Das letzte Einhorn: 18 - Nick

„Die Trauzeugin hat nichts mehr zu trinken!" Marcel schwenkte schon zum wiederholten Mal diesen pappsüßen Einhornlikör herum und schenkte allen nach.

Ich hob abwehrend die Hände. „Ich setz ne Runde aus", murmelte ich und suchte nach einer weiteren Ausrede. Marcel war mittlerweile so voll, dass ihm das aber egal zu sein schien.

„Du willst nur fürs Schießen alle Sinne beieinander haben." Tom grinste und sein pinkfarbener Einhornhaarreif wippte dabei.

„Klarer Wettbewerbsvorteil!", rief sein Kollege Yasin.

Ich sah ihn schief von der Seite an. „Den hätte ich auch, wenn ich mit blind schießen würde."

„Oho, da klopft er aber große Sprüche!" Julius lachte.

Wir waren zu zehnt auf dem Weg zum Paintball spielen. Toms Junggesellenabschied. Richtig Laune hatte ich immer noch nicht, daran hatte sich in den letzten zwei Wochen nicht viel geändert, aber die Jungs hatten sich Mühe gegeben bei der Planung und die Stimmung war gut, obwohl das Programm nur reduziert stattfinden würde. Tom hatte darauf bestanden.

Toms Trauzeuge war sein Bruder Max. Max war vier Jahre älter als Tom und ganz in Ordnung. „Du weißt, wer solche Sprüche klopfte, muss Taten walten lassen..." Max grinste.

Ich zuckte mit den Schultern. Inga und ich hatten das früher immer mal versucht. Blind zu schießen. War eine Konzentrationssache. Müsste funktionieren. Ich war mir allerdings nicht sicher, wie das mit einem geliehen Paintballmarkierer funktionieren würde.

Anton schüttelte stillschweigend den Kopf und nippte an seinem Bier. Er war der Freund meiner jüngsten Schwester Lea. Die anderen Jungs lachten und drehten die Musik lauter.

„Lass dich nicht aufstacheln", sagte Tom dann. „Ruhe in dir selbst, Peter Parker. Aus großer Kraft folgt große Verantwortung."

Ich sah Tom irritiert an. „Ist es nicht ein bisschen früh für Alkohol-Weisheiten?"

„Für Marvel-Weisheiten ist es nie zu früh." Tom grinste schief. „Alles gut, Digga?"

Er rutschte neben mich auf den Sitz im Zugabteil und tätschelte mir den Oberschenkel.

Ich lächelte. „Weißt du, was mir am meisten Angst macht? Wenn ich nicht mehr dagegen ankämpfen kann und total die Kontrolle verliere, dann... genieße ich das."

Tom sah mich einen Moment irritiert an, dann lächelte er. „Alter... wenn ich so darüber nachdenke: ja, du bist in letzter Zeit wirklich viel zu oft der Hulk gewesen."

„Du hast mit den Marvel-Zitaten angefangen." Ich wackelte mit den Augenbrauen. Allerdings wussten wir beide, dass das Filmzitat ein bisschen zu gut auf mich selbst passte. „Nein, mir geht es gut."

„Wirklich?" Er schlug die Stirn in Falten und sah mich forschend an. „Becks macht sich Sorgen."

„Es ist dein Tag, Tom." Ich schnippste gegen den Einhornhaarreif und grinste. „Ich werde einen Teufel tun und dir davon erzählen heute."

„Kannst du aber."
„Will ich aber nicht." Ich zwinkerte ihm zu.

Tom legte den Kopf schief und sah mich eine Weile an. „Wie geht es ihr?", fragte er dann leise und griff in Julius Rucksack nach zwei Bier.

Ich seufzte leise. Ich wollte heute nicht mit ihm darüber sprechen. Wirklich nicht. Ich hatte das Gefühl, dass wenn ich darüber sprechen würde, ich etwas herbeirufen würde das ich nicht herbei rufen wollte.

Wie bei Fluch der Karibik. Calypso.

„Ich denke gut...", murmelte ich und sah aus dem Zugfenster.

„Eine Station noch, Reisegruppe Einhorn!", rief Max.

Tom hob kurz den Kopf, sah dann aber wieder zu mir. „Denkst du. Redet ihr?"

„Jeden Abend im Moment..."
„Wow. Das ist gut..."

War es das? Ja. Vermutlich war es das. Wir telefonierten jeden Abend. Jede Nacht. Trotzdem konnte ich nicht sagen, wie es ihr ging. Wir sprachen über alles. Aber nicht über sie. Nicht über das, was passiert war. Nicht darüber, wie es ihr ging. Nicht darüber, wie es ihr in Düsseldorf ging. Nicht darüber, wie sehr sie mir fehlte. Nicht darüber, dass... Diese Distanz machte mich fertig. Aber wir redeten. Jeden Abend. Und das war gut. Oder nicht? Ich wusste es nicht.

