„Wo zum Teufel ist sie?"
Max legte mir die Hand auf die Schulter und atmete durch. „Entspann dich. Es geht ihr gut. Den Umständen entsprechend gut."
„Ich will sie sehen. Sofort!"
„Gleich..." Er holte tief Luft und hielt mir eine Packung Zigaretten hin. Ich rauchte nicht. Er eigentlich auch nicht. Jetzt nahm er eine Zigarette. Er hielt auch Becky eine hin, die normalerweise auch nicht rauchte und trotzdem zugriff. Ich bräuchte etwas deutlich stärkeres als eine Zigarette um mich zu entspannen.
Wir standen draußen vor dem Eingang der Notaufnahme der Uniklinik in Gießen. Sie hatten Pi hierher gebracht. Schrader hatte die Adresse auf mein Handy geschickt. Nachdem Becks und ich uns einigermaßen beruhigt hatten, waren wir hergefahren.
„Du kennst das Prozedere." Er sah mich lange an. „Sie wird noch durchgecheckt. Außerdem wollen die Kollegen noch mit ihr sprechen."
„Das ist nicht dein Ernst?" Ich schnaubte. „Ohne mich wäre sie ---"
„Komm runter, Nick... So lass ich dich nicht zu dem Mädchen... "
Ich starrte ihn an. Ich wollte ausrasten und war kurz davor --- zum Glück war Becky da. Sie lege mir die Hand auf die Schulter und atmete durch. Für mich.
„Es ist gut, Nick... Es wiederholt sich nicht, okay?" Der Pulsschlag in meinem Ohr verlangsamte sich. Das Rauschen ließ nach. Ich sah meine Schwester an und nickte lahm. „Okay... okay."
„Es ist vorbei", sagte Becky fest und lächelte vorsichtig. Ich konnte das Lächeln nicht erwidern.
„Wie geht es ihr?", fragte Becky dann leise.
Schrader atmete durch und zog tief an der Zigarette. „Den Umständen entsprechend gut..."
„Habt ihr die Verantwortlichen?", fragte ich und sah ihn an. Das musste ich wissen. Ohne eine Antwort auf diese Frage würde ich mich nicht entspannen können.
„Darauf darf ich dir nicht antworten."
„Du hättest mich heute Mittag auch nicht anrufen dürfen, Max."
Er lachte leise. Dann drückte er die Zigarette aus und klopfte mir auf die Schulter. „Die Kollegen aus Hessen waren sehr gründlich. Reicht dir das? Alles andere erfährst du morgen."
„Ist das ein Ja?"
Er sah mich lange schweigend an und schloss dann die Augen, bevor er einmal kurz nickte. Ich atmete erleichtert auf. „Danke, Max..."
Sein Handy piepste. Er überprüfze die Nachricht und nickte dann abwägend mit prüfendem Blick auf mich. „Geht es? Hast du dich im Griff?" Ich nickte angespannt. Max lächelte, stieß sich dann von der Bank ab und nickte zum Eingang. „Na komm, ich bring dich hin..."
***
Drei Wochen. Drei Wochen und vier Tage war es her, dass ich sie zuletzt gesehen hatte. 25 Tage. Viel zu lange. Es fühlte sich wie eine Ewigkeit an.
Als Schrader mit mir und Becky durch die polierten Flure der Uniklinik lief, kam es mir noch länger vor. Zielstrebig lief er den Korridor hinunter und als ich das Schild mit Intensivstation las, wurde mir ganz anders. Ich starrte es an und wollte keinen Schritt mehr machen.
Sie haben sie. Es geht ihr gut.
Wenn es ihr gut ging, warum ging es dann auf die Intensivstation?
Es gibt keine Zufälle.
Ärzte und Schwestern sah ich kaum. Dafür roch ich den strengen Geruch von Desinfektionsmitteln. Der Geruch biss in meiner Nase.
