TWENTY THREE
TWENTY THREE: November 2012
__________________________
Helen konnte sich nicht entsinnen, wann sie sich zuletzt so verzweifelt gewünscht hatte, die Zeit wäre gnädiger mit uns Menschen und würde langsamer verstreichen. Als sie Bucky an diesem Morgen in der Küche aufräumen hörte, musste sie gegen ihren Willen lächeln. All das verlieh der Tatsache, dass sie zur Zeit zusammen in einer Hütte mitten in Sibirien lebten, eine gewisse, sehr wohltuende Normalität. Und Helen wünschte sich, diese Normalität könnte anhalten. Dann könnte sie glücklich sein - mit Bucky an ihrer Seite. Leider aber wusste sie, dass in wenigen Tagen jedes Glück vorüber war - Bucky würde zu Hydra zurückkehren und weitermachen müssen, wie bisher. Und Helen wusste, er würde sie nicht mitnehmen. Er würde sie keinem Risiko aussetzen.
Sie erhob sich langsam und angelte sich seinen Pullover von gestern von den Holzdielen, ehe sie ihn überstreifte und leise nach neben an tapste. Er stand in der Küche - frisch geduscht und angezogen, sie konnte sein Duschgel und sein Aftershave bis hier riechen. Minzig und herb stieg es ihr in die Nase, drauf und dran ihre Sinne zu verführen. Sie blinzelte und versuchte bemüht zu ignorieren, wie rasant und schnell ihr Herz zu schlagen begann, als Bucky den Kopf drehte und ihr ein schiefes Lächeln schenkte.
,,Ich wollte eigentlich Frühstück machen und dir ans Bett bringen. Aber wie ich sehe, bist du schon wach", meinte er und nickend schob Helen sich an ihn ran, berührte sanft seine Schultern und schmiegte sich dann an seinen Rücken. ,,Du fehlst mir, wenn ich aufwache und du nicht da bist", schmollte sie, ihre Lippen hauchten einige Küsse auf seinen Hals und zufrieden betrachtete sie, wie er Gänsehaut bekam. Es ging ihr mit jedem Tag besser, das Pochen ihres Kopfes war schwächer geworden und hatte es geschafft, mehr in den Hintergrund zu rücken. Nun konnte sie aufatmen - auch sich wenn jeder Atemzug wie tausende von Messerstichen anfühlte. Denn die Angst, sich bald von Bucky zu trennen, ließ ihr Herz zunehmend an Gewicht gewinnen.
Er drehte sich zu ihr um, lehnte nun an dem Tresen und sah sie aus seinen blauen Augen beinahe reuevoll an. ,,Ob diese Tatsache so gut ist...", murmelte er sorgenvoll und sie schluckte hart, ehe sie sanft seine Wange berührte. Seine Bartstoppeln kitzelten ihre Fingerspitzen. Sie waren etwas robuster und härter, weniger dicht, sodass er sie getrimmt haben musste, nachdem er duschen gewesen war. Sie ließen sein hübsches Gesicht nur noch männlicher und markanter wirken. ,,Lass uns nicht darüber sprechen... Sind das Pflaumen?", fragte sie lächelnd und seine Mundwinkel hoben sich wieder, als er nickte. ,,Ich hatte mir ein paar mit nach Sibirien genommen. Ein paar davon leben noch", entgegnete er, während Helen sich näher an den Tresen schob und die Obstschale betrachtete. ,,Es könnte ein Kuchen werden. Ein kleiner- aber ein Kuchen", murmelte sie nachdenklich und Bucky fuhr sich leise lachend durchs Haar, als sie erfreut quietschend in die Hände klatschte.
,,Lass uns einen Kuchen backen!", strahlte sie und er fuhr sich amüsiert durch das kinnlange Haar, das noch feucht war, weshalb er es zurück gestrichen hatte. ,,Helen, ich habe gerade aufgeräumt", setzte er an, doch sie wirbelte bereits durch die Küche, ehe sie aber stehen blieb und schmollte. ,,Du hast kein Mehl, oder?"' fragte sie mit vorgeschobener Unterlippe und grinsend schüttelte Bucky den Kopf. ,,Verzeih mir, aber nein", meinte er und Helen schielte enttäuscht zu den Pflaumen.
