6. Nicht unser Tag

~ Mittwoch ~

Bachira fing mich heute schon vor dem Schulgebäude ab. Zwar sah er aus als würde er noch schlafen, mit seinen hängenden Augenlidern, aber dennoch kam er mit zu meinem Klassenzimmer.

„Du kommst doch später wieder zuschauen oder?", fragte er mich mit einem hoffnungsvollen Unterton in der Stimme, als wir vor der Tür ankamen.

„Natürlich, ich hab nur länger Schule, werd also nicht von Anfang an da sein können", lächelte ich sanft.

Er lächelte ebenfalls und winkte dann.
„Alles klar, bis später".

Als ich mein Klassenzimmer betrat, wurde sofort wieder getuschelt.

Es war so unangenehm.

Schnell lief ich zu meinem Platz und legte meine Sachen für die erste Stunde auf den Tisch.

Seufzend sah ich nach draußen.

Im nächsten Moment erschreckte ich mich, als ein lautes Geräusch ertönte.

Vor meinem Tisch standen drei Mädchen mit finsteren Blicken. Sie hatten grade meine ganzen Sachen auf den Boden geschmissen und standen nun auf ihnen.

„Ja...was ist?", fragte ich vorsichtig, da ich keinen Ärger wollte.

„Was hast du mit Bachira zu schaffen?", sprach Amy, die früher in der Grundschule mal meine beste Freundin war.

„Gar nichts", antwortete ich leise.

„Lüg nicht! Man hat euch gestern beim Sportplatz gesehen!", zischte das Mädchen verärgert und durchbohrte mich mit ihrem Blick.

Ängstlich begann ich etwas zu zittern.

„Wir haben nur Fußball gespielt...sonst nichts", kam es nicht leiser als ein Hauch.

„Hör auf ihm in den Arsch zu kriechen! Er gehört mir, verstanden?!".

Wortlos nickte ich. Der Kloß in meinem Hals war eh so groß, dass ich nicht hätte sprechen können.

„Gut!", schnaubte sie noch, spuckte auf meinen Tisch und drehte sich zusammen mit ihren beiden Freundinnen um.

Eine kleine Träne bahnte sich in mein Auge.
Sofort wischte ich sie weg.

*Nein Mei, du musst stark sein! Du darfst jetzt nicht heulen!*, redete ich mir selber ein, während ich mich nach meinen verknickten Sachen bückte, die unter dem Tisch lagen.

Während des Unterrichts passte ich kaum auf.

*Ich will nicht weg von Bachira, er ist der Einzige der mich versteht. Aber was wird sie machen wenn ich weiter bei ihm bleibe? Soll ich mit ihm darüber reden? Aber ich will ihm keine Sorgen machen*

„Mei", bitte übersetz uns den nächsten Abschnitt ins Englische.

*Was?*, verwirrt sah ich mich um. Erwartungsvoll haben sich alle zu mir umgedreht.

Ich hatte weder mitbekommen welches Fach wir hatten, geschweige denn hatte ich irgendein Buch geöffnet.

„Entschuldigung, ich hab leider nicht aufgepasst", gestand ich leise und senkte etwas den Kopf.

Mein Lehrer seufzte.

„Komm bitte nach der Stunde zu mir".

„Ja", antwortete ich leise und senkte meinen Kopf.

Schon wieder begannen alle zu tuscheln und mich dabei anzuschauen, als wär ich irgendein missratener Unfall.

*Bitte, seht mich doch nicht so an. Es tut so weh*, bettelte ich innerlich, während mein Herz unglaublich schmerzte.

Am Ende der Stunde packte ich extra langsam zusammen, ich wollte, dass alle weg sind, wenn mein Lehrer mit mir redete.

Als endlich alle verschwunden waren, kam ich wortlos zu ihm vor.

„Mei, ich mach mir wirklich Sorgen um dich. Du wirkst immer abwesender im Unterricht und auch mit den anderen Schülern trittst du nicht in Kontakt".

„Es ist alles gut, wirklich. Ich kann nur momentan nicht so gut schlafen, das ist alles.", log ich, da ich keinem Schwierigkeiten bereiten wollte.

„Ich habe deine Eltern zu einem Gespräch eingeladen und werde mit ihnen ebenfalls nochmal darüber reden".

„Ist gut", nickte ich, verbeugte mich leicht und ging dann.

