THIRTY

,,Thought I couldn't breathe without you, 
I'm inhaling"

THIRTY: Dezember 2012

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,,Mein Schädel dröhnt immer noch", hörte Helen jemanden murren, als sie langsam wieder zu sich kam. Ein unangenehmes, pulsierendes Hitzegefühl jagte durch ihre Schläfen und sie blinzelte angestrengt, um ihr Sichtfeld zu schärfen. ,,Halt die Klappe, Sam", gab eine andere Stimme amüsiert zurück und Helen erkannte Steve, welcher auf der Sofakante saß und sorgenvoll auf sie runter blickte. ,,Du hast dich immerhin von einem Mädchen fertig machen lassen", setzte Steve nun noch nach und Helen rieb sich stöhnend über die Stirn, als sie langsam versuchte, sich aufzusetzen. ,,Was ist passiert?", fragte sie heiser, ihre Stimme klang brüchig, so als habe sie Stunden auf diesem Sofa gelegen.

,,Du warst außer Kontrolle und hast Sam ausgeknockt", gab Steve zurück und ein zustimmendes Brummen von Sam folgte. Mit einem Eisbeutel an der Stirn saß er Helen gegenüber auf dem Sessel und lächelte schwach. ,,Dich vor der Beschwörung zu fesseln, hätte ich mir schenken können", grinste er trocken und die junge Frau rieb sich einen Moment lang schweigsam übers Gesicht. Alles, an was sie sich erinnerte war Steve. Steve, welcher ihr sagte, dass er ihn gefunden hatte. Dass er Bucky gefunden hatte. 

Nun hob Helen wieder den Kopf. ,,Bucky?", fragte sie heiser, vielleicht etwas wortkarg, doch sein Name war alles, was sie hervorbringen konnte. Steve nickte ernst. ,,Wir haben eine Hydra-Basis gefunden, ganz in der Nähe, etwas weiter außerhalb. Sie verläuft unterirdisch und mündet an das Kanalsystem der Stadt, ich kann dir aber nicht genau sagen, wo", antwortete er und Helen biss sich auf die Unterlippe. Ihr Herz raste bei dem Gedanken, endlich eine Spur von Bucky zu haben. Er hatte ihr sein Wort gegeben, sie nicht zu vergessen. Sich zu melden. Nun hatte sie tagelang nichts gehört, bald würde eine ganze Woche vergangen sein. 

Und obwohl dieser Zeitraum nicht der enormste war, in welchem man Bucky und sie getrennt hatte, wenn man die letzten achtundsechzig Jahre bedachte, schnürte sich ihr bei dem Gedanken dennoch die Kehle zu. Was wenn er sie doch vergessen hatte? Wenn er sich nicht mehr erinnerte? 

,,Werden wir dorthin fahren?", fragte Helen leise, ihre Stimme zitterte. Sie musste sich anstrengen, bei dem Gedanken an Bucky nicht wieder zu dem wimmernden, energielosen Bündel zu werden, das der Kummer gerne mal aus ihr machte. Steve nickte und Helen atmete auf. Es war, als strömte nun endlich klare Luft in ihre Lunge, als sie sich erhob und mit zitternden Knien zur Tür des kleinen Wohnzimmers trat. ,,Dann dürfen wir keine Zeit verlieren. Jede Minute, die Bucky länger unter dem Einfluss Hydras steht... Desto weniger ist er, er selbst", hauchte sie und Steve trat hinter sie. Auch Sam erhob sich nun mit einem leisen Murren vom Sessel und ließ den Eisbeutel in die metallene Schüssel auf dem Wohnzimmertisch fallen. 

,,Ich komme gerne mit! Danke der Nachfrage", meinte er ironisch, als er sich seine Lederjacke über zog und Helens Mundwinkel zuckten einen Moment, doch das Lachen, das ihre Kehle hinauf gekrochen war, verstarb auf dem Weg nach draußen wieder. Was zählte war Bucky. Und dass Helen endlich das tat, was sie schon vor so vielen Jahren hätte tun sollen: ihn retten.  

