Fatale Folgen leichtsinnigen Handelns

Dieser Abend war so unglaublich schön gewesen, das ich alles andere ausgeblendet hatte. Jedes mal war es, als wären wir in einer ganz anderen Welt. Und an genau diesem Abend ist mir etwas ganz Entscheidendes bewusst geworden, was ich so lange vor mir hergeschoben, ja regelrecht geleugnet hatte. Früher oder später würde es ans Licht kommen, wenn der richtige Zeitpunkt bestand. Leider waren Entscheidungen nicht so meine Stärke.

Genau wie gerade, wo ich in der Schule war und überlegte, ob ich Aiden lieber vorerst meiden sollte. Ein paar Sekunden hätte ich noch, bis er wohl durch den Flur laufen würde. Andererseits konnte ich nicht vor ihm weglaufen, außerdem habe ich ihn gebeten, die Nachhilfe auf heute zu verschieben. Es wurde Zeit, ehrlich mit ihm zu sein. Josie hatte Recht, mit meinem Gefühlschaos hielt ich ihn nur hin, er verdiente es nicht unter meiner Unentschlossenheit zu leiden. Nur konnte ich einfach keine optimale Lösung finden. In der Hinsicht durfte ich nicht an mich selbst denken, er verdiente etwas Besseres, was sich hundertprozentig für ihn entschied. Auch wenn der Gedanke Trauer auslöste, änderte es das Problem nicht.

Ich nahm all meinen Mut zusammen, atmete einmal tief ein und aus und ging schnurstracks auf Josie und Aiden zu, die gerade aus dem Unterricht kamen und mich bereits erhaschten.

"Ich würde gerne mit dir reden", überwand ich mich und sah ihn gespannt an. Mein Herz schlug bis zum Hals und das wurde nicht gerade besser, da beide relativ abgeneigt dreinschauten.

"Ist was passiert?", erkundigte ich mich verwirrt.

"Das kann man so sagen", gab Jo knapp zurück.

Ich wurde das Gefühl nicht los, dass ich angesprochen war.

"Aiden?", fügte ich kleinlaut hinzu.

"Du versetzt mich wegen diesem Typen, der dir sehr nahe zu stehen scheint. Hättest du nicht gleich sagen können, dass da jemand ist, anstatt mich so auf der Ersatzbank hinzuhalten?"

Geschockt und völlig fassungslos stand ich starr am Fleck, meine Augen auf Aiden fixiert.

Das musste erstmal sacken und verdaut werden.

"W..Was??", brachte ich, dass er das gerade wirklich ausgesprochen hatte, hervor.

"Ich denke, das war einleuchtend genug, Ti", ergriff sie für ihn das Wort, "ich habe dir doch letztens schon gesagt, du sollst ihn nicht hinhalten. Das ist echt nicht cool."

Das tat wirklich weh. Wie konnten sie das sagen? Ich würde ihn doch nicht anlügen! Außerdem hatte ich ihm doch gesagt, dass ich mir nicht sicher war. Daran war doch nichts falsch, oder?

"Ich verstehe wirklich nicht, wie du mir anhand eines Vorfalls so etwas vorwerfen kannst", murmelte ich verletzt.

"Ich verstehe auch vieles nicht Tiara", entgegnete er.

"Können wir das nicht wie erwachsene Menschen lösen? Ich sage dir, dass ich und Asmo gute Freunde sind. Warum sagst du so etwas, ohne die Wahrheit zu kennen?"

"Meinst du wirklich, ich soll dir das glauben? Warum sagst du mir seit mehreren Wochen, du kannst dich nicht entscheiden? Ich kann dir sagen warum: Du bist verliebt in ihn, aber willst es nicht zugeben, warum auch immer. Aber ich verstehe nicht, warum du mir nicht sagst, dass da noch jemand ist."

Bei diesem Satz stoppte mein Herz kurzzeitig und ein seltsames Gefühl durchquerte meinen Magen. Ich sollte verliebt in Asmo sein? War das überhaupt möglich? Verliebt in den Teufel? Wie konnte ich mich da herausreden, ohne ihm die Wahrheit zu offenbaren?

"Aiden, ich habe Asmo seit langer Zeit nicht mehr gesehen und konnte einfach nicht nein sagen, wenn er schon mal da war. Die Umstände sind wirklich blöd. Du verstehst das nicht..."

"Ich hab doch bemerkt, wie er dich angesehen hat..", gab er verletzt zurück. Das war mir gar nicht aufgefallen. Schaute mich Asmo wirklich anders an? Ich erinnerte mich vielmehr daran, wie er mich ununterbrochen auslachte. Aiden war wirklich neidisch auf Asmo. Auch wenn ich mich ungerecht behandelt fühlte, konnte ich ihn verstehen, und das war es, wofür ich mich unglaublich hasste. Aus meiner Angst heraus, hatte ich alles nur noch schlimmer gemacht. Ich wollte ihn nicht verletzen und habe genau das Gegenteil bewirkt. Ich fühlte mich schrecklich. Dabei hatte ich mir vorgenommen, ihm heute zu sagen, dass ich nicht die Richtige für ihn wäre und ihn nur verletzen würde. Diese Entscheidung hatte er mir nun abgenommen. Mich jetzt herauszureden, war falsch, damit machte ich es nicht besser.

"Es tut mir sehr leid, wenn das so rüber kam. Ich hätte früher offen sein sollen. Ich fühle mich schrecklich. Ich hatte geplant, dir heute zu sagen, dass ich nicht die Richtige für dich wäre und dich nur verletzen würde, aber das habe ich längst getan. Es tut mir verdammt leid Aiden. Ich hoffe ich kann es irgendwie wieder gut machen, ansonsten wäre ich sehr traurig, du bist einer meiner besten Freunde."

