Fucking Superheld: 16 ~ Nick
„Warum taucht die Signatur in den Foren auf?", fragte ich. Ich war verwirrt. Das machte für mich im ersten Moment überhaupt keinen Sinn.
Linda Bernicke lächelte müde und trank einen weiteren Schluck Kaffee. Sie wirkte total entspannt, obwohl sie es vermutlich nach den letzten Tagen genauso wenig war wie ich selbst. „Er hat sie programmiert. Zumindest zwei davon."
Ich verschluckte mich. „Was?"
„Als Freundschaftsdienst für einen... Bekannten von Jana Stephan."
„Was?!"
Sie lächelte noch immer. „Sind Sie wirklich überrascht?" Sie lachte leise. „Der unbeliebte Informatik-Nerd, der versucht, irgendwie Aufmerksamkeit zu bekommen?" Ihr Lachen erstarb und das Lächeln verschwand aus ihrem Gesicht. Bernicke schob die Tasse von sich und sie schlug die Beine übereinander. „Lüttkenhaus suchte zu Schulzeiten Anschluss und Orientierung und, dem psychologischen Profil nach, eine devote Neigung..."
Ich dachte einen Augenblick nach und lehnte mich zurück. „... und hat im Jahrgang in Jana einen dominanten Part gefunden", ergänzte ich. „Aber devot-dominante Vorlieben grenzen sich klar von dem ganzen SM-Kram ab. Nur weil ich mich gerne im Bett unterordne, heißt das nicht automatisch, dass ich auch automatisch masochistisch veranlagt bin. " Ich dachte angewidert an Carries Verstümmelungen, die weit über Sadismus hinausgingen. Sehr weit.
Bernicke grinste mich linkisch an.
„Nicht ich! Das war ein Beispiel!"
„Ja. Vermutlich fing es so an. Bei ihm... Bei Jana Stephan wissen wir sehr sicher, dass sie die aggressiv-sadistischen Züge seit ihrer frühesten Kindheit hatte. Aber das Mädchen war nicht in der Szene aktiv, nicht dass Sie das missverstehen. Jana Stephan war in diesen Foren angemeldet, weil sie wütend war und Menschen weh tun wollte und sich mitteilen wollte. Aber sie war nie aktiv in der Szene unterwegs..." Die Kommissarin fuhr sich durch die Haare.
„Sagt sie."
Bernicke hob die Augenbraue. „Sie war nie in der Szene aktiv." Sie klang sehr bestimmt und überzeugt. „Wir haben das überprüft."
„Wie die Sache mit den Videobändern?", fragte ich provokant.
„Gehrig..." Bernicke rollte die Augen. „Übertreiben Sie nicht."
„Niemals."
Sie lachte dunkel. „Jedenfalls. Lüttkenhaus: unauffällig, Streber, unbeliebt. Von Söder meinte, er sei die - Zitat - ewige Jungfrau des Jahrgangs gewesen. Er hat versucht, sich in die coole Clique reinzubringen, es aber nie ganz geschafft. Und dann sind immer öfter Dinge passiert."
„Was für Dinge?", fragte ich, hatte aber bereits eine Ahnung.
„Gerüchte. Von Söder meinte, es sei eigentlich ein entspannter Jahrgang gewesen. Aber im letzten Jahr sei plötzlich eine aggressive Dynamik in den Jahrgang gekommen, die unangenehm gewesen wäre. Vor allem Sophie und ihn betreffend. Zum einem erzählte er davon, dass Sophie plötzlich der Ruf anhing, die - Zitat - Jahrgangsschlampe zu sein."
„Angeblich soll er da nicht ganz unschuldig dran gewesen sein...", sagte ich und dachte an mein Gespräch mit Mo.
„Dann gab es noch einen Vorfall mit einem Nacktfoto, das von Söder angeblich gepostet haben soll. Er beteuerte, er hätte das nie getan. Und zudem wurden Vergewaltigungsvorwürfe gegen ihn laut."
„Es wurde doch auch Anzeige erstattet."
„Erst später. Erst war es ein Gerücht. Von Söder meint, alle die Gerüchte wären irgendwie auf Lüttkenhaus zurückzuführen gewesen. Er behauptet sogar, Lüttkenhaus hätte sein Handy gehackt und dieses Bild gepostet."
„Warum sollte Lüttkenhaus das tun?"
Bernicke sah mich schweigend an. „Sie haben sich eine überaus begehrte Freundin ausgesucht, Nick..."
Verwirrt legte ich die Stirn in Falten und schloss kurz die Augen. „Also stand Lüttkenhaus auch auf, Pi."
