Traum oder Realität?
Die Straßen wurden noch schwach von den sparsam aufgestellten Laternen beleuchtet. Mehr hatte man uns nicht spendiert, wir mussten froh sein, dass es überhaupt Licht gab. Das Geld müsse gespart werden und sinnvoller investiert werden, hieß es. Ich war mir nicht sicher, was ich davon halten sollte. Nichtsdestotrotz liebte ich die Gegend hier, sie war so ruhig und friedlich, erinnerte fast schon an ein Dorf, in dem ich aufgewachsen war. Es sorgte für ein schönes Gefühl, als wäre alles wie früher. Ein paar Grünflächen hier und da, sogar einen See mit Wald gab es hier. Die Natur war einfach wunderschön. Ich schlenderte tiefenentspannt den Weg herunter und zählte die Laternen. Abwechselnd lief ich durch den beleuchteten Laternenkegel und wieder durch die Dunkelheit. Für einen Bruchteil schloss ich meine Augen und als ich sie wieder öffnete, betrat ich bereits erneut die beleuchteten Steine.
Mit Erschrecken stellte ich fest, dass ich nicht mehr alleine war.
Ich zuckte zusammen und hielt mir die Hand ans Herz.
„Oh mein Gott!"
"Dir auch hallo", gab Asmodeus grinsend von sich und lachte mich aus. So witzig war das jetzt nicht..
"Mach das nie wieder, hörst du?", ermahnte ich ihn und wollte ihm einen bösen Blick schenken. Also schaute ich ihn von der Seite aus an, bis er es bemerkte. Angestrengt versuchte ich, möglichst ernst und autoritär zu wirken. Nichts da. Er schaute belustigt auf mich herab und grinste weiter. Oh je, ich fühlte mich wie eine Mutter mit einem kleinen frechen Kind an der Seite, das stur die Worte seines Erziehungsberechtigten ignorierte und einfach mit dem weitermachte, wozu es Lust und Laune hatte.
Dieser Typ konnte sich immer noch nicht zusammen reißen. War es so lustig, mich zu erschrecken?
Erneut riskierte ich einen Blick nach oben.
Ich hatte keine Chance. Es fühlte sich an, als würde er mich allein mit seinen Blicken übertrumpfen, als wäre ich klein und machtlos. Wie um alles in der Welt konnte er meine Gefühle so sehr beeinflussen? Waren es seine tiefschwarzen Augen? Seine große, kräftige Gestalt? Oder sein ganzes düsteres Erscheinungsbild? Ich entschied mich für Letzteres. Wenn ich gewusst hätte, woran es lag, hätte ich das gekonnt ignorieren können, aber es war einfach alles an ihm überlegen. Auch wenn diese Tatsache beängstigend war, machte es ihn gleichzeitig so unglaublich interessant. Das Einzige, was mir Angst machte, war, dass ich die Ursache nicht verstand.
„Hast du schon aufgegeben?", fragte er höhnisch. Da ich wirklich nicht wusste, wie ich geschickt antworten sollte, weil ich ihm nicht ohne Weiteres diese Genugtuung gewähren wollte, drehte ich den Spieß um:
„Wo kommst du schon wieder so plötzlich her?! Das hätte ich doch bemerken müssen, meinst du nicht? Ist es nicht verdächtig, dass du zufällig auch hier vorbeiläufst??"
Jetzt war ich auf seine Antwort gespannt.
"Ich kann dich auch wieder alleine hier draußen im Dunkeln rumlaufen lassen..", flüsterte er mir in mein Ohr und kam mir dabei gefährlich nahe.
Verdammt, er hatte es schon wieder getan, mich in die Enge getrieben. Er wusste genau, dass ich dagegen nichts einwenden konnte.
„Schön, ich frage nicht weiter. Sag mir wenigstens, warum du hier bist."
„Aus dem gleichen Grund, aus dem du auch hier bist.", er zwinkerte mir zu, „Erzähl mir doch was von dir!"
„Ich kenne dich doch gar nicht. Nenn mir einen Grund, warum ich dir etwas aus meinem Privatleben erzählen sollte."
„Weil du mich magst! Uuund insgeheim würdest du gerne mit jemandem neutrales über deine Sorgen reden, jemand, der vollkommen unvoreingenommen ist und dir nicht sagen wird, was du tun und lassen sollst, was richtig und was falsch ist, nur um alle anderen glücklich zu machen. So denken viele Menschen nunmal, zumindest bist du eine von dieser Sorte.
Was sollten einem Fremden deine Probleme bringen? Was hast du zu verlieren?"
Wow, das hatte ich nicht erwartet. Wiedermal hatte er Recht. Konnte dieser Mann vielleicht Gedanken lesen?
„Okay, okay, wenn du mir dann auch etwas erzählst!"
Gleichberechtigung musste sein.
„Schön", erwartungsvoll schaute er mich an.
"Wo fange ich an, am Besten mit dem, das ich niemals Fremden ohne Grund erzählen würde, aber eigentlich so vieles über mich und mein Leben aussagt. Meine Eltern sind gestorben, als ich zwölf Jahre alt war, an dem Tag hatte sich alles geändert."
Ich legte eine kurze Pause ein, so wie ich es immer schon getan hatte, als ich Freunden davon erzählt hatte, um deren Reaktion zu beobachten und sie besser einschätzen zu können.
