Das Verschwinden: 1 ~ Nick

Als ich zehn Minuten später zurückkam, saß Becks auf der Couch und lächelte mich aufmunternd an. Ich musste miserabel aussehen.

„Ja", hörte ich sie sagen. „Das kenne ich gut. Wir waren da auch schon. Ihr solltet euch die Südküste vornehmen, die ist im Herbst wundervoll." Sie winkte mich näher. Mit der Hand griff sie sich in das gewellte, feuerrote Haar, das sie von unserem Vater geerbt hatte und lehnte sich entspannt zurück. „Ich reich dich weiter... vielleicht bis bald, Jan." Damit hielt sie mir lächelnd mein Handy hin.

Auf der Kennung stand Jan von Frankenthal. Er hatte zurückgerufen. Pis Cousin. Mein Herz schlug mir bis zum Hals, als ich das Handy ans Ohr nahm. Der Kloß in meinem Hals schnürte mir den Hals zu, meine Stimme fühlte sich heiser an und ich hatte Angst, keinen Ton heraus zu bekommen. Irgendwie war ich dankbar, dass er als erstes sprach.

„Hey Nick." Seine Stimme klang anders, als ich sie mir vorgestellt hatte. Sie war dunkel und ein wenig rau. So, wie er meinen Namen betonte, glaubte ich eine gewisse Schärfe herauszuhören.

„Hallo."

„Was kann ich für dich tun?"

Ich fand keinen Anfang. Ich hatte keine Ahnung, was Becky erzählt hatte und sah sie hilfesuchend an. Sie zuckte nur mit den Schultern. „Ich bin..."

Pis Typ. Das hat Becky erzählt, ja. Der Polizist. Der die Scheiße mit Carries Akte gebaut hat."

Entsetzt starrte ich Becky an. Das hatte sie ihm garantiert nicht erzählt. So besorgt, wie sie mich gerade ansah, während mir alle Farbe aus dem Gesicht wich, hatte sie das sicher  nicht gesagt.

„Pi war heute Morgen hier", sagte er noch und schwieg dann. Es war ein zähes Schweigen und es dröhnte in meinem Kopf.

„Heute Morgen", echote ich dumpf. Mein Herz schlug schneller. „Sie war heute Morgen bei dir...?"

„Hab ich eben gesagt, ja." Jans Stimme klang jetzt vorsichtiger. „Was ist hier eigentlich los?"

Und dann platzte es aus mir heraus. Dann erzählte ich Sophies Cousin die ganze Geschichte nach meiner Schwester ein zweites Mal. Und als ich geendet hatte, schwieg Jan von Frankenthal eine ganze Weile bis er leise sagte: „Schick mir die Adresse deiner Schwester. Ich in einer Stunde bei euch."

***

Anderthalb Stunden später saßen wir zu viert um Beckys Küchentisch. Becky, ihr Verlobter Tom, Jan und ich. Jan war etwa so alt wie wir, etwas älter als ich, etwas jünger als meine Schwester. Groß, dunkle Haare, diese blauen Augen, die ich von Pi kannte. Unter seinen Augen lag ein dunkler Schatten, auf seiner Stirn eine tiefe Sorgenfalte.

„Ich hab auf der Fahrt hier runter telefoniert. Sie ist nicht in Stuttgart bei Basti und auch nicht auf dem Weg nach Düsseldorf. Ihre Eltern sind auch nicht hier bei ihr. Ihre Schwester ist auf Klassenfahrt in Kopenhagen." Jan seufzte leise und trommelte nervös mit den Fingern am Rand seines Glases herum.

Tom nippte an seinem Rotwein und sah Jan lange an. Er war, auch wenn er mit seinem Kraftclub-Tour-Shirt, den bunten Sneakern und der Skateboard-Sammlung an der Wand nicht so aussah, Anwalt für Strafrecht. „Erzähl nochmal, warum Pi bei dir in Frankfurt war."

„Um sich über deinen Schwager in spe auszukotzen." Er warf mir mit hochgezogenen Augenbrauen einen vielsagenden und feindseligen Blick zu. „Er hat echt Scheiße gebaut."

Tom rollte die Augen. „Jungs. Wenn ihr echt ne Vermisstenanzeige aufgeben wollt, haut alles raus und keine kryptische testosteron getränkte Kacke."

Jan sah mich einen Moment durchdringend an, seufzte dann schwer und wandte seinen Blick Tom zu. Ich atmete innerlich auf. „Pis Pferd ist vor drei Jahren von nem Pferderipper umgebracht worden, sie hat es gefunden. Nick hat ihr versprochen, die Finger von irgendwelchen Nachforschungen zu lassen, hat das Versprechen gebrochen, von der Kripo Düsseldorf die Akte angefordert und Pi hat die Akte gefunden." Jans Blick bohrte sich regelrecht in mich hinein. Dass er nicht gehässig grinste und „Ha!" machte, war alles.

Tom sah mich verblüfft an und ich hob abwehrend die Hände. „Ja, ich weiß, das war dumm."

