Das letzte Einhorn: 18 ~ Nick

Mein Kopf steckte in einem Schraubstock. In einem unnachgiebigem Schraubstock. Es fühlte sich an, als ob jemand immer fester und heftiger die Stellschraube zuzog. Als ob mein Kopf platzen würde. 

Die halbe Nachte hatte mein Körper gegen den Alkohol angekämpft. So elend war es mir noch nie gegangen. Mittlerweile ging es wieder, aber mir war noch immer schlecht. Die Helligkeit des Morgen ertrug ich nicht, sie verstärkte nur die Kopfschmerzen und machte, dass ich mich weiter übergeben wollte. Trotzdem schleppte ich mich irgendwie in die Küche.

"Na, Engelchen?", flötete Julius. "Ausgeschlafen?" Er lehnte lässig am Kühlschrank und trank einen Kaffee, de er sich selbst gekocht hatte.

Ich stöhnte verhalten und kämpfte gegen die aufsteigende Übelkeit an als ich den Geruch des Kaffees wahrnahm. 

"Harte Nacht?", fragte er und feixte. 

"Warum fragst du eigentlich?", gab ich gepresst zurück und sank matt auf einen der Küchenstühle. Ich war fix und fertig. Von der Nacht. Vom Abend. Von den Wochen davor. Es war mir unangenehm, dass er immer noch hier war. Dass er mich nicht nur heim gebracht hatte, nachdem ich mich im Wunder so daneben benommen hatte, sondern dass es auch noch nötig gewesen war, dass er mir beim kotzen in der Nacht die Haare zurück hielt wie einer fünfzehnjährigen auf einem Volksfest. 

"Weil ich kurz davor war die 112 zu rufen." Er schüttelte langsam den Kopf. "Nick, ehrlich: das war zu viel. Das war echt zu viel."

"Ich weiß."
"Du hast echt übertrieben."

"Ich weiß."
"Du hast dich verhalten wie ein Arschloch."

"Ja... weiß ich."

"Gut." Er musterte mich gründlich. "Das war echt nicht gut. Diese Aktion gestern." Julius sah mich schweigend an und ich erkannte den dunklen Schatten in seinem Gesicht von dem Schlag, den er von mir abbekommen hatte. Zumindest hatte er mir das irgendwann gestern gesagt, als ich etwas nüchterner gewesen war. "Sagst du jetzt noch was wie nie wieder Alkohol?"

"Sollte ich wohl...", murmelte ich und spürte wieder Galle in mir hochsteigen, kämpfte das Gefühl aber hinunter. "Das war echt ein Fehler gestern..." Ich legte den Kopf auf den Tisch und schloss die Augen. "Warum mache ich das nur? Diese ganzen Fehler in letzter Zeit? Kannst du mir das erklären, Jules?"

Julius zuckte mit den Schultern und trank weiter seinen Kaffee. "Überlastung. Stress. Schlechte Traumabewältigung, Überforderung, ein schlechtes Ventil." Er musterte mich. "Du solltest vielleicht besser wieder mehr Sport machen. Vernünftigen Sport. Nicht dieses kopflose Zeug, das du gerade machst mit der Lauferei. Wieder mehr Ju-Jutso meinetwegen. Ordentliches Krafttraining - ohne dich kaputt zu machen. Geh Boxen meinetwegen. Aber was auch immer du machst: mach es mit nem guten Trainer, der dir sagt, wann Schluss ist und hör auf den."

Ich hob kurz den Blick. Mir war schlecht und ich war müde. Unfassbar müde. Mir war hundeelend zu Mute. "Sie hat Schluss gemacht", sagte ich leise.

"Sie hat dir gesagt, sie braucht Abstand und Zeit." Julius atmete tief ein. "Das heißt nicht automatisch, dass es aus ist."

"Julius..." Ich schloss die Augen wieder. Wir wussten doch beide, was Zeit und Abstand für Synonyme waren. Auch, wenn Moritz gestern etwas anderes gesagt hatte zumindest erinnerte ich mich vage an so etwas.

Er sagte nichts. Ich hatte den Jungs von dem Telefonat erzählt. Dann hatte ich mich abgeschossen. Richtig abgeschossen. Ich hatte keine Ahnung, wann ich jemals in meinem ganzen Leben so betrunken gewesen war. Vermutlich nicht mal am Abiball. "Sie liebt dich", sagte er.

Ich sagte nichts. Ich liebte sie. Sehr. So sehr, dass es mir seit gestern fast das Herz beim Gedanken daran in zwei riss. "Ja... vielleicht. Trotzdem tut sie das..." Ich vergrub meinen Kopf unter meinem Arm und seufzte schwer. Heul nicht wieder los. Das hatten wir doch alles heute Nacht schon. Als ich mir sicher war, dass ich nicht losheulen würde, richtete ich mich auf und sah ihn an. "Ich weiß, dass sie jede Recht auf Abstand hat. Und dass sie den auch braucht. Und ich will ihr den auch geben... Boah, aber das tut echt scheiße weh..." Ich legte den Kopf in den Nacken. "Man, ich liebe sie wirklich. Ich hätte nie gedacht, dass ich diese Frau in so kurzer Zeit so sehr in mein Herz lassen werde..."

Julius die Schultern sinken. "Ja... kenne ich...", murmelte er und stellte die Kaffeetasse weg. Bevor ich reagieren konnte sagte er: "Pi ist ja auch ne Hammergranate."

Kurz überlegte ich, ob ich ihn nach Hannah fragen sollte, was da im Moment Phase war, aber sein Blick war verhangen und ich glaubte nicht, dass er mir irgendeine richtige Antwort gegeben hätte. Also sagte ich nur: "Das ist sie..." 

