Benommenheit: 14 ~ Becky
Ich war kurz vor einem letzten Meeting an diesem Tag gewesen, als er mich angerufen hatte. Einem wichtigen Meeting. Mein Chef und ich hatten wochenlang auf diesen Pitch hingearbeitet, der Auftrag war für die Firma ungemein wichtig. Wir waren perfekt eingespielt und noch perfekter vorbereitet.
Aber als ich seine Stimme hörte... da wurde mir ganz anders. Als er mich bat, zu ihm zu kommen, da wusste ich, dass ich nicht zögern würde. Nicht eine Sekunde lang.
Nick hatte nicht gesagt was los war, aber ich hatte so dunkle eine Ahnung gehabt. Und so, wie er geklungen hatte... Es hatte mir Angst gemacht.
Er hatte so geklungen, als würde gerade sein schlimmster Alptraum Wirklichkeit. Als ob man Pi gefunden hatte, aber...
Ich hatte es meinem Chef erklärt. Familiärer Notfall. Er wusste, was in den letzten Wochen losgewesen war – es war ja auch in der Presse gewesen. Zumindest hatte er am Rande mitbekommen, dass das vermisste Mädchen die Freundin meines Bruders war.
Als ich nun neben ihm saß und auf der Autobahn Richtung Norden fuhr, war Anspannung das völlig falsche Wort, um die Situation zu beschreiben. Nick starrte noch nicht mal aus dem Fenster. Er sah unentwegt auf sein Handy und wartete auf irgendeine Reaktion, die nicht kam. Seit wir losgefahren waren, blieb das Gerät stumm.
Am Frankfurter Kreuz verdichtete sich der Verkehr und Nick wurde noch nervöser als er ohnehin schon war. Wir steckten mitten im Feierabendverkehr. Ich griff nach seiner Hand. „Entspann dich..."
„Wie denn?" Seine Stimme klang rau und heiser, als ob er Kreide verschluckt hätte – oder Nägel. Als ob ein Felsblock in seinem Hals festsaß und ihm alles blockierte: Stimmbänder und Atemwege.
„Es wird schon alles gut gehen..."
„Und wenn nicht?" Er starte mich mit müden Augen an, wandte dann den Blick ab und sah aus dem Fenster. Wir überquerten im Schneckentempo den Main und ich hörte förmlich seine Gedanken im Inneren des Wagens widerhallen.
Was, wenn nicht?
Was, wenn etwas schief geht?
Was, wenn wieder etwas schief geht?
Ich wusste, dass das sein allergrößter Alptraum war. Er hatte es nicht ausgesprochen, aber das war auch nicht nötig. Ich kannte ihn genauso gut wie mich selbst. Er hatte diesen Alptraum schon einmal erlebt. Er hatte Diana verloren. Durch einen Polizeieinsatz. Einen missglückten Polizeieinsatz. In den vergangenen Monaten war er selbst immer wieder in Einsätzen gewesen, war immer wieder mit ähnlichen Situationen konfrontiert gewesen – und wir als Familie wunderten uns, dass die Sache mit der PTBS nicht besser wurde. Kein Wunder.
Aber jetzt? Ich wandte kurz den Kopf zu ihm um. Nick war wie gelähmt vor Anspannung. Ich war mir sicher, dass er sich in den schlimmsten Farben ausmalte, was passieren würde, wenn auch dieser Einsatz schief gehen würde – so schief, wie der SEK-Einsatz damals.
Es war sein schlimmster Alptraum. Und jetzt steckte er mittendrin. Damals, als Diana gestorben war, war es ein plötzlicher Schockmoment gewesen. Er hatte nicht gewusst, was passieren würde. Aber jetzt? Jetzt hatte er 160 Kilometer lang Zeit es sich genau vorzustellen. Er hielt das kaum noch aus, das sah ich. Und ich konnte nichts tun.
Es war eine Geiselnahme gewesen in einem Wohngebiet. SEK, BFE, viele Einheiten. Er hatte immer zu den großen Jungs zum SEK gewollt, das war Nicks großer Traum gewesen. Deshalb war er zur Polizei gegangen.
Aber dieser Einsatz war so schief gegangen... Nick war angeschossen worden und Di, seine Freundin, die er geliebt hatte, die er hatte heiraten wollen, war gestorben.
Eine Geiselnahme. Ein schiefgelaufener SEK-Einsatz.
Jetzt fuhren wir zu einer Befreiungsaktion einer Entführung. Zu einem SEK-Einsatz.
Und wieder war Nicks Freundin involviert. Ich wollte nicht wissen, was in ihm drin los war. Was er gerade für Ängste ausstand. Was für eine Hölle in ihm herrschen musste.
„Hast du Jan Bescheid gesagt?", fragte ich leise.
„Wieso?"
Ich drehte den Kopf. „Ernsthaft?"
Nicks Kieferknochen spannten sich an und er schluckte. „Und wenn es schief geht? Sie nicht da ist? Dann hat er sich umsonst Hoffnung gemacht und ---"
„Ich würde dir jetzt gerne eine runterhauen. Sei froh, dass ich gerade fahre." Ich sah wieder auf die Autobahn. „Ruf ihn an. Jetzt."
Nick zog ein Bein und atmete schwer durch.
„Nikolas."
Er funkelte mich an mit einer plötzlichen Wut in den Augen, die mich erschrak, aber sie erlosch genauso schnell, wie sie gekommen war. „Ich kann nicht."
„Du kannst..." Diese Resigniertheit machte mir Angst. Drea hatte neulich schon gesagt, dass sie Angst hatte, dass er depressiv wurde. Ernsthaft depressiv. Ich verstand, wie schwer es ihm fiel. Wirklich. Aber im Moment wollte ich ihn wirklich schütteln.
Nick seufzte schwer, entriegelte dann aber tatsächlich sein Handy und wählte Jans Nummer. „Mailbox...", murmelte er. „Hey... ich bin's Nick. Ruf mich zurück. Es ist... dringend. Danke." Er legte auf. „Zufrieden?"
„Stell dir vor, du wärst er..."
Er sagte nichts, starrte wieder vor sich auf sein dunkles Handy Display. „Danke, dass du mich fährst."
„Gerne... Auch wenn du gerade ätzend bist..."
„Ich weiß..." Er schluckte.
Er drehte durch. Er drehte wirklich gerade durch.
Ich griff nach seiner Hand und verschränkte sie mit meiner. Er zitterte vor Anspannung. Und ich auch. Ich hatte ihm versprochen, dass Pi nicht geschehen würde.
„Du bekommst sie zurück. Das verspreche ich dir."
„Das kannst du nicht. Becky, das kannst du mir nicht versprechen."
„Doch. Ich verspreche es dir. Ich werde nicht zulassen, dass du das nochmal durchmachen musst, verstanden?"
Ich hoffte wirklich, dass ich mein Versprechen nicht brechen würde.
.......
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