,,Schade", murmelte sie, ehe sie sich wieder an Bucky ran schob und ihre Arme um ihn schlang, ihre Stirn an seine Brust drückte und leise seufzte. Helen vergaß immer wieder, dass sie hier in Sibirien nur gefangen war, dass sie nicht zum Vergnügen hier waren, sondern weil er einen Job für Hydra erledigen musste. ,,Ich werde früher oder später noch einmal zum Bunker gehen müssen", murmelte er jetzt, wie als hätte er just im gleichen Moment dasselbe wie sie gedacht. Helen spürte, wie sich ein Kloß in ihrem Hals bildete.
,,Wegen deinem Auftrag?", murmelte sie fast schon ein wenig weinerlich und er nickte. ,,Aber ich verspreche dir, früh wieder zurück zu sein. Und ich muss noch nicht heute dorthin", gab er zurück und sie hob den Kopf, um in sein Gesicht zu sehen. ,,Und der Winter Soldier?", fragte sie leise und hörte, wie Bucky schwer schluckte. ,,Ich werde mit allen Mitteln gegen ihn kämpfen" antwortete er und sie schlug die Augen nieder.
Konnte er das? Wie lange konnte er sich dem rumorenden, bebenden Zorn in seinem Inneren noch widersetzen? Er tat das jetzt schon so lange - und Helen sah ihm Tag für Tag mehr an, dass ihm der Kopf davon schmerzte und seine Schläfen nur so pulsierten.
,,Wir können mit dem Plaumen etwas anderes machen", meinte Bucky nun hastig, als er sich von ihr gelöst hatte und sie sah ihn mit großen Augen an, als er an die Schränke trat und eine Tafel Schokolade hervorzog. ,,Wir werden die schmelzen - und dann haben wir Schokoladenfondue, was sagst du dazu?", schlug er vor und dieses neckische, freche Glänzen trat wieder in seinen intensiv blauen Augen. Ein Funkeln, von welchem Helen sich ganz sicher war, es gehörte zu dem früheren Bucky. Dem Bucky, den sie anfangs in der Hydrabasis kennengelernt hatte.
,,Okay", hauchte sie und lehnte sich an die Tischkante, als die Sicht vor ihren Augen verschwamm. Der Raum begann sich zu drehen, unscharf zu werden und sie hielt sich schnaufend die Stirn, als sich Druck darauf aufbaute. Sie hatte gehofft, Bucky würde es ihr nicht ansehen, doch sie spürte schon wenige Augenblicke später, wie er ihre Seiten berührte. ,,Helen?", fragte er scharf, Sorge lag tonnenschwer in seiner rauen Stimme, die Helen sonst immer ordentliche Gänsehaut bescherte.
,,Was ist los?", setzte er drängender nach und sein Griff wurde fester. ,,Ich glaube, ich muss mich wieder hinlegen", brachte sie hervor, es pulsierte in ihren Adern und das Blut rauschte in ihren Ohren. Sie erinnerte sich daran, dass es ihr ähnlich ergangen war, als sie aus dem Eis gekommen war. Als Shield sie aus der Kryostase befreit hatte. Hing dieser kurze Schwächeanfall mit den Folgen zusammen, die das Ganze auf ihren Körper hatte? War es das Serum, das man ihr vor achtundsechzig Jahren eingeflöst hatte?
,,Okay...", hörte sie Bucky fest entgegnen und er hob sie auf seine Arme. Sie spürte schnell das Polster des Sofas unter ihrem Körper und wie seine Hände ihre Stirn berührten, seine Finger zu ihren Schläfen glitten und sie in kreisenden Bewegungen massierten.
