SIXTEEN

,,Your world was on fire and no
one could save me but you"

SIXTEEN: November 2012

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Ein weiterer Schlag, den er ihr verpasst hatte, ließ ihr Bewusstsein nun schwinden und schweigend sah Bucky sie an. Sie verwirrte ihn. Er verstand sich selbst nicht. Weshalb hatte er noch einmal zugeschlagen? Sie hatte helfen wollen... Zumindest glaubte das ein Teil von ihm. Ein Anderer jedoch, würde ihr am liebsten mit seiner metallenen Faust den Schädel zertrümmern. Tief atmete der Dunkelhaarige durch, er befand sich irgendwo zwischen den Fronten seines geschundenen Verstandes. Zwischen dem Winter Soldier und James Buchanan Barnes. 

Und er hasste es, innerlich so zerrissen zu sein. Sie hatte das ausgelöst. Ihre großen braunen Augen hatten etwas in ihm warm werden lassen, wo eigentlich nur bitterste Kälte herrschen sollte. Nun betrachtete er sie. Ihre Augen waren geschlossen und jeder gequälte Gesichtsausdruck war aus ihrer Mimik gewichen. Sie war schön, darin bestand kein Zweifel. Und er spürte, dass beide Fronten in ihm, der Soldat, wie auch der Mensch, sich unweigerlich zu ihr hingezogen fühlten. 

Er ließ die Kette los und schob die Arme unter ihren Körper. Mit fließender Leichtigkeit hob er die junge Frau hoch, deren rotes Haar im Licht der Lampen geheimnisvoll schimmerte. Er musste sie von hier fort bringen. Er wusste nicht weshalb, doch er musste es. Mit in die Hütte nehmen, die er während des kurzweiligen Aufenthalts in Sibirien bewohnte. Sie gehörte Hydra, doch Bucky hatte am selben Abend noch alle Kameras zerstört. Er würde sich nicht überwachen lassen. Er erfüllte ihre Aufträge, doch was alles Andere anbelangte...

Er trug sie durch den Schnee. Der Wind war eiskalt, dicke Flocken fielen vom Himmel. Er bemerkte deutlich, wie sehr sie zitterte. Ihre Haut war blass und ihre Lippen färbten sich bläulich. Er drückte sie näher an sich. Keiner seiner beiden Seiten schien das zu missfallen, ganz und gar nicht. Die Stimmen in seinem Kopf waren verstummt, als er in ihre Augen geblickt und ein Leuchten darin gesehen hatte, dass ihn irgendwo, tief hinter allem, was Hydra ihm eingepflanzt hatte, erreichte. 

Der Schneesturm wütete unnachgiebig und er wusste, morgen früh würden sie eingeschneit sein und so lange in der Hütte feststecken, bis die Sonnenstrahlen etwas des Schnees weggetaut hatten.

Er erklomm wenig später die hölzernen Stufen der Veranda. Sie waren vereist und es knirschte unter seinen Stiefeln, ehe er die Tür aufstieß und mit der jungen Frau in seinen Armen ins Warme trat. Noch immer fror sie. Er hatte den Kamin angelassen, als er gegangen war und nachdem er Helen auf das Sofa gelegt hatte, schob er Holz nach, damit das Feuer nicht erlosch. Dann sah er zu ihr zurück. Ihr Gesicht war geschwollen und blutig, sicher würde sie morgen das linke Auge durch den Bluterguss nicht ganz öffnen können. 

Es war fremd und völlig subtil für ihn, einer anderen Person zu helfen. Wann war ihm das Wohl anderer das letzte Mal wichtig gewesen? Er verspürte sogar ein schlechtes Gewissen - ebenfalls in beiden Fronten seines dunklen Verstandes. Und dabei verspürte ein Soldat keine Gewissensbisse, er zumindest nicht. Wer war sie nur? Auch wenn sie ihm gefährlich bekannt vor kam und sie sich sicher war, dass sie vorhin mit ihren Worten nicht gelogen hatte, wusste er es nicht. 

