Die Seelenweberinnen
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Es ging kein Wind, aber die Stofffetzen in den Ästen bewegten sich trotzdem und das war nicht okay. Mika'il streckte eine Hand nach ihnen aus und zögerte. Sie waren überall. In den Ästen hoch über seinem Kopf, um winzige Pilze gewunden und in dem Geweih des Hirsches, den er vor drei Tagen gesehen hatte.
Konfetti wäre ihm lieber gewesen. Der ganze Wald wisperte von ihrem stillen Tanz. Sie hatten ihn hierher geleitet, an den Abgrund. Kreisrund schlummerte die Schlucht versteckt in dem Wald. Ein einziger Felsblock streckte sich aus ihr heraus und auf ihm ein Haus, das auf halbem Weg zu einer Burgruine war.
Ein Gruselhaus. Mika'ils Maske bekam einen Riss, als er es eingehender musterte. Eine breite steinerne Brücke führte hinüber, aber Mika'il bewegte sich nicht. Die hatte bestimmt keinen TÜV. Probehalber setzte er einen Fuß darauf und zog ihn gleich wieder zurück. Die Ansammlung an zusammengeschusterten Türmen beobachtete ihn wie ein lebendes Wesen und er wusste nicht, welches Urteil es über ihn traf.
Nur für alle Fälle schnitt er ihnen eine Grimasse und setzte dramatisch seinen Fuß auf dem nächsten Stein ab. Er fürchtete sich nicht. Er hatte eine ablehnende Haltung zum Ende seines Lebens.
Die Schlucht war tief genug, dass sich Nebel darin gesammelt hatten und seine Tentakel nach dem Gebäude ausstreckte. Es war schwer zu sagen, ob das Gebäude hunderte Jahre alt war oder morgen erst fertig gebaut werden würde. Unvollständig. Eine Konstante im Fluss der Zeit.
Missmutig machte er noch einen Schritt und stockte erneut, als sich die breite Holztür auf der anderen Seite öffnete. Sie war rot gestrichen. Oder blau? Auf jeden Fall war die Farbe noch frisch, wo sie nicht gerade abblätterte. Mika'ils Magen rebellierte, als er zu lange hinsah. Such eine Zeit aus und bleib in ihr, verdammt noch mal.
Niemand hatte sich die Mühe gemacht, das Haus dahinter zu erleuchten und so starrte er in den finsteren Schlund vor ihm, bis sich Nebel auch um seine Knöchel gesammelt hatte.
„Weltenwandler. Wir haben dich erwartet."
Er musste geblinzelt haben. Dreizehn Frauen saßen ein einem Halbkreis vor ihm, jede alt und gebrechlich. Jede ein identischer Zwilling ihrer Nachbarin.
Mit einem dumpfen Laut sprang Mika'il zurück, die Arme über dem Kopf rudernd, als wäre er in ein Spinnennetz geraten. Wie- Wie war er hierhergekommen? Wo war die Brücke?
Hektisch drehte er sich um seine eigene Achse, auf der Suche nach... nach was?
Vor ihm warteten die Seelenweberinnen, hinter ihm die Tür und ein flüsterndes Feuer. Er war in einem beklemmend düsteren Kaminzimmer. Wo zur Hölle war die Brücke hin?!
Dieser Ort kostete ihn die letzten Bruchstücke seines Verstandes. Und noch während er die Einzelteile davon in dem Inneren eines Raumes suchte, den er niemals betreten hatte, erhob sich eine der Seelenweberinnen links von ihm und wiederholte ihren Satz.
„Wir haben dich erwartet."
Die Luft verließ seinen Mund in einem unausgesprochenen W.T.F. und gab seine Suche nach Logik auf. Die Nase halb gerümpft, der Mund immer noch offen, klopfte er seine Kleidung aus. Das hier war gruselig und nicht auf die gute Art und Weise.
„Wir haben di-..."
„Schon gut, schon gut", hob er abwehrend die Hände, „Das Bösewicht-Eröffnungs-Sätze-Magazin liefert also auch in diese Welt."
Waren die eben noch uralt gewesen?
Sie konnten allerhöchstens zwanzig sein. Blaue Augen aus glatten Gesichtern musterten ihn, wie Spiegelbilder ihrer selbst.
Mika'il unterdrückte ein sarkastisches Lachen, das ohnehin mehr sich selbst gegolten hatte. Er hasste Magie. Er hasste Magie. Er hasste Magie. Aber Magie war überall in dieser verdammten Welt.
Da keine der anderen Frauen nun etwas sagte, drückte er den Rücken durch und breitete die Arme aus. „Wenn ihr mich erwartet habt, wisst ihr sicherlich auch, warum ich hier bin."
Ihre braunen Roben knisterten in einem Wind, der sonst nichts in dem dunklen Zimmer bewegte. Nicht einmal die langen Fransen des schweren Teppichs, der Mika'ils Schuhe vollständig verschluckte. Die Fenster waren mit dunklem Samt verhangen und die großen Portraitrahmen leer. Was für eine fürchterliche Inneneinrichtung.
