Erinnerungen

Dies sollte der letzte Traum gewesen sein. Die nächsten Tage geschah nichts dergleichen. Ich verbrachte meine freien Nachmittage mit Aiden und genoss jede einzelne Sekunde an seiner Seite. Warum hatte ich mich nicht schon früher entscheiden können? Vollkommen blind übersah ich, was für ein herzensguter Freund er doch war. Ob wir uns den einen Abend zum Lernen trafen, und ich mich vor Aufregung kaum konzentrieren konnte,  da so ein süßer Typ neben mir saß und mich mit meinen Fehlern aufzog, aber sofort stoppte, als er sah, dass ich beleidigt war und mir als Entschuldigung alles nochmal erklärte. Oder ob wir gemeinsam in die Bücherei gingen, um Bücher für einen Schulaufsatz auszuleihen und wir eine halbe Stunde lang brauchend, endlich kichernd das Buch fanden. Ob er mir vorlas und ein halbes Theater veranstaltete, so dass wir schon doof angeschaut wurden. Nie wurde es langweilig. Und doch tauchte immer wieder dieses Gefühl in mir auf, das ich einfach runterschluckte.

"Alles okay?", hatte Aiden liebevoll gefragt.

"Ja, alles gut", hatte ich zurück gelächelt, auch wenn es nicht stimmte und das wusste meine Seele.

Den einen Tag war ich gerade auf dem Weg zur Arbeit. Vorsichtshalber kam ich überpünktlich, um meinen Job nicht noch einmal zu gefährden.

Nur noch einige Male um die Ecke müsste ich laufen, bis ich da wäre, doch dann hörte ich ein paar aggressive Stimmen.

Neugierig folgte ich ihnen, bis ich fast da war, doch dann verstummten sie einfach so. Verwirrt lugte ich mit einem Augen um die Ecke der Seitengasse und erkannte einen Mann in schwarz. Sein Kopf war zu Boden gesenkt, ich konnte sein Gesicht nicht erkennen. Außerdem stand er in einiger Entfernung. Als er allerdings seinen Kopf hob, gefror mein Herz, wie in Zeitlupe und drohte auseinanderzubrechen, als ich wahrnahm, wer dort stand. Es war der Mann aus meinem Traum! Träumte ich immer noch! Nein, ich spüre alles am eigenen Leibe. Wie um alles in der Welt?! Meine Atmung beschleunigte sich, eine Entscheidung musste her. Hatte er mich gesehen?

Wenn nicht jetzt, dann nie! 

"Tiara! Los! Stell dich nicht so an! Er hat gesagt, er würde die Antwort kennen. Du wirst es sonst nie erfahren!", er Mut überkam mich, ich machte selbstbewusst einige Schritte um die Ecke. 

"Hey, Sie da! Ich kenne Sie!"

Der Mann hatte nicht damit gerechnet, aus sicherer Entfernung starrte er mich an, als wär ich ein Alien und war wie festgewachsen.

"Ich habe Sie gesehen! In meinem Traum!"

Wie blöd klang das eigentlich?! Ich ging auf einen Fremden zu und erzählte ihm, ich hätte ihn im Traum gesehen?! Was musste der sich nur denken? Ich war verrückt geworden. Meine Schritten wurden so schnell, ich konnte sie nicht mehr aufhalten. Mein Körper arbeitete wieder wild entschlossen dem Verstand entgegen.

Je näher ich kam, desto unheimlicher wurde er. Am wenigsten hatte ich damit gerechnet, dass er kurzerhand kehrt machte und vor mir wegzulaufen versuchte. Weglaufen? Vor mir? Da stimmte etwas gewaltig nicht!

"Stehen bleiben!", kam es aus meiner Kehle heraus. War ich zum Verfolger mutiert?