„Und die Sache mit der Wut?", fragte er.

Zweimal wöchentlich ging ich zur Therapie. Keine Ahnung ob das was brachte. Aber ich ging hin. Ich zuckte mit den Schultern und hielt ihm das Bier hin. „Ich bin Bruce Banner. Ich ruhe in mir."

Tom zog eine Augenbraue hoch. „Klar. Bis dir Julius einen Treffer beim Paintball verpasst und du zum Hulk mutierst."

Ich lachte trocken. „Ja. Vermutlich. Aber ich werde Daredevil-mäßig blind durch das Unterholz schleichen und euch pulverisieren."

„Bis du Daredevil-mäßig stolperst – über deine eigenen Füße und dir wieder weh tust", hörte ich Julius sagen. „Pass auf deine Schulter auf, Mr. Glass..."

„Oh, jetzt taucht ihr aber ab in die Untiefen der Superheldenfilme..." Anton rutschte zu uns auf. Anton war eigentlich ein eher ruhiger Typ. Ich hatte bis jetzt nie mitbekommen, dass er wie Tom auch auf Marvel stand.

„Was ist mit deiner Schulter?", fragte Tom. Unwillkürlich rieb ich die Schulter, obwohl die Beschwerden in den letzten zwei Wochen viel besser geworden waren.

Julius grinste. „Um es in euren Worten zu sagen: Bruce Banner hatte den Hulk nicht mehr im Griff." Er hielt uns die Bierflasche zum Anstoßen hin.

Ich setzte gerade an, um etwas zu erwidern, aber zum einen hatte Julius recht und zum anderen rief Max: „Reisegruppe Einhorn: Aussteigen!!"

Auf dem Bahnsteig kümmerte sich Marcel um eine weitere Runde Schnaps – diesmal kam ich nicht drum rum. Und nach 20 Minuten Fußmarsch und zwei weiteren Schnapsstops kamen wir an der Paintballanlage an.

Abgesehen von unserem Küken Anton hatten wir alle schon einmal gespielt und die Einweisung fiel entsprechend kurz aus. Die Jungs zogen mich wegen des Spruchs vorhin noch einige Male auf. Und überlegten, wie sie mich handicapen könnten. Augenklappe war eine Option, einen Arm auf den Rücken binden. Jemand schlug den rechten Arm vor, was ich mit einem süffisanten Grinsen abtat.

„Er ist Linkshänder, ihr Idioten", Julius schüttelte den Kopf. „Lasst das."

„Gebt ihm einfach noch zwei Schnaps." Tom sah mich schief an. „Das sollte reichen, um ihn zumindest schief zielen zu lassen."

„Ihr tut echt so, als ob..." Ich stöhnte genervt auf. „Ihr seid scheiße. Alle miteinander."

Patsch. Mich traf irgendeiner von hinten auf kurzer Distanz direkt in den Oberschenkel. „Au!"

Anton seufzte schwer und hielt den Markierer noch im Anschlag. „Spielen wir jetzt, Jungs?! Wollt ihr noch länger diskutieren, wer den Polizisten fertig macht oder soll ich das alleine machen?"

„Du ---" Mir stand sprachlos der Mund offen. Leas Freund grinste bloß, schnappte sich Munition, sein Team und verschwand aufs Feld. „Dieser kleine ---" Ich starrte Anton nach und schüttelte den Kopf.

Julius tätschelte mir mitfühlend den Rücken. „Sorry, Bro..."

Patsch!

„Argh! Du Arsch!"

Julius kicherte.

„Jungs, verballert eure Munition nicht." Tom schüttelte den Kopf und zog sich umständlich die Einhornkapuze seine Jumpsuits über den Schutzhelm. Ich an seiner Stelle hätte Max ja für das alberne Kostüm umgebracht, aber er nahm es mit stoischer Gelassenheit hin. „Na, auf Daredevil, lass den Hulk raus..." Er klappte das Visier runter und flitzte los.

„Das sieht so lächerlich aus...", murmelte Julius und klappte sein Visier runter.

„Weißt du, was noch lächerlicher aussieht?"
„Was?", fragte er.

„Das." Bevor er reagieren konnte markierte ich ihm die linke und rechte Arschbacke.

„Du Sack!!" Er zeigte mir den Mittelfinger.

„Fünf... vier..." Ich zählte weiter, bis er verstand. Als ich bei eins angelangt war, sprinteten wir beide los.


.........

Ein bisschen Bromance für euch.... 👬

Ich kämpfe mit meinem sehr realen Schreibtief. Mal gucken, was das wird.

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