Der rosa Elefant: 22 ~ Pi
Ich lag auf dem Deck eines Schiffs und das Schiff befand sich auf stürmischer See. Und mir war speiübel. Alles drehte sich und ich hatte das Gefühl, dass sich, sobald ich meinen Kopf auch nur einen Millimeter anheben würde, mein Innerstes nach außen stülpen würde.
Es war stockdunkel und ich hatte keine Ahnung, wo ich war. Mir war heiß und kalt zugleich und ich fühlte mich seltsam eingeklemmt und ich bekam kaum Luft und ich ---
Ich rang nach Atem. Vorsichtig, um nicht wegen der Übelkeit würgen zu müssen. Etwas drückte in meinen Magen und... Ich versuchte vorsichtig die Augen zu öffnen. Kein grelles Licht blendete mich und trotzdem erkannte ich einige Umrisse. Ich war auf keinen Schiff.
Langsam, sehr langsam, kehrte bruchstückhaft die Erinnerung zurück und ich erkannte auch, woher der unangenehme Druck in meinem Magen kam. Kraftlos schob ich den schweren Arm beiseite und das Gefühl der Übelkeit nahm ein wenig ab. Ein wenig nur. Schlecht war mir noch immer.
Nick neben mir rührte sich nicht. Er schlief tief und fest.
Mein Kopf dröhnte. Ich versuchte mich daran zu erinnern, warum zu Teufel ich so verkatert war. Ich hatte... Den Sekt getrunken... und Wein zum Essen und...
Nick drehte sich neben mir herum. Das Schiff schaukelte heftiger. Mein Magen rebellierte. Ich richtete mich auf. Scheiße. Mir brach der kalte Schweiß aus. Verdammt... Ich atmete tief durch und versuchte mich darauf zu konzentrieren, meinen Magen zu beruhigen. Aber es gelang mir nicht. Ich spürte, wie sich die Magensäure ihren Weg nach oben bahnte, sprang auf und rannte zum Bad. Ich würgte und würgte. Scheinbar ewig, bis ich das Gefühl hatte, meine halben Innereien im Porzellan verteilt zu haben. Mir ging es hundeelend.
Ich versuchte das leise Klopfen an der Tür zu ignorieren. „Pi?"
Seine Stimme klang gedämpft und besorgt. Ich stützte meinen Kopf auf mein Knie und stöhnte leise. Ich konnte ihm nicht in die Augen sehen. Nicht so. Auf gar keinen Fall - so dreckig, wie es mir ging.
„Bist du okay?"
„Hmhm...", machte ich und wusste, dass ich nicht mehr herausbringen würde, ohne etwas anderes herauszubringen.
Nick seufzte leise. „Ich mach jetzt die Tür auf, ja?"
„Nein, nicht..."
Ich hörte, wie er die Klinik hinunter drückte und die Tür leise aufglitt. Es war noch immer dunkel im Zimmer und ich konnte nicht sagen, wie lange ich mir wirklich die Seele aus dem Leib gekotzt hatte, bevor er aufgewacht war.
Nick kam hinein und sah mich neben der Toilettenschüssel kauern und rutschte mir gegenüber an der gekachelten Wand der Badewanne hinab und lehnte sich mit dem Rücken dagegen. „Wieso nicht?", fragte er leise.
„Mir geht's dreckig, ich will nicht..."
„... dass ich dich so sehe?" Er lächelte. „Du hast mich nach meinem Fahrradunfall gesehen? Und ich habe dich nach..." Er brach ab und schwieg. Ich wusste, was er meinte. Nachdem man mich gefunden hatte. Da hatte ich sicherlich schlechter ausgesehen und mich auch noch schlechter gefühlt.
Ich schloss die Augen. Eine weitere Welle der Übelkeit wogte über mich hinweg und ich stöhnte leise.
„Pi... Sophie..."
„Ich glaube, ich hab irgendein Essen gestern nicht vertragen..." Mein Magen zog sich wieder zusammen und ich erbrach mich erneut. „Man... ich hab keine Ahnung, was mit mir los ist..." Nicht mehr so heftig wie die Male zuvor und diesmal spürte ich warm und schwer Nicks Hand auf meinem Schulterblatt. Als ich mich beruhigt hatte und wieder saß, die Augen wieder öffnen konnte, hatte sich etwas in seinem Blick verändert. Er sah sehr viel angestrengter und ernster aus als eben noch, wenn das überhaupt möglich war. Er knetete seine Finger nervös in den eigenen Händen durch und murmelte ganz unverständliches Zeug zu sich selbst, das klang wie „ein rosa Elefant...".
Ich hatte keine Ahnung, von welchem rosa Elefanten er sprach.
Dann holte er tief Luft und lehnte seinen Kopf nach hinten gegen die Kacheln. „Pi... ich... denke nicht... dass etwas mit dem Essen war..." Er sprach seine Worte sehr bedächtig aus und seine blauen Augen ließen mich mit keiner Sekunde außer Acht.
Ich blinzelte. Mir wurde kalt.
