Der Mann in schwarz
Mit getrübten Blicken verließen wir das Revier. Würden sie etwas herausfinden, riefen sie mich an, wurde mir mitgeteilt. Seufzend dachte ich daran, dass die Polizei nichts weiter als diesen Brief hatte. Zwar kannte ich mich in diesem Bereich zu wenig aus, um voreilige Schlüsse zu ziehen, aber die Wahrheit war nun mal, dass sie es damals, vor sechs Jahren nicht hinbekommen haben, wie sollten sie dann jetzt das Rätsel lösen? Wie sollte man sich sonst in so einer Situation fühlen?
Jo legte ihre Hand auf meine Schulter und schaute mich mitleidig an:
"Ti... wenn ich irgendwas für dich tun kann...".
"Lenk mich davon ab, okay? Bring mich zum Lachen... wie immer", brachte ich notgedrungen heraus.
"Ich werde mein Bestes geben Hase. Und wenn es sein muss, werde ich den Polizisten persönlich in den Hintern treten!"
Amüsiert lächelte ich sie an. Das gefiel mir schon viel besser. Jetzt wieder in Trauer zu verfallen, war das Letzte, was ich wollte. So lange Zeit war nötig, halbwegs mit den Verlusten zu leben und irgend so ein dahergelaufener Idiot würde das jetzt nicht einfach so kaputt machen!
"Du Jo, ich werde jetzt zu meiner Schicht gehen. Wir schreiben nachher nochmal, okay?"
Entgeistert weiteten sich ihre Augen und sie starrte mich an, während ich spürte, wie sich die Vorwürfe anbahnten. So viel zum Tema ablenken.
"Du willst jetzt wirklich wieder zur Arbeit gehen? Das ist verdammt gefährlich! Da draußen läuft ein Mörder rum, der es auf dich abgesehen hat! Was denkst du dir denn dabei? Gar nichts! Er könnte dich jederzeit holen! Vor allem heute Abend im Dunkeln, wenn du nach Hause gehst. Zack, in die Seitengasse und dann ist es vorbei! Das werde ich nicht zulassen! Ich.."
"Hör auf Jo! Es reicht!", unterbrach ich ihre Kampfansage, "ich habe dich darum gebeten, mich davon abzulenken. Was soll ich denn machen? Wieder zuhause in meinem Zimmer hocken und das Leben vorbeiziehen lassen? Dann würde es auch keinen Unterschied machen, so hart es klingen mag. Bitte versteh, dass ich nicht wieder zu der alten Tiara werden möchte. Ich hab das hinter mir. Ich will mich nicht vor meinem Leben verstecken. Mein Leben ist hier draußen mit euch. Und er wird mir das verdammt nochmal nicht nehmen. Außerdem hat der Typ gesagt, von dem wir noch nicht einmal wissen, ob das überhaupt echt ist, dass er mir noch ein paar Wochen lässt. Also warum darf ich dann nicht noch ein bisschen Spaß haben?"
Die Sekunde darauf bereute ich bereits, was aus meinem Mund geflogen ist. Jo sah verletzt aus, ihre Augen wurden leicht glasig und ihre Mundwinkel saßen tief. Dieser Anblick versetzte einen Stich in mein Herz.
"Oh Gott, es tut mir so furchtbar leid! Es ist so über mich gekommen, das war unglaublich egoistisch von mir. Bitte verzeih mir. Ich weiß doch, dass du dir nur Sorgen machst. Es ist nur so, dass mich bei diesem Thema die Gefühle so überwältigen", voller Schuldgefühle suchte ich ihren Blick.
Nach einer kurzen Schweigepause atmete sie tief durch und gab mir endlich eine Antwort:
"Ist schon okay. Ja, du kannst nicht abstreiten, dass es sehr leichtsinnig ist, jetzt noch ohne Vorsicht draußen rumzulaufen. In diesem Punkt muss ich nun mal egoistisch sein, da wir dich nicht verlieren wollen! Ich kann dir nicht böse sein, ich weiß wie schwer das für dich sein muss, ich meine, du hast ein Trauma und alles wird zurück gespult. Ich möchte einfach, dass es dir gut geht."