„Du hast einen Handel mit dem Orakel abgeschlossen. Du suchst einen der Dämonensteine", sagte die stehende Seelenweberin unbewegt. Einzelne Fäden hatten sich aus dem Saum ihres Kleides gelöst. Wie Tentakel streckten und drehten sie sich.
Mika'il blinzelte, doch wie durch ein Wunder blieb sein Lächeln bestehen. Auch, wenn es in seinen Wangen schmerzte.
„Ich wollte eigentlich nur ein paar Fragen stellen." Das Orakel hatte gesagt, dass die Weberinnen ihm geholfen hatten, sie einzusperren? Sicherlich waren sie kein Fan davon, wenn er es wieder freilassen würde.
„Wir wissen alles, was in unserem Land vor sich geht. Wir wissen auch, wer dich zurückgeholt hat", erwiderte dieselbe Stimme aus einer Frau zwei Stühle weiter rechts.
Der Satz war eine Bombe und kreierte eine ähnliche klingelnde Stille, die folgte.
Mika'il bewegte sich nicht. Er fühlte sich, als hätte sein Verstand den Trip von der Brücke nicht vollständig mitgemacht und die letzten Hirnzellen versuchten vergeblich, den Satz zu entziffern.
Irgendwo tickte eine Uhr.
Mika'il sah nicht zu den Frauen. Er legte den Kopf schief, als könne er so besser in sich hineinhorchen, bis er schließlich fragte: „Und wer wäre das?"
Wieder tickte im Hintergrund die Uhr.
„Wir."
Es kam aus allen Mündern gleichzeitig und mit der emotionalen Spannbreite eines Staubsaugers.
Mika'il blinzelte noch einmal, dieses Mal heftiger, als könne er so die hundert Emotionen im Griff behalten, die einander in seinem Kopf jagten. Das Lächeln war ihm entglitten und umso krampfhafter hielt er jetzt jede andere Regung unter Kontrolle.
Sie hatten ihn hierhergelockt. Er zweifelte keine Sekunde an ihrer Aufrichtigkeit.
„Und- wa-rum?" Er sprach so langsam, dass es an Spott grenzte. Presste die Zähne aufeinander, dass die zwei Worte beinahe nicht hinausfanden. Er hatte ihnen nichts getan. Zumindest nichts, an das er sich erinnern konnte. Aber dann wiederum sagten sie auch, dass er den letzten Usurpator ermordet habe. Verstohlen blickte er sich nach unbesetzten Stühlen um.
Wenn sie irgendwas von Mika'ils Emotionen bemerkten oder an seiner mangelnden Kontrolle Anstoß nahmen, ließ es sich niemand in diesem Raum anmerken. Die stehende Seelenweberin faltete ihre Hände vor ihrem Bauch. Es war fast, als wäre sie genauso Inventar in diesem Zimmer wie die nervig-tickende Uhr.
„Wir hatten ebenfalls einen Handel. Wir haben dir sogar einen unserer Dämonensteine gegeben, damit du von hier fort und wieder zurückkehren konntest."
Mika'ils Muskeln zuckten und sprangen unter der Anspannung, mit der er sie kontrollierte. Das alte Verlangen nach Blut und Vergeltung brodelte in ihm hoch. Innerlich stellte er sich vor, wie er den Schürhaken des Kamins dazu nutzte, um jede einzelne der Frauen zu erledigen. Sie hatten ihn hierher zurückgebracht. Sie hatten ihn bestimmt auch gestrandet. Er hatte es Khan und Kaïa gesagt: Es würde ein Blutbad geben.
Wenn da nicht eine einzige Sache wäre... Seine Finger schlossen sich knackend zu Fäusten-
„Habt ihr auch einen Zweiten Stein?"
Wenn sie von seinem offensichtlichen Ärger beeindruckt waren, zeigten sie es nicht.
„Möchtest du einen neuen Handel?"
Die Frage entlockte Mika'il ein trockenes Lachen und seine Finger entspannten sich. Ein Handel mit ihnen hatte ihn erst in diese Situation gebracht. Und jetzt sollte ein weiterer Handel ihn retten?
Aber entweder waren die Alten wirklich allwissend, oder sie lasen Mika'ils Gedanken von seiner Stirn ab. Eine Zweite erhob sich und stand wie eine perfekte Kopie neben ihrer Schwester. Sogar ihre Haare bewegten sich synchron.
„Bring uns deine Trägerin."
Bitte wa-...?
„Ana?", Mika'ils Augenbrauen hob sich bis zu seinem Haaransatz, „Was wollt ihr mit Ana?"
Für den Bruchteil eines Lidschlages, glaubte Mika'il sowas wie Ärger durch die blanken Gesichter der Frauen huschen zu sehen. Wieder sprachen sie zugleich und die Vehemenz hinter ihren Worten, bestätigte seinen Verdacht.
„Das ist nicht ihr Name."