Der fliehende dachte nicht einmal daran. Völlig außer Atem blieb ich stehen und verschnaufte, da kam mir die entscheidende Idee! Ich kannte die Gassen sehr gut, also würde ich ihm den Weg abschneiden. Meinen Berechnungen zufolge musste er irgendwann zurück auf die Hauptstraße, die Gassen würden dort hinten enden. Flink nutzte ich die Gelegenheit und rannte zurück, um von vorne in seine vermeintliche Gasse zu treten und ihn abzufangen.

Warum hatte ich keine Angst vor einem Fremden schwarzen, der meine Körpergröße um Einiges überragte und mich locker umhauen könnte? Mein Herz lenkte mich und verbannte den Verstand.

Da stellte ich mich genau rechtzeitig auf. Er stand direkt vor mir und konnte nicht verhindern, dass ich direkt sein Gesicht sah! Dieses Gesicht kam mir so verdammt bekannt vor. Ich war wie in Trance, meine Finger bewegten sich wie von alleine, unsere tiefen Blicke trafen sich. Meine Finger legten sich auf seine Wange und fuhren behutsam die Narbe darauf entlang, die sich quer über seinen Knochen zog. Besonders alt konnte sie noch nicht sein, sie wirkte frisch verheilt. Seine Augen blickten mir bis in die Seele, so pechschwarz waren sie, seine Haare ganz durcheinander, sie hingen fast darüber. Dieses Aussehen verpasste ihm etwas ganz Einzigartiges, er war nicht wie die Anderen. Meine ganze Hand kribbelte, dort wo ich seine Haut berührt hatte. Ebenso wie mein Armband erneut zu kribbeln begann. Immer noch innig in die Augen blickend, so gefesselt von diesem unbeschreiblichen Gefühl, legte er seine Hand auf meine, die an seinem Gesicht verharrte. Meine Hand leitete einen Impuls durch den ganzen Körper, so viel bewirkte diese eine Berührung. Da war etwas zwischen uns, das ich nicht begreifen konnte. Alles um uns herum fror ein, da war nur noch dieses unglaubliche Gesicht, dass ich nicht mehr vergessen konnte. Alles was in meinem Kopf schwebte, all diese Fragen, vergaß ich für diesen Moment. Dieser Fremde ließ mich etwas fühlen, was ich nie zuvor verspürt hatte. Ich konnte einfach nicht von ihm ablassen.

"Ich kenne dich", meldete sich meine innere Stimme wie von selbst.

Ich sah Furcht hinter seiner mächtigen Präsenz. Das war nur Fassade, hinter seinen Augen war Schmerz. Und Trauer. Er hatte Angst. Ich wusste nicht wieso. Ich wollte es herausfinden.

"Tiara", wisperte er plötzlich und ließ meine Adern erneut gefrieren. Die Stimme des Erzählers hallte in ihm wieder. Er war es wahrhaftig. Diese Weise, wie er es aussprach, noch nie vernahm ich so viele Gefühle in einem Wort. Was war diesem Mann widerfahren? Warum fühlte seine Nähe sich so vertraut an?

"Woher kennst du meinen Namen?", wisperte ich unkontrolliert zurück.

"Ich kenne dich schon seit einer sehr langen Zeit. Länger als du glaubst..", flüsterte er in einer sanften Tonlage, die mein Herz erwärmen ließ.

"Wer bist du?", diese Frage lag mir schon so lange auf der Seele.

"Das willst du nicht wissen. Ich bin das Böse", seine Stimme wurde immer leiser, er hauchte den Satz nur noch.

"Du bist nicht böse, ich spüre den Schmerz in dir. Was auch immer es ist, verstecke dich nicht dahinter. Lauf nicht davor weg."

"Du verstehst nicht!", da war sie wieder, die Wut.

"Dann lass es mich verstehen", sagte mein Unterbewusstsein zu diesem Mann, den ich eigentlich überhaupt nicht kannte. Wie ein Film spielte sich das ab, ich blickte auf meine innere Stimme herab, die da ohne Furcht aus mir sprach.