Er trat in das kleine Badezimmer und holte das Erste-Hilfe-Set und eine Schale lauwarmes Wasser. Neben dem Sofa sank er in die Knie und begann mit erstaunlicher Vorsicht, ihre Wunden zu säubern. Sie zwinkerte und stöhnte leise. Ihre Hand schnellte zu seiner und Bucky zuckte leicht zusammen, als ihre kalten Finger sein Handgelenk aus Fleisch und Blut umschlossen. ,,Bucky...", hauchte sie und zwinkerte. ,,Ganz ruhig, ich werde dich nicht verletzen. Das verspreche ich", murmelte er und war von seinen eigenen Worten reichlich verwirrt. 

Helen schloss die Augen wieder. Ihr Gesicht pochte und sie hatte wahrlich bestialische Kopfschmerzen. Leise stöhnend rieb sie sich die Schläfen, als er ihr Gesicht fertig verarztet und ihr ein Pflaster auf einen Kratzer oberhalb der linken Augenbraue geklebt hatte. ,,Danke...", flüsterte sie und er richtete sich auf, seine Gelenke knackten leise. ,,Du solltest mir nicht danken. Nur wegen mir hast du diese Verletzungen überhaupt", murmelte er heiser und Helen versuchte langsam, sich aufzusetzen. ,,Es ist nicht deine Schuld. Ich war zu unvorsichtig, Bucky...Darf ich Bucky sagen? Mit wem rede ich gerade?", gab sie leise zurück und er drehte sich um.

Ein gequältes Lächeln umspielte seine schönen, vollen Lippen. ,,Sagen wir, es ist ausgeglichen", gab er zurück und Helen nickte leicht. Das war immerhin ein Fortschritt und besser, als wenn sie nur den Winter Soldier vor sich hätte. ,,Kannst du mir helfen? Mein Hinterkopf... Ah." Helen entkam ein leiser Schmerzenslaut. Bucky trat wieder auf sie zu und setzte sich neben sie, sein Schenkel berührte Ihren und nur diese flüchte Berührung ließ alles in ihr kochen. Sie vermisste ihn- sie vermisste seine Küsse, die etwas so Neues, aber Wunderbares für sie gewesen waren. Etwas Besonderes.

,,Eine Platzwunde...", murmelte er und kramte in der roten Erste-Hilfe Tasche. ,,Ich werde es verbinden", setzte er heiser nach und räusperte sich, als seine Stimme gegen Ende brach. Unendliche Schuldgefühle fraßen sich in seinen Brustkorb und er verstand nicht einmal, weshalb. Es könnte ihm egal sein, sie könnte ihm völlig gleich sein. Weshalb nur, war sie es nicht? Die junge Frau seufzte tief, als der Verband um ihren Kopf saß und sie sich nun zu ihm umwandte. Das Blau seiner Augen hatte ihr mindestens genauso sehr gefehlt, wie seine bloße Gegenwart.

,,Bucky...", hauchte sie und streckte ihre Hand nach ihm aus. Er fuhr zusammen, als sie seine Wange berührte und Helen schluckte schwer. Es tat ihr weh, dass er sich ihr gegenüber so verhielt. Doch sie verstand es. Welche andere Wahl blieb ihm schon? Dennoch ließ er zu, dass sie sanft seine Haut berührte. Er war ganz warm, die Stoppeln seines Dreitagebarts kitzelten ihre Fingerspitzen. Es verschlug ihr den Atem, wie intensiv er sie anblickte. ,,Erinnerst du dich daran, wie du mich geküsst hast?", fragte sie ihn leise, atemlos. Er antwortete ihr mit einem leichten Kopfschütteln.

