6. Februar 1977
Sirius' POV
Die letzten Sätze von der vorherigen Seite des Buches, standen immer noch vor meinem inneren Auge geschrieben. Dunkelblau, in jener kleinen, geschwungenen Schrift, in der Regulus nun mal geschrieben hatte. Ich wusste noch genau, wie viel Mühe die Frau, die sich einst unsere Mutter genannt hatte sich gegeben hatte, um uns beizubringen, auf unsere Schrift zu achten. Stets hatte sie darauf bestanden, dass wir auf die Leserlichkeit zu achten hatten.
Und nicht nur auf die Leserlichkeit, nein. Auch auf das Ästhetische sollten wir achten, denn schließlich spielte die Schriftart auch eine- wenn vielleicht auch nicht so große- Rolle dabei, welchen Eindruck die anderen Zauberer von einem haben würden. Wäre sie zum Beispiel zu unleserlich- und ich erinnerte mich daran, wie Mutter meine Schrift des öfteren dieser Art bezeichnet hatte-, so könnten die anderen, reinblütigen Zauberer den Eindruck bekommen, man wäre unanständig. Würde das, was man schrieb nicht seriös meinen. Wäre generell viel zu locker mit sich selbst.
Ich wusste noch, dass ich mir darüber nie wirklich Gedanken gemacht hatte. Weder hatte ich es damals in meiner Kindheit und Jugend getan, noch gar ich es jetzt. Schließlich war die Schrift nicht wirklich eine der Sachen, über die ich mir so ausführliche Gedanken machen wollte. Es war doch reinste Zeitverschwendung. Und Zauberer, die mich nach meiner Schrift beurteilen würden, ohne auch nur das Geringste über mich zu wissen, die wären wohl genauso oberflächlich und arrogant, wie meine Eltern.
Regulus jedoch, hatte die Dinge wohl anders gesehen. Ich erinnerte mich, wie lange er einmal gebraucht hatte, um eine Einladung an die Rosiers zu schreiben, als unsere Mutter ihn einmal damit beauftragt hatte. Wie die einzelnen Buchstaben seiner Schrift fast schon wie gemalt ausgesehen hatten- ein leichtes, kurzlebiges Grinsen schlich sich bei jenem Gedanken auf mein Gesicht. Ja, Regulus war schon immer ein ziemlicher Perfektionist gewesen. Wollte schon immer alles richtig machen. Alles richtig zu machen. Bis zu seinem verfrühten Tod, schien er jenes Denken nicht abgelegt zu haben.
Mein Grinsen verschwand augenblicklich, als mir ein neuer, weniger amüsanter Gedanke kam. Ja, er war ein Perfektionist gewesen. Und wo hatte ihn das hingeführt?
Nicht willig, weiter darüber nachzudenken, vielleicht auch nicht wirklich fähig dazu, widmete ich meine Aufmerksamkeit nun wieder dem Tagebuch auf meinem Schoß.
6. Februar 1977
Ich bin jetzt fast 16. Nach den kommenden Sommerferien beginnt mein sechstes Schuljahr. Die Ansprüche werden höher, die Erwartungen werden höher. Der Druck gewinnt an Gewicht. Ich fühle mich manchmal, als läge etwas Schweres auf meiner Brust, das mich am Atmen hindert. Manchmal, oft, wenn ich an die kommenden Prüfungen, oder gar an die Erwartungen meiner Eltern denke, habe ich den Drang, einmal tief einzuatmen, doch es funktioniert nicht. Es funktioniert einfach nicht.
Ich öffne meinen Mund, hole Luft, doch habe ich das Gefühl, es gelangt trotzdem nicht genügend Luft in meine Lungen. Ich weiß nicht genau, woran es liegt. Ich vermute, dass es an dem Druck liegt, der noch immer auf meinen Schultern lastet, doch ich verbiete mir, mich deswegen gehen zu lassen. Ich verbiete mir, zu zulassen, dass ich schwach werde, nachlasse. Das darf ich nicht. Das darf als Black nicht.
Ich erinnere mich noch an Cissy's fünftes Schuljahr, und daran, dass sie unter ähnlichem Stress gestanden hatte, wie ich jetzt. Ich weiß noch, wie Tante Druella ihr oft gesagt hatte, dass sie ihre Anstrengungen nicht weniger werden lassen durfte, auch, wenn es schwer war. Dass sie ihr sagte, der Ruf der Familie stehe auf dem Spiel, und da Andromeda ihm bereits Schaden zugefügt hatte, lag es nun an Narcissa, den Ruf wieder gerade zu biegen. Ich weiß noch, wie ich Narcissa eines Abends, ich glaube, es war in den Weihnachtsferien ihres fünften Schuljahres nachts weinen gehört habe.
