Konfrontation: 31 ~ Nick

Am nächsten Morgen war ich lange vor ihr wach und ließ sie bis weit nach in den Nachmittag schlafen. Sie war vollkommen k.o. Ich ging eine kurze Runde laufen, und auch als ich zurückkehrte, lag Pi noch immer regungslos im Bett.

Jan schickte mir gegen elf eine Mail, ob alles in Ordnung sei – ob Pi ohne Blessuren aus diesem Krieg gestern hinausgelangt war – aber diese Frage konnte ich ihm noch nicht beantworten. Ich wusste es ja selbst noch nicht.

Ich schrieb ihm, dass ich mich bei ihm melden würde und legte mein Handy bei Seite. Ich schaltete eine Serie auf Netflix an, und begann, Spaghettisauce zu kochen, während im Hintergrund eine Gruppe Studenten durch Freiburg rannte, und versuchte, genmanipulierte Experimente aufzudecken und dabei eine Menge Gras rauchte. Gerade entwischte im Labor eine Maus, als mein Handy klingelte. Ich verschüttete aus Versehen etwas zu viel Oregano in die Sauce, fischte danach und meldete mich mit einem knappen „Mist – was gibt's?"

„Gehrig."

Ich ließ den Kochlöffel sinken, als ich die Stimme der Kommissarin erkannte. „Bernicke."

„Doch so erfreut, meine Stimme zu hören, was?" Sie lachte kehlig. Dann blies sie in die Luft, vermutlich rauchte sie. Ich konnte sie förmlich vor mir sehen, wie sie gegen eine Hauswand lehnte und tief inhalierte. „Wie geht's?"

„Sehnsucht nach mir?" Ich rührte halbherzig die rote Sauce um und stellte dann die Flamm kleiner.

Wieder hörte ich ihr trockenes Gelächter. „Nicht so direkt." Sie blies den Rauch aus und schwieg einen Moment. „Nächste Woche geht's los... Seid ihr bereit für den Prozess?"

„Echt jetzt? Smalltalk?" Ich unterdrückte ein müdes Schmunzeln. Linda Bernicke war nicht der Typ für Smalltalk.

Sie seufzte. „Nimmt man mir nicht ab, was?" Sie lachte. „Wie geht es ihr? Kommt sie zurecht?"

Mein Blick wanderte automatisch zur Schlafzimmertür, die gerade leise aufging und Pi verschlafen herauskam. Sie gähnte, ihre Haare waren wild zerzaust und sie trug mein Captain America T-Shirt und eine Jogginghose. Aus ihrem Blick wurde ich nicht schlau, aber sie war blass und sah aus, als hätte sie eine schlimme Nacht hinter sich. Mit dem Handy am Ohr drehte ich mich zur Kaffeemaschine um und drückte auf „Play" – und die Maschine begann, ihre wunderbare Musik zu spielen.

„Mal besser, mal schlechter", gab ich zurück, schob eine Tasse unter die Maschine und beobachtete Pi, wie sie auf den Barhocker kletterte und mich dabei beobachtete, wie ich ihr Kaffee machte und weiter mit Bernicke telefonierte.

„Ja... hör zu, Gehrig", setzte Bernicke dann an und kam zum Punkt, „Deine Bewerbungsunterlagen sind da und die Konkurrenz ist nichts."

„Heißt...?"

Bernicke dehnte den nächsten Moment künstlich auf. „Wir haben einen von uns noch drin in der Bewerberauswahl. Die rufen dich morgen an und wollen dich sehen."

Ich schob Pi den Kopf zu und lehnte mich mit dem Rücken gegen die Küchenzeile. Vorsichtig nippte sie daran und schloss die Augen. „Ist das gut?", fragte ich.

„Was jetzt?"

„Dass einer von euch drin ist?"

Sie lächelte. „Ich hab dir nicht ohne Grund diese Ausschreibung geschickt." Sie schwieg einen Moment. „Bis dann." Damit legte sie auf.

Pi musterte mich verschlafen mit der Kaffeetasse in der Hand. „Alles okay?"

