Fucking Superheld: 16 ~ Pi

„Schätzchen? Ist alles in Ordnung?" Meine Mutter saß am Samstagvormittag neben meinem Bett und legte ihr iPhone zur Seite. „Du isst ja nichts."

Dass ihr das überhaupt auffiel? Ich fragte mich, warum sie und Papa die ganze Zeit mein Zimmer belagerten, wenn sie sowieso nur an ihren Handys klebten.

„Ich habe keinen Hunger...", murmelte ich und schob das Tablett von mir. Das stimmte auch. Ich bekam kaum was hinunter. Sie erdrückten mich.

Ich wollte nur schlafen.
Ich wollte wissen, warum Nick nicht hier war.

Ich wollte ihn anrufen und ihn fragen, wo zum Teufel er steckte und warum er mich hier alleine ließ. Mit meinen Eltern. Aber ich kam nicht dazu. Sie waren die ganze Zeit bei mir.

Immerhin: am Nachmittag waren Jan und Sarah kurz hier gewesen. Eine himmlische Stunde lang hatte ich Ruhe gehabt vor meiner Mutter. Jan war erstaunlich still gewesen für seine Verhältnisse und zwischen ihm und meinem Vater hatte eine ganz komische Stimmung geherrscht. Zumindest hatte ich mir das eingebildet. Mein Vater war eisig und kommentarlos an ihm vorbeigegangen. Sarah hatte nur die Augenbrauen hochgezogen. Ich hatte sie fragen wollen, ob etwas vorgefallen war, aber ich hatte es gelassen.

Stattdessen hatte Sarah mich abgelenkt und von New York erzählt. Von New York, der Show, in der sie spielte, dem Sommer in der Stadt und allem, was sie dort drüben erlebte. Sie lenkte mich ab. Für eine ganze herrliche Stunde lenkte sie mich durch ihre Geschichten von New York und ihr Strahlen ab von meinem Horrortrip, den ich in Gedanken immer und immer wieder erlebte.

Jan hatte die ganze Stunde über kein einziges Wort gesagt, sondern nur auf dem Stuhl gesessen, der am Fenster stand und mich stumm beobachtet. Erst, als die beiden gingen, sprach er mit mir. „Pass auf dich auf, Zwerg..."

„Ist alles in Ordnung mit dir und Papa?", fragte ich.

Jan seufzte schwer und fuhr mir sanft durchs Haar. „Wir hatten neulich eine kleine Auseinandersetzung. Das renkt sich wieder ein...", sagte er leise.

„Worüber?"

Jan sah zu Sarah und seufzte schwer. „Das sollte er dir selbst sagen..." Er drückte mir einen Kuss auf die Stirn. „Ich hab dich lieb." Damit gingen die beiden und ließen mich alleine.

Worüber hatten die zwei sich gestritten?

Über mich?
Über etwas Wichtiges?
Über etwas von Belang?
Über etwas Nennenswertes?

Ich hatte ein dumpfes Gefühl im Bauch, konnte aber nicht sagen, warum. Mein Vater und Jan waren noch nie aneinander geraten. Mein Vater war ein starker Charakter, aber diplomatisch und man kam mit ihm eigentlich gut aus. Und Jan war... Worüber hatten die zwei sich gestritten, dass so eine eisige Stimmung zwischen ihnen herrschte?

Es tat gut, darüber nachzudenken. Immerhin dachte ich so nicht an den Keller oder Lüttkenhaus. Ich hatte so auch keine Gelegenheit wieder eine Panikattacke zu bekommen und das, obwohl ich alleine war. Ich hielt es alleine nicht so gut aus.

Fast rechnete ich damit, dass meine Eltern sofort zurückkommen würden, nachdem Sarah und Jan gegangen waren – aber tatsächlich blieb ich alleine.

Allein in der Stille.

Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich zuletzt bei Tag allein gewesen war. Es war Ewigkeiten her.

Doch, ich konnte mich erinnern. Es war der Tag gewesen, an dem ... An dem das passiert gewesen war. An dem...

Ich schloss die Augen und atmete tief durch.

Atme.

Jan hatte das damals zu mir gesagt, als er mich bei Carrie auf der Koppel gefunden hatte. Atme. Hol Luft. Es war so ein banaler ratschlag gewesen. Aber es hatte mir damals geholfen. Atme.

Aber es fiel mir so schwer.

Immer wenn ich an den Tag zurück dachte, als es passiert war, als er... als Lüttkenhaus... mich... Mir fiel das Atmen schwer. Die Gedanken daran fielen mir schwer und jedes Mal überfiel mich Panik und Angst. Der Drang, nach einer Schwester zu rufen und nach einem Happen Beruhigungsmittel zu bitten war übermächtig. Ich wollte wieder das Gefühl haben, eingehüllt zu sein. Eingehüllt von dieser weichen Wolke. Ich kannte das Gefühl. Es war ein bisschen, wie ganz leicht betrunken zu sein. Ein bisschen benommen und trunken, taumelnd, aber ohne den Kater am nächsten Morgen. Und es machte müde.