Keuchend biss dieser Mann sich auf die Lippen, mit sich selbst ringend, eine Entscheidung treffend. Jeder sah ihm den Konflikt an, den er in sich trug. Dabei war es so leicht...

"Lass es raus..", redete ich langsam auf ihn ein.

Behutsam legte er die Hände auf meine Wangen, strich vorsichtig mit seinen Daumen über die weiche Haut, ließ mich dieses wunderbare Kribbeln erneut spüren, so dass ich ihn gewähren ließ. Er lenkte mein Herz, ohne dass ich etwas dagegen unternehmen konnte, als würde er meine Gedanken beeinflussen.

Mein Blick wanderte zu seiner Hand, hinauf zu seinem Gesicht. Mein Atem wurde immer schwerer. Was würde nun geschehen? 

Da geschah etwas Unbegreifliches, seine Augen! Sie leuchteten in einem feurigen rot, dass mich total faszinierte.

"Was ist dir widerfahren?", fragte ich wie in Trance und studierte dieses Feuer.

"Ich habe jemanden verloren..."zischte er. 

"Das tut mir sehr leid. Ich habe auch jemanden verloren. Der Schmerz verfolgt einen das Leben lang..."

"Sie war unglaublich...", schwärmte er gedankenverloren.

"War sie deine Freundin?", fragte ich vorsichtig.

"Ich weiß nicht. Alles was ich weiß ist, dass ich sie geliebt habe. Doch das, was ich ihr angetan habe, wird sie mir niemals verzeihen...", entwich seinem Auge da eine einsame Träne?

"Warum nicht?", ignorierte mein Unterbewusstsein die Tatsache, das ich nicht wusste, was er mit diesem Mädchen angestellt hatte.

"Ich habe sie gegen ihren Willen gehen lassen. Ich habe es nicht anders verdient. Nun hat sie jemand anderen, der sie glücklich macht. Meine Zeit hier ist abgelaufen..."

"Es ist nie zu spät, für die Liebe zu kämpfen", murmelte ich und etwas hinter seinen Augen hatte sich verändert. Seine Hände strahlten auf einmal diese Wärme aus, die durch meinen Kopf zog. Ganz viele kleine Impulse setzten etwas in meinem Gehirn in Gang. Mir wurde ganz schummrig vor Augen, ich hörte unbekannte Stimmen, sah alles doppelt und dreifach, die Umgebung begann zu rauschen, als blitzartig tausend Bilder in meinen Kopf schossen. Tausend Einzelheiten, die wie Flashbacks vor meinen Augen abliefen. Zitternd stand ich da, ließ es über mich ergehen. Alles prasselte auf mich ein, die ganzen Bilder, die noch ohne Zusammenhang für mich schienen. Immer mehr und mehr leuchteten vor meinen Augen, als würde ich die Momente erneut durchleben. Mein ganzer Körper zuckte unter dem Anschwall. Was passierte mit mir? Was flößte er mir ein? Würde das mein Ende sein? Ich sah mich, mit diesem Mann an meiner Seite, ich sah uns reden, in Zeitraffer sah ich all unsere Treffen an mir vorbeifliegen. Mein Bauch verkrampfte sich unter diesem ziehenden Gefühl, dass mich fast verschlang. Es zog sich bis in mein Herz hinein, bis zu dem Punkt als ich ihn diesen einen Satz sagen hörte, als wir uns das erste mal begegneten: "Nenn mich doch Asmodeus!"


Asmo.

Mein Herz bleib stehen. Der Satz löste eine Kettenreaktion aus. Nach Luft rinnend riss ich meine Augen auf und starrte ihn mit offenem Munde an. Sprachlos stand ich da und starrte ihn an. Mein Herz hämmerte wie wild. Ein unglaublicher Schmerz bahnte sich an. Jetzt sah alles klar und deutlich! 

Ich erinnerte mich an alles...





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