Mika'il kniff die Augen zusammen, doch die heftige Reaktion ließ seine Mundwinkel zucken.
„Wirklich?", er zog das Wort in die Länge, während sein Verstand Puzzleteile zusammensetzte. Ana war nicht das erste Mal gereist und die Seelentanten wussten, wie sie wirklich hieß?
„Woher würdet ihr ihren richtigen Namen kennen?"
Dieses Mal blieben die Gesichter ausdruckslos. Die zweite stehende Seelenweberin neigte lediglich den Kopf.
„Brauchst du diese Information als Teil deines Handels?"
Es war nur eine kleine Bewegung, doch sie zerstörte das perfekte einheitliche Bild. Mika'il fragte sich unwillkürlich, ob es eine bewusste Handlung gewesen war, oder ob er genau diese Seelenweberin aus dem Tritt gebracht hatte.
Die Vorstellung machte ihn mutiger, als er hätte sein sollen.
„Ich habe dem Handel nie zugestimmt", betont gelangweilt ließ er die Arme fallen und schlenderte zu dem Kaminsims hinüber auf dem kleine Tonfiguren aufgereiht waren, „Meiner Erfahrung nach sind Handel mit alten magischen Frauen, die alleine in einer Burg mitten in einem Wald voll Stofffetzen leben, keine gute Idee."
„Es sind Seelenfetzen auf ihrem Weg zu uns."
Mika'ils Hand, auf halbem Weg zu einer der kleinen Tonfiguren, zuckte zurück, als diese blinzelte.
Mit einem Ruck machte er auf dem Absatz kehrt.
„Ich kann dir gar nicht beschreiben, wie wenig es das besser macht."
Die Gewänder der Frauen erinnerten ihn an die Seelenfetzen im Wald und ihr markantes Eigenleben in einem eigentlich windstillen Raum, ließ ihn vorsichtshalber zwei Schritte zurücktreten.
Die Seelenweberin ganz rechts lachte. Es war alt und rau, wie von jemandem, der trotz seiner Pfeifensucht ein zu hohes Alter erreicht hatte. Vollkommen anders als die monotone Einheit, die die anderen bildeten.
„Welch Ironie, dass ausgerechnet du dich vor ihnen fürchtest."
Mika'ils Mund klappte auf. Er? Niemals!
„Ich habe nie gesagt, dass ich mi-...", doch der Schalk in den kleinen Augen der Frau, ließ ihn den Rest seines Satzes verschlucken. Verärgert räusperte er sich einmal. Es gab bestimmt mehr Menschen auf dieser Welt, die schwebende Stofffetzen gruselig fanden.
Er klopfte zum zweiten Mal Staub von seinem Ärmel.
„Was wollt ihr mit Ana?"
Er wandte sich demonstrativ den beiden stehenden Frauen zu und es war wieder die Linke, die antwortete: „Sie in Sicherheit bringen."
Was für eine glatte Lüge. Er war ein klein wenig beleidigt.
„Aber natürlich."
„Es ist deine Gewohnheit, zu Morden, nicht unsere", erwiderte die Alte neben ihm rau. Ihre Stimme schabte über seine Nerven.
Mika'il zeigte ihr in einem humorlosen Lächeln die Zähne.
„Ich wurde zuletzt auf meinen Mangel an Leichen hingewiesen. Es sieht fast so aus, als müsse ich etwas aufholen, findet ihr nicht? Aber so wie mir berichtet wurde, ist es auch nicht eure Gewohnheit für die Sicherheit von irgendjemandem zu sorgen."
Wieder dieser rollende Ärger. Er zeigte sich nicht in ihren Gesichtern, sondern verbreitete sich im Raum wie Gewitterwolken.
„Wir sorgen uns um die Sicherheit aller. Wir sind die Wächterinnen der Seelen. Wir sind Schicksal und Boten der Schattenwelt. Ana ist unsere Kreation und wir wollen sie zurück."
„Kreation?" Mika'il hatte nicht nachfragen wollen. Seine Nackenhaare standen wie ein Igel in alle Richtungen, als könnten sie ihm nicht deutlicher machen, dass er sich auf sehr dünnem Eis befand. Aber sie hatten ihn überrascht und er hatte wenig Selbstbeherrschung.
Der Ärger verpuffte. Die zwei stehenden Weberinnen setzten sich wieder (natürlich synchron) und jede einzelne von ihnen faltete ihre Hände im Schoß. Die Konversation war beendet.
„Nimmst du den Handel an, Weltenwandler, oder nicht?"
Mika'il verschränkte die Arme. Sein Wunsch von hier zu verschwinden, gegen Anas? Er hatte keinen Zweifel daran, dass die alten Frauen sie nicht mehr gehen lassen würden. Aber er... er wäre frei. Und er hatte sie davor gewarnt, ihm zu vertrauen.
„Ich hoffe euer Handel hinterlässt nicht noch eine Narbe auf meinem Körper. Ich habe bald keinen Platz mehr."
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Frohe Ostern, Fruitloops!
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