Unsere Zimmer sind eigentlich nicht wirklich nah aneinander gewesen, doch in jener Nacht, hatte sie wohl vergessen die Türe ihres Zimmers zu schließen. Vergessen, die Türe ihres Zimmers zu schließen, so, dass diese die ganze Nacht über geöffnet gewesen war. Und durch jene, geöffnete Türe, hatte ich damals ein Schluchzen vernommen. Es war von Anfang an nicht besonders laut oder auffällig gewesen, und wenn ich zu jenem Zeitpunkt bereits geschlafen hätte, wäre es mir vermutlich gar nicht aufgefallen.
Doch ich war wach gewesen, warum weiß ich nicht mehr. Vermutlich war es wieder eine dieser Nächte gewesen, in denen ich einfach keinen Schlaf finden konnte. Eine jener Nächte, in denen ich wach im Bett lag, und mir zu viele Gedanken durch den Kopf gingen, als dass ich einschlafen könne. Ich war damals zwar erst neun Jahre alt, doch ich weiß noch, dass es mir schon damals recht viel ausgemacht hatte, wenn etwas in der Familie nicht gestimmt hatte. Wenn es Streit gab, etwa, oder wenn ich einfach bemerkt hatte, dass etwas nicht ganz in Ordnung vor sich ging.
Ich hatte mir schon damals manchmal Gedanken über die Familie gemacht, darüber, dass es Verwandte gab, die ich noch nie zu Gesicht bekommen hatte, wenn auch nicht ohne Grund. Hatte Angst gehabt, was passieren würde, wenn jemand von den Verwandten die ich kannte die Familie entehren würde. Etwa Narcissa, oder Sirius, oder womöglich sogar ich selbst. Ich hatte Angst gehabt, dass es zu einem Zerwürfnis zwischen den einzelnen Familienmitgliedern kam. Dass es zu einem Zerwürfnis zwischen Sirius und mir kam, die damals einander noch nicht komplett egal waren. Oder sollte ich lieber sagen, dem ich damals noch nicht komplett egal war? Denn ich weiß, dass ich es jetzt bin.
Damals hatte ich mir jene Ängste ausgeredet, habe mir eingeredet, so etwas würde in unserer Familie nicht passieren. Obgleich ich öfter von anderen, reinblütigen Familien gehört hatte, die sich zerstritten hatten- in denen die einzelnen Mitglieder sich immer weiter von dem Rest der Familie entfernten, so hatte ich stets das Gefühl gehabt- oder besser gesagt, wollte ich das Gefühl haben, weshalb ich mir oft einredete, dass ich es besaß- dass so etwas bei uns nicht passieren würde. Zumindest nicht weiter, als es ohnehin schon passiert war.
Onkel Alphard, und so viele andere auch. Personen, von denen auf dem Stammbaum der Familie nur noch schwarze Brandflecken übrig waren. Ich hätte nie gedacht, dass mein Bruder eines Tages auch zu jenen Personen gehören würde. Ich hätte nie gedacht, dass unsere Familie sich so verändern würde, sogar in weniger als fünf Jahren. Wie naiv ich doch war.
In jener Nacht jedoch, als ich Narcissa weinen gehört habe, da war mir klar geworden, dass es für sie in jenem Moment schwerer sein müsste, als für mein damals neun Jahre altes Selbst. Mir war klar geworden, dass der Druck der auf ihren schmalen, fünfzehnjährigen Schultern gelastet hatte bei weitem stärker gewesen war als der, den mein damaliges Selbst hatte aushalten müssen.
Und dann hatte sie mir einfach leid getan. Leid dafür, dass sie die Fehler ihrer großen Schwester wieder hatte ausbügeln müssen, obgleich mir klar gewesen war, dass dies wichtig für den Rest der Familie war. Obwohl mir bewusst war, dass der Ruf der Familie auf dem Spiel stand, und dass es deshalb wichtig war, dass Narcissa sich gut in der Schule schlug, hatte es mir leid getan, dass sie damit alleine gewesen war. Dass niemand ihr wirklich helfen konnte, weder ich, noch ihre Schwestern. Dass sie alleine damit hatte klar kommen müssen, und das mit gerade einmal mit fünfzehn Jahren.