Ihr Herz schmerzte. ,,Würdest du es jetzt tun? Würde dieser halbe Bucky mich küssen?", fragte sie ihn leise und er blinzelte, um eine Antwort verlegen. Sie kam ihm näher und er wich ihr nicht aus, als sie ihre Stirn an seine drückte. Sie konnte seinen warmen Atem auf ihren Lippen spüren. Gänsehaut bildete sich in ihrem Nacken. ,,Ich würde dich küssen... Immer...", hauchte sie, sie konnte sogar den Schmerz ihrer Schläfen ausblenden oder dass ihre Unterlippe eigentlich angeschwollen war und ihr Kiefer schmerzte. Sie hatte sich viel zu sehr nach ihm gesehnt, um verzichten zu können. 

Ihre Lippen streiften sich und in Helen wurde es heiß. Bucky schnaufte, ehe er sie bei der Taille packte und sie leidenschaftlich zu küssen begann. Sie wusste nicht, wer sie gerade küsste, doch sie wusste, dass es ihren ganzen Körper in Flammen setzte. Er zog sie auf seinen Schoß und Helen krallte sich in sein kinnlanges, dunkles Haar, während ihre Körper sich nahe aneinander schmiegten und ihre Zungen mit einer Leidenschaft kämpften, die sich verdammte achtundsechzig Jahre in Helens Brustkorb weiter und weiter aufgestaut hatte, ganz gleich wie tief ihre Kryostase gewesen war. 

Es fühlte sich immer noch genauso an wie damals, wenn er sie küsste und ihre Lippen sich aneinander schmiegten, in perfektem Einklang, so als seien sie füreinander geschaffen. Sie fuhr unter seinen Hals mit ihren Fingerspitzen hinab, zog ihre Nägel sachte über seine Haut. Er fuhr leicht zusammen und raunte an ihren Lippen, zog sie näher. Helen konnte ihr Verlangen gar nicht in Worte fassen. Gott, wie gut es sich anfühlte, ihn zu berühren. Von ihm berührt zu werden. 

Doch so plötzlich wie dieser Moment begonnen hatte, so rasch endete er auch wieder. Bucky ließ sie los und schob sie zwar sanft, aber dennoch bestimmend in das Polster des Sofas zurück. ,,Das sollten wir nicht tun, Helen. Nicht so. Nicht wenn ich mir nicht sicher sein kann, wer ich gerade eigentlich überhaupt bin. Ich weiß ja nicht einmal, wer genau du bist", murmelte er gebrochen und Helen biss sich auf die Unterlippe, als sie zu beben begann. Ihr Herz drohte zu zerbrechen. Es tat so weh, ihn nicht haben zu können. 

,,Aber...", setzte sie an, doch verstummte, als sie seinem verzweifelten Blick begegnete. ,,Ich brauche dich, Bucky", flüsterte sie und konnte die Tränen nicht länger zurückhalten. Deutlich merkte man ihm die Anspannung des Winter Soldiers an. ,,Ich habe achtundsechzig Jahre nur in Eis verbracht, alles ist anders. Ich habe niemanden, weil, außer dir, alle die ich kannte nun tot sind... Ich weiß nicht, wie ich alleine in dieser Welt leben soll. Sie wird nie mein zu Hause sein, wenn ich einsam sein muss", weinte Helen und schlang zitternd die Arme um ihren Körper. 

Da war sie die Angst und die Tränen, die sie zurückgedrängt und verbannt hatte, als sie festgestellt hatte, dass sie in dieser Welt nicht zurecht kommen würde. Einsamkeit hatte sie schon immer gehasst.

,,Helen...", murmelte er nun und rutschte zögernd wieder an sie heran. ,,Es tut mir so leid", setzte er nach, er wusste nicht, was er tun sollte. Dass er solche Lücken in seinem Verstand hatte, machte es ihm schwer, klare Gedanken zu fassen. Seine Emotionen waren verdunkelt, ein Schatten lag darüber. Der Schatten des Winters. ,,Bucky...", flüsterte sie und er zögerte, doch Helen griff nach seiner Hand und legte sie auf ihren Rücken, lehnte sich an ihn. Anfangs verspannte er sich, doch dann zog er sie näher. 

