Fucking Superheld: 16 ~ Nick

Es ist eine dieser lauen Sommernächte, in denen die Luft zu flirren scheint. Die Hitze steht in der Stadt. Es ist unwahrscheinlich heiß und es liegt ein Sommergewitter in der Luft, diese unbestimmte Schwüle, die einem den Schweiß schon vom Rumstehen den Körper runterlaufen lässt.

Mir läuft er auch am Körper hinunter, aber nicht nur von der Hitze des Sommertages. Vornehmlich lieg es an der Frau vor mir an der Theke. Pi trägt viel zu kurze Shorts für ihre langen Beine und die Taschen der Jeans sitzen viel zu perfekt auf ihrem Hintern, um nicht nur von mir bemerkt zu werden.

Ich zähle neben mir acht weitere Kerle, die ihr gerade unverhohlen auf den Arsch starren. Ihr Spaghettiträgertop gibt um ehrlich zu sein viel zu viel preis, als es verhüllt und... Ich schlucke, als mir klar wird, dass ich sie eigentlich viel lieber auszuziehen will, als weiter mit ihr auf dieser Uni-Party auszuharren.

Sie zahlt und kommt mit zwei Bier in der Hand zu mir zurück. Wir stoßen mit den Flaschen an und ich überlege, wann ich das letzte Mal ein Corona getrunken habe. Scheint ewig her zu sein.

Pi trinkt und lässt mich dabei kaum aus den Augen. Kondenswasser rinnt den Flaschenhals hinab und mir wird noch heißer. Sie grinst. Letzte Nacht haben sich ihre Lippen um mein bestes Stück geschlossen wie jetzt um diesen Flaschenhals und so, wie sie jetzt grinst, glaube ich, dass sie weiß, dass ich genau daran denke.

Die letzten Wochen mit ihr haben mir annähernd den Verstand geraubt. Als ich sie vor ein paar Wochen kennen gelernt habe - vier Wochen ist es her ungefähr - hätte ich niecgedacht, dass sie mich so umhaut. Ich bin total verknallt in die Frau. Und mein jahrelang untervögelter Freund läuft zu nie gekannter Hochform auf. Wirklich... Die Frau bringt uns um den Verstand.

„Was ist?", frage ich und kneife die Augen ein wenig zusammen, weil sie immer noch grinst.

„Nichts...", sagte sie und ein süffisantes Grinsen erscheint auf ihren Lippen. Sie greift mir ins T-Shirt, zieht mich zu sich und küsst mich. Der Kuss ist sofort mehr als ein Kuss auf einer Party. Er schmeckt nach Sommer und Hitze, nach Bier, Zitrone, Salz und Tequila und dem Versprechen nach einer langen Nacht in weißen kühlen Laken.

Ich spüre ihre heiße, verschwitzte Haut an meiner und wünsche mir sehnlichst, nicht mit ihr auf der falschen Seite des Neckars zu sein. „Ich hab mir nur vorgestellt", flüstert sie an mein Ohr, „dass wir in deinem Bett viel mehr Spaß haben könnten als auf dieser Party... meinst du nicht?"

***

Als ich am nächsten Morgen aufwachte war es halb vier Nachmittags. Ich hatte geschlafen wie ein Stein und war nicht ein Mal nachts aufgewacht.

Die Träume, an die ich mich erinnerte, hatten wenig gemein mit den Alpträumen der letzten Wochen, führten mir aber schmerzlich vor Augen, wie sehr mir Pi wirklich fehlte. Die verblasste Erinnerung, mit der ich aufgewacht war, ließ meinen Schwanz pochen und ich kam mir unglaublich mies dabei vor. Ich konnte doch nicht irgendwelche Sexträume von Pi haben. Sie war gerade wieder aufgetaucht. Das war doch alles nicht normal. Ich war nicht mehr normal.

Ich stand auf, duschte kalt, zog mir meine Laufsachen an und ging zwei Stunden joggen. Bergan. Bis zur Heiligenbergberganlage und über Ziegelhausen zurück. Danach war ich k.o. und hatte nichts mehr im Kopf.