„In erster Linie stand Daniel von Söder auf sie. Die beiden waren in diesem Sommer vor drei Jahren ... nennen wir es zusammen. Lüttkenhaus hat die beiden auch wohl einmal inflagranti erwischt. Sie hatten eine Affäre und Sophie hat es dann später beendet. Von Söder war gekränkt und sauer. Lüttkenhaus hat das genutzt und das Bild gepostet."
„Alter..." Ich stöhnte auf. Da war ja, wie das Skript einer sehr schlechten Daily Soap. Wer hatte denn in diesem Internat die Aufsicht gehabt?
„Später erwischte Lüttkenhaus übrigens ihren Freund Moritz und Sophie beim Rummachen ... er war derjenige, der Jana verraten hatte, dass die beiden was miteinander hatten. Deswegen ist Jana ausgeflippt und hat das Pferd umgebracht... danach war Lüttkenhaus sowas wie Janas... Freund oder Lakai. Die beiden hatten eine sehr gut funktionierende Beziehung..."
Sie griff in ihre Tasche und zog einige Bilder heraus, die sie mir zeigte. Das eine war das Verlobungsbild, das andere eine Aufnahme aus dem Jahrbuch des Abi-Jahrgangs. Ein Klassenfoto. Es war eine Aufnahme von einer Klassenfahrt in Rom, die Klasse stand vorm Trevi-Brunnen. Pi erkannte ich sofort. Auch Daniel von Söder stach mir gleich ins Auge. Er stand hinter ihr, flankiert von zwei Jungs. Mo saß auf einer der steinernen Bänke, auf seinem Schoß Jana Stephan. Bernicke tippte auf einen schmächtigen Jungen mit halblangen, braunen Haaren und braunen Augen. Er stand etwas abseits der Gruppe. „Lüttkenhaus."
Er musste ziemlich viele Burger in den letzten drei Jahren gegessen haben und ziemlich viel trainiert haben, um so viel zuzulegen. Der hatte bestimmt zwanzig Kilo zugenommen.
Dann zog sie weitere Aufnahmen von ihm heraus und legte sie auf den Tisch. Ich starrte sie eine Weile an und verglich sie immer wieder mit meiner Vorstellung mit Daniel von Söder.
Tristan Lüttkenhaus.
Daniel von Söder.
Ähnlich sahen sie sich nicht. Abgesehen davon, dass beide braune Haare hatten und braune Augen hatten. Ich musste das sacken lassen.
„Das alles... Das ist trotzdem drei Jahre her... was hat Pi ihm jetzt getan? Wo ist das Motiv? Ich versteh das nicht... Warum entführt er sie jetzt?"
„Lüttkenhaus findet, Sophie ist kein netter Mensch. Deshalb."
„Das ist alles?"
Sie zuckte mit den Schultern. „Die kurze Fassung. Er ist im Augenblick... nicht sonderlich redselig und noch ein wenig... wütend." Dann schwieg sie einen Moment. „Er war in seiner Jugend unglücklich in Sophie verliebt und wurde verschmäht. Er hat versucht, sie vor von Söder zu retten. Von Söder und Sophie hatten sich immer wieder in der Wolle. Wieder und wieder. Lüttkenhaus sagt, das – Zitat - dreckige Schwein hätte sie fertig gemacht. Von Söder hat das anders dargestellt. Er meint, Sophie und er hätten sich immer wieder gekabbelt und ihre Reviere markiert, aber sich nie wirklich etwas Böses gewollt. Ihre Familien sind seit Jahren befreundet. Sophie selbst hat zu von Söder noch nichts ausgesagt. Soweit kamen wir noch nicht. Lüttkenhaus habe versucht, Sophie vor von Söder zu schützen und zum Dank lässt sie sich am Ende nicht mit ihm, sondern mit Moritz Meier ein. Na, vielen Dank, da wäre ich auch wütend gewesen. Zum Glück hat ihn seine Brieffreundschaft zu Jana Stephan besänftigt."
Ich schloss die Augen. Mein Kopf pochte wieder. „Also hat er Jana dann... aus Missgunst Informationen zukommen lassen?"
Sie nickte. „Vermutlich. Ja. Jana hat das für ihre Zwecke genutzt und ihn anfangs manipuliert... Als Jana die Schule verlassen hat, haben die beiden den Kontakt gehalten, das ist sehr ausführlich auf Janas Computer dokumentiert."
Ich stöhnte leise und rieb mir die Stirn.
