2. Kapitel

Yuta streckte und räkelte sich. Er gähnte und seufzte. Es war ein neuer Tag und er lag in seinem Bett, oder eher seiner Liege. Seit die Polizei ein paar Indizien gefunden hatte, die sie auf kurz oder lang zu ihm geführt hätten, hatte er aus seiner alten Wohnung ausziehen müssen  und lebte jetzt in einer alten verlassenen Fabrik. Schön war es hier nicht gerade, doch er hatte ein Dach über dem Kopf und das musste reichen.
Er war nicht von dem Zwitschern von Vögeln, der Sonne oder dem rauschen des Windes in den Blätter der Bäume geweckt worden, sondern von dem nervigen Piepen seines Handys. Er seufzte nochmal und rollte sich dann auf die Seite, um mit geschlossenen Augen nach seinem Handy zu greifen. Es war ein altes Tastenhandy mit genau zwei eingespeicherten Nummern.
„Ja?“, fragte er mit rauer Stimme, nachdem er abgehoben hatte.
„Hallo, Z.“, sagte die Stimme am anderen Ende der Leitung. Yuta erkannte sofort, wer es war. „Ich habe einen neuen Aufragt für dich.“, kam die Frau, die ihn angerufen hatte, direkt zur Sache. „Es handelt sich um eine Übergabe. Du holst die Sachen bei uns ab und bringst sie dann zu einer Adresse, die dir noch gegeben wird.“ Ohne auf Yutas Antwort zu warten, legte sie auf.
Yuta raffte sich hoch und ging zu seinem Kleiderschrank. Ab jetzt hatte er ein Zeitfenster von circa 30 Minuten, bis er da sein musste, also musste er sich beeilen. Er zog sich unauffällige Kleidung an und streifte dann seinen Motorradhelm über.
Mit schweren Schritten ging die Stufen der Fabrik hinunter. Unter seinen Füßen war die Treppe fast komplett zerfallen und er hatte das Gefühl, dass die Reste jeden Moment unter ihm einbrechen würde, doch das dachte er auch schon seit zwei Wochen. Der Putz von den Wänden war schon lange abgefallen, sodass man nur die kalten Backsteine der Mauer sehen konnte. Je näher er dem Ausgang kam, desto mehr Unkraut wuchs zwischen den Spalten im Boden. Er ging durch die Tür, die nur noch halb in den Angeln hing und stand dann auf einem großen Feld. Yuta bewegte sich durch das hohe Gras hin zum Zaun, der die gesamte Fabrik umgab. Er schlüpfte hindurch und lief dann weiter in die Richtung, wo sein Motorrad stand. Er stellte es immer abseits ab, damit man nicht direkt wusste, wo er war, wenn man sein Motorrad fand. Die Polizei suchte schon lange nach ihm. Besser gesagt, sie suchten nach einem Unbekannten namens Z mit seinem Gesicht. Aber mehr wussten sie auch nicht, außer, dass er einer von den Bösen war. Einer, der andere verletzte. Einer, der gegen das Gesetzt handelte. Yuta konnte mit all dem nichts anfangen und es war ihm auch egal. Er wurde gut bezahlt und hatte nicht all zu viel Stress in seinem Leben. Die Dinge, die er tun musste und der Charakter, den er spielen musste, waren nichts, was ihn störte. Er musste sich nicht groß verstellen. Also war es ihm egal.

Yuta stand inzwischen in dem angrenzenden Wald und schwang sich auf sein Motorrad. Er mochte es nicht, über solche Sachen nachzudenken. Am Ende stand er immer nur vor dem selben Ergebnis: Dass es unnötig war. Er sollte sich nicht ablenken lassen und sich einfach nur darauf konzentrieren, seinen Job gut auszuführen. Und außerhalb der arbeit wollte er auch nicht weiter davon gestört werden.