Zurück nach Gießen fuhr ich an diesem Tag nicht.

Die Ansage von Pis Vater war deutlich gewesen. Halten Sie sich von meiner Tochter fern.

Das würde ivh tun. Solange ich so... unsortiert war, würde ich das zwangsläufig tun...

***

Am Abend saß ich in Julius WG auf dem Wohnzimmerteppich und bekam von seiner Mitbewohnerin Hannah zum dritten Mal Couscoussalat und Nudelsalat auf den Teller geladen. Sie hatte Geburtstag. Ich hatte das total vergessen, als ich aufgetaucht war. Ohne Geschenk.

„Iwo, kein Ding, vergiss es, Nick." Hannah hatte mich umarmt und kein weiteres Wort darüber verloren.

Es war keine ausschweifende WG-Party, Hannah hatte nur ein paar Freunde eingeladen. Eigentlich auch mich. Ich hatte das total verdrängt.

Im Hintergrund lief entspannte Musik.

Julius saß im Schneidersitz auf der Lehne der Couch und sah mir zu, wie ich ausgehungert auch den dritten Teller leer aß. Bis jetzt hatte er keine Fragen gestellt, aber mir war klar, dass ihm die Fragen auf der Zunge brannten. Er erstickte fast daran. Ich trank einen Schluck Cola und sah ihn dann an. „Es geht ihr soweit gut..."

Erleichtert stöhnte er auf und sah zur Decke. „Gott... Danke, dass du mich nach ner Stunde endlich erlöst hast."

„Tut mir leid..." Ich zuckte mit den Schultern. „Hab nicht dran gedacht."

„Spinnst du?!" Julius sah aus, als wollte er mich schubsen. „Wie kannst du nicht daran denken?"

Ich rieb mir die Stirn.

„Und warum bist du eigentlich hier und nicht bei ihr?"

Ich zuckte mit den Schultern. „Siehst du... Ich hab nicht dran gedacht. Ich hab... andere Sachen im Kopf." Ich griff nochmal nach der Cola, einfach um was in der Hand zu haben und um ihn nicht ansehen zu müssen. Dann begann ich zögerlich zu erzählen, was passiert war. Angefangen bei Schraders Anruf und geendet bei Frederik von Frankenthals Ansage, mich erstmal von seiner Tochter fern zu halten.

Julius starrte mich an. „Was hat der gesagt?"

Resigniert zuckte ich mit den Schultern.

„Du bist aber nicht abgehauen?!"
„Was hätte ich denn machen sollen? Er ist ihr Vater..."

„Nach allem was du getan hast, hast du den Schwanz eingezogen und hast das Feld geräumt?!" Julius schnaubte und rutschte von der Lehne. "Du spinnst doch."

Ich schloss die Augen und spürte den Kloß im Hals. „Jules..."

Er sah mich an und schwieg einen Moment. „Man, Nick. So kenn ich dich gar nicht..."

Ich hatte nicht gehen wollen. Ich hatte wirklich nicht gehen wollen. Jan hatte mich dazu zwingen müssen. Wirklich. Wenn er nicht gewesen wäre, wäre ich jetzt noch in Gießen. Ohne ihn würde ich immer noch auf diesem harten Plastikstuhl sitzen und warten. Und mir Sorgen machen. Vermutlich wäre ich auch immer noch wach. „Es ist..."

„... besser so?"

„Keine Ahnung." Ich wusste das wirklich nicht. „Jan ist bei ihr... und ihre Eltern. Familie ist in der Situation vermutlich wichtig."

Julius sah mich eine Weile nachdenklich an. „Ja, vermutlich." Dann nickte er langsam. „Aber sie ist wieder da. Und ihr geht es gut. Man... Nick.... Das ist gut. Das ist ne echt gute Nachricht." Er ließ sich von der Couch zu mir auf den Boden rutschen und lächelte mich an. „Ich freu mich ehrlich."

