Die Beichte: 6 ~ Nick

Gegen Mittag hielt ich es nicht mehr in der Wohnung aus und fuhr zu meiner Mutter nach Weinheim. Ich wusste, dass die Mädels zum Essen bei ihr waren. Eigentlich hätte ich Dienst gehabt, daher rechnete meine Mutter nicht mit mir. Sie kannte meinen Dienstplan. Aber ich arbeitete nicht im Moment. Wegen Pi. Wegen dem Vorfall neulich. Einen Bescheid wegen der Suspendierung hatte ich noch nicht. Im Moment war ich offiziell krank geschrieben.

Je näher ich Weinheim kam, desto flauer wurde das Gefühl in meinem Magen. Wenn Becky oder Tom es Mum nicht gepetzt hatten, stand die Beichte mit der Suspendierung noch aus. Außerdem wusste ich nicht, wie ich das mit Pi zur Sprache bringen sollte. Ob ich es überhaupt zur Sprache bringen sollte.

Vor allem hatte ich Lucy und Isa seit Mutters Geburtstag nicht mehr gesehen. Der Geburtstag war vor allem für Pi ein Desaster gewesen. Sie hat von meinen Schwestern ordentlich was einstecken müssen. Lucy und Isa konnten gemeine Hexen sein und sie waren an dem Abend in Bestform gewesen.

Noch ein verdammtes Problem mehr.

Ich parkte hinter Beckys Mini Cooper und atmete durch. Immerhin war Becky da. Schützenhilfe. Ich würde einfach die Klappe halten und trinken.

Ich stieg aus und klingelte. Es dauerte einen Moment bis meine Mutter öffnete. „Nicki?" Sie sah mich überrascht an. „Du hast doch Dienst!" Sie schloss mich in die Arme, jedoch nur kurz und musterte mich, nachdem sie die Tür hinter mir geschlossen hatte. „Spatz, du siehst furchtbar aus. Bist du krank?!"

Direkt in die vollen. War klar. Ich zog meine Jacke aus und folgte ihr ins Esszimmer. „Krank geschrieben", murmelte ich ausweichend und spürte ihren Blick auf ihr.

„Schatz..." Sie blieb stehen, bevor wir die anderen erreichten und machte Anstalten nach meiner Stirn zu fühlen, wie sie es als Kind immer bei uns gemacht hatte. Sie war Krankenschwester von Beruf und sah mich besorgt an.

„Mum, ich bin okay. Ich erzähl es dir später, ja? Aber nicht vor den anderen."

Sie legte ihre Stirn in Falten, nickte aber. „Und warum hast du deine Freundin nicht mitgebracht?", setzte sie direkt an. Ich hätte es wissen müssen. Ich spürte, wie mir schlecht wurde und meine Augen zu brennen begannen. „So ein reizendes Mädchen..."

„Mama...", setzte ich an und war froh und dankbar, dass Becky in genau in diesem Moment aus dem Esszimmer kam. Ich war kurz vorm losheulen.

„Nick", sie klang weniger überrascht als unsere Mutter. Sie sah meinen Blick, griff nach meinem Arm und umarmte mich fest, bevor ich irgendetwas sagen oder er tun konnte, das unangenehme Fragen aufwerfen konnte. „Gut, dass du da bist, kommst du einmal kurz mit in Papas Arbeitszimmer, ich muss was mit dir wegen der Stuhlhussen besprechen?" Damit griff sie fest nach meiner Hand und riss mich herrisch wie sie manchmal war mit sich.

Als sie die Tür hinter uns schloss sah sie mich nur an. „Ich hab kein Stuhlhussenproblem. Keine Angst." Sie lächelte nicht, sondern nahm besorgt meine Hand in ihre. „Alles klar bei dir?"

„Geht gleich..." Ich atmete tief durch. „Sie hat gefragt, warum ich Pi nicht mitgebracht habe...", flüsterte ich und lehnte mich gegen die Tür. „Was soll ich denn sagen?"