Nach einiger Zeit klarte Helens Blickfeld wieder auf und sie blinzelte, um Bucky anzusehen. ,,Was war das?", fragte er sie und schob ihr ein Kissen in den Rücken, als sie sich aufsetzte. ,,Ich weiß es nicht... Das hatte ich am ersten Abend nach der Kryostase auch schon ein paar Mal", murmelte sie und griff nach seiner Hand. ,,Meinst du, sie haben mir etwas gespritzt... was Nachwirkungen haben könnte?", fragte sie und konnte nicht verhindern, wie sehr ihre Stimme zitterte.
Er schluckte. ,,Ich werde morgen in der Basis nach deiner Akte suchen", antwortete er dann fest. ,,Wenn es so ist, dann werde ich es herausfinden", setzte er nach und sie biss sich auf die Unterlippe. Angst ließ ihr Herz erneut schwer werden. Was wenn dem so war und sich etwas in ihrem Körper befand, das ihr schadete? ,,Es wird alles gut", fügte er noch hinzu und Helen nickte leicht. ,,Alles wird gut", flüsterte sie, ehe sie den Blick seiner schönen Augen suchte.
,,Also? Wie war das jetzt mit dem Fondue?", hauchte sie und er nickte sofort. ,,Hiergeblieben, ich kümmere mich darum!", wies er sie schmunzelnd an und Helen nickte artig, zog sich eine der Wolldecken über die Beine und blickte ihm nach. Er ließ die Tür auf, damit sie ihn sehen konnte, durch den Türrahmen hindurch. Er stand an der Theke und viertelte die restlichen Pflaumen, während Helen ihn ausgiebig musterte und ein Lächeln ihre Lippen umspielte. Plötzlich schien alles wird gut doch gar nicht mehr so fern zu klingen. Plötzlich schien es sich weniger naiv, sondern viel mehr wirklich anzuhören. Und sie wünschte sich wirklich, es wäre so.
,,So Madam, machen Sie mir ein wenig Platz?", flötete Bucky wenige Augenblicke später und leise kichernd nickte Helen, zog ihre Beine zurück, damit er sich setzen konnte, ehe sie sie wieder auf seinem Schoß platzierte und sich weiterhin entspannt zurück lehnte. Das Feuer des Kamins sorgte dafür, dass ihr wohlig warm war - und doch wusste sie, dass auch das vorhandene Feuerholz langsam weniger und rarr wurde. Und auch Bucky wusste das, auch wenn er es zu verdrängen versuchte. Ebenso wie Helen.
Sie angelte sich eine der Pflaumen und naschte von der geschmolzenen Schokolade, während sie sich auf dem Sofa drehte, sodass sie sich nun an ihn lehnen konnte. ,,Was machen wir jetzt?", fragte sie ihn leise und er strich ihr schweigsam durchs Haar. ,,Erzähl mir etwas, Helen", meinte er dann und blickte auf sie hinab. ,,Es gibt nicht viel, dass ich über dich weiß,", setzte er überrascht nach und sie lächelte verlegen.
Sie hatte es schon immer gehasst, über sich selbst zu reden. ,,Es gibt da nichts Besonderes", nuschelte sie und nahm den nächsten Bissen, welcher sich angenehm süß in ihrem Mund ausbreitete. ,,Das glaube ich dir nicht. Bitte, Helen", flüsterte er und sie sah wieder zu ihm auf, ehe sie leicht nickte. Sie wusste, es war nur fair. Und er brauchte etwas, an dem er festhalten konnte.
,,Machen wir ein Spiel daraus", meinte Helen jetzt und setzte sich weiter auf. ,,Ich erzähle etwas, wenn du etwas erzählst - und umgekehrt", grinste sie frech und er gab leise lachend nach. ,,Na schön - aber du fängst an. Was ist deine Geschichte gewesen, bevor du mich trafst und dein Vater den Job bei Hydra annahm, Helen Sharpe?", fragte er sie mit sanftem Lächeln. Helen wusste, sie hatte Bucky neben sich setzen, Bucky wie er leibte und lebte. Er blühte in wunderschöner, strahlender Manier auf. Es war nicht fair, dass Hydra das alles wieder zerstören würde.