Ich nickte, lächelte, aber das Gefühl der Erleichterung hatte sich bei mir immer noch nicht eingestellt. „Was ist?", fragte ich und sah ihn an.

Julius zuckte mit den Schultern und streckte seine Beine lang auf dem Teppich aus. Sein Blick wanderte zur Balkontür: eine von Hannahs Freundin kam gerade von draußen herein und strahlte ihn an. Ich glaube, die beiden hatten mal was miteinander. Julius ging nicht darauf ein und sah mich an. „Nick..."

„Was?"
„Ich kenn dich so nicht."
„Wie denn?"

„So." Er zuckte mit den Schultern. „Also doch. Ich kenn dich so. Ich kenn dich so resigniert. Ich kenn dich so... ausgelaugt und depressiv. Aber Alter: das Biest ist wieder da. Du solltest deine Rüstung anlegen und den Drachen für das blonde Monster erlegen... Du bist ihr fucking Held."

„Ich bin kein fucking Held, Jules. Ich bin fucking abgefuckt."

Er lachte dunkel. „Dann passt du doch super zu ihr. Die ist mindestens genauso abgefuckt wie du... wenn nicht sogar noch mehr als du, nach der Scheiße, die sie durchgemacht hat." Er sah mich überraschend ernst an. „Also sei ihr fucking Held, Mann..."

„Ich weiß noch nicht mal, wie ich mit ihr sprechen soll, ohne irgendwelche Wunden aufzureißen..."

„Nick..." Er sah mich kopfschüttelnd an. „Was wolltest du damals am meisten? Als Di erschossen worden war?"

Ich zuckte zusammen. Normalerweise sprachen wir nie so offen darüber, was damals passiert war. Normalerweise war es immer die Sache mit Di. Ich schluckte schwer und dachte einen Moment nach, bevor ich antwortete. „Kein Mitleid. Und Normalität."

„Du musst kein Superhelden-Cape tragen um ihr Held zu sein, das ist dir klar, oder? Sie liebt dich..."

„Ich hab's aber auch ganz schön versaut..." Ich trank einen großen Schluck von meinem Getränk.

„Aha." Julius schmunzelte.
„Was aha?" Ich sah ihn an.

„Aha eben." Er grinste und tätschelte mir den Oberschenkel. „Du hast Schiss, mein Freund."

„Ich hab keinen Schiss."

„Du machst dir in die Hosen!" Er lachte. „Du siehst beschissen aus. Beschissener, als in den drei Wochen, in denen Pi verschwunden war. Eigentlich solltest du total glücklich und entspannt sein, weil sie wieder da ist... Aber du hast Schiss..."

„Ich hab kei---"

„Doch." Er trank von seinem Bier und verschränkte dann die Arme locker vor der Brust. „Dir sitzt die blöde Akte noch im Nacken."

„Quatsch", machte ich und versuchte mit den Schultern zu zucken. Aber es war kein Quatsch. Er hatte recht. Mir saß der Streit noch immer im Nacken. Natürlich. Damit hatte das alles immerhin angefangen. Ohne den Streit wäre das alles vielleicht nie passiert.

„Du könntest dich bei ihr entschuldigen... das wäre ein Anfang."

Ich starrte auf die Cola in meiner Hand und wünschte mir, dass es ein Gin Tonic wäre. „Das ist nicht so einfach."

„Ist es. Sag einfach: Hey Pi, die Sache mit der Akte war übergriffig und ein riesen Fehler. Es tut mir leid. Ich war ein Arschloch. Verzeih mir..." Julius sah mich an und mir wurde schlecht, wenn ich daran dachte, wie sie reagieren könnte. „Sie ist wieder da, Mann... Du liebst sie. Du leidest... Du hast Scheiße gebaut. Du wolltest ihr helfen. Es ist viel Wasser den Neckar runter gelaufen seitdem. Entschuldige dich bei ihr. Hör auf, Schiss zu haben und ein Feigling zu sein. Sei endlich ihr fucking Held."

