Casterlystein: 30 ~ Pi

Ich saß in Theos Schreibtischsessel, einem großen, behäbigen Ding aus dunkelbraunem Leder, und stierte Löcher in die Luft. Mein Kopf war wie leer gefegt, meine Kehle brannte vor lauter Verlangen nach einem Glas Alkohol und ich war so sauer auf Jan und Nick, dass sie mich in diese Situation gebracht hatten. Ich hatte gewusst, dass das so enden würde.

Wenn ich nur sagen könnte, was passiert war. Mein Vater und ich, wir hatten uns immer verstanden. Viel besser, als Mutter und ich. Ich war ein Papa-Kind gewesen. Ich hatte immer seine Gesellschaft vorgezogen, wenn ich die Wahl gehabt hatte. Maja war andersherum gestrickt gewesen. Sie war ein Mama-Kind gewesen. Und jetzt?

Jetzt hatte ich das Gefühl, zu beiden überhaupt keine Verbindung mehr zu haben – geschweige denn, haben zu wollen.

Es klopfte leise an der Tür. Ohne, dass ich herein sagte, öffnete sich die Tür und meine Mutter kam herein. Mein Körper verkrampfte sich, aber ich hob nicht den Kopf.

Leise schloss sie die Tür hinter sich und lehnte sich dann erschöpft dagegen. „Deshalb hat Jan vorhin gesagt, dein Freund solle zählen", sagte sie nach einer Weile. „Ich habe nicht verstanden, was er damit meinte." Sie holte tief Luft und atmete sehr langsam aus. „Theos Weinglas stand nicht mehr auf dem Tisch."

Ich schluckte. „Ich habe es nicht ungerührt."

„Sophie..." Sie schüttelte langsam den Kopf. „Warum hast du nichts gesagt? Wir sind deine Eltern..."

Ich schnaufte. „Echt jetzt? Ihr hab mich in Düsseldorf quasi eingesperrt. Er war zu keinem anständigen Gespräch bereit, als ich gesagt habe, dass ich zurück will. Meinst du, ich hätte reden wollen? Nach allem,  was seitdempassiert ist?" Mein Magen zog sich schmerzhaft zusammen.

„Mama, Papa hat Nick aus der Klinik geworfen, weil er ihm unterstellt hat, er sei nicht gut für mich! Dass er sich in die Ermittlungen eingemischt hätte. Hast du das gewusst?" Als sie nicht antwortete, unterdrückte ich Lachen. „Natürlich. Ohne ihn wäre ich vermutlich tot, das ist euch hoffentlich klar?!", fauchte ich und spürte, wie sich der Kloß in meinem Hals löste.

Erinnerungen an den Keller stoben ans Licht. An die Zeit in der Kiste, in der Dunkelheit, an den Krach, die Musik, an Lüttkenhaus, an das, was er dort mit mir gemacht hatte. An die Wut in seinem Blick, den Hass, die Abscheu.

Meine Mutter zuckte zusammen, als hätte ich sie geohrfeigt. „Ja... vielleicht hast du recht. Es ist vielleicht wirklich viel passiert."

Vielleicht." Ich drehte mich in Theos Schreibtischstuhl zu ihr herum und sah sie zweifelnd an. „Ihr habt unsere Beziehung torpediert, Mutter. Absichtlich."

„Wir wollten doch nur alles richtig machen", flüsterte sie. „Wir wollten dich beschützen und..." Sie brach ab. Ganz langsam, wie in Zeitlupe rutschte sie an der Tür hinab. Ich hatte sie in einundzwanzig Jahren noch nie auf dem Fußboden sitzen sehen. „Wir wollten diesmal alles richtig machen."

Diesmal." Ich sah zu ihr.

Sie schluckte. Im Halbdunkel des Arbeitszimmers sah ich ihre Augen glänzen. „Bei Carrie haben wir dich im Stich gelassen."

Ihr habt mich eingesperrt", ich schrie fast. „Ihr habt mir die Luft abgeschnürt. Ich bin durchgedreht."

Sie hob den Kopf und sah mir durch den Raum in die Augen. „Wir hätten niemals nach Bali fliegen dürfen, Pi. Nicht, nachdem das passiert war."

„Ich wollte, dass ihr fliegt", gab ich mechanisch zurück. Ich wollte damals meine Ruhe. Ihre Überfürsorge ging mir total auf die Nerven. Weil ich diese Gratwanderung nicht ertragen konnte.

Eine Weile sagten wir beide nichts. Die Stille war unangenehm, wie ein kratziger Wollpulli. Ich wollte, dass sie ging. Ich ertrug das Schweigen nicht und auch ihre Nähe nicht. Ich verstand nicht, warum sie hier war.

„Warum wolltest du, dass wir fliegen?"

„Ich habe keine Luft mehr bekommen." Das war die absolute Wahrheit. Sie hatten mich erdrückt. Ich hatte keine Luft mehr bekommen, war erstickt an der Nähe. Und plötzlich erkannte ich es. Ich erkannte mit einem Schlag, was unser Verhältnis kaputt gemacht hatte. Also noch kaputter als es schon gewesen war.

Meine Mutter blinzelte. „Was ist?"

Mein Herz schlug heftig in meiner Brust. „Ihr wolltet alles richtig machen", sagte ich leise.

Sie nickte langsam. „Das wollten wir immer, Schatz. Du bist uns wichtig. Du bist unsere Tochter... wir lieben dich."

Ich schloss die Augen und kämpfte gegen die Tränen. „Ihr habt aber alles falsch gemacht... so richtig ihr es machen wolltet, ihr habt bei mir alles falsch gemacht..."

..........

Ich kämpfe mich ganz langsam aus der Schreibblockade...

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