Kreuzherreneck: 17 ~ Nick
„Auf einer Skala von 1 bis 10 der Vollidioten bist du jetzt endgültig bei einer 20 angekommen - halt endlich still!"
„Au!"
„Halt still hab ich gesagt!" Julius stand hinter mir und versuchte meine Schulter wieder zu reparieren. Ich hatte mir tatsächlich mehr kaputt gemacht als ich anfangs gedacht hatte. Zwei Tage hatte ich es mit Eis auf der Schulter ausgehalten, dann hatte ich ihn angerufen, weil es nicht mehr ging. Das war definitiv keine Zerrung.
Ich biss die Zähne zusammen und schloss die Augen, während er Sehnen und Bänder befühlte und schließlich die Gelenkstellungen überprüfte. „Idiot, ey... Die ganze Arbeit umsonst... Selbstzerstörerischer Vollspast, echt..."
„Ich höre dich."
„Recht so."
Es krachte ohne Vorwarnung furchtbar in meiner Schulter als er die Fehlstellung richtete. „Argh!! Scheiße, Jules, kannst du nicht vorher ---"
„Nein." Es ruckte erneut ohne Vorwarnung, danach hörte der Schmerz auf. „Besser?"
Ich kreiste die Schulter und tatsächlich war der ursprüngliche Schmerz verschwunden. „Ja. Danke."
„Du lernst es nicht, oder?" Er setzte sich neben mich auf die Liege und knackte selbst seinen Nacken. Ich hatte ihm die Geschichte mit Sophie vorhin schon erzählt, aber er hatte recht: richtig klug wurde ich aus meinen Fehlern in der Vergangenheit nicht. „Ich tape es dir noch und dann hältst du so lange die Füße still, bis du schmerzfrei bist. Und dann piano. Ich tret dir sonst in den Sack. Und nicht nur verbal, sondern sprichwörtlich."
„Hab's verstanden."
„Nein, du hast es nicht verstanden. Wenn du es verstanden hättest müsste ich dich nicht ständig zusammenflicken, du Idiot." Mit voller Absicht schlug er mir gegen die kaputte Schulter. Nicht fest, aber fest genug um seine Absichten zu untermauern.
„Au."
Julius feixte und holte ein paar Rollen Kinesiotape. „Farbwunsch?"
„Nicht pink."
Er griff nach der pinken Rolle und begann sie zurecht zu schneiden. „Hat sie sich bei dir mittlerweile gemeldet?" Er holte Alkohol, säuberte die Schulter von den Resten des Massagezeugs und wischte die Rückstände der Flüssigkeit fort.
„Nein", ich schnaufte. „Ich wollte sogar über Facebook schreiben, aber irgendwie... Das ist zu sehr Stalker, oder?"
„Schon, ja... Arm vor."
Ich nahm den Arm vor und er begann, die Streifen aufzukleben.
„Aber du liebst sie, sie hat ihr Handy nicht, du hast die Nummer in Düsseldorf nicht und Facebook ist die einzige Möglichkeit, also..."
„Ich könnte Mo nach der Nummer ihrer Eltern fragen."
Ich dachte seit einigen Tagen darüber nach, aber ich hatte ihn noch nicht angerufen. Etwas hielt mich davon ab. Ich wusste nicht, ob er wusste, dass sie frei war. Von mir wusste er es nicht. Ich hatte von ihm nichts mehr gehört, seitdem er bei mir gewesen war und ich hatte kein gutes Gefühl dabei. Trotzdem hatte ich mich an den Bro-Code gehalten. Deshalb hatte Pi mich rausgeworfen. Wegen Mo. Das war doch verrückt. Moritz war nicht mein Freund. Er war um ehrlich zu sein ziemlich weit davon entfernt mein Freund zu sein.
„Und? Machst du das? Arm runter."
Ich ließ den Arm hängen. „Keine Ahnung. Mo und ich... das ist kompliziert."
„Du sollst ihn nicht heiraten. Dir kann man echt schwer helfen. Du bist ziemlich furchtbar drauf." Julius klopfte das Tape fest und bewegte die Schulter und meine Nackenmuskulatur noch einmal durch.
„Vielleicht sollte ich einfach regelmäßiger mit dir kiffen."
„Hm, gute Idee."
„Das war ein Scherz."
Julius lachte. „Ich weiß. Würde der Polizist in dir nie tun." Er warf mir mein T-Shirt zu und räumte die Reste des Klebebandes weg. „Dir tut dieser Suspendierungsmist nicht gut. Du brauchst wieder einen geregelten Tagesablauf. Du lässt dich hängen. Du wirst echt depressiv, wenn das so weitergeht."
„Ich weiß. Isa hat mir... einen Termin ausgemacht."
„Für?"
Ich sah ihn schweigend an und Julius formte stumm ein Oh. „Dienstag. Sie kommt mit."
„Krass. So viel Einsatz hätte ich Königin Isabella von Arroganzien gar nicht zugetraut."
Ich verzog das Gesicht und streifte mir umständlich das T-Shirt über.
„Aber das ist gut." Julius zog den Vorhang der Kabine auf. „Wenn du Bock hast, Hannah und ich gehen heute Abend zum Mexikaner was essen", sagte er beiläufig und lief durch die Praxis zum Eingangsbereich.
Ich hob die Augenbrauen und folgte ihm. „Aha." Interessant.