Erleichtert drückte ich sie an mich und flüsterte "Ich hab dich lieb" in ihr Ohr.
"Ich verspreche, ich bin vorsichtig".
"Lass mich dich wenigstens zum Café begleiten", ermahnend zog sie ihre Jeansjacke an und deutete mir an, mich in Bewegung zu setzen.
Heute Nachmittag war das Café sehr gut besucht, sodass wir Mitarbeiter alle Hände voll zu tun hatten. Kaum servierte ich einen Cappuccino mit extra viel Sahne, kommandierte mich auch schon der nächste Klient zum Tisch. Etwas Gutes hatte der Trubel ja, ich vergaß meine Sorgen für einen Nachmittag. Da wartete auch schon Frau Zanka am Tresen.
"Ich komme sofort Frau Zanka", rief ich ihr gestresst entgegen, in der einen Hand das Tablett und in der anderen das Portemonnaie haltend.
Völlig außer Atem stoppte ich vor ihr und schnaufte ein paar mal durch.
"Ach Liebes, du gibst dir so viel Mühe, da würde ich mit Freuden ein paar Euro mehr zahlen", lächelte sie mich herzlich an und stützte sich dabei auf ihren Gehstock.
"Das ist total lieb von Ihnen. Ich freue mich immer sehr, wenn sie vorbeischauen", erwiderte ich ihr Lächeln. Diesmal gab ich mir besonders viel Mühe beim zubereiten des Kaffees, wie sie ihn liebte. Diese Frau war so süß, sie erinnerte mich immer an meine eigene Oma. Bei dem Gedanken wünschte ich mir irgendwie, später auch einmal so eine süße Omi zu sein, die die Welt ein Stückchen besser machte.
Strahlend überreichte ich der Dame den Kaffee. Ihr Blick war jedes mal eine Freude für mein Herz.
"Der duftet aber besonders gut! Du machst die besten Kaffees, da lasse ich nicht mit mir streiten!"
"Ich fühle mich geschmeichelt. Immer wieder gerne."
"Hier, behalte das, keine Widerrede", flüsterte sie, mir einen Schein in die Hand drückend. Mit großen Augen blickte ich sie an, da ich sehr bescheiden war.
Freundlich nickte sie und stöckelte friedlich mit ihrem Gehstock in Richtung Ausgang, ehe ich "Vielen herzlichen Dank!" hinterherrufen konnte.
Zufrieden beobachtete ich, wie ein großer, in schwarz gekleideter Mann, ihr die Tür aufhielt und sie dankend hinausbewegte.
"Keine Ursache".
Bei diesen Worten wurde ich hellhörig und mir stockte der Atem. Diese Stimme! Sofort starrte ich zu der Stelle, an dem eben noch der Fremde gestanden hatten. Meine Augen wurden enttäuscht, er war nicht mehr zu sehen. Das ließ mir keine Ruhe mehr. Die Stimme kam mir so vertraut vor, jedoch konnte ich sein Gesicht nicht sehen, er stand mit dem Rücken zu mir, bevor er verschwunden war. Verzweifelt versuchte mein Kopf, der Stimme ein passendes Bild zuzuordnen, die Suche sollte jedoch ohne Erfolg bleiben.
Wie durch Zauberhand schlüpfte ich aus meiner Schürze, schnappte meine Tasche und lief zur Tür.
"Ich mache Feierabend für heute", hörte ich mich noch reden, als ich auch schon durch die Tür rauschte. Wohin konnte er so schnell gegangen sein? Das Café befand sich an der Hauptstraße, relativ belebt dazu, er konnte ihr nur gefolgt sein.
Hastig rannte ich die Straße entlang. Ich müsste ihn doch irgendwo sehen können. Er war hier irgendwo, ganz bestimmt.