„Mei, wenn etwas ist, du kannst damit immer zu mir kommen", hörte ich noch die Stimme des Mannes hinter mir.
Ich drehte mich um und verbeugte mich leicht.

„Haben sie vielen Dank".

Dann verließ ich endgültig den Raum.

Ich beeilte mich um zum Fußballplatz unserer Schule zu kommen, schließlich hatte ich eh schon ziemlich viel verpasst.

Schwer atmend kam ich am Zaun an und sah dem Geschehen auf dem Spielfeld zu. Es waren noch 20 Minuten Training und sie begannen gerade mit ihrem Abschlussspiel.

Vorallem sah ich zu Bachira, der im roten Team spielte.

Immer wieder lief er sich frei und keiner deckte ihn, aber eben so wenig spielte jemand zu ihm.

Enttäuschung und Frust war in seinem Gesicht zu sehen.

*Machen die andern das mit Absicht?*

In einer Situation, nahm Bachira, seinem Gegner den Ball ab. Grade als der Junge den andern ausspielen wollte, kam einer seiner Mitspieler von hinten und nahm ihm den Ball ab.

Verwirrt blieb Bachira stehen und sah zu ihm.

„Hey, was soll der Scheiß?!", rief er sauer.

Es war das erste mal, dass ich ihn verärgert sah.

„Wir wollen nicht mehr mit dir spielen, du bist so ein Egoist, da verlieren wir lieber", sagte ein braunhaariger Junge aus seiner Mannschaft grob zu ihm.

Mit leicht offenem Mund blieb er stehen. Mein Herz schmerzte, als ich sah, wie traurig ihn diese Worte machten.

Die Andern spielten wie sie es angekündigt hatten das ganze Training keinen Ball mehr zu ihm und wenn er ihn durch einen Zweikampf bekam, gingen sofort alle egal ob Gegner oder Teamkollegen auf ihn und rammten ihn teilweise auch zu Boden.

Als das Training aus war. Wartete ich bis alle raus kamen. Als Bachira kam, lief ich sofort auf ihn zu.

Auf halben Weg blieb ich stehen.

*Was ist wenn er lieber seine Ruhe will? Vielleicht ist es besser wenn ich gehe*, drehte ich mich doch um und ging langsam.

„Mei, warte", hörte ich eine gebrechliche Stimme hinter mir.

Sofort blieb ich stehen und drehte mich um. Bachira stand mit hängenden Kopf vor mir. Er sah aus, als würde er am liebsten sofort los heulen.

„Bachira", flüsterte ich nur seinen Namen, da ich nicht wusste, was ich hätte sagen sollen.

„Warum sind die andern so gemein?", fragte er mich mit zitternder Stimme, die kurz vor dem zerbrechen stand.

Ich ging auf ihn zu und umarmte ihn sanft.

„Ich weiß es nicht".

„Kann ich mit zu dir?", fragte der Schwarzblonde leise.

Sofort nickte ich. So hätte ich ihn nie guten Gewissens gehen lassen können.

Schweigend gingen wir zu mir nach Hause. Kein Wort sprachen wir, nur ab und zu hörte ich ihn neben mir schniefen.

*Was soll ich denn machen, wenn er bei mir komplett in Tränen ausbricht? Ich bin so schlecht im trösten. Außerdem kenn ich ihn genau genommen gar nicht so wirklich*

Als wir bei mir ankamen, begrüßte ich kurz meine Mutter und gab ihr zu verstehen, dass wir grade allein sein wollten. Als sie Bachira sah, fragte sie auch gar nicht weiter nach, sondern beließ es dabei.

Zusammen gingen der Junge und ich in mein Zimmer. Schweigend setzten wir uns auf mein Bett. Bachira starrte geradewegs auf die gegenüberliegende Wand.

Leide begann er zu schniefen, dann etwas lauter zu schluchzen. Er zog seine Beine zu sich und umklammerte sie.

Tränen liefen über seine Wangen und hörten kaum mehr auf.

Behutsam strich ich ihm über den Rücken, um ihm zu zeigen, dass ich für ihn da bin. Auch wenn ich mich dabei etwas überfordert und hilflos fühlte.

„Das wird wieder, ganz sicher", versuchte ich ihm neuen Mut zu machen, auch wenn ich dabei wahrscheinlich nicht gerade zuversichtlich klang.

„Es ist so gemein...warum sind die Andern nur so?", sprach er mit tränenerstickter Stimme.