Julius räusperte sich. „Ja, ähm, da hat auf der anderen Neckarseite wohl einer aufgemacht der gut sein soll und - was guckst du so?"
„Hannah und du geht zum Mexikaner essen?"
„Ja."
„Hab ich was verpasst?"
Julius trat hinter den Empfangstresen und blätterte sehr unauffällig im Terminkalender. Gut, dass er nicht rot werden konnte. „Wir gehen öfter mal essen, also tu jetzt nicht so. Also, kommst du mit?"
„Bist du gerade verlegen?" Julius griff nach einer Packung Taschentücher und warf nach mir. „Ey! Warum werfen mich diese Woche alle ab?!"
„Weil du es verdienst. Sie ist meine Mitbewohnerin."
Aha. Deshalb hatte er neulich bei der WG-Party auch ständig zu ihr gesehen, als wir auf dem Balkon gesessen hatten. Klar. „Ich schreib dir nochmal. Nicht dass ich aus Mitleid euer Date crashe."
„Es ist kein Date."
Ich lachte. „Du wirst rot."
„Hau hab, Gehrig." Ich hob die Augenbrauen. Auch das hatte ich in der vergangenen Woche erstaunlich oft gehört. Nur tat es dieses Mal zum Glück nicht weh.
Ich brauchte in der Tat wieder mehr Alltag. Diese Suspendierung würde mich auf die Dauer umbringen. Mir war langweilig. Die Wohnung war aufgeräumt und geputzt, das Wetter war zu gut für Netflix, die Schulter tat zu weh für Sport.
Nachdem ich ein paar Einkäufe erledigt hatte, drückte ich mich durch die Altstadt und suchte nach Ablenkung. Ich lief dreimal über den Neckar, bis ich ziellos auf der anderen Flussseite durch das Uni-Viertel schlenderte und dann abrupt vor Moritz Wohnheim stehenblieb. Ich hatte gar nicht herlaufen wollen. Ich wusste gar nicht, was ich hier wollte. Mit ihm reden wollte ich eigentlich nicht. Aber ich hatte ein schlechtes Gewissen, dass ich ihm nicht gesagt hatte, dass Pi frei war.
Ich seufzte leise und setzte mich auf den Rand eines schlecht bepflanzten Blumenkübels davor - und wartete. Worauf konnte ich nicht mit sicherer Bestimmtheit sagen, besseres Wetter war es jedenfalls nicht.
„Aha."
Ich schrak zusammen.
Seine Stimme kam von hinter mir und ich fuhr herum. Mo sah mich distanziert an.
„Hi." Ich rutschte von dem Blumenkübel und taxierte ihn. Sein Blick war im Vergleich zu unserem letzten Treffen feindselig und abweisend. Seine Nase war verheilt, das Veilchen abgeklungen.
„Willst du mir wieder auf die Nase hauen?", fragte er sarkastisch.
„Nein", gab ich zurück und schüttelte den Kopf. „Das tut mir immer noch wirklich leid."
„Tut es nicht." Mo musterte mich flüchtig und sein Blick blieb für eine Sekunde auf dem Tape hängen, das unter meinem T-Shirt heraus schaute.
„Pi ist frei."
Mo hob die Augenbrauen und lief an mir auf das Wohnheim zu, während er seine Schlüssel aus seiner Hosentasche zog. „Ja", sagte er tonlos.
„Ja?"
„Wusste ich schon. Danke für die Info."
Ich starrte ihn an. Verdammt. Die Wut kroch wieder in mir hinauf. Ich durfte nicht schon wieder einen Aussetzer haben. Ich atmete tief durch. „Wer hat dir das erzählt?"
„Ida." Er blieb mit dem Rücken zu mir stehen und atmete tief durch. „Was willst du von mir, Nick?" Als er ausatmete sah ich, wie sich seine Hände öffneten und wieder schlossen als ob er unschlüssig wäre, ob er mir diesmal eine verpassen sollte oder nicht.
„Nichts... Ich wusste nicht, ob du es weißt, deshalb..." Ich hielt die Luft an, als er sich langsam, sehr langsam zu mir umdrehte. Er sah um Jahrzehnte gealtert aus. Und so wütend.
„Und deshalb kommst du eine Woche später vorbei? Danke. Sehr nett." Wieder schloss sich seine Hand und sein Körper spannte sich an. „Verpiss dich, Nick."
„Es tut mir leid."
Mo lachte trocken. „Steck dir das in deinen Arsch." Sein Lachen verschwand. „Nach deinem entzückenden Verhör hätte ich von dir zumindest das Rückgrat erwartet, dass du mir von deinem Verdacht gegen von Söder erzählst. Du hast mich außen vorgelassen! Mit voller Absicht! Und hältst mir aber vor, ich mach mir nichts aus Pi - und ziehst so ne Nummer ab. Du hast mit deinem Verhalten Jana in den Knast gebracht. Verpiss dich, Alter..." Er drehte sich um und lief weiter zum Wohnheim.
„Hast du eigentlich verstanden, was deine tolle Jana gemacht hat?!", rief ich ihm nach und er blieb stehen. Wieder. Ich sah, wie er Luft holte und in der Bewegung verharrte. Die Zeit schien still zu stehen um uns herum.
Dann drehte er den Kopf und lächelte bitter. „Du meinst wohl: Was ich gemacht habe..."
........
Ich warte auf das Gewitter. Richtig schwül hier heute ⛈
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