Becky seufzte leise. „Du sagst gar nichts..." Sie küsste mich sanft auf die Wange. „Wenn sie es noch mal anspricht, sprechen das Tom und ich an."

„Sind alle da?"

Becky nickte. „Ja, große Besetzung, aber Lea ist ohne Anton da." Sie reichte mir die Hand. „Komm. Wir versorgen dich jetzt erst mal mit einem Getränk. Und mit Getränk meine ich Alkohol."

Ich schloss die Augen und nickte. Die nächsten Stunden würden verdammt harten werden. Ein Drink würde wirklich helfen. Hätte ich die Wahl gehabt, hätte ich mich für Gin Tonic entschieden, ich wusste aber, dass Mutter keinen Gin im Haus hatte. Daher schenkte ich mir in der Küche großzügig Spätburgunder in ein Rotweinglas ein und betrat mit dem Glas in der Hand das Esszimmer.

„Hey", grüßte ich in die Runde und setzte mich auf den freien Platz neben Tom.

„Mama sagt, du bist krank geschrieben." Lucy musterte mich kritisch von oben bis unten. „So krank siehst du gar nicht aus."

„Hallo Lucy. Schön dich zu sehen." Ich lächelte sie übertrieben an und hielt ihr das Glas Wein zum Anstoßen hin. Dann trank ich ab. Mehr sagte ich dazu nicht. Allerdings lag mir eine bissige Bemerkung auf den Lippen. Oder zwei oder drei, die allerdings einen Streit heraufbeschworen hätten. Und Fragen nach Pi. Und dann würde es noch vor dem essen eskalieren, da war ich mir sicher.

Lucy funkelte mich angriffslustig an. Sie war noch sauer auf mich, das war mir klar. Nach Mutters Geburtstag hatte ich sie angerufen und ihr sehr deutlich gesagt, wie unmöglich ich ihr Verhalten Pi gegenüber gefunden hatte.

Ich trank vom Wein ab bis die Hälfte des Glases geleert war.

„Hier ist ja wieder ne Stimmung zwischen euch..." Unsere jüngste Schwester Lea rollte die Augen. „Könnt ihr euch nicht mal verhalten wie zivilisierte Erwachsene?"

„An mir liegt's nicht", murmelte ich und starrte das Glas an. Lucy war in den letzten Monaten ganz besonders unausstehlich gewesen. Wir vermuteten alle, dass es an ihrem Beziehungsstatus lag, der seit Jahren auf Single stand. Weil sie ein Biest war.

„Nikolas", sagte meine Mutter scharf aus dem Flur, „Sei nett zu deiner Schwester."

Ich wollte aus Reflex „Sie hat angefangen" sagen, weil das immer schon so gewesen war, aber ich verkniff es mir. Ich griff wieder nach meinem Glas, trank einen Schluck und wartete darauf, dass ich den Alkohol zu spüren begann.

„Jungs, ihr könntet mir mit dem Essen helfen! Zackig!"

„Ay, ay, Chefin!" Tom salutierte und stand auf. Meiner Mutter widersprach man nicht. Ich folgte ihm in die Küche und half ihm und meiner Mum das Mittagessen auf den Tisch zu stellen. Wie immer hatte sie viel zu viel gekocht. Gulasch, Nudeln, Salate für eine ganze Armee.

„Alles fit, Großer?", fragte Tom schließlich. Er klang beiläufig und entspannt wie immer, aber ich wusste, dass die Frage weitaus ernster gemeint war.

Ich lächelte knapp. „Ja. Alles klar soweit."

„Gibt es Neuigkeiten?"

„Noch nicht."

Tom nickte langsam und nippte an seinem Bier, während die anderen sich Essen auf schöpften und sich guten Appetit wünschten. Andreas Zwillinge Quentin und Quinn aßen im Wohnzimmer und sahen dabei fern.

„Was für Neuigkeiten?" Andrea, die älteste meiner fünf Schwestern, saß auf meiner anderen Seite und sah mich an. Ich stocherte in den Nudeln herum, bekam es aber nicht hin, sie mir in den Mund zu stecken.

