Der Galgen: 3 ~ Nick
Die nächsten Tage krochen dahin. Sie waren die Hölle. Die Nachricht, dass Pi verschwunden war, machte die Runde. Alle ihre Bekannten meldeten sich und fragten, ob sie etwas tun konnten. Irgendwann schaltete ich mein Handy aus, weil ich die Nachrichten nicht mehr ertrug.
Ich hatte mich krank gemeldet auf unbestimmte Zeit und Schrader hatte es durch gewunken – auch unter Angesicht der drohenden Suspendierung. Ich würde nicht dagegen vorgehen. Tom hatte versucht mit mir darüber zu sprechen, als Anwalt, aber ich hatte abgeblockt. Dafür hatte ich keinen Nerv. Schon gar nicht im Moment. Er akzeptierte das, schob mir am Tag darauf zwei Visitenkarten von traumaspezialisierten Psychotherapeuten zu. Ich ignorierte sie.
Pis Eltern zogen in ein Hotel in der Innenstadt. Sie sprachen mehrfach mit der Polizei, aber es gab keinerlei Spuren oder Ermittlungserfolge. Schließlich wandten sie sich an die Medien. Sie waren bereit alles zu tun, um ihre Tochter zurück zu bekommen. Wenn es eine Entführung war, gab es keine Lösegeldforderung: noch nicht. Letzteres hielten die Ermittler für verwunderlich, da die Familie mehr als vermögend war.
Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Am Ende der Woche, als es noch immer keine Neuigkeiten gab, fuhren Pis Eltern zurück nach Düsseldorf. Hier konnten sie nichts tu. Pis Mutter war fertig, ihr Vater resigniert. Ich konte nichts tun, um sie zu unterstützen und das machte mich fertig.
Ich wurde noch zweimal aufs Revier bestellt. Beim ersten Mal ging es um Routinefragen.
Beim zweiten Mal... wurde mir fast schlecht.
Ich saß im gleichen Büro wie bei den Befragungen zuvor, wieder saß mir Kommissarin Bernicke gegenüber, dieses Mal aber auch ihr Kollege Faller. Ein verschrobener, älterer Kollege mit speckiger Lederjacke und strengem Schweißgeruch.
Vor der Kommissarin lag die bisherige Ermittlungsakte und ein brauner Umschlag, ganz ähnlich demjenigen, in dem Carries Akte aus Düsseldorf geschickt worden war. Ich hatte keine Ahnung, was darin war.
„Herr Gehrig...", begann Bernicke und sah mich mit bohrendem Blick an. „Sie sind der Freund von Frau von Frankenthal?"
„Das habe ich bereits mehrfach zu Protokoll gegeben, ja."
„Und sie hatten unmittelbar vor dem vermeintlichen Tatzeitpunkt Streit?"
„Auch das habe ich zu Protokoll gegeben." Ich sah sie an und verschränkte die Arme vor der Brust. Ich hatte eine grobe Vorstellung, was als nächstes kommen würde und nahm es ihr vorweg: „Sie glauben doch nicht allen Ernstes, dass ich was mit der Sache zu tun habe?"
Sie lächelte mich kühl an. „Der Täter kommt meistens aus dem direkten Umfelds des Opfers."
Ich stöhnte genervt auf. Das konnte doch nicht wahr sein. Das konnte doch wirklich nicht sein. Wollten die mich unter Tatverdacht stellen? Dass ich meine Freundin... Das konnte doch nicht deren Ernst sein! Ich rieb mir die Stirn. Nervös fiel mein Blick auf den Umschlag.
Die Kommissarin bemerkte es ebenso wie meine offenkundige Nervosität. Berechnend und ohne eine Miene zu verziehen öffnete sie den Umschlag. „Sie wissen, dass die Spurensicherung die Wohnung ihrer Freundin untersucht hat."
Ich nickte. Immerhin das lief. Ich dachte an Pis Handy hinter der Tür. An den Dreckklumpen. Das Marmeladenglas. „Und?" Ich schluckte gegen meinen trockenen Hals an. „Haben die Kollegen etwas Interessantes entdeckt...?"
Ihr Lächeln verschwand. „Das kann man so sagen." Aus dem Umschlag zog die einen Plastikbeutel und schob ihn mir über den Tisch zu. Es dauerte einen Moment, bis ich erkannte, was es war.
„Wissen Sie, was das ist?"
***
Fuck.