Konnte er nicht wenigstens irgendeine Reaktion zeigen, die mir Aufschluss gab?

"Danke für deine Entschuldigung, trotzdem bin ich enttäuscht und verletzt. Wir werden sehen...", sagte er noch und die beiden gingen an mir vorbei in Richtung Ausgang. Sie ließen mich stehen und ich fühlte mich wirklich scheiße. Wohl zurecht. Genervt von mir selbst fasste ich mir an die Stirn und versuchte mich erst einmal zu beruhigen. So hatte ich mir das nicht vorgestellt.

Heute Morgen war die Stimmung noch so ausgelassen, ein Windstoß und das Blatt wendete sich. Geknickt lief ich zum Ausgang und wollte am Liebsten im Boden versinken, hoffentlich hatten nicht allzu viele Mitschüler die Auseinandersetzung mitbekommen. Vom Verlangen getrieben, mit jemandem darüber zu Sprechen und mich besser zu fühlen, kam ich auf eine absolut verantwortungslose Idee.

Asmo würde nur bei Verbrechen gerufen werden. Wenn er also nicht zu mir kam, musste ich das Verbrechen aufsuchen. Keine Sorge, ich würde nichts anstellen, dafür war ich zu gutherzig, jedoch wusste ich, in welchem Viertel der Stadt es nicht mit rechten Dingen zuging. Jeder, der bei klarem Verstand war wusste, es wäre dumm spät nachmittags dort vorbeizulaufen, nur konnte ich einfach nicht mehr klar denken und ließ mich von meinen kindischen Gefühlen leiten. Warum war ich so verdammt leichtsinnig?

Gegen spät Nachmittag befand ich mich an besagter Stelle, es begann bereits zu dämmern und die Sonne verabschiedete sich. Das Viertel war mit einem kleinen Ghetto vergleichbar, die Häuser waren teilweise verlassen, teilweise sehr stark heruntergekommen, hier und da fehlten Fenster oder ganze Wände. Obwohl unsere Beleuchtung bereits sparsam war, gab es hier nicht mal eine einzige Laterne. Nur selten traf man hier auf Autos. Schwer vorstellbar, dass sowas in unserer schönen Stadt existierte. Es war wirklich verdammt unheimlich. Seltsam, dass unsere Oberhäupter sich nie darum geschert haben. Wahrscheinlich war es den Aufwand einfach nicht mehr wert und solange die Menschen hier ihr Ding trieben und andere Bewohner in Frieden leben ließen, sah sich niemand in der Position, etwas zu verändern. Es war offensichtlich, dass die Menschen hier Hilfe gebrauchen konnten, was mich sehr traurig machte. Und genau aus diesem Grund, eben weil sich hier hin niemand freiwillig hinschleppen würde, liefen hier so manche unmenschliche Dinge ab. Perfekte Beute für Asmodeus, dachte ich mir.

Vorsichtig schlich ich mich von Haus zu Haus und horchte, ob irgendwo gerade eine Auseinandersetzung oder Ähnliches stattfand. Ohne zu Bedenken, wie gefährlich das ausgehen könnte, lief ich immer weiter, meinen Kopf völlig ignorierend. Was war nur in mich gefahren? Hatte ich aus dem Vorfall mit dem Betrunkenen nichts gelernt? Denn daran erinnerte mich das Ambiente im Moment sehr stark. Und trotzdem machte ich keinen Halt. Tat ich das nur, um Asmo zu sehen? Das war Krankhaft, sich Verbrechen zum Nutzen zu machen! So weit war es schon gekommen! Verdammt Tiara! Das konnte ich nicht tun, mein Gewissen wurde immer stärker. Mit aller Kraft versuchte es mich davon zu überzeugen endlich umzukehren. Mit jedem Schritt wurde es lauter, bis das Fass schließlich zum Überlaufen kam. Fein, ich drehte um! Auf schnellstem Weg rannte ich dort hin, von wo ich gekommen war. Natürlich sollte ich kein Glück behalten. Wer so dämlich war, musste bestraft werden.

In etwa hundert Meter Entfernung pöbelten wie aus dem nichts drei Männer herum, von denen auf dem Hinweg weit und breit keine Spur zu sehen gewesen war. Schnell musste ich die klügste Option auswählen, umzukehren, sich zu verstecken, oder zu hoffen, sie würden mich nicht beachten. Letzteres war sehr unwahrscheinlich. Doch ehe ich eine Entscheidung treffen konnte, war es auch schon zu spät, ein Mann in übergroßer Bomberjacke schaute zu mir herüber.

"Wen haben wir denn da?", bemerkte er höhnisch. Bei klarem Verstand waren die schon lange nicht mehr. Würde sich das jetzt wirklich wiederholen? Adrenalin pumpte durch meine Venen, wie angewurzelt stand ich am Boden, meine Beine wollten sich einfach nicht bewegen.

Und in diesem Moment wurde mir mein aller größter Fehler überhaupt bewusst, den ich ja so naiv versucht hatte zu verdrängen: Der Mörder lief womöglich irgendwo hier draußen herum! Wie dämlich konnte ein Mensch sein, fragte ich mich und brach in Schnappatmung aus. Mein Arm begann seltsam zu kribbeln, genau dort, wo sich mein Armband befand. Augenblicklich verstummten die finsteren Stimmen hinter mir. Ängstlich drehte ich mich um. Die Typen waren verschwunden, stattdessen stand dort Asmo mit gesenktem Gesicht. Ein Stein fiel mir vom Herzen und ich musste mich erstmal auf die Knie stützen, um mich zu beruhigen.

Nach ein paar Atemzügen blickte ich wieder zu Asmo und erschrak, so finster stierte er mich an und ballte die Fäuste. Das war wahrhaftig die Aura eines Teufels.

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