Am Ende des Flures sah ich Bernicke und ihren Kollegen Faller vor einer Tür stehen. Mein Herz schlug schneller. Bernicke, diese dämliche...
Warum hatte sie mir nichts gesagt?
Seit wann hatten sie von diesem Einsatz gewusst?
Wie lange hatten sie Pis Rettung geplant?
Beide Polizisten sprachen mit einem Arzt. Als sie uns sahen zog Faller die Augenbrauen zusammen, Bernicke nickte kurz. Die Kommissarin sagte kein Wort zu uns, aber ich hätte auch nicht geantwortet. Dafür war meine Wut im Augenblick zu groß und auch meine Angst um Sophie. Ich war fast starr vor Angst. Lediglich Becks schaffte es, dass ich mich weiter bewegte.
Ich war stinksauer, dass mir Bernicke nichts gesagt hatte. Dass hier eine Woche lang etwas lief und sie mich nicht informiert hatte. Ich war fassungslos. Und jetzt lag Pi auf der Intensivstation... Gott, was war nur passiert?
Unbewusst griff ich nach Beckys Hand. Ich konnte nicht glauben, dass Pi wirklich frei war. Dass sie wirklich wieder da sein sollte.
Vor der Tür blieb Schrader stehen und wandte sich an den Arzt, der mit Faller sprach. „Dr. Martin, das ist Nick Gehrig, der Lebensgefährte von Sophie von Frankenthal. Wir haben ihn direkt verständigt. Und seine Schwester."
Lebensgefährte sagte er. Nicht Freund. Weil das näher war an Familie. Weil Schrader wusste, dass der Arzt sonst vermutlich keinen Ton sagen würde.
„Rebecca. Becky. Hallo", stellte sie sich selbst vor. Ich zitterte noch immer und bekam kein Wort heraus. Ich konnte dem Arzt noch nicht mal die Hand geben.
„Herr Gehrig." Der Arzt nickte mir zu und sah mich ernst an.
„Wie geht es ihr?", fragte Becky.
„Den Umständen entsprechend. Sie hat Glück gehabt. Ihre Lebensgefährtin hat eine leichte Ammoniakvergiftung erlitten, sie bekommt Sauerstoff über eine Nasensonde, aber es geht ihr soweit gut."
Beckys Hand schloss sich fester um meine und ich spürte, wie meine Knie weich wurden. Ammoniakvergiftung? Ammoniak? Was zum...
„Wir können noch nicht ganz einschätzen, wie lange sie dem Gas ausgesetzt war und wie hoch die Schädigung der Lunge ist, deshalb wird sie die Nacht auf der Intensivstation verbringen."
„Oh Gott...", flüsterte Becky. Ich sagte nichts.
„Im Moment ist sie stabil. Sie schläft jetzt. Wir haben ihr ein starkes Beruhigungsmittel gespritzt und es läuft noch eine Glukoselösung durch den Tropf. Sie ist stark dehydriert und sehr erschöpft."
„Wurde sie", setzte ich an und dachte an mein Worst-Case-Szenario. „Hat man sie... Gott..." Ich konnte es nicht aussprechen. Ich bekam es einfach nicht über die Lippen.
„Sie hat Blutergüsse, Prellungen, aber es gibt keine Hinweise auf Vergewaltigung oder gewaltsame genitale Traumata."
Ich holte tief Luft und nickte langsam. „Gut... das ist gut... oder?"
Der Arzt lächelte schwach. „Wir müssen sehen. Es wird sicherlich hilfreich sein, wenn sie psychologisch betreut wird. Sie hat ein erhebliches Trauma erlitten. Der Kinikpsychologe kommt morgen früh."
Ich sah Becky kurz an und hätte fast laut aufgelacht. Wenn der nur wüsste. Das war ja nicht ihr erstes.
„Kann ich zu ihr?"
„Wie gesagt... sie schläft..." Er lächelte angespannt, öffnete mir aber die Tür zur Intensivstation.
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