„Hör auf das zu sagen."

„Wenn ihr heiratet steht das auf deinem Junggesellen-T-Shirt." Er grinste breit, aber mir wurde sehr flau im Magen.

„Du bist ein Arschloch, weißt du das?"

„Du liebst mich, Bro..."

Ich stöhnte genervt auf und hatte das Bedürfnis, irgendetwas nach ihm zu werfen. Julius lachte nur. „Nur sonntags und an Feiertagen...", murmelte ich und atmete tief durch.

Er lachte kehlig, wurde dann aber ernst und schwieg eine Weile. „Wie sah sie aus?"

„Beschissen..." Ich schluckte. Das hätte ich nicht sagen sollen. Ich rang mir ein knappes lächeln ab. „Ich weiß nicht. Wahrscheinlich gut dafür, dass sie drei Wochen..." Ich brach ab und schloss die Augen. Sie brannten schon wieder. Diese Heulerei. Diese elende Heulerei der letzten Wochen machte mich fertig. Ich spürte Julius Hand auf meinem Knie und rang nach Luft. Dann öffnete ich vorsichtig die Augen.

„Du hättest jetzt sagen müssen, dass sie immer noch umwerfend aussieht..."

Ich zuckte mit den Schultern. „Sie ist die schönste Frau der Welt, aber... ich glaube, die Wichser haben sie zerbrochen... davor hab ich eine Scheißangst... Ich... Scheiße." Wieder brannten meine Augen und dieses Mal konnte ich sie nicht mehr hinunter ringen.

Julius nickte langsam und stand auf. Dann reichte er mir die Hand und zog mich auf die Beine. Er stieß die Balkontür auf und trat mit mir ins Freie, bevor irgendjemand mitbekam, dass ich vollkommen die Beherrschung verlor. Dass ich vor Angst zitterte. Der Balkon war leer, Hannahs Partygäste waren alle in der Wohnung.

Julius reckte sich, griff in einen Mauervorsprung und zog eine kleine Blechdose hervor. Ich beobachtete ihn dabei aufmerksam. Ich kannte die Blechdose noch aus unserer Jugend.

Julius öffnete sie, holte ein Feuerzeug und einen Joint heraus, zündete ihn in der Dunkelheit an und zog einmal daran. Dann reichte er ihn mir. Ich hatte keine Ahnung, wann ich das letzte Mal gekifft hatte. „Julius..."

„Ja, ich weiß. Du hältst mir jetzt nicht den Drogenvortrag... Ich weiß, dass das mehr Gras ist, als ich für den Eigenbedarf besitzen dürfte und auch, dass Kiffen das Problem nicht löst und es nicht leichter macht. Aber es ändert vielleicht für den Moment deine Sicht auf die Dinge." Er ließ sich auf die Bank sinken und hielt mir den Joint noch immer hin.

Ich ließ mich neben ihn auf die Bank sinken und griff nach dem Joint. Für einen Moment war ich versucht, ihn einfach auszudrücken, zog dann aber doch daran. Mit geschlossenen Augen. Nur einmal. Dann reichte ich ihn zurück an Julius. Ich musste husten, als der Rauch meine Lungen erreichte und hörte Julius leises Lachen neben mir. Ich hatte keine Ahnung, warum ich das machte.  „Lange her, was?"

„Ewig, ja..." Ich hustete erneut und lehnte meinen Kopf rückwärts gegen die Wand.

Julius zog erneut und hielt ihn mir nochmal hin, aber ich schüttelte den Kopf. Er drückte den Joint aus und legte ihn zurück in die Blechdose. „Du hast ziemlich viel Angst davor, sie wiederzusehen, oder?"

„Du hast ja keine Vorstellung..."

„Ich versteh nicht, warum... du müsstest ausflippen vor Freude, Nick... Und du bist komplett panisch..."

„Ja... ich versteh es selbst nicht..."