Julius räumte den Kaffeebecher in die Spüle und sah mich an. "Ich lass dich jetzt allein, okay? Wenn was ist, ruf an."

Ich nickte müde. "Ich bin wieder klar im Kopf. Ich glaube, das war der Dämpfer, den ich gebraucht habe. Mehr bergab geht nicht mehr..." So fühlte es sich im Augenblick jedenfalls an. Ich musste mich wirklich wieder fangen. So konnte das nicht weiter gehen. Ich war so nicht. Ich trank nicht. Ich war verlässlich. Ich war eine Bank. Immer schon gewesen. Im Moment traute ich mir selbst nicht über den Weg.

"Ich hoffe es..." Julius lächelte vorsichtig. "Rede am Dienstag bei der Therapie über das was gestern passiert ist.  Schweig es nicht tot, ja?"

Ich wollte seinem Blick ausweichen,  schaffte es aber nicht und nickte. Das sollte ich vielleicht wirklich tun.

***

Das Stechen in meinem Schädel wurde nicht besser und ich griff schließlich nach zwei Aspirin und einer Elektrolytlösung. Danach ging es mir allmählich besser, auch nachdem ich auf einem trockenen Brötchen herumgekaut hatte und meinen Kreislauf etwas in Schwung gebracht hatte.

Am Nachmittag ging ich eine Runde Fahrrad fahren und endete bei Becky und Tom und kroch vor allem bei ihm zu Buße. Ich entschuldigte mich ungefähr hundert Mal, dass ich mich so daneben benommen hatte. Wir saßen bei den beiden auf der Dachterrasse, Tom trank einen Konter-Gin-Tonic, mir wurde allein beim Gedanken daran schlecht.

"Entspann dich, Nicki", Tom lehnte sich entspannt zurück. "Ich hatte einen super Tag. Och war ein Einhorn!"

"Ich hab's versaut."

"Quatsch." Er schüttelte vehement den Kopf. "Kasteie dich nicht so selbst. Du hattest einen Scheißtag. Ja. Du hast die Kontrolle verloren, okay. Das ist uns allen schon mal passiert."

Ich starrte in meine Cola. "Ich verliere die Kontrolle aber ziemlich oft in letzter Zeit."

"Ja. Stimmt." Tom leerte den Gin Tonic und sah zum Wohnzimmer, wo Becky irgendwelche Bastelarbeiten für die Hochzeit fertigstellte. "Hör mal, du arbeitest daran. Du hast dir Hilfe geholt. Es konnte gestern ja keiner wissen, dass Pi dich anruft und du so eine Nachricht bekommst..." Er zog ein Bein an und kratzte sich das Kinn. "Du bist mein Freund. Du bist der Bruder meiner Freundin. In ein paar Wochen bist auch mein Bruder. Du bist Familie für mich - und für meine Familie mache ich alles, das weißt du."

"Tom..."

"Nein, lass mich ausreden. Bitte. Dir ist das alles in den letzten Wochen passiert und dann kam das gestern noch dazu. Nick: das ist so viel wichtiger als ein beschissener JGA. Wenn es darum geht, mit den Jungs zu feiern und ne gute Zeit zu haben, das kann ich an jedem x-beliebigen Wochenende haben." Er atmete schwer durch. "Aber dass du wieder auf den Füßen stehst... das ist so viel wichtiger als Paintball spielen im Einhorn-Kostüm. Den Tag hast du mir auf alle Fälle nicht versaut. Okay?"

Ich schluckte den Kloß im Hals hinunter und nickte. "Okay." 

"Dann ist das ja geklärt."

Ich hörte Schritte hinter uns. "Bist du wieder nüchtern, kleiner Bruder?"

"Musstest du ihr das erzählen?"

Tom hob abwehrend die Hände. "Ich hab die Klappe gehalten. Das Leck ist an einer anderen Stelle."

Ich stutzte kurz.

"Lea." Becky setzte sich auf die Lehne von Toms Loungesessel und sah mich an. "Anton hat es ihr erzählt."

Ich stöhnte auf. "Oh Gott... Ihr seid so furchtbar. Hat sie dir wenigstens privat geschrieben geschrieben oder in eurer Menstruationstassengruppe gepostet?"

Becky sah mich irritiert an. "Woher weißt du von den Menstruationstassen?"

"Ach komm schon, Becky! Nur weil ich euer Bruder bin heißt das nicht, dass ich blöd bin." Ich verdrehte die Augen. "Auch ich habe ein gutes Netzwerk von Spionen in dieser Familie."

"Ich bin dein Netzwerk. Aber ich habe dir das nie erzählt."

"Tja." Ich lehnte mich zurück und lächelte wissend. Der Knoten in meiner Brust lockerte sich ein wenig.

Solange ich Menschen wie Becky, Tom und Julius in meinem Leben hatte, würde ich das überstehen. Solange ich auf Menschen wie sie zählen konnte, würde ich mein Leben wieder auf die Reihe bekommen. Ich würde  vielleicht auch die Sache mit Pi wieder auf die Reihe bekommen. Vielleicht... wenn sie wirklich nicht Schluss gemacht hatte, wie Julius gesagt hatte.

Ich brauche Abstand. Und du auch.

Vielleicht stimmte das auch. Vielleicht musste ich auch durchatmen. Ohne sie. Auch wenn sie mir fehlte und mir dieses Gefühl die Brust zerriss.

Sie würde ihre Zeit bekommen.
Und ihren Abstand.

Weil ich sie liebte.

So schwer mir das auch fallen würde.



...........

Ha!!!!
Ich hab den Teil im Urlaub mit dem Handy getippt! Deshalb garantiere ich nicht für Rechtschreibfehler!

Der nächste Teil liegt zuhause auf dem Rechner, der kommt dann Sonntag 😍🎉 

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