr mit etwas Abstand hoch in die Wohnung. Von ihr sah und hörte ich nichts mehr in dieser Nacht. Schön. Wohlwissend nahm ich ihren Autoschlüssel – sicher ist sicher, packte ihn in meine Sockenschublade und warf mich mit meinem Handy auf die Couch. Ungeachtet der Uhrzeit wählte ich und war erleichtert, als sie nach zwei Freizeichen abnahm. „Hey Babe..."

„Du Idiot, ich hab gleich Show..."
„Ich weiß... ich wollte nur kurz deine Stimme hören..."

Sarah schwieg kurz. „Ihr hattet dieses Gespräch mit Pi, oder?"

Ich hatte ihr natürlich davon erzählt. Von Nicks Verdacht und meinen Beobachtungen. Und sie hatte auch ihre Meinung dazu gehabt. „Ja."

„War es eine Katastrophe?"

„Ich will nicht über das Gespräch sprechen", sagte ich und schloss die Augen. „Ich will, dass du nicht mehr so weit weg bist."

Sie lächelte. „Das haben wir ja bald geschafft..."

„Bald, Welt..."

„Pass auf Pi auf. Wir telefonieren morgen. Ich liebe dich." Damit legte sie auf. Ich seufzte schwer und überlegte, ob ich ihr noch eine Nachricht schreiben sollte. Stattdessen, zog ich eine Decke über mich, schaltete den Fernseher ein und sah Netflix, bis ich eingeschlafen war.

Um ehrlich zu sein hatte ich Angst, dass Sophie aus dem Fenster steigen und abhauen würde – oder sich nachts aus der Wohnungstür schleichen würde. Deshalb hatte ich die Schlüssel ihres Wagens auch in meine Sockenschublade gesteckt und auf der Couch geschlafen. Sie konnte mit Konflikten eben einfach nicht so gut umgehen.

Umso überraschter war ich, als Pi gegen neun Uhr verschlafen aus dem Gästezimmer kam und sich zu mir an den Küchentisch setzte. Wortlos machte ich ihr einen Kaffee und stellte ihn vor ihr ab.

„Danke", nuschelte sie und trank.

Ich beobachtete sie dabei. Pi sah mies aus. Wahrscheinlich hatte sie nicht geschlafen und die Haare standen ihr zu Berge, sie hatte tiefe Augenringe und sie war leichenblass. Sie sah um Jahre gealtert aus. „Willst du erst duschen, bevor wir reden?"

„Ich will überhaupt nicht reden?"

Ich lächelte. „Wir werden aber reden..."

Sie seufzte schwer. „Ich befürchte es." Sie schloss die Augen. „Erst Kaffee. Dann duschen. Dann reden..."

Ich nickte. Damit war ich mehr als einverstanden. Während sie duschte schrieb ich einige Emails, telefonierte mit meinem Vater und schrieb Nick, dass Pi noch hier war.

Das Gespräch mit Pi wollte ich nicht hier führen. Ich wollte einen neutralen Ort. Also fuhr ich mit ihr raus nach Endingen. Als Wiedergutmachung für gestern. Ich setzte sie auf Calli, ich mich selbst auf eins von Wolfs Pferden und zog mit ihr durch den Wald. Calli klapperte auf dem Gebiss herum und machte die kindischen Sachen, die er immer tat und immerhin musste Pi lachen. Es war schon so lange er, dass er und ich all diese Erfolge gefeiert hatten und jetzt war er einfach nur noch ein altes, übermotorisiertes Freizeitpferd, das ziemlich viele Zirkuslektionen beherrschte. Und eine viel zu lange Mähne hatte, wie Mattes immer wieder sarkastisch bemerkte, wenn er zu Besuch war. Ging im Moment eigentlich...

„Also...", begann ich und bog auf den Waldweg ein, der zum Golfplatz führt. Der Fuchs unter mir, den ich mir ausgeborgt hatte, spitzte die Ohren. „Was machen wir jetzt?"

„Das hab ihr euch gestern also nicht weiter ausgedacht?"

„Wir sind nicht davon ausgegangen, dass du derart... kooperativ bist." Ich sah zu ihr hinüber. „Zumindest nicht, dass du diesen Flachmann rausziehst und sagst, dass du ein Problem hast."

„Das habe ich auch so nicht gemacht...", flüsterte sie und sah auf Callis Hals. „Ich hab nur... den Flachmann rausgeholt. Im Dunkeln."