Zu meinem Erstaunen blieb er ruhig und schaute mich weiter aufmerksam an, während wir nebeneinander die lange, kurvige Straße hinabliefen, ganz ohne Ziel.
Ich fuhr fort:
"Ich hasste es, diese Nachricht überbringen zu müssen, einerseits natürlich, weil ich damals noch jedes mal in Tränen ausgebrochen bin und noch nicht gelernt hatte, damit umzugehen. Aber wie auch? Andererseits war es immer schwer für die gegenüberstehende Person, mit so etwas umzugehen, viele waren überfordert. Viele hatten Angst davor, das Falschen zu sagen, viele hielten Abstand, weil sie Angst hatten, mir nicht helfen zu können und es schlimmer zu machen. Es war eine Zwickmühle. Auch wenn das genauso blöd für mich war, konnte ich es verstehen, ich war ein Häufchen Elend. Sie schafften es nicht, mich aufzumuntern. Das war die schlimmste Zeit für mich. Aber wie du siehst, ich habe es geschafft, zusammen mit meiner besten Freundin, die trotzdem bei mir geblieben ist und ich dank ihr nun Teil unserer wunderbaren Clique bin. "
Ich stoppte, um zu sehen, ob ich ihn bereits langweilte.
Dies war nicht der Fall, er schaute mich immer noch aufmerksam an. Wirklich bewundernswert.
"Du bist ein guter Mensch, so geprägt vom Schicksal und trotzdem so selbstlos. Bitte, gib das niemals auf.
Du bist verdammt stark, du hast deine Vergangenheit akzeptiert und sie hat dich zu dem gemacht, das du jetzt bist, ein taffes Mädchen", er lächelte mich an. Ja, er lächelte tatsächlich.
Es klang, als wäre er stolz auf mich. Nur warum? Weil ich mein Leben weiter lebte? Und das, obwohl er immer noch ein Fremder war. Das hatte mir noch nie jemand gesagt. Dabei kannte er nicht einmal die ganze Geschichte.. Auch deshalb war ich so verwundert darüber, dass mich seine Worte so sehr berührten.
Ich fuhr fort, da ich gerade so ins Rollen gekommen war:
"Falls du dich fragst, wie sie gestorben sind... sie wurden ermordet. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen..."
Nun wurde er hellhörig.
"Hast du die Täter gesehen? Haben sie ihre gerechte Strafe erhalten?"
"Ich sehe es in Bruchstücken vor mir, aber leider habe ich keine Täter gesehen. Womöglich laufen sie immer noch auf freiem Fuß herum. Asmodeus, das ist meine allergrößte Angst. Dass diese Mistkerle niemals das erhalten werden, was sie verdienen! Es macht mich so fertig. Ich habe keine Anhaltspunkte. Ich würde alles dafür geben, das ist das einzige, wofür ich meine ganzen Werte aufgeben würde. Natürlich will ich sie nicht umbringen, das könnte ich nicht und dann wär ich selbst kein Stück besser als diese Monster. Ich möchte, dass sie leiden, weggesperrt und ihre Taten bereuen!"
Völlig außer Atem starrte ich ihn an. Die Wut hatte mich überrollt. Das hätte ich lieber nicht sagen sollen.
Doch Asmodeus war immer noch an meiner Seite.
„Alles, woran ich mich erinnere ist ein schwarze Gestalt, sie jagte mir eine Heidenangst ein. Möglicherweise der Killer. Keine Ahnung, warum er mich verschont hatte. Leider konnte ich nichts erkennen... außer.. oh mein Gott, ich erinnere mich an etwas, ein kleines Detail. Er hatte feuerrote Augen!! So etwas habe ich noch nie gesehen!"
Bei diesen Worten konnte ich plötzlich eine undefinierbare Reaktion in seinem Gesicht feststellen, soweit ich es in der Dunkelheit erkennen konnte. Nach kurzem Schweigen fing er zu sprechen an:
„Ich verspreche dir, sie werden das bekommen, was sie verdienen. Ich werde dir so gut helfen, wie ich kann"
Ein warmes Gefühl breitete sich in mir aus. Ich fühlte mich verstanden und war ihm unendlich dankbar. Ich fühlte mich nicht mehr so einsam.
„Aber... wie willst du das tun?", fragend drehte ich meinen Kopf erneut in seine Richtung und musste Feststellen, dass er verschwunden war. Das Gefühl verschwand augenblicklich wieder.
Beep! Beep!
Entsetzt fuhr ich aus meinem Bett. Kerzengerade saß ich da und verstand die Welt nicht mehr. Es war schon wieder ein Traum gewesen! Das konnte doch nicht sein! Wer war dieser Typ und warum träumte ich von ihm? Nun bereits das zweite Mal! Zugegebenermaßen wäre es zu schön gewesen, um wahr zu sein. Vermutlich war dies nichts weiter als eine Wunschvorstellung, die mein verkorkstes Hirn projizierte. Vielleicht sehnte ich mich wirklich nach jemandem, der mir eine Lösung auf den Mord meiner Eltern liefern konnte. Jemanden, der weiterhelfen konnte. Würde ich nächste Nacht wieder von ihm träumen? Ich würde es noch früh genug herausfinden.
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