Linda Bernicke hob den Kopf und sah mich einen Augenblick schweigend an. „Was ist?"
„Das ist alles so verrückt."
„Ist es", gab sie zu, „Es wird noch verrückter. Soll ich besser aufhören?"
Ich schüttelte den Kopf. Ich wollte den Mist endlich wissen.
„Tatsächlich studieren die beiden auf der gleichen Uni und führen eigentlich eine Beziehung. Bis...unser Freund Lüttkenhaus für die Uni Gießen an einem Pharmazie-Block-Seminar der Uni-Heidelberg teilnimmt und im Frühjahr diesen Jahres tatsächlich in einem Club in der Altstadt raten Sie auf wen trifft?"
Ich stöhnte frustriert auf, weil ich die Antwort schon kannte. Ich wollte es gar nicht hören. „Rotkäppchen?"
„Ha!" Sie lachte. „Leider nein... Sophie müssen wir dazu noch befragen, aber... Lüttkenhaus prahlt sehr mit seiner Eroberung. Es..." Sie brach ab und sah mich plötzlich so komisch an, als ob sie überlegen müsste, ob sie noch weitererzählen wollte oder nicht.
„Was?"
Sie zog ihr Handy aus der Tasche und starrte eine Weile schweigend darauf, vermutlich um meinem Blick ausweichen zu können.
„Was?!", wiederholte ich, diesmal fester, und spürte, wie sehr meine Stimme zitterte. Ich hatte so meine Vermutung, was sie nicht sagen wollte. Der Gedanke daran peitschte blinde Wut in mir hinauf. Was hatte das Arschloch ihr angetan? „Was hat der Wichser mit ihr gemacht?!"
„Nick..." Sie atmete langsam aus. „Sie hat noch nichts dazu gesagt. Als ich das erst Mal mit ihr gesprochen habe, sind die Eltern reingeplatzt. Gestern war die Befragung wenig ergiebig."
„Und wenn ich --"
„Nein."
„Aber ich könnte..."
„Nein. Kannst du nicht. Du kannst nicht helfen. Du bist selbst Teil der Ermittlungen. Du bist ihr Freund. Ich kann dich nicht mit in eine Vernehmung mit reinnehmen. Das geht nicht. Das weißt du so gut wie ich, Nick. Ich darf ja noch nicht mal mit dir hierüber sprechen. Damit riskiere ich meinen Job."
Irgendwie hatte ich den Punkt verpasst, wann wir vom Sie zum du gewechselt sind. Aber gut. In meiner Wut auf diesen Wichser war mir das Latte.
„Wir haben sehr lange mit Jana Stephan gesprochen. Eine interessante Person... Sie und Lüttkenhaus waren ein echtes Paar, wie sie sagt. Sie war irgendwann wirklich an ihm interessiert und hatte zum ihm auch eine emotionale Bindung, obwohl ihr das durch ihre Krankheit schwer fällt. Die Beziehung sei immer geprägt gewesen durch Lüttkenhaus Neigung zu Dominance und Submission, wobei er der devote Part gewesen sei. Jana sagte im Verhör, dass das für sie mit der Zeit, je weiter sie mit der Therapie kam, schwieriger geworden sei. Vor allem in der Aufarbeitung mit dem, was sie damals Carrie angetan habe. Und sie sagte, dass seit dieser Nacht im Club mit Sophie die Beziehung zu Lüttkenhaus gekippt sei."
„Warum?", fragte ich.
„Sie sagt, er hätte Blut geleckt. Gemerkt, dass er ein Dom sei."
Ich blinzelte sie an.
„Nie Shades auf Grey geschaut, mh? Dass er erkannt hat, dass er Freude an Erniedrigung hat und doch nicht der unterwürfige Part sein will. Sie meint, er hätte eine Art Besessenheit entwickelt auf Pi."
„Ich glaube, mir wird schlecht..." Ich stöhnte. „Wie viele kranke Menschen hat denn diese Schule hervor gebracht?"
„Tja..."
„Und Jana Stephan ist jetzt ganz aus dem Schneider?"
„Nein... Sie wusste, dass er sie hat. Allerdings wusste sie nicht, dass er vorhatte, sie zu entführen."
„Behauptet sie."
„Sie hatte keinen Grund zu lügen. Er hat sie grün und blau geschlagen haben. Sie hat schon vor Wocheb Anzeige wegen häuslicher Gewalt erstattet und sich von ihm getrennt. Das bestätigen mehrere Zeugen." Dann sah sie mich lange an. „Der alte Bauernhof im Wald, auf dem wir Sophie gefunden haben... ohne sie, ohne Jana Stephans Mithilfe, wäre Pi noch immer im Keller. Ich will damit nicht sagen, dass Jana dadurch ein guter Mensch ist oder weniger Schuld hat am Tod dieses Pferdes, aber ohne ihre Hilfe wäre das Mädchen noch immer im Keller."
