Flickenteppich: 27 ~ Pi
Jan und ich bestellten später Pizza und lagen faul auf seiner Couch herum. Das Thema mit dem Rückfall mieden wir großräumig wie eine Vollsperrung auf der Autobahn. Stattdessen sahen wir alte Videos von ihm an und Jan suhlte sich in vergangenem goldenem Ruhm, im Goldstaub vergangener Tage, bevor wir umschwenkten auf die Harry Potter Filme. Während Harry, Ron und Hermine gegen Trolle kämpften, kämpfte ich mit dem Durst.
Ich war nicht mehr allzu sehr abgelenkt wie den Tag über und mir fielen die Symptome stärker auf als zuvor. Allerdings war es kein Vergleich mit meinem Klinikaufenthalt. Vermutlich, weil ich gestern nicht übermäßig getrunken hatte – was absolut keine Entschuldigung war. Es hätte einfach nicht passieren dürfen – und doch war es geschehen.
Ich hatte gar nicht bemerkt, dass mir die Tränen aus den Augen liefen. Erst, als Jan mir die Hand auf die Schulter legte, registrierte ich es.
Ich musste das wieder hinkriegen.
Ich musste mich wieder hinkriegen.
Ich hatte alles versaut. Mit dieser dummen Aktion in Düsseldorf hatte ich einfach alles riskiert und kaputt gemacht. Das belastete mich im Augenblick weitaus mehr als der Rückfall. Noch dazu hatte er sich immer noch nicht gemeldet.
„Kannst du mir mein Handy geben?" Ich wischte mir über die Augen und sah zu, wie Jan mein Handy zum Stromkabel löste und mir reichte. Im ersten Moment überlegte ich in einem Akt der Unvernunft meiner Mutter zu schreiben, einfach, weil ich Sehnsucht nach meiner Mama hatte, sah dann aber, dass ich einen verpassten Anruf hatte und verwarf den Gedanken sofort.
Ich richtete mich kerzengerade auf. Der Anruf war von ihm. Von Nick.
„Was ist?"
Mein Herz geriet total in Aufruhr. Ich ruf dich an.
Er war so sauer gewesen. So enttäuscht. Ich hätte nie erwartet, dass Ich ruf dich an so unmittelbar nach dieser schrecklichen Nacht sein würde. Noch heute. Nie hätte ich gedacht, dass er sich wirklich heute melden würde.
So unmittelbar nach gestern.
„Nick..."
„Und?"
„Er hat angerufen."
Jan zuckte teilnahmslos mit den Schultern. „Ja, und? Ruf ihn zurück?"
Das klang so einfach. War es auch. Ich musste nur auf den grünen Knopf drücken.
„Was, wenn er Schluss macht?"
„Warum sollte er Schluss machen?"
Meine Unterlippe begann zu zittern und ich sah, dass Jan tausend Fragen im Gesicht standen. „Also... ist es alles ein bisschen komplizierter mit deiner Rückfallgeschichte?", fragte er ruhig.
Ich rang mir ein belegtes Nicken ab. „Viel komplizierter..."
„Ruf ihn zurück, Pi." Er lächelte knapp. „Er wird nicht am Telefon Schluss mit dir machen... Dafür ist er nicht der Typ."
„Ich hab's aber gemacht." Ich schluckte. Die Erinnerung war verschwommen und kam ganz plötzlich. Ich war total betrunken gewesen an dem Abend, weil ich all das nicht mehr ausgehalten hatte. Den Druck durch meine Eltern, das Eingesperrtsein, die Erinnerungen an den Keller und Lüttkenhaus. Ich hatte Abstand gebraucht, hatte ich geglaubt und am Telefon Schluss gemacht. Und dann... ich glaubte, dass es sogar an dem Abend passiert war, mit diesem Typen. Oder war es später gewesen? Ich wusste es nicht mal mehr... „Ich hab am Telefon mit ihm Schluss gemacht..."