Julius zündete den Joint wieder an und reichte ihn mir doch nochmal. Ich zog ein zweites Mal. Dieses Mal blieb das Husten aus und ich spürte, wie die Anspannung allmählich von mir abfiel. Es war gutes Zeug.

„Aber doch nicht nur, weil du glaubst, dass sie nach allem, was passiert ist, noch immer wegen dieser Akte sauer ist?"

„Das hat mir zumindest ihr Vater vorgeworfen."

Julius hob die Augenbrauen und nahm mir den Joint wieder ab. „Nett."

„Ja... Er hat mich rausgeworfen mit Carrie als Begründung." Ich spürte der Wirkung des THCs nach und entspannte meine Schultern. „Ich weiß nicht, wie ich mit der Situation umgehen soll... Ich bin so wütend... ich hab Angst, dass ich mich nicht im Griff habe..."

„Auf was bist du wütend?"

„Die Gesamtsituation... Wie die Ermittlung gelaufen ist. Bernicke und Faller sind so...dumm. Das hätte alles schneller gehen können. Moritz war so unkooperativ. Pis Eltern. Ich ab so eine riesige Wut in mir auf die Welt und ich hab so Schiss, dass ich mich nicht in Griff habe und noch mal Scheiße baue. Ich bin schon suspendiert, Julius." Ich sah ihn an. „Du hättest meine Mum sehen müssen... Ich kann mir keinen Fehler mehr erlauben. Ich hab keine Kraft mehr für noch einen Fehler." Ich holte Luft. „Und dann ist da Pi... die diese Dinge erlebt hat... und ich habe keine Ahnung, ob..." Ich schloss die Augen und schluckte. „Ob ich der fucking Held sein kann, den sie braucht..."

Julius sah mich schweigend an. „Davor hast du Angst?"

Ich konnte nicht mal nicken. Also blieb ich stumm und regungslos sitzen.

„Du hast Angst davor, keine Kraft zu haben, weil du einfach zu abgefuckt bist...?"

„Wir sollten unbedingt weniger Fuck sagen...", murmelte ich und nickte dann aber. Ich war einfach total durch. Ich hatte keine Ahnung, ob ich die Kraft hatte, Pi die Stütze zu sein, die sie vermutlich brauchen würde. Denn ich war wirklich, wirklich am Ende. Jeder Tag zeigte mir das im Moment. Ich kam kaum noch voran, ich hatte meine Wut nicht mehr im Griff – das hatte mir die Auseinandersetzung mit Pis Vater gezeigt. Zum Glück war Jan da gewesen und hatte schlimmeres verhindert. „Ich weiß, dass ich die Kraft aufbringe für sie da zu sein, aber...Ich hab Angst, was die Wut mit mir macht... Macht das Sinn?"

Julius rieb ich nachdenklich das Kinn. „Ich denke schon."

„Diese scheiß PTBS..."

„Ich weiß, du hörst das nicht gerne... aber du solltest --"

„Ja. Endlich ne Therapie machen. Ich weiß."

Julius lachte. „Ich bin offensichtlich nicht der Erste, der das sagt."

„Nein, bist du nicht. Stell dich an. Becky. Tom. Drea, Mum. Schrader, Inga... Die Reihe ist lang."

„Dann solltest du eventuell allmählich mal drüber nachdenken, Mann..." Er tätschelte mir sanft den Oberschenkel. „Di hätte das nicht gewollt..."

Ich starrte ihn an. „Was?"

„Dass du so vor die Hunde gehst... Das hätte sie nicht gewollt, Nick... Sie hat dich echt geliebt. Sie hätte gewollt, dass du dein Leben wieder auf die Kette bekommst. Und deine Wut in den Griff..." Er schluckte schwer. „Es tut mir leid, dass ich das so sage... Aber das hätte sie gewollt..."

Ich starrte ihn noch immer an. Es fühlte sich an, als ob er mir eine Stricknadel mitten ins Herz gebohrt hätte. Unvermittelt, ohne Vorwarnung.