Hätte ich geahnt, dass jene Geschichte sich in ungefähr sechs Jahren mehr oder weniger wiederholen würde, ich weiß nicht, wie ich darauf reagiert hätte. Hätte ich gewusst, dass mein eigener Bruder mich im Stich lassen würde, und ich mit fünfzehn Jahren ebenso viel Verantwortung würde tragen müssen, wie Narcissa damals, ich weiß nicht, was ich darüber gedacht hätte. Vermutlich wäre ich geschockt gewesen, geschockt, und hätte nicht gewusst, was ich nun tun solle. Nicht gewusst, wie es mit Allem weitergehen solle, obgleich ich gewusst hätte, dass es weitergehen muss.
Du fragst dich sicherlich, warum ich mir die Mühe gemacht habe, all das hier aufzuschreiben, oder? Nun ja. Die Wahrheit ist, ich fühle mich hin und wieder erneut wie der kleine, Neunjährige der ich einmal war. Fühle mich genauso hilflos, zerbrechlich unter dem Druck der Erwartungen meiner Eltern, und genau so ängstlich bei dem Gedanken daran, dass unsere Familie immer mehr auseinander bricht. Dass das ganze Haus Black auseinander bricht, obgleich Mutter und Vater sich noch nicht ganz bewusst darüber zu sein scheinen. Ich fühle mich manchmal genauso ahnungslos wie damals.
Und ich hasse es. Ich hasse es, mich so zu fühlen. Ich bin kein kleines Kind mehr, also warum weiß ich nicht endlich, wo mein Platz ist? Wieso weiß ich nicht genau, was ich zu tun habe? Wieso weiß ich noch immer nicht, wie ich über Sirius' Verrat hinweg komme, und warum macht es mir noch immer etwas aus? Er hat mich im Stich gelassen, so, wie Andromeda damals Cissy im Stich gelassen hat. Ich muss nun seine Fehler ausbügeln, so, wie Narcissa Andromeda's hatte wieder gut machen müssen.
Cissy...ich wünschte nur, ich könnte momentan irgendwie mit ihr sprechen. Ich bin mir sicher, sie würde mich verstehen. Schon immer war sie aus der ganzen Familie diejenige gewesen, die mich am besten verstanden hatte. Vielleicht, weil auch sie bemerkt hat, wie ähnlich wir uns in einigen gewissen Punkten sind. Wie ähnlich sich unsere Schicksale in einigen Punkten sind.
Sie meinte einst, ich würde immer zu ihr kommen, mit ihr über meine Probleme sprechen können. Vielleicht schreibe ich ihr bald einen Brief. Ja. Ich glaube, das ist eine gute Idee.
Regulus
Ich konnte mir bereits denken, um was es in den nächsten Tagebucheinträgen gehen würde. Die Zukunft meines Bruders. Oder besser gesagt, um den Anfang vom Ende. Den Anfang vom Ende des Lebens meines jüngeren Bruders.
Ich wusste, dass alles in dem Sommer angefangen hatte, in dem Regulus sein dunkles Mal bekommen hatte. Doch gleichzeitig wusste ich auch, dass es damals lediglich stärkere Auswirkungen angenommen hatte. Dass es nicht erst in jenem Sommer angefangen hatte, auch, wenn ich selbst das öfter einmal dachte. Oder viel mehr denken wollte. Denn es hatte früher begonnen, obgleich ich es nicht wirklich wahrhaben wollte. Viel früher, bereits damals, als wir in verschiedene Häuser gekommen waren. Dass es bereits in unserer Kindheit begonnen hatte, auch, wenn ich noch immer nicht ganz verstand, was der Auslöser gewesen war. War der Auslöser tatsächlich jener Tag gewesen, an dem ich dem Haus Gryffindor zugeordnet wurde? Ich wusste es nicht genau.
Doch ich wusste, dass jener Sommer zwischen dem fünften und dem sechsten Schuljahr meines Bruders noch einmal alles verändert hatte. Dass sich unser Verhältnis noch einmal mehr verändert hatte, und das nicht zum Guten. Und vielleicht, ja, vielleicht bekam ich deshalb bereits zu diesem Zeitpunkt ein merkwürdiges Gefühl im Bauch, wenn ich an jenen Sommer zurück dachte.
24. April 1977
AN: Joa, das zweite Kapitel, das heute hier erscheint XD Hoffe es gefällt euch einigermaßen, obwohl ich so lange nicht mehr weitergeschrieben habe...joa😅🙃
Dann bis bald 😊
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