„Ist das nicht irgendwie gleichbedeutend?"

Sie zuckte mit den Schultern. „Aber ausgesprochen habe ich es nicht."

„Stimmt."
„Das würde es real machen...", sagte sie und wich meinem Blick aus.

„Aber es nicht auszusprechen ändert an der Tatsache nichts, dass das Problem da ist, Pi." Ich fuhr dem Fuchs – Lafayette – durch die Mähne und lächelte knapp. „Du brachst Hilfe, um das zu lösen. Aber das kann nicht ich sein."

„Warum nicht?"

Ich seufzte schwer. „Ich bin da nicht kompetent genug. Ich bin kein Therapeut, kein Arzt. Ich stehe dir zu nah. Ich möchte dir helfen, ich gebe dir jede Unterstützung, die du brauchst, aber ich kann dir nicht beim Entzug helfen."

„Also wirfst du mich raus."

„Ich werfe dich nicht raus." Nur mühsam widerstand ich dem Drang, die Augen zu rollen. „Eine Therapie?"

„Klar. Das hat in Düsseldorf ja auch schon wunderbar funktioniert." Sie lachte trocken.

„Du hast ja auch wunderbar mitgearbeitet." Ich stöhnte. „Man..." Ich sah vor mich und dachte einen Moment nach. „Flipp nicht aus... aber... vielleicht wäre es gut, wenn... du... in eine Klinik gehen würdest."

Pi starrte mich an, als ob ich ihr eine Ohrfeige verpasst hätte. „Spinnst du? So gewaltig ist mein Alkoholproblem jetzt auch wieder nicht!"

„Das weiß ich nicht, aber... Pi... du...hör mal... Die Sache mit dem Alkohol ist ja nicht das einzige Problem, das da im Raum steht..." Ich schluckte. „Dir sind in den letzten Jahren wirklich Sachen passiert, die der Psyche ganz schön zusetzen können... Carrie, die Entführung... du hast das nie richtig verarbeitet, nie wirklich darüber gesprochen. Deine Familie hat das alles totgeschwiegen."

„Und deswegen soll ich in die Klappse?"

„Nein. Nicht in die Psychiatrie, sondern in eine Entzugsklinik." Ich holte tief Luft. „Du... solltest... an den Gründen arbeiten, warum du... trinkst. Und an dem, was dir passiert ist. Dass hat nichts damit zu tun, dass du verrückt bist."

„Meinst du?"
„Meine ich. Du bist nicht sonderlich viel verrückter als ich. Du bist eine von Frankenthal."
„Das heißt eigentlich, dass ich in die geschlossene Abteilung gehöre..."

„Stimmt auch wieder." Ich grinste.

„Bekommen wir das hin, dass es die Familie nicht mitbekommt?", fragte sie leise. „Also weder meine Eltern noch sonst jemand?"

Ich zögerte kurz. „Ich geb mein Bestes."

Pi seufzte schwer. „Können wir ein Stück galoppieren?"

„Wenn du das alte Zirkuspferd nicht über eine Wurzel stolpern lässt..."

Pi klopfte Calli den schwarzen Hals, nahm die Zügel auf und galoppierte aus dem Schritt heraus an. Ich tat es ihr gleich. Lafayette hatte eine kleinere Übersetzung als Calli und ihm fiel es trotz des jüngeren Alters schwer, an meinem Rentnerpferd dran zu bleiben. Das war mir auch egal: Ich ließ Pi den Moment allein, wenn sie ihn brauchte.

Später saßen wir auf der Couch, aßen Sushi und suchten Pi eine Klinik. Das war schwierig, weil die Plätz limitiert waren, und ein ärztliches Gutachten erforderlich. Allerdings hatten wir nach nicht mal zwei Stunden Erfolg – was Pi schockiert zurück ließ. Sie benötigte lediglich ein psychiatrisches Gutachten und eines vom Hausarzt.

Ich hatte ein wenig Sorge, dass zumindest das erste Pi in Angst und Schrecken versetzen würde, aber sie schüttelte den Kopf und murmelte etwas davon, dass sie einfach die beige Frau anrufen würde. Ich hatte keine Ahnung wer das sein sollte, aber Pi klemmte sich direkt hinter ihr Handy und telefonierte etwa zwanzig Minuten lang in ihrem Zimmer mit der ominösen beigen Frau.

Danach stand fest, dass Pi in den Schwarzwald fahren würde um diesen rosafarbenen Elefanten zu besiegen. 

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