Ich ließ das alles sacken und atmete tief durch. Dann stand ich auf, holte eine Flasche Ouzo und zwei Gläser. Ich schenkte und großzügig ein und kippte den Schnaps zügig hinunter.
„Also, für mich: Lüttkenhaus stand früher auf Pi. Ist nach der Schule mit Jana zusammen in einer devot-dominanten Beziehung und studiert in Gießen. Trifft dann zufällig in Heidelberg auf Pi und vergewaltigt sie."
„Vermeintlich."
„Whatever. Arschloch. Danach entwickelt er ne Besessenheit auf Pi, stellt fest, dass er eigentlich gar nicht so unterwürfig ist und muckt gegen Psycho-Jana auf und schlägt die grün und blau. Jana flüchtet zu Mo, weint sich bei ihm aus und Lüttkenhaus schmiedet den perfiden Plan, Pi in einen Keller zu sperren, um seine neuentdeckten Dominatorspiele mit ihr auszuprobieren. Etwa so?"
Bernicke nickte und trank ebenfalls den angebotenen Ouzo. „Etwa so."
„Wow, und mir sagen sie alle, ich sollte ne Therapie machen... krass."
Sie lachte dunkel.
„Und die beiden sitzen jetzt in U-Haft?"
„Ja... Im Verfahren wird es spannend, da Jana Stephan ja eine diagnostizierte psychische Erkrankung hat... insofern bin ich gespannt, ob der Anwalt da auf vorübergehende Unzurechnungsfähigkeit geht... und sie zeigt offenkundig Reue. Aber Lüttkenhaus? Der wird eine Weile nicht feiern gehen..."
Ich atmete auf. „Gut..."
Bernicke griff nach den Bildern von Lüttkenhaus auf dem Tisch und steckte sie wieder in ihre Tasche. „Ich war nie hier..."
„Ich weiß."
„Und Nick?"
Sie stand auf. „Ich habe das in der Klinik wirklich ernst gemeint", sie sieht mich an, „Wenn du und die BFE nicht mehr kompatibel seid nach deiner Rückkehr aus der Suspendierung... Schrader meinte, du wolltest dich beruflich neu orientieren?"
„Ja... vielleicht." Aber eigentlich... eigentlich hatte ich zum SEK gewollt. Zu den Jungs, die Pi aus dem Keller geholt hatten. Die Kripo war nie eine Option für mich gewesen. Und jetzt, mit der Suspendierung? Jetzt hatte ich keine Ahnung, ob ich die Möglichkeit zur Weiterentwicklung überhaupt noch hatte. Und mir war klar, dass ich psychisch ein ernsthaftes Problem hatte, das ich in den Griff kriegen musste. So war ich nicht dienstfähig. Nicht bei der Polizei.
„Vielleicht?"
„Ist im Moment nicht auf Platz 1 meiner Prioritätenliste." Ich folgte ihr langsam aus der Küche zur Wohnungstür.
„Verstehe."
Ich rang mir ein Lächeln ab. „Danke für das niemals stattgefundene Gespräch."
„Sehr gerne..." Damit verließ sie meine Wohnung ohne sich noch einmal umzudrehen.
Das musste ich erst einmal sacken lassen...
Mo: rehabilitiert.
Jana: schuldig und ein Stück weit rehabilitiert.
Von Söder: rehabilitiert.
Lüttkenhaus.
Who the Fuck ist Tristan Lüttkenhaus? Warum war der in unseren Überlegungen noch nie aufgetaucht? Warum war der für mich unsichtbar geblieben? Hätten wir Pi früher finden können?
Ich wusste es nicht.
Was ich wusste war, dass sich unter das flaue Gefühl der Erleichterung und der Anspannung auch Schuldgefühle mischten. Ich hatte keine Ahnung, was ich ihr sagen sollte, wenn ich ihr in die Augen sehen würde. Ich hatte keine Ahnung, ob sie mir das alles jemals verzeihen würde.
Ich wusste nicht, ob ich so zu ihr würde fahren können.
.........
Fragen über Fragen... manche geklärt und neue aufgestoßen?
Ein verwirrender Fall 😎
Ich bin übrigens sehr stolz, dass kaum einer auf die Lösung kam 💁♀️
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