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Sie hatten Sams kleinen Wagen genommen und sicher hatte dieser ihn über die Straßen gelenkt, raus aus der Stadt, bis die Wolkenkratzer nur noch von weitem aus dem Rückfenster zu sehen waren und Helen fasziniert ihre malerische Struktur betrachtet hatte, solange, bis Sam den Wagen gehalten hatte und somit wieder ihre Aufmerksamkeit hatte. ,,Hier?", fragte sie stirnrunzelnd, als sie ihren Blick durch den tiefen Wald gleiten ließ. Es war einerseits typisch für Hydra, sich genau hier zu platzieren - und andererseits kam es Helen irgendwie komplett falsch vor. Als liefen sie in einen Hinterhalt. 

,,Genau hier... Zumindest laut den Koordinaten, die Barton mir aufgeschrieben hat", meinte er und stieg aus dem Wagen. Helen und Sam taten es ihm gleich und sahen einander einen Moment schweigsam an, als Sam ihr eine Waffe reichte. ,,Für den Fall eines Falles", meinte er und sie nickte leicht, ehe ihre Finger sich um den metallenen, kühlen Lauf schlossen. Ihr stellten sich die Nackenhaare auf, als sie bemerkte, wie vertraut ihr dieses Gefühl war. Wenn sie sich doch bloß erinnern würde... Doch in ihren Gedanken an die letzten achtundsechzig Jahre waren da nur Schwärze. Und Kälte. 

,,Seit vorsichtig", meinte Steve, als Sam Helen gerade ein Headset gereicht hatte und sie den ersten Schritt in den Schatten der Bäume setzte. ,,Sam, du hältst dich links. Ich nehme die Mitte", hörte Helen der Captain durch das Headset sagen, als sie sich weiter entfernt hatte. ,,Ich hab der Idee, dass wir uns trennen niemals zugestimmt...", knurrte Sam nur und Helen grinste einen Moment, ehe sie sich weiter schob und ihr Blick über das durchwachsene Dickicht der Blätter glitt. Sie konnte es im Unterholz knacken hören und wandte den Kopf, doch da war nichts. Unschuldig ließen die Baumkronen wenige Strahlen der untergehenden Sonne durch. Bald würde es zu dämmern beginnen. 

,,Bist du dir sicher, dass wir hier richtig sind, Cap? Hier ist absolut nichts", konnte Helen Sam zweifelnd sagen hören, als sie sie hörte. Leise, hinterhältige Schritte die klangen, als berührte die Person in ihrem Rücken nicht einmal den Waldboden. Während unter ihren Stiefeln Äste zerbrachen und Laub raschelte, war alles was die Schritte ihres Verfolgers verriet, leises, kaum hörbares Schlurfen von aneinander reibendem Stoff. Sie blieb stehen, doch ihr Verfolger tat es nicht. Er kam näher. 

Bis Helen genau wusste, dass er direkt hinter ihr stand. Sie konnte seinen Blick in ihrem Rücken spüren und sie drehte sich um, um ihrem Verfolger ins Gesicht sehen zu können. Sie erkannte ihn sofort. Der metallene Arm, die dunklen, zerzausten Haare. Schweigsam stand er vor ihr, durch die Maske konnte sie sein Gesicht nicht sehen, doch die Kälte darin vermochte sie, sich bildlich vorzustellen. ,,Bucky...", flüsterte sie atemlos und im nächsten Wimpernschlag hatte der Winter Soldier sie auch schon gepackt und gegen den nächstliegenden Baumstamm gepresst, ihr das Headset, dann die Waffe heruntergerissen. Es waren nur wenige Sekunden von Schwäche, in welchen die Faust Hydras es geschafft hatte, Helen gänzlich zu entwaffnen.

,,Wer zur Hölle ist Bucky?", zischte seine tiefe, heisere Stimme, von welcher Helen augenblicklich dicke Gänsehaut bekam. Hart schluckend packte sie seine Handgelenke, welche sie an den Schultern grob gegen den Baumstamm pressten. Das eine warm, das andere kalt. Sie spürte den deutlichen Kontrast von Metall zu Haut, wie sie es in ihren gemeinsamen Nächten in Sibirien getan hatte. Diesmal jedoch auf ganz andere Art und Weise.

Er hatte sie vergessen. Er war wieder der kalte, willenlose Assassine, welchen Hydra vor achtundsechzig Jahren aus ihm gemacht hatte. Aus James Barnes, dessen Seele nie hätte reiner sein können. Bis Hydra ihn zerstört hatte. Bis Hydra ihn zu einem Monster gemacht hatte.