Jan seufzte schwer. „Nur weil du das gemacht, heißt das nicht, dass er es macht. Ihr spielt nicht Aug-um-Aug-Zahn-um-Zahn." Er strich mir sanft über den Kopf. „Ruf ihn zurück... er will sicher nur wissen, ob es dir gut geht."
Ich zögerte sichtlich und sah auf meine Hand, die mit dem Handy deutlich zitterte. Ich war nervös, stand aber auf, nahm mein Handy mit und ließ Jan alleine auf der Couch sitzen. Mein Handy wählte bereits seine Nummer, während ich mir immer noch über die feuchten Augen wischte. Im Gästezimmer warf ich mich auf die Schlafcouch und lauschte dem Klingeln. Fünf Mal, sechs Mal. Dann nahm er endlich ab.
Ich bekam kaum Luft, als ich seine Stimme hörte.
„Hey." Seine Stimme klang rau und kratzig.
„Hey..." Ich schluckte und eine lange Pause entstand. „Ich dachte nicht, dass ich heute noch von dir höre..."
Nick sagte einen Moment nichts. „Ja... Ich wollte mich eigentlich auch nicht melden... Tom hat... egal..."
Ich schwieg. Das saß und das hatte ich verdient.
„Nach gestern... Hast du wieder ---"
Ich wusste, was er fragen wollte und ich unterbrach ihn sofort. „Mir geht es gut. Ich habe nichts getrunken."
„Gut. Das ist gut." Er atmete geräuschvoll aus und klang so unglaublich nervös und angespannt. „Bist du daheim?"
„Nein, ich bin bei Jan."
„Oh", wieder wurde er still. „Dann..."
„Nick... das macht mir Angst...", flüsterte ich. „Dieses nervöse Schweigen..."
„Mir auch", gab er leise zurück. Ich hörte etwas rascheln und dann wieder Stille. „Ich wollte dir nur sagen, dass..." Seine Stimme zitterte. „Wir sollten nochmal in Ruhe reden..." Er stockte kurz. „ Über uns und wie es weiter geht. Weil... bis gestern war es für mich absolut keine Option. Schluss machen, meine ich... Schon gar nicht, nach dem, was du mir gestern erzählt hast." Er holte tief Luft. „Ich will das noch nicht aufgeben..."
Bis gestern. Bis gestern war es keine Option. Und heute? Meine Augen brannten. „Ja..." Ich konnte nichts dagegen tun, ich schluchzte leise auf. Das hätte er gestern sagen müssen. „Du hast mich rausgeworfen..."
„Du mich auch", sagte er leise.
Ich hielt inne. Das stimmte. Das hatte ich getan. Nicht nur einmal. Ich durfte ihm das nicht vorwerfen. Vermutlich hatte er einfach einen absoluten Overkill gehabt. War deshalb durchgedreht. Ich schluckte schwer. Ich musste weniger mich sehen. „Es tut mir leid. Ich hätte das nicht sagen dürfen..." Ich schwieg einen Moment. „Ich will nicht mit dir streiten, Nick."
„Das will ich auch nicht... es ist nur", ich hörte, wie er Luft holte, „sehr viel gerade."
Wem sagte er das? Ich hätte am liebsten laut aufgelacht. „Bekommen wir das hin?", flüsterte ich.
Nick schwieg einen Moment. Einen sehr langen Moment. Als er dann weiter sprach, klang seine Stimme fest und hart, als ob er einen Entschluss gefasst hätte, von dem ihm niemand auf dieser Welt würde abbringen können. „Ja", sagte er, „Komm heim, Pi..."
„Wie? Jetzt?"
Er zögerte einen Moment. „Jetzt. Komm nach Hause... Und lass den Scheiß mit deiner Wohnung... komm einfach heim..."
Ich setzte mich kerzengerade hin, weil ich zu verstehen glaubte, was er meinte. „In dein Spukschloss?"
Er lächelte, das hörte ich. Vorsichtig zwar, aber er lächelte. „Ja. Ich glaube, wir brauchen das beide. Komm nach Hause. Ich... bin da. Komm heim..." Dann legte er auf.
........
💕
Löst sich da ein Herzschlag?
Verdient Nicki sich damit ein Like?
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