Die DTA: 5 ~ Nick

Jan verließ die Küche und ging zum telefonieren auf den Balkon.

„Meinst du, seine Bekannte findet was raus?", fragte Julius.

Ich hatte keine Ahnung und ich wollte auch nicht darüber nachdenken, was passieren würde, wenn sie etwas herausfinden würde - oder wenn sie nicht. Ich war erschöpft und müde. Ich hatte seit Tagen nicht mehr geschlafen und ich wusste, dass ich es auch heute nicht tun würde.

„Schaffst du es hier alleine?", fragte Julius leise und begann, die Bierflaschen zusammen zu räumen.

„Ich bin groß...", sagte ich matt und half ihm.
„Ja, aber das meine ich nicht."

Das wusste ich. Ich hatte die letzten Nächte bei Becky und Tom geschlafen und wollte deren Gastfreundschaft nicht überstrapazieren. Becks würde über diesen Gedanken lachen, ebenso wie Tom, aber ich konnte nicht ewig bei ihnen bleiben.

„Du kannst bei mir pennen vorerst."

„Das ist nett." Ich lächelte knapp. „Ich muss alleine -- Vielleicht ist es gut, wenn ich..." Ich brach ab und schwieg. Vermutlich würde ich in der Nacht spätestens durchdrehen.

„Ruf an, wenn dir die Decke auf den Kopf fällt."

Halbherzig nickte ich und lief mit ihm zur Tür. „Danke, Jules..."

Er sah mich überrascht an. „Das hast du seit bestimmt zwei Jahren nicht mehr zu mir gesagt..."

Ich zuckte mit den Schultern. Stimmt. Fast zwei Jahre. Irgendwann nach Dis Tod hatte ich damit aufgehört. Seitdem war er nur noch Julius gewesen, nie wieder Jules. Mir war das um ehrlich zu sein nie aufgefallen, bis er es jetzt ausgesprochen hatte. „Ich komm klar, okay?"

„Okay. Bis dann." Er klopfte mir auf die Schulter und schloss die Tür hinter sich. Ich lauschte seinen Schritten im Treppenhaus nach und dem Rauschen in meinem Ohr. Wirkliche Stille hatte ich seit Tagen nicht erlebt - und wenn hatte das Rauschen alles überlagert. Es kam vom Stress. Ein Symptom. Ein körperliches Symptom mit dem ich auf den Stress reagierte. Das Rauschen im Ohr. Das Pochen im Kopf. Die Enge in meiner Brust. Je länger die Stille andauerte, desto schlimmer wurde es.

Froh, das Zuschlagen der Balkontür zu hören, riss ich mich los, und kehrte in die Küche zurück.

„Ist Julius schon gegangen?", fragte Jan und sah sich um.

„Er muss morgen früh in die Praxis." Julius war Physiotherapeut. Er mochte die frühen Tage, dann hatte er früher Feierabend und mehr vom Tag.

Jan legte den Kopf schief und sah mich eine Weile nachdenklich an. „Verstehe..." Dann schob er sein Handy in die Gesäßtasche seiner Jeans und stützte sich auf die Lehne den Stuhl vor ihm. „Hör mal, Nick..." Er holte tief Luft und schien seine nächsten Worte gut abzuwägen. „Ich muss dann bald heimfahren... aber ich hab ein bisschen Schiss dich hier alleine zu lassen."

„Ich bin okay", sagte ich, wie eben zu Julius, sah aber, dass Pis Cousin mir genauso wenig glaubte wie Julius, wenn nicht sogar weniger.

„Wem willst du eigentlich hier was beweisen, hm?", fragte er. „Mir? Ernsthaft?" Er lachte leise. „Oder dir selbst? Mir musst du gar nichts beweisen. Ich weiß ganz genau, wie sich das anfühlt am Boden zu sein." Er ließ die Lehne los und kam auf mich zu. „Ich hab alles gehabt, ich hab alles verloren. Ich war ganz ganz oben, ich war ganz unten, ganz ganz unten." Jan legte mir die Hand in den Nacken und lächelte mich knapp an. „Ich weiß wie es dir geht, Mann. Okay?"

Fuck. Wenn der mich weiter so ansah, würde ich zusammenbrechen. Richtig zusammenbrechen. Unsicher nickte ich.

Jan nickte ebenfalls, langsamer als ich. „Okay. Du musst dir jetzt gar nichts mehr beweisen, verstanden? Dir nicht, mir nicht. Es ist vollkommen okay, wenn es dir beschissen geht..."

Ich schloss die Augen. Spürte dem Brennen in meinen Augen nach. Fühlte das Zittern in meinen Muskeln und musste mich unwillkürlich etwas gegen Jans Hand lehnen um nicht umzufallen. „Ich dreh durch", flüsterte ich. „Ich dreh einfach durch..."

„Das darfst du... Das ist okay..." Jan umarmte mich. Fest, lange. Sehr lange. Und sehr fest. Genauso fest wie es in diesem Moment nötig war, um den Druck in meiner Brust zu mindern - zumindest für den Augenblick. „Damit du das kapierst: wenn ich dich frage wie es dir geht, dann sagst du mir die beschissene Antwort, okay? Ich habe meinen Abgrund gesehen und den meines besten Freundes. Ich habe Sophies Abgrund gesehen. Und ich sehe mir auch deinen Abgrund an. Hast du das verstanden?"

Ich rang nach Luft, schluckte den Kloß im Hals hinunter und nickte dann. Jan schob mich ein Stück von sich, bis ich ihm zwangsläufig in die Augen sehen musste. In die Augen, die denen seiner Cousine so ähnlich sahen. Sophies Augen. Aber ihre waren... Oh Gott, ich hoffte so sehr, dass ich noch einmal die Gelegenheit bekommen würde, ihr in die Augen zu schauen.

„Verstanden."
„Also: wie geht es dir?"
„Gott, verdammt beschissen."

Jan lächelte nachsichtig und trat einen Schritt zurück. „Kann ich dich alleine lassen oder muss ich mir Sorgen um dich machen?"

Ich schüttelte den Kopf. „Fahr heim. Fahr zu deiner Freundin. Ich werde ne beschissene Nacht haben. Wenn ich es nicht aushalte, fahr ich zu Becky oder Julius."

„Gut."
„Oder ich rufe dich an."

Jan lachte leise und tätschelte mir nachsichtig den Rücken. „Schick lieber ne Whatsapp... Anrufen kannst du ab morgen früh. Aber heute würde ich..." Er grinste schief. „ Nein, im Ernst. Ruf an, wann immer du willst. Ich melde mich bei dir, wenn ich was von Maica gehört habe. Und halt die Ohren steif, ja? Dreh nicht durch. Pi taucht wieder auf. Die ist taff..." Er atmete tief durch.

Kurz darauf war ich allein.
Zum ersten Mal seit Pi verschwunden war, war ich wirklich allein.


......

Heute nur ein kurzer Teil. 
Danke für eure ganzen Kommentare und Likes.  Ich bin überwältigt.  Wirklich... ihr haut mich einfach um...

DANKE!!!

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