Sie roch vertraut. Sie roch nach Hoffnung. Ein Bild tauchte vor seinem inneren Auge auf - es war sie, wie sie vor ihm kniete, eine geviertelte Pflaume auf ihrer Hand. ,,Helen... Dir ist klar, dass ich nach Sibirien zurück zu Hydra gehen muss. Und ich kann dich nicht mitnehmen", murmelte er und ihr Herz schmerzte erneut. ,,Bitte nicht... Nicht jetzt", wimmerte sie und schlang verzweifelt ihre Arme um seinen starken Oberkörper. 

Ihre Fingerspitzen berührten das Metall seines linken Armes, geheimnisvoll funkelte es im Licht des Kamins. ,,Nicht, Helen...", murmelte er und versuchte sie, von sich fort zu drücken. ,,Damit habe ich gemordet, nur schreckliche Dinge getan", setzte er nach und Helen schüttelte den Kopf. ,,Nicht du hast gemordet, Hydra hat es getan", hauchte sie und schob sich näher an ihn heran. Sie dachte gar nicht daran, ihre Hand zurück zu ziehen.

Das Metall war kühl, doch so vertraut. Sie berührte es weiterhin, strich es entlang, zeichnete die Zacken des roten Sterns darauf nach. Das Metall war ein Teil von ihm und Helen liebte ihn, alles an ihm. Seine Armprothese zählte ebenfalls hinzu. 

Er betrachtete sie, wie das Feuer im Kamin mit dem warmen Braun ihrer großen Augen und dem Rot ihrer Haare spielte. Sie war Hoffnung, Licht und Wärme. All das was Hydra nicht war, war Helen. Dunkel erinnerte er sich daran, ihr das auch schon einmal gesagt zu haben. Irgendwann glitt Helens Hand zurück zu seiner Brust und legte sich genau dorthin, wo sein kräftiges Herz schlug. Sie wusste, dass er eines besaß. James Barnes war ein guter Mensch, ein reiner Mensch. Und alles Negative, all die Dunkelheit, die ihm umgab, stammte allein von Hydra. 

,,Wie lange kannst du noch in Sibirien bleiben? Wie lange kannst du dich Hydra noch entziehen?", flüsterte sie irgendwann und er sah erstaunt auf. Er hatte, mehr geistesabwesend, begonnen ihren Nacken zu liebkosen, mit den Fingerspitzen. Eine zärtliche Geste, welche er sich selbst gar nicht mehr zugetraut hätte. All die Jahre Kälte zeigten ihm nun bloß, an was es ihm gefehlt hatte. Und selbst seine dunkelste Seite, der Winter Soldier, wurde diesen winzigen Funken Hoffnung in Form einer wunderschönen Frau nicht von sich stoßen.

,,Ein paar Tage... Sechs oder sieben", gab er rau zurück und sie sah zu ihm auf. ,,Neun, wenn der Schnee so tobt, dass ich nicht von hier weg komme", fügte er hinzu und nun lächelte sie. ,,Neun Tage. Neun Tage mit dir hören sich im Vergleich zu damals wie eine halbe Ewigkeit an", murmelte sie und streckte ihre Finger nach seinen Lippen aus, strich sie entlang.  Er sah auf sie hinab. Sie lächelte. Es wirkte ehrlich und es erreichte ihn. Da, wo eigentlich nichts mehr ihn jemals erreichen sollte. 

Doch Helen tat es. 

Und obwohl er sich nicht genau erinnerte, wusste er, das hatte sie schon immer getan. 
An nichts erinnerte er sich. Doch ihr Lächeln, das Strahlen in ihren Augen, er kannte es. 
Sie war Hoffnung, sie war Sonne - und das selbst für den finstersten Part seiner Seele. Er hatte nie geglaubt, dass der Winter Soldier etwas verspüren konnte, das Hass und in Verachtung nicht einmal annähernd ähnelte. Es war etwas Gutes. 

Sie war gut. Für ihn. 

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