„Das sollte ich dich fragen", gab ich zurück und legte mein Handy neben mich auf die Arbeitsplatte. „Wie geht's dir nach gestern?"

Pi zuckte mit den Schultern. „Weiß nicht. Denk ich nicht drüber nach. Erst Kaffee." Sie deutete ein Lächeln an und nippte weiter an dem Kaffee. „Was war das für ein Anruf?"

Ich seufzte schwer. „Bernicke."

„Die Kommissarin?"

Ich nickte. „Ja... offensichtlich sieht es wohl nicht schlecht aus mit meiner Bewerbung."

Ich sah zu, wie sich Pis Blick weitete. Sie ließ die Kaffeetasse sinken und lief um den Tresen auf mich zu. Dann stellte sie sich auf die Zehenspitzen und drückte mir einen Kuss auf die Lippen, der nach Kaffee schmeckte. „Toll... Nick, das ist toll..."

Ich holte tief Luft und versuchte mir vorzustellen, ob es das wirklich war. Pi schlang die Arme um meine Taille und ich spürte, wie sie ihren Kopf gegen meine Schulter sinken ließ. Diese Nachricht von Bernicke machte das Ganze seltsame real. Dieser ganze Wunsch nach einem Neuanfang, nach der Geisteraustreibung wurde vielleicht wirklich real, noch realer als der Umzug. Der Jobwechsel war eine letzte Verbindung mit meinem geist – mit Di – und wenn ich diese Versetzung zur Kripo wirklich bekommen würde... dann würde ich auch das kappen. Aber das hatte ich doch gewollt. Oder nicht?

Mein Kinn rutschte auf Pis Kopf und ich spürte, wie sie zittrig einatmete. „Können wir heute was Schönes machen?", murmelte sie gegen meine Brust. „Irgendwo hinfahren?" Sie schnaufte und hob dann den Kopf. Ihr Blick traf meinen und sie blinzelte. Ihre blauen Augen schimmerten verräterisch. Okay war sie nicht. Sie sollte den Mund aufmachen und aussprechen, was in ihrem Kopf vor sich ging.

„Was schwebt dir vor?"

Sie zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Zoo? Wandern?" Sie löste sich von mir und atmete geräuschvoll aus.

Ich musste an ihr Weihnachtsgeschenk denken und grinste unwillkürlich. „Hauptsache Ablenkung von den wilden Gedanken, was?" Ich beugte mich vor und drückte ihr einen Kuss auf den Mund. „Meinst du nicht, dass das Wetter zu mies, um so einen Ausflug zu starten?"

Pi sah aus dem Fenster. Regen klatschte schon seit ich vom Joggen gekommen war gegen die Scheibe. „Oh."

„Oder magst du im Regen in den Zoo?" Ich grinste, als ich ihr Gesicht sah. „Mir macht das ja nichts aus. Ich geh auch mit dir wandern..." Wobei ich mir ihr nicht wirklich  vorstellen wollte, wenn sie nach der Hälfte keine Luft mehr hatte.

„Uärks." Sie verzog das Gesicht zu einer Grimasse. „Lass mal, Nicki..." Sie tätschelte mir die Brust. „Ich geh erst mal Duschen..."

„Und dann Autokino?" Ich wackelte mit den Augenbrauen und schnappte ihren Blick auf.

„Es regnet. Da kannst du im Auto doch nichts seh-" Ich zog die Braue noch ein Stück höher. „Nein! Dafür geb ich mein wertvolles Geschenk nicht her!"

„Ich dachte darum wäre es gegangen? Um... diese Liste-"

Pi hielt mir mit einer Hand den Mund zu. „Pst! Schweig still  mein Schatz!" Sie kniff die Augen zusammen und funkelte mich an wie Gollum. „Ich geh duschen. Dann machen wir was schönes. Bei diesem Mistwetter. Überleg dir was."

Ich sah ihr nach, wie sie Richtung Bad verschwand und war versucht, ihr zu folgen.  Ich war sehr versucht, ihr zu folgen.

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