Nach circa zwanzig Minuten öffnete er die Tür zu einem heruntergekommenen Mehr-familienhaus. Dieser war einer ihrer Standposten, nichts großes. Es war unauffällig und man konnte gut Waren abholen. Er stieg zwei Stockwerke hoch und klopfte dann an eineTür. Nach einigen Momenten öffnete jemand die Tür. Dieser jemand war ein hochgewachsener Mann im Schlafanzug mit verschlafenen Augen und verstrubbelten Haaren. Er war der Besitzer dieser Wohnung und hatte sich vor einigen Jahren dazu bereit erklärt, dass sie die Wohnung hier für ihre Zwecke nutzen konnten. Er war kein Teil des engeren Teams. Er war eher ein Vertrauter.
„Hey Z, na?“, murmelte er noch verschlafen und ließ Yuta in den Flur treten. Yuta nickte ihm nur zu und schritt durch die Wohnung .
„So gesprächig wie immer, was?“, sagte der junge Mann leicht belustigt und folgte ihm. „Komm mit.“ Er lief vor ins Wohnzimmer. Dort lag ein Päckchen auf dem Tisch.
Ah, heute mal was kleines, dachte Yuta und ernsthaft, er war froh drüber. In der letzten Woche hatte er sehr anstrengende Aufträge gehabt und war erleichtert, dass er heute wenigstens den Tag entspannt angehen konnte. Eine Erinnerung zuckte durch sein Gedächtnis und sofort bekam er eine Gänsehaut. Er wollte nicht darüber nachdenken. Er hatte die Erinnerung in die hinterste Ecke seines Bewusstseins gedrängt und wollte auch nicht, dass sie wieder hervor kam. Er wollte sich nicht daran erinnern. Er wollte sich nicht daran erinnern, wie er auf dem Boden gelegen hatte. Wie er erst nach Stunden gefunden wurde. Er wollte sich nicht daran erinnern, wie er von einem Freund wachgerüttelt worden war. Er wollte sich nicht daran erinnern, wie enttäuscht alle ausgesehen hatten. Es war immerhin seine erste gescheiterte Mission. Und vor allem wollte er sich nicht an den Moment erinnern, in dem ihm klar geworden war, dass alles davon real war und so auch alles, was davor passiert war, real gewesen sein musste. Der Moment, indem er bei einem Arzt gesessen und dieser ihm bestätigte, dass alles mit ihm in Ordnung wäre, dass er weder niedergeschlagen noch vergiftet worden war und dass auch sonst nichts vorlag. Der Moment, in dem ihm der Ekel überkommen und er sich übergeben hatte.
„Vielleicht brauchst du einfach etwas Ruhe. Du hast ja nen ziemlich stressigen Job.“, hatte der Arzt gesagt und Yuta hatte den Kopf geschüttelt. Er brauchte keine Ruhe. Denn wenn er Ruhe hatte, hatte er Zeit zum Nachdenken und das wollte er nicht. Er hatte sich dann mit seinem Arzt darauf geeinigt, dass er zwar weiterhin genauso viele Jobs wie vorher bekommen würde, sie allerdings entspannter und weniger relevant für die Organisation sein würden. Und damit war Yuta sehr zufrieden. Er brauchte nämlich keine Ruhe, sondern Entspannung.
„Du sollst das um zwölf in irgendner Kirche in der Nähe von hier übergeben.“, sagte der Mann hinter ihm und riss Yuta somit aus seinen Gedanken. Yuta nahm das Päckchen, öffnete es und blickte neugierig hinein. „Irgendein Edelstein oder so. Aus nem Museum.“, fügte der junge Mann noch erklärend hinzu. Yuta wusste, was es war. Er und das Team hatten ihn schließlich vor ein paar Wochen aus einem Museum entwendet. Es handelte sich jedoch nicht um einen Edelstein, sondern um einen aus diamanten gefertigten Skarabäus, der in eine goldene Kette gefasst war. Nun war es für dieses ägyptische Artefakt anscheinend an der Zeit, den Besitzer zu wechseln.
Viel eher wunderte sich Yuta über den Übergabeort. Eine Kirche? Normalerweise suchten sich Kunden Orte aus, die man gut erreichen konnte, von denen man schnell abhauen konnte, falls man entdeckt wurde und wo man nicht zu viel aber auch nicht zu wenig auffiel. Eine Kirche erfüllte keine dieser Bedingungen, vor allem nicht um diese Uhrzeit. Yuta seufzte innerlich. Anscheinend würde es doch kein entspannter Tag werden. Menschen, die sich solche Plätze aussuchten, brachten immer Ärger mit sich. Entweder, weil sie selbst versuchten, einen in eine Falle zu locken oder weil sie einfach zu auffällig, zu unerfahren oder zu ängstlich waren. Anscheinend waren gerade mehre ihrer Männer verletzt oder anderweitig beschäftigt, sodass Yuta, obwohl er ja eigentlich eine kleine Stressauszeit kriegen sollte, trotzdem einen solchen Job abbekam. Tja, kann man wohl nichts dran ändern, dachte Yuta.
„Welche Kirche denn genau?“, fragte er, als er das Päckchen wieder schloss und einpackte.
„Sankt Maria irgendwas. Warte kurz.“ Der junge Mann begann in einem Stapel aus Papieren, der auf seinem Esstisch rumlag, herumzukramen. „Sankt Maria Magdalena.“, las er dann von einem kleinen Schnibsel ab und blickte zu Yuta. „Weißt du, wo die ist oder brauchst du noch ne Karte oder so?“
„Geht auch so.“, murmelte Yuta als Antwort. Ein großer Teil der Ausbildung, die er genossen hatte, war dass man seine Umgebung und die Stadt in und auswendig kannte. Er hatte sich früher immer gefragt, wofür man sowas wie Park- oder Straßennamen auswendig kennen musste, doch nachdem er dann die ersten Jobs erhalten hatte, war es ihm recht schnell bewusst geworden. Auch jetzt war er mal wieder froh darüber, keine unnötige Zeit verschwenden zu müssen, sondern direkt losfahren zu können.
„Na dann, viel Glück und Spaß und so.“, sagte der junge Mann lächelnd und begleitete Yuta noch zur Tür. Yuta nickte zur Verabschiedung noch und ging dann die Stufen wieder runter.

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