Wie ich so lief, bemerkte ich den betrunkenen Mann, der aus einer Seitengasse in meine Bahn lief. Es kam wie es kommen musste, wir prallten zusammen. Glücklicherweise kam niemand zu Fall. Entsetzt suchte ich seinen Blick und entschuldigte mich viele Male bei ihm. Was war nur in mich gefahren, wie eine Irre über die Einkaufspassage zu laufen und nicht mal zu wissen, wo eigentlich mein Ziel war.
Erleichtert atmete ich auf, als ich bemerkte, dass der Mann sich nicht verletzt hatte. Das hätte mir gerade noch gefehlt.
Nach einiger Zeit fing er zu meiner Überraschung an, herumzufuchteln und mich zu beleidigen:
"Du ungezogene Göre, was fällt dir ein".
Verunsichert wich ich zurück, jedoch trat er einen Schritt auf mich zu und fing an mich regelrecht zu bedrängen.
"Bitte hören sie auf, Sie sind betrunken!", schrie ich nun etwas energischer.
Besagter zeigte keinerlei Interesse an meinen Worten. Ruckartig packte er unsanft meinen Arm, der zu schmerzen begann.
"Lassen Sie mich los!", schrie ich und versuchte mich aus seinem Griff zu befreien. Vergebens. Mein Puls schoss in die Höhe und meine Knie begannen zu zittern. Hörte mich denn niemand?
Meine angsterfüllten Blicke schweiften zu seiner anderen Hand, in der er eine zerschmetterte Bierflasche hielt. Scheinbar hatte er bereits einige Wutanfälle gehabt.
"Hör auf zu schreien!", fuhr er mich aggressiv an und hielt bedrohlich die Bierflasche in meine Richtung. Mit weit aufgerissenen Augen sah ich diese immer näher kommen und bereits mit einem stechenden Schmerz, die Kante meine Wange berühren. Tränen sammelten sich in meinen Augen und ich wollte schreien, als der Betrunkene ruckartig von mir weggerissen wurde.
Erschrocken und gleichzeitig erleichtert stand ich starr am Fleck und versuchte zu realisieren was gerade passiert war. Meine Tränen wegwischend hoffte ich, meinen Retter zu erkennen. Blinzelnd erblickte ich den Mann in schwarz, der indirekt der Grund für meinen Zusammenstoß gewesen war. Der Mann aus dem Café! Abermals war sein Rücken zu mir gerichtet, meinen Angreifer festhaltend. Noch zitternd wagte ich ein paar Schritte und sah entsetzt, wie der Mann in schwarz von hinten seine Arme mit einer bloßen Hand zusammenhielt und mit der anderen an die Kehle griff.
"WAS TUN SIE DA?!", entfuhr es meinem Mund. Natürlich verdiente der Betrunkene eine Strafe, aber doch nicht so! Sollte ich vor dem schwarzen Mann ebenfalls Angst haben? Endlich zur Besinnung kommend tippte ich die Nummer der Polizei in mein Handy.
Ein Impuls brachte meinen ganzen Körper zum zucken, als mir gewaltsam das Handy aus der Hand gerissen wurde. Eben noch hatte er den Typen mit aller Kraft festgehalten, nun schien die bloße Hand an seiner Kehle auszureichen. Erst half er mir und nun hinderte er mich daran, die Polizei zu rufen?! Ein Teil von mir hatte bereits abgeschlossen und vor lauter Angst wurde mir schwindelig. Mit den Händen hielt ich meinen Kopf und mit großer Anstrengung blickte ich zum Fremden herauf.
"Ich werde ihm nichts tun", die Stimme ließ mich erschaudern. Das konnte doch nicht...
Nach langem Warten drehte der Mann in schwarz endlich seinen Kopf zu mir. Der Anblick verschlug mir die Sprache, taumelnd trat ich ein paar Schritte zurück und drohte umzukippen. Als wenn das nicht schon genug gewesen wäre, dachte ich noch als ich die Besinnung verlor und aufgefangen wurde.
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