„Nicki?" Lea sah mich an. „Du bist ganz blass."

„Lea, halt die Klappe", zischte Becky ihr zu.

Ich schluckte und ließ das Besteck sinken.

„Spatz?" Mutter hörte ebenfalls auf zu essen und plötzlich sahen mich alle an.

Ich schloss die Augen und holte tief Luft. Einen einfachen Weg würde es nicht geben. „Ich werde höchstwahrscheinlich wegen Körperverletzung vom Dienst suspendiert und Sophie ist seit letztem Dienstag verschwunden. Die Polizei ermittelt wegen mutmaßlicher Entführung. Prost." Damit setzte ich das Weinglas an, leerte es in einem Zug und schenkte mir großzügig nach, während mich alle - abgesehen von Becky und Tom - sprachlos anstarrten.

„Was?!"
„Sag das nochmal?"
„Bitte?"

Die Fragen, die dann über mich einbrachen, konnte ich allesamt nicht beantworten. Mir war der Hals wie zugeschnürt. Ich wusste, dass allen am Tisch der Appetit vergangen war. Sogar Lucy.

Ich trank meinen zweiten Rotwein in Rekordtempo und spürte danach endlich die Wirkung des Alkohols. Unter dieser gelang es mir dann auch die Fragen zu beantworten.

Ich hatte keine Ahnung, wo ich anfangen sollte. Also begann ich von vorne, auch wenn es mir schwer fiel. Von vorne. Bei meinem Streit mit Pi. Bei meiner Neugier wegen ihrem toten Pferd. Der Anforderung der Ermittlungsakte. Dem Streit deswegen. Von dem Einsatz, den Provokationen des Junkies, meinem Ausraster. Der Funkstille zwischen Sophie und mir. Und unserem Telefonat. Dem Verschwinden am vergangenen Dienstag.

Keiner von ihnen sagte ein Wort, nicht mal Lucy.

„Und da sagst du nichts..." Meine Mutter war die erste, die sich aus ihrer Schockstarre löste. Sie hatte Tränen in den Augen. „Nick, warum sagst du denn nichts?!"

„Mum, mach ihm keinen Vorwurf...", schob Becky ein.
„Wusstest du davon, Rebecca?!!"

Becky erwiderte ihren Blick fest. „Ja, wir wussten davon."

„Und du sagst auch nichts?!" Mutter klang verletzt. Sie war immer wie eine Löwenmutter für uns eingetreten. Ich verstand ihre Reaktion. Aber ich hatte nichts sagen können.

„Ja, ich habe nichts gesagt!" Becky funkelte sie zornig an. „Um ihn zu schützen. Und wir wissen auch alle, warum!"

Mein Ohr rauschte laut. Darunter mischte sich ein hochfrequentes Fiepen. Der Raum um mich herum begann sich zu drehen und der Sauerstoff wurde gerade verdammt knapp. Ich bekam kaum noch Luft.

„Wir sind seine Familie, Becky!", mischte sich jetzt Lea ein. „Wir müssen das doch wissen, wenn ihm sowas passiert!"

„Suspendierung wegen Körperverletzung", setzte Isa hinterher. „Das ist seine posttraumatische Belastungsstörung."

Mein Puls raste plötzlich. Ich hätte nicht herkommen dürfen.

„Und Sophie?", fragte Hendrik, Andreas Mann. „Ist sie wirklich entführt worden? Oder was ist da los?"

„Nick?"

Ich bekam keine Luft mehr. Das Fiepen im Ohr nahm Überhand.

„Nick! Kannst du mal bitte was sagen?!" Lucy starrte mich an.

„Nein." Ich schüttelte den Kopf, stand auf, nahm das Glas und die Flasche Wein und verließ Wortlos den Raum. Ich hielt das hier nicht mehr aus. Ich war froh, dass mir keiner folgte.

..........

Ja, bisschen trostlos alles im Moment, müssen wir durch...

Großartiges Familiesessen, oder? 🙄

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