Ich starrte den Inhalt der Tüte an und hoffte inständig, dass man mir nicht die Emotionen im Gesicht ablesen konnte, denn ich hatte kein Poker Face. Nie gehabt. „Ein Freundschaftsband."
„Und wissen Sie, wem das gehören könnte?"
Ich starrte auf das Freundschaftsband. Mo. Es gehörte Mo. Zumindest trug Moritz eines, das absolut identisch war. Wie kam dieses Band in die Beweismitteltüte? „Nein, keine Ahnung...", murmelte ich nachdenklich. „Aber ich überlege angestrengt..."
Sie lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. „Wir haben dieses Band im Eingangsbereich der Wohnung gefunden, neben dem Mobiltelefon ihrer Freundin." Der Klumpen Dreck. „Die Gewebeanalyse ergab neben einer Menge Erd- und Lehmanteile eine erfreuliche Menge DNS-Anteile und es hat förmlich geleuchtet, als wir es auf Blutrückstände untersucht haben."
Ich hörte ihr stillschweigend zu. Blutrückstände? Was zum... „Und Sie meinen, der Täter hat es verloren?" Ich musste mich zusammenreißen, um nicht durchzudrehen. Moritz? Blutrückstände?!
„Es wäre eine Möglichkeit."
Ich holte tief Luft und blies die Luft aus. Dachte angestrengt nach. Denk nach, Nick. Denk nach.
„Hat die Spurensicherung nicht auch solche Dreckspuren auf Pis Bett gefunden?", fragte ich und schob ihr die Tüte zurück. Das Freundschaftsband hatte der Täter nicht verloren. Da war ich mir sicher. Pi musste es gefunden haben. Damals. Auf Carries Koppel. Aber das konnte ich nicht sagen.
„Wollen Sie uns erklären, wie wir unseren Job zu machen haben, Herr Gehrig?"
Ich sah sie einen Moment zu lange an. „Wenn es nötig ist?"
„Herr Kollege, machen Sie mal langsam, ja?"
Ich sah sie wütend an. „Die Spuren auf dem Bett und von dem Freundschaftsband? Sind die identisch? Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Täter das Zeug erst mal überall verteilt? Das ist doch Schwachsinn." Ich sah sie an und schüttelte den Kopf. „Schwachsinn..."
„Und Sie haben eine bessere Theorie, ja, Herr Gehrig?"
Ich starrte auf das Freundschaftsband. Dachte an Pi. Ihre aufgeregte Stimme am Telefon. Kannst du bitte vorbeikommen. Sofort? Dachte an das Gespräch mit Jan, Becky und Tom, als ihr Cousin von ihrem Besuch in Frankfurt erzählt hatte. Wie Pi abwesend auf seiner Couch gesessen hatte und wieder und wieder nach etwas gegriffen hatte. Nach etwas kleinem, unbestimmtem. Wie nach einem... Stein. Oder einer Kugel Matsch... oder Dreck... Aber das war verrückt...
Was, wenn sie das Band wirklich auf der Koppel gefunden hatte? Was, wenn...
Sie hatte mir mal erzählt, dass Moritz ihr Band hatte, weil er seines verloren hatte...
Mein Kopf pochte.
Mein Ohr rauschte.
Moritz.
Ich dachte an den Abend im Biergarten. Als sie mir von ihrem Streit erzählt hatte, der komischen Stimmung zwischen ihm und ihr. Dass sie das Gefühl, dass etwas zwischen sie geraten war. Dass sich etwas verändert hatte. Das Gefühl hatte ich auch. Ich glaubte, dass ich es war. Dass er nicht mit mir klar kam. Dass er insgeheim in Pi verliebt war. Pi hatte das mit einem Lachen abgetan. Gesagt, dass das verrückt war. Aber so, wie er sie manchmal ansah?
Moritz hatte sein Freundschaftband verloren.
Vor mir lag eines, das dem um sein Handgelenk bis ins Detail glich.
Dreckverkrustet.
Blutgetränkt.
Mit DNS-Rückständen.
Scheiße.
Ich schloss die Augen.
„Moritz Meier. Sie sollten mit Moritz Meier sprechen."
..........
Hat unser Lieblingspolizist etwa gerade Pis besten Freund der Polizei ausgeliefert? 😱
In dem Sinn: scheiß drauf, es ist Samstag 🎶💕🤘
Alle Lücken sind zu, Block 1 ist abgeschlossen, die ersten 140 Seiten stehen. Gut, dass schon Mai ist, oder? Total verrückt, wie das gerade läuft. Ich werfe den Luxus-Körper zurück in die Sonne! 🌞
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