,,Lass mich los", fauchte sie und versuchte die Tränen zu ignorieren, die in ihren Augen zu brennen begannen. Er antwortete nicht, stattdessen verstärkte sich sein Griff so sehr, dass es weh tat und Helen fest die Zähne aufeinander biss. Sie starrte den Winter Soldier an und zog ihre Hand zurück, jedoch nur um ihm die Maske herunterzureißen und in eisige, blaue Augen sehen zu können. Er sah einfach durch sie hindurch. Sie war sein Auftrag, mehr nicht. Und das zerriss Helen das Herz. Wütend packte er sie nun mit der metallenen Hand an den Haaren, riss sie herum und entlockte Helen einen Schmerzensschrei, als er sie daran zu Boden schleuderte. So als sei sie keine Bedrohung, nur eine Puppe. Er konnte mit ihr machen, was er wollte.

Etwas warmes rann ihren Nacken hinab, als sie sich keuchend wieder aufrappelte und auf den Soldaten zustürzte, zum Schlag ansetzte, denn die Wut und Verzweiflung übernahmen nun Überhand und lenkten ihren Verstand. Er parierte ihren Angriff mit fließender Gleichgültigkeit und packte sie, riss sie mit dem Rücken an sich heran und sie spürte, wie sich seine starke Brust an sie presste, spürte seine Atemzüge auf ihrer Wange und wünschte sich mit bitterem Nachgeschmack, dass es ihr nicht so gefallen würde, wenn er ihr näher kam. Sein warmer Atem auf ihrer Haut ließ ihren Unterleib in Flammen stehen. Und dafür hasste sie ihn. Nicht Bucky, sondern ihn. Den kalten Soldaten, welcher nun ihre Handgelenke grob fesselte. 

Helen zischte, als er gewaltsam den Kabelbinder zuzog und dieser sofort tiefe Einkerbungen in ihre Handgelenke schnitt. ,,Ich habe den Auftrag, dich zurückzubringen. Zurück an den Ort, an den du gehörst. Du solltest lernen, zu gehorchen. Sonst werden sie dir Gehorsam beibringen", knurrte er und Helen schluckte. Sie hatte sich auf die Zunge gebissen, als er sie gestoßen hatte und nun schmeckte sie den metallenen Geschmack von Blut in ihrem Mund, welcher sie beinahe noch ins Würgen brachte. Grob stieß der Winter Soldier sie voran, zu einem Motorrad, das zwischen den Bäumen verborgen stand. 

Ihr Headset lag zertreten am Boden, Steve und Sam hatten keine Möglichkeit sie zu erreichen. Mal wieder hatte der Winter Soldier einen Auftrag erfolgreich ausgeführt, schleichend wie ein Raubtier, ohne dass es jemand mitbekam. Es gab keine Zeugen. Hydra würde erfreut sein. Mittlerweile war es wie durch Zauberhand zappenduster geworden. Widerwillig stieg Helen auf sein Motorrad und während er ihre Fesseln noch enger zog, sah sie ihn über die Schulter hinweg an. Nicht mal einen Funken von Bucky konnte sie in seinem gefühlskalten Blick erkennen. Er ahnte nicht im Geringsten, wer sie war. Er wusste nur, dass sie eine Bedrohung darstellte und er sie in Sibirien angegriffen hatte. Zumindest lag diese Erkenntnis in seinem Blick, als Helen ihm die Maske vom Gesicht gerissen hatte.

Wenn Bucky registrieren würde, was er als Winter Soldier getan hatte, würde ihn das zerfressen. So bemüht hatte er sich darum, dass Hydra sie nicht finden würde. Helen sah ihn weiterhin an, als er sich vor ihr auf das Motorrad schwang und sie zuckte zusammen, als er augenblicklich zu vollster Geschwindigkeit ansetzte und den Schleichweg seitens der Lichtung hinunter raste. Eine Falle, ein Hinterhalt. Es befand sich keine Basis hier. 

Helen hätte es so viel besser wissen müssen. Sie war so versessen darauf gewesen, ihn zu retten, dass sie über die Gefahr darin gar nicht weiter nachgedacht hatte. Nur ein Blick des Winter Soldiers machte sie untauglich, zerriss ihr das Herz und ließ es gleichzeitig in lichterlohen Flammen stehen.

Wie konnte sie nur selbst das mörderische, eiskalte Monster in diesem Mann lieben? 

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