Die Tür ging wieder auf und meine Eltern kamen zurück. Meine Mutter hatte ein angestrengtes Lächeln aufgesetzt, mein Vater versuchte es gar nicht erst.

„Was ist?", fragte ich leise.
„Nichts, Schatz", meine Mutter räusperte sich. „Alles bestens."

Sie log. Ich sah an ihr vorbei zu meinem Vater und setzte mich in den Schneidersitz. Meine Rippen taten nicht mehr ganz so weh wie vor ein paar Tagen und ich ignorierte den Schmerz. „Papa?" Er wich meinem Blick aus. „Papa, was ist los?"

„Nichts..." Er atmete tief durch. „Es ist alles in Ordnung."
„Du hast Stress mit Jan. Warum? Wegen mir?"

„Nein", sagte er schnell – zu schnell – und meine Mutter zuckte zusammen. „Nein, Pi... nicht wegen dir."

„Sondern?"

„Wir..." Er sah zu Mama und seufzte schwer und sein Lächeln wurde endlich ehrlich. „Wir hatten eine Meinungsverschiedenheit."

„Über?"

Er sah mich an und stützte sich am Fußteil des Krankenbettes ab. „Fürsorge..."

Ich hätte fast laut aufgelacht. Um meine Mundwinkel zuckte es. Hatte Jan meinen Eltern den Marsch geblasen? Wie damals? Waren meine Eltern etwa gekränkt deswegen? Wenn es so war, würde ich Jan für das Bundesverdienstkreuz vorschlagen lassen. „Wirklich?", fragte ich.

Mein Vater sah mich schweigend an und dann kurz zu meiner Mutter. Er schluckte schwer. „Wir... müssen zurück nach Düsseldorf, Schatz. Der Arzt meinte, du könntest am Dienstag entlassen werden. Mama würde dich abholen kommen. Schaffst du das?"

Innerlich atmete ich auf. „Was soll ich daran nicht schaffen?"

Er sah mich an. „Vier Tage alleine in dieser Klinik? Du bist traumati--" Er brach ab und starrte mich an. Traumatisiert. Keiner von ihnen hatte es bis jetzt ausgesprochen. Nur der Arzt hatte es bislang gesagt. Das böse Wort. Und der Psychologe, der gestern mit mir geredet hatte. Ich hatte nicht mit dem Psychologen sprechen wollen und nur aus dem Fenster gestarrt. Ich war noch nicht so weit. Ich konnte noch nicht über das reden, was mir passiert war. Ich wollte einfach schlafen und in meine Wolke gehüllt sein. Ich wollte das einfach vergessen.

Vor allem wollte ich Nick. Aber der mied mich. Der meldete sich nicht bei mir. Ich schluckte und spürte, wie mir urplötzlich Tränen in die Augen stiegen.

„Sophie, Engel, du musst doch nicht weinen..." Mama sah meinen Vater an. „Fred, wir können auch noch bleiben..."

„Nein!", fuhr ich dazwischen. Auf gar keinen Fall! Ich wischte mir über die Augen. „Nein, schon gut... Ich schaff das schon. Fahrt nach Düsseldorf zu Maja... Mir geht's gut..."

„Ich bleibe hier", schlug Mama vor. „Du kannst alleine zu der Spendengala von von Söders gehen, Schatz."

Mein Vater fuhr sich durch die Haare und schloss kurz müde die Augen. „Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee wäre, Marina... Wir sollten Geschlossenheit demonstrieren..."

„Alexander wird das verstehen...", gab sie zurück und rutschte nervös auf ihrem Stuhl herum. Ich verstand nicht wirklich worum es ging. Aber ich wusste, dass mein Vater und Alexander von Söder seit Jahren Freunde und Geschäftspartner waren. Und dass es schon immer um viel Geld gegangen war. Wenn es jetzt um die Demonstration von Geschlossenheit ging, ging es um sehr viel Geld.

„Mama", ich legte ihr die Hand auf den Arm. „Es ist in Ordnung. Fahr mit Papa nach Hause. Mir geht es gut... ich schlafe doch eh die meiste Zeit. Und... wenn was ist rufe ich an oder Jan kommt nochmal her – oder Theo vielleicht." Jans Vater wohnte immerhin auch nicht allzu weit von Gießen entfernt. „Und bist Dienstag... schaff ich das schon." Glaubte ich. Außerdem wollte ich endlich meine Ruhe.

Meine Mutter entspannte sich etwas und nickte dann. „Gut..."

Dreißig Minuten später waren meine Eltern auf dem Weg zurück nach Düsseldorf und ich wusste immer noch nicht, was zwischen Vater und Jan vorgefallen war.

Und Nick hatte sich immer noch nicht gemeldet.

..........

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