Das letzte Einhorn: 18 ~ Julius

Die Skala der Vollidioten in meinem Leben führte Nick ab diesem Abend unbestritten an. Er richtete sich regelrecht zugrunde. Ich erinnerte mich an keinen Abend in der jüngeren Vergangenheit, in der er so betrunken gewesen war wie eben gerade.

Wir hatten alle hatten den Moment verpasst ihn von irgendetwas abzuhalten. Vom Alkohol zum Beispiel.

Als er von seinem Telefonat mit Pi zurück gekommen war, war er kreidebleich gewesen, hatte kein Wort mehr gesagt. Tom hatte gefragt, was los sei, aber er hatte nichts gesagt. Das war eigentlich schon verräterisch genug gewesen. Dann hatte er direkt zwei Kurze vom Tablett genommen und weg geext. Den ganzen Tag über hatte er sich beim Schnaps relativ zurück gehalten. Die dann folgende Druckbetankung... das war so untypisch für ihn. Das passte allgemein eher zu mir als zu meinen Freund Nicki.

Als wir weiter gezogen waren hatte er es dann erzählt. Da war er schon betrunken gewesen. Anton hatte ihm am Neckar schon nicht mehr nachschenken wollen. „Lass mich", hatte er gemurrt und Anton gedroht, ihn in den Fluss zu schubsen.

Die unterschwellige Aggression in Nicks Stimme hatte die anderen Jungs nicht gehört, mich aber sehr wohl. Ich hatte daraufhin meinen Alkoholkonsum eingestellt - naja, zurück gefahren - und angefangen, Babysitter zu spielen, was auch nötig war. Nick suchte Ärger. Wirklichen Ärger. Er war wütend. Verzweifelt und wütend. Keine gute Kombination. Und verdammt betrunken.

Am liebsten hätte ich ihn einfach ins Bett gesteckt, aber nach Außen machte er noch immer auf gute Laune, solange es eben ging – aber ich kannte ihn zu gut. Das hielt nicht lange. 

Es hielt genau so lange, bis die Jungs beschlossen, den Abend im Wunder ausklingen zu lassen. Ausgerechnet im Wunder. 90er Party. Wussten die eigentlich, dass Nick das Biest im Wunder auf der dämlichen 90er Party kennen gelernt hatte? Offensichtlich nicht.

Nicks Begeisterung war kaum zu übersehen. Im Wunder war seine zur Schau gestellte gute Laune schnell verflogen. Er hatte vor sich hingestarrt, weiter den Alkohol in sich hinein geschüttet, obwohl wir versucht hatten, ihm immer mal wieder eine Cola aufzunötigen – mit mäßigem Erfolg. Tom hatte es mit getarnten alkoholfreien Cocktails versucht, ebenfalls erfolglos. Vermutlich war Nicks genereller Alkoholpegel da schon zu hoch gewesen.

Letztlich wäre der Pegel auch egal gewesen, weil neben dem Alkohol schließlich die PTBS durchschlug.

Wir standen an einem Stehtisch, während irgendein 90er Hit durch die Lautsprecher grölte. Arthur, Yasin und Scholzi sprangen mit ein paar Mädels auf der Tanzfläche herum, während ich Nick davon abzuhalten versuchte sich weiter zu betrinken.

„Hör einfach auf mit dem Scheiß, Nick. Du hast genug."

„Von was?" Seine Zunge war schon ziemlich schwer und er musste sich beim Sprechen richtig anstrengen, um mich anzuschauen. Das würde nicht gut enden. Gar nicht gut...

„Vom Alkohol. Drück mal auf die Bremse..."

Nick schüttelte den Kopf. „Nein." Er seufzte schwer. „Nein..." Damit nahm er sich das nächste Getränk.

„Nick, man..." Ich schüttelte den Kopf. „Das ist echt keine gute Idee, Bro..."

„Das ist mir egal..." Er seufzte schwer und trank. Und noch während er trank sah ich, wie sich etwas in seiner Haltung veränderte. In seinem Blick wurde etwas weiter. Seine Pupillen wurden weit. Dann ließ er das Glas sinken und starrte an mir vorbei irgendwohin in die Menge. Seine Augen waren weit aufgerissen. Seine Schultern spannten sich an. Sein Nacken verspannte sich, de Adern an seinem Hals traten hervor. Ich kannte den Blick.