„Ich weiß es nicht", musste ich ehrlich zu geben, da ich es schon bei meiner Klasse nicht verstand warum sie mich so behandelten.

Allmählich beruhigte er sich etwas. Mit seinem Handrücken wischte er sich über seine glasigen Augen.

„Tut mir leid, dass du das ertragen musstest", murmelte er entschuldigend.

„Für mich ist das nicht schlimm", lächelte ich sanft.

„Dank dir geht es mir jetzt etwas besser, danke", zwang er sich zu einem leichten Lächeln.

„Aber ich...ich hab doch gar nichts gemacht".

„Doch, du warst da, das war noch nie jemand...sonst hab ich immer alleine unter der Brücke geweint".

Es tat so weh, das von ihm zu hören. Er, der immer so glücklich und unbeschwert wirkte, war genauso einsam und traurig wie ich. Vor ein paar Tagen als ich ihn nur vom Fußball kannte, hätte ich nicht im Traum daran gedacht, dass dieser Kerl eigentlich genauso war wie ich.

Seufzend lehnte ich meinen Kopf an seine Schulter.

„Heute ist einfach ein Kacktag für uns", seufzte ich.

„Hm, sieht ganz danach aus", murmelte er bestätigend. „Ich glaub ich sollte langsam gehen."

Schnell hielt ich seine Hand fest, bevor er aufstehen konnte.

„Ich will dich so nicht gehen lassen, bleib doch hier über Nacht, du kannst hier auf dem Sofa schlafen", schlug ich vor.

Sofort hielt ich inne.

*Was rede ich denn da?! Bin ich jetzt vollkommen verrückt geworden?! Will ich wirklich, dass er bleibt wegen ihm oder weil ich nicht allein sein will?*.

Überrascht sah er mich an.

„Würde dir das nichts ausmachen?", fragte er vorsichtig.

Schnell schüttelte ich den Kopf.

„Nein, keine Sorge. Wir schlafen ja nicht in einem Bett."

„Na gut, wenn das für dich ok ist, dann schreib ich schnell meiner Mutter", antwortete er überrascht und zückte sein Handy.

Er tippte schnell etwas, dann legte er es weg.

Behutsam legte er seinen Kopf auf meine Schulter.

„Danke, für alles", lächelte er sanft.

Später holten wir uns von unten noch etwas zu essen nach oben. Währenddessen schauten wir eine Serie, die wir beide noch nicht gesehen hatten.

Als er fertig war stellte er seinen Teller weg und lehnte sich hinter sich an die wand.

Ein paar Minuten später hörte ich es hinter mir leise schnarchen. Vorsichtig drehte ich mich um. Hinter mir lag Bachira der tief und fest schlief.

*Wie kann man denn in so kurzer Zeit einschlafen?*.

Sanft piekste ich ihm in die Wange.

„Ey, aufstehen, das ist mein Bet!", beschwerte ich mich. Der Junge hingegen igelte sich noch mehr ein.

Leise seufzte ich.

„Na gut, dann nimm du das Bett".

Behutsam deckte ich ihn zu. Ich Musste Lächeln bei dem Anblick.

*So friedlich und süß*

Ich hielt inne.

*Warte? Was denke ich da?!*

Eilig verließ ich das Zimmer und ging ins Bad. Ich schaufelte mir zwei Hände voll kaltes Wasser ins Gesicht.

Danach putzte ich Zähne und ging anschließend wieder in mein Zimmer.

Die Decke die über dem Jungen lag, hob und senkte sich in regelmäßigen Abständen. Er schien ruhig und zufrieden zu schlafen.

Vom Bett holte ich mir noch meine 2. Decke, die immer am Ende des Bettes lag, falls mir mal zu kalt werden sollte

Auf dem kleinen Sofa in meinem Zimmer machte ich es mir gemütlich und kuschelte mich dick ein.

Prüfend warf ich noch einen letzten Blick zu dem Jungen, doch er schlief weiter ruhig und friedlich.

„Gute Nacht, Bachira", murmelte ich noch leise, auch wenn mir klar war, dass er mich nicht mehr hören würde.

Mit einem herzhaften Gähnen schloss ich ebenfalls meine Augen und schlief kurz darauf ein.

—————————————————

Alle sind so gemein zu den Beiden🥺
Hattet ihr sowas auch schon mal?

Habt noch ein schönes Wochenende 😊

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top