„Di hat dich geliebt. Und du hast sie geliebt. Ich bin mir sicher, dass sie nie gewollt hat, dass du dich in einer Trauer suhlst, wie du es jetzt seit fast zwei Jahren tust. Und ich weiß, dass sie nicht gewollt hat, dass du nach so langer Zeit immer noch so wütend bist. Es ist okay, dass sie dir fehlt, aber diese Wut ist es nicht." Er seufzte schwer. „Sie wäre glücklich, dass du Pi gefunden hast... und sie wäre unendlich froh, wenn du deinen Arsch nach Gießen in diese Klinik schwingen würdest um das zu sein, was du am besten kannst: den Held spielen für das schöne Biest."

Meine Augen brannten, als ob er mir Säure über geschüttet hätte. Ich hatte keine Chance, dagegen anzukämpfen. Wie eben schon ich heulte einfach. Und er ließ mich. Wie damals auf dem Laufbsnd. Es war Monate her. Ich war gerannt und gerannt, bis ich nicht mehr gekonnt hatte - und er rntschieden hatte, dass es reichte. Wie auch jetzt. Er klopfte mir entspannt auf die Schulter und lächelte. „Lass laufen, Nicki. Bleibt unter uns..."

Ich verschluckte mich. „Du bist so ein..."

„Ja. Weiß ich..." Er grinste. „So ein weiser, afrikanischer Mann."

Ich schloss die Augen und wischte mir mit dem Daumen über die Augenwinkel. „Ja. Genau." Aber ich musste lächeln.

„Schwing deinen Arsch morgen in dein Auto und fahr nach Gießen, okay? Manchmal muss man über seinen Schatten springen, um seine Ängste zu überwinden."

„Uäh, jetzt spuckst du aber ekelhafte Weisheiten am Band aus."

„Tja..." Er streckte sich und grinste. „Mach das. Stell dich ihr. Die frisst dich schon nicht auf. Du schaffst das schon... Und dann kümmer dich um einen Plan wegen dieser PTBS-Scheiße. Wir haben im Ärzte-Haus eine gute Therapeutin, ich kann da was klar machen, wenn du magst."

„Mit gut meinst du garantiert heiß."

Julius verzog das Gesicht. „Alter! Was denkst du von mir?!"

„Ich kenn dich halt. Die meisten Empfehlungen, die du gibst, hattest du schon mal im Bett."

„Das stimmt nicht."
„Die Automechanikerin aus Weinheim."
„Ja, okay..."
„Die neue Kneipe in der Altstadt. Du warst mit drei der Kellnerinnen im Bett."
„Entschuldige?! Ich bin halt Single..."

Ich rollte die Augen. „Ja... Alles klar..."

„Aber die Therapeutin ist wirklich gut..." Julius wackelte mit den Augenbrauen. Ich hatte keine Ahnung, ob er wirklich mit ihr schon in der Kiste war oder nicht.

Wir blieben noch eine Weile auf dem Balkon sitzen. Wir sprachen nicht mehr über Pi, Diana oder die PTBS. Stattdessen erzählte Julius ein bisschen von dem, was in den letzten Wochen bei ihm losgewesen war – nicht viel. Viel Arbeit, wenig Freizeit. Kaum Dates. Er schien es stoisch wegzustecken und sah, als er das erzählte, zweimal zu viel zur angelehnten Balkontür. In der Scheibe dahinter sah ich Hannah neben einem ihrer Kommilitonen stehen und lachen. Das konnte Zufall sein oder nicht.

Als ich nach Hause ging war ich entspannter und gelassener als die Tage zuvor, was entweder an dem sehr offenen Gespräch mit Julius lag oder an der Tatsache, dass wir auf dem Balkon gekifft hatten.

Diese verdammte Wut.
Diese verdammte Angst.
Diese verdammte Sehnsucht nach ihr.

Das alles wurde durch die Distanz nicht besser, das wusste ich. 

..........

Heute: Ein Mammut 🐘🐘🐘

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