Ein rosa Elefant.
Eiskalt. „Wie meinst du das?" Ich blinzelte sehr bewusst erneut und versuchte, mir nicht anmerken zu lassen, dass er mit einem Knüppel in ein Hornissennest geschlagen hatte.
„Wie ich es gesagt habe." Nicks Miene war vollkommen ausdruckslos. Zum ersten Mal, seitdem ich ihn kannte, hatte er ein richtiges Poker Face aufgesetzt. Ich konnte nicht sagen, was in ihm vorging.
„Und was soll das heißen? Willst du mir damit irgendetwas sagen?!", zischte ich – und mir war sofort klar, dass das ein Fehler gewesen war. Ich war sofort in die Verteidigung gegangen, ach was: in den Angriff. Obwohl es eigentlich gar keinen Grund dazu gab.
Nicks Haltung veränderte sich überhaupt nicht. Er blieb regungslos mir gegenüber sitzen und sah mich nur an. „Nein. Ich mache mir nur Sorgen um dich."
Ich starrte ihn an. Am liebsten wäre ich aufgesprungen, aber ich wusste, dass mein Kreislauf zusammengebrochen wäre und ich mich sofort erneut übergeben hätte. „Du musst dir aber keine Sorgen um mich machen."
Ich holte tief Luft. „Das sagst du... ich mache es aber trotzdem... weil du mir wichtig bist..." Er seufzte leise. „Und ich glaube, dir geht es nicht gut."
Ganz plötzlich sah ich wieder die Frau in Beige vor mir.
Sie sind wütend auf Ihre Eltern, weil da etwas ist, was noch tiefer sitzt als dieses Trauma.
Viel tiefer.
Daran sollte man in einer Therapie arbeiten. Intensiv arbeiten.
Das war mir jetzt wirklich zu blöd. Ich stemmte mich nach oben und stand auf. „Mir geht es blendend, Nick."
„Dir geht es nicht blendend."
Ich spürte, dass die Welt noch immer wankte und sich drehte, aber es ging. Ich drehte mich zum Waschbecken um und spritzte mir eiskaltes Wasser ins Gesicht und trank ein paar Schlucke Leitungswasser. Ich spürte der Flüssigkeit nach, bis sie auf meinen Magen traf und – alles okay. Dann drehte ich mich zu Nick um und sah ihn an. „Mir geht es wunderbar, Nick." Damit drehte ich mich um und verließ das Bad.
Ich würde mit ihm nicht darüber sprechen. Auf gar keinen Fall. Es sollte einfach so sein wie gestern. Einfach und unbeschwert. So, als wäre nichts passiert. Ohne Probleme. Und jetzt stellte er Fragen! Bohrte in dem Problem herum. Dem Problem, das ich nicht hatte. Denn ich hatte keins.
„Pi..." Er seufzte und kam mir langsam hinterher. „Das bringt doch nichts. Wenn ich was in den letzten Monaten gelernt habe, dass es nichts bringt, wenn..."
„Doch!" Ich sah mich im Dämmerlicht des Zimmers um und griff nach meinem Kleid. Als Nick bemerkte, was ich vorhatte, weiteten sich seine Augen.
„Nein, nicht..." Er schluckte. „Sophie, mach das nicht..."
„Du machst es kaputt, Nick!"
Er holte tief Luft. „Ich will gar nichts kaputt machen. Du läufst hier gerade weg."
„Ja, weil du mir hier ein Alkoholproblem unterstellst!"
Nick schluckte. „Das habe ich nicht gesagt... Das hast du gesagt."
„Aber du hast es gedacht!", zischte ich. Ich riss mir sein Shirt vom Kopf und schleuderte es ihm gegen die Brust. „Du bist mein Freund, verdammt!"
„Ja. Genau. Ich bin dein Freund, Pi. Und ich mache mir verdammt große Sorgen um dich. Weil ich glaube, dass du viel mehr trinkst, als dir gut tut."
„Na, danke." Ich stieg in das blaue Kleid, suchte mein Handy und meine Tasche. „Das war eine Party, Nick! Eine Hochzeitsparty, du Spaßbremse! Hast du mal bemerkt, wie voll dein Kumpel Julius war? Würde mich wundern, wenn der nicht genauso die Kloschlüssel umarmt hat."
Nick atmete geräuschvoll aus und raufte sich die ohne schon zerzausten Haare. „Pi, ich... lass uns da bitte in Ruhe drüber reden... bei 'nem Kaffee und ---"
„Nein!" Ich schüttelte vehement den Kopf. „Ich habe kein Alkoholproblem, Nick. Und da gibt es auch ganz sicherlich nichts zu bereden." Damit schob ich mich an ihm vorbei zur Tür.
„Sophie!"
„Nein!"
Sie wirken benommen, ihr Blick ist nicht klar.
Sie nehmen vermutlich Rauschmittel oder trinken.
Ich gehe davon aus, dass Sie kein Problem haben.
...........
Mama ist zurück. Habt ihr mich vermisst??
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