Sie leckte sich über die Lippen. ,,Ich wollte Schriftstellerin werden", begann sie dann und ließ ihren Kopf an Buckys Schulter sinken. ,,Ich habe die Schule als eine der besten Schülerinnen besucht, hatte eine Hand voll Freunde und auch schon einen potenziellen Anwärter, auf eine Verlobung", erzählte sie und spielte mit seiner Hand, strich seine Fingerknochen entlang. ,,Er war ein Idiot", setzte sie lachend nach. ,,Ein wahrer Schmarotzer und Feigling - er hatte eine große Klappe, aber es steckte immer nur sein Vater dahinter. Er war ein Nichts, aber hat getönt zur Army zu gehen. Ich glaube, er wurde nie Teil einer Infanterie. Sicher hat er sein Leben lang in der Bäckerei seiner Familie gerarbeitet."
Er lauschte ihrer Stimme mit geschlossenen Augen. Er liebte ihr leises, melodisches Lachen, ihre niedlichen Quietschlaute und ihre zarte Stimme, die oft so viel auf einmal redete, dass Bucky gar nicht verstand, was sie eigentlich gewollt hatte. Doch es tat immer wieder aufs Neue gut, ihr zu zuhören. ,,Ich schrieb also an meinem Buch, ein Roman. Wilde Fantasie. Mein Vater hätte gelacht, hätte er gelesen, was mein Verstand sich damals alles ausmalte... Sicher hätte er mich für verrückt gehalten", kicherte sie, doch dann wurde ihr Blick trauriger. Sie wurde still und Bucky sah sie sorgenvoll an.
,,Er war so wunderbar, Bucky", wimmerte sie und Tränen sammelten sich in ihren Augen. ,,Ich war mir immer sicher, dass er mich geliebt hat", fügte sie hinzu und er schluckte schwer, ehe er sie an sich zog und seine Arme um sie legte. ,,Das hat er, Helen. Jeder Vater liebt seine Tochter", flüsterte er und sie klammerte sich an ihm fest, bis ihre Tränen versiegt waren und sie aus glasigen Augen zu ihm aufblicken konnte. ,,Du bist dran, James", flüsterte sie brüchig, als er ihr mit einer Zärtlichkeit die Tränenspuren von den Wangen strich, die ihr Herz schneller klopfen ließ.
Er nickte und sie lehnte sich zurück an seine Brust, ehe er leise erzählte. Es gab nicht viel, an das er sich erinnerte- Er erinnerte sich an Captain America, Steve. Sie waren beste Freunde gewesen. Er erzählte Helen von seinem verzweifelten Wunsch, Soldat zu werden- Für sein Land zu kämpfen. Er erzählte ihr von dem Steve, der überhaupt nicht tanzen konnte und vor jeder Frau, die Interesse an ihm zu hegen begann, regelrecht flüchtete.
Er erzählte ihr von dem Steve, welchen er nach dem Tod seiner Mutter bei sich aufgenommen hatte und auf seinen Lippen erschien zum ersten Mal seit langer Zeit ein Lächeln, wenn er an sein Leben vor Hydra zurück dachte. Es fehlte ihm.
,,Du konntest tanzen", hauchte Helen lächelnd, als er verstummt war und sah zu ihm auf. ,,Ich kann es noch immer", grinste er frech und sie schlang kichernd die Arme um ihn. ,,Naja du bist etwas eingerostet", konterte sie und er sah sie belustigt an, doch es lag etwas liebevolles in seinem Blick. Was würde er in wenigen Tagen nur ohne sie tun?
Sie war Hoffnung. Und wenn er zu Hydra zurück kehrte, würde er das Hoffen aufgeben und die Lichtstrahlen aus seiner Seele lassen müssen. Erneut würde da nur Dunkelheit sein. Die Dunkelheit in seiner Seele, gegen welche neben ihm, nur ein einziger Mensch kämpfen konnte: Sie.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top