Beckys Verlobter stöhnte. „Milde ausgedrückt."

„Sehr milde", setzte Jan hinterher.

Ich weiß es", gab ich bissig zurück.

„Jungs!" Becky schenkte sich Wein nach.

Tom sah mich an. „Warum?"

„Ich weiß nicht. Neben Dummheit vor allem Neugier... und ich hatte Angst, sie zu fragen wegen Di."

Tom stutzte, nickte aber verstehend, während Jan fragte: „Di?" und wir drei nur sagten: „Unwichtig."

„Also war Pi da, um sich auszukotzen?", wiederholte Tom und schwenkte das Rotweinglas in seinen Händen.

Jan beobachte ihn dabei bedächtig und schien nachzudenken. Er fuhr sich über das Kinn und schloss für einen Moment die Augen. „Sie war aufgelöst... und wütend. Diese Sache mit Carrie... Das war schlimm. Das war das Schlimmste, was ich je gesehen habe." Er schien plötzlich sehr weit weg mit den Gedanken zu sein. „Ich war mit ihr an dem Tag verabredet. Ich war damals beruflich in den Staaten und nur kurz in Deutschland und wollte Pi mal wieder reiten sehen. Ich wollte mit ihr ein bisschen Parcours springen und sehen, wie die zwei sich so gemacht hatten. Ich war schon in der Halle, hatte alles vorbereitet, aber sie kam nicht. Ich hab sie dann gesucht, sie war aber nicht im Stall... und dann bin ich raus zu den Koppeln. Als ich sie---" Er brach ab. Jan schloss die Augen und atmete tief durch. Sehr tief. Seine Unterlippe zitterte kurz, doch er hatte sich wieder schnell im Griff.

Ich hatte in der Akte gelesen, dass er sie gefunden hatte. Ihn zu sehen, wie er davon sprach, war etwas ganz anderes als es zu lesen.

„Es war schlimm. Es war richtig schlimm. Pi hat das nie verarbeitet. Diese Sache mit Carries Tod ist für sie ein Sakrileg. Sie spricht da nicht drüber. Nie. Mit niemandem. Dass sie es dir erzählt hat, dass sie es dir anvertraut hat, ist der größte Beweis ihres Vertrauens, den sie hat. Und du hast ihn kaputt gemacht."

Seine Worte trafen mich hart. Richtig hart und das wusste er.

So klar war es mir nie gewesen. Vielleicht schon, mit Diana ging es mir ja ähnlich. Aber es von ihm gesagt zu bekommen zeigte mir erst, wie große Scheiße ich wirklich gebaut hatte. Ich fühlte mich hundeelend.

„Als Pi bei mir war...", Jan zögerte, „Sie war plötzlich... ich nenn es mal... komisch. Sie wurde... seltsam... griff ständig ins Sofa." Er griff mit der Hand auf die Tischplatte, um uns zu zeigen, was er meinte. Als ob er nach etwas Unsichtbaren greifen würde. „Sie schien sich an etwas erinnern zu wollen. Als ob da ein Gedanke war, der in ihrem Kopf reifen wollte, aber sie bekam ihn nicht zu greifen. Und dann hat sie plötzlich gesagt: sie hat noch gelebt. Voller Überzeugung. Ich hab keine Ahnung, was sie damit gemeint hat." Dann sah er mich an. „Sie hat gemeint, du wärst der festen Überzeugung, dass irgendetwas faul an dem Fall sei. Das irgendetwas nicht stimmen würde."

Ich zuckte mit den Schultern. „Das ist auch nur ein Gefühl. Der Fall ist so... glatt. So kantenlos."

Er schwieg einen Moment. „Und plötzlich ist sie aufgesprungen, wie von der Tarantel gesprungen, und hat gerufen, sie müsse zurück nach Heidelberg und ist aus der Wohnung gestürmt."

Tom sah auf seine Armbanduhr. „Um wie viel Uhr war das?"

Jan dachte nach. „Boah, keine Ahnung. Ich wollte was zu essen machen. Vielleicht um eins?"

Mein Schwager sah mich an. „Wann hast du sie angerufen?"

Ich blätterte im Gesprächsprotokoll meines Handys und schloss die Augen. „15 Uhr 18."

Jetzt war es fast halb zwölf nachts.

Ich sah Jan an und er mich. Tom schwieg.

„Und jetzt?", fragte Becky.

Weil weder Jan noch ich etwas sagten, stand Tom auf. „Wir teilen uns auf. Du und Becky fahrt zu Pis Wohnung, ich und Jan zu dir. Wenn sie da nicht ist, treffen wir uns am Revier."


.......

Schon wieder Samstag 😎🌞 verrückt... oder?

Im Ernst: ich komm gut voran, hab noch zwei Teile Vorsprung, dann klafft allerdings eine eklatante Lücke. Solange tue ich so, ob schon Mai ist... oder eben Samstag 🤷‍♀️😅

Wer kreischt als erstes?

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