Ich kannte das. Ich hatte schon oft genug den Sandsack im Studio gehalten, wenn er diesen Blick gehabt hatte. Nur diesmal... diesmal waren wir nicht im Studio, sondern im Wunder. Dieses Mal war er sturzbetrunken. Und dieses Mal wusste ich nicht, wenn er im Blick hatte.

Ich reagierte zwei Wimpernschläge zu spät, genau wie Tom. Vermutlich, weil wir beide auch nicht mehr ganz nüchtern waren. Da war Nick schon zehn Meter durch die Menge weg und preschte auf diesen Hipstertypen zu. Lang, schlacksig, Ringelshirt. Dunkle Haare, Undercut, Hipsterdutt. Bart.

„Nick, nein!!", brüllte Tom hinter mir.

„Ey, Lüttkenhaus!"

Fuck. Der war zu besoffen, um zu registrieren, dass das nicht dieser Lüttkenhaus war. Ich sah ihn schon ausholen, aber ich war schneller. Riss ihn an der Schulter herum und bekam den Schlag selbst ab. Shit.

Ich sah kurz schwarz. Er hatte mich am Wangenknochen erwischt. „Hör auf, du Spast!" Ich blinzelte gegen den Schmerz und schubste Nick gegen die Brust. „Hör auf. Komm runter, Mann!!"

„Der Pisser soll sich verpissen!"

Ringelshirt starrte Nick an, setzte zu etwas an. Tom hob beschwichtigend die Hände, versuchte ihn und seine Kumpels zu besänftigen, während ich versuchte, Nick in den Griff zu bekommen. Hinter mir bemerkte ich aus den Augenwinkeln, dass die Security des Wunders auf uns aufmerksam wurde.

„Nick, man! Beruhig dich, Alter! Du willst den Ärger nicht, den du gerade provozierst!"

„Doch!", fauchte er und ich erkannte ihn kaum wieder.

„Nein! Willst du nicht!"

Tom diskutierte immer noch mit den Jungs und Nick machte Anstalten, sich an mir vorbei zu drängen. Ich hielt ihn fest. Am Arm. Ziemlich fest. Ich konnte froh sein, dass er so voll war. Nüchtern hätte ich das nie geschafft. Nüchtern hätte er mich irgendeinem Ju-Jutsu-Trick aufs Kreuz gelegt oder mir mit einem Polizeigriff den Arm verdreht. Jetzt war er zum Glück einfach zu träge und zu besoffen dafür. Trotzdem kostete es mich alle Kraft ihn zurückzuhalten.

„Sorry, Jungs, er...", hörte ich Tom sagen. „Alter, lass den Rotz!" Tom baute sich vor Nick auf und schnappte sich seinen zweiten Arm. Er sah sich suchend um und nickte zur nächstgelegenen Tür. Notausgang. Wir schleiften Nick mit Gewalt mit uns, bevor es noch mehr eskalierte. Er zeterte, randalierte und schlug um sich. Hatte diese irre, unbändige Wut in sich. Er musste das in den Griff bekommen. Ganz unbedingt.

Als sich die Tür hinter uns schloss standen wir zu dritt im Freien. Kühle, unverbrauchte Luft schlug uns entgegen.

„Ich mach den fertig!" Nick versuchte sich los zu machen. „Was macht der hier? Dieser Spast!"

„Nick, das ist nicht Lüttkenhaus." Tom schüttelte langsam den Kopf und verstärkte seinen Griff. Alter, der Junge hatte echt Kraft... „Der sitzt ein... Der Junge da drin heißt Markus und studiert Medizin."

„Quatsch." Nick riss an uns wie der Hulk. „Das Arschloch hat Pi entführt und vergew..." Er brach ab und Still trat ein.

Tom und ich warfen uns einen betroffenen Blick zu. Ich hatte keine Ahnung gehabt, was dieser Lüttkenhaus alles mit Pi gemacht hatte. Ich wollte es auch nicht wissen. Aber... der Junge hier war definitiv nicht dieser Lüttkenhaus. Nick drehte durch. Er projizierte. Ich atmete aus.

Er riss sich los. Traf diesmal nicht mich, sondern Tom, der taumelnd zurück trat. „Du Arsch...", murmelte er.

Ich reagierte diesmal schneller und nahm Nick ordentlich in den Schwitzkasten. „Jetzt hör. Endlich. Mit. Dieser. Scheiße. Auf!!"

In diesem Moment ging die Tür zum Hof auf und Moritz trat hinaus. Er trug drei leere Bierkästen und starrte uns irritiert an. „Julius? Alles okay bei euch?"



.........

Uff.... geschafft.... nicht schön, dafür selten...

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