FOUR
,,This bleeding heart that's
in my hands I fell apart"
FOUR: November 1943
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Helen schlief tief und fest, bekam aber einen halben Herzinfarkt, als es mit voller Wucht gegen die Stahltür zu den vier Wänden ihres Dads und ihr hämmerte. Erschrocken fuhr sie hoch und sah zu ihrem Vater, welcher sich ebenfalls verwundert aufgesetzt hatte und nun hastig auf die Tür zueilte, sie entriegelte und dem Wachen von Hydra öffnete. ,,Operation B16 findet nun statt, der Soldat wurde am gestrigen Abend darüber informiert, ganz wie sie es gewünscht haben. Kommen Sie", meinte er ernst und mein Vater fuhr sich durch die Haare, hatte die Stirn in Falten gelegt. Bildete Helen es sich ein oder war er bleicher im Gesicht geworden?
,,Sofort. Ich ziehe mich kurz an", gab Dad zurück und wandte sich zu ihr um. Helen war schneller auf den Beinen, als sie hätte länger über ihr jetziges Handeln nachdenken können. James. Sie hatten ihn belogen und nun aus dem Schlaf gezerrt. Falls er in seiner Angst überhaupt ein Auge zu bekommen hatte. ,,Tut mir leid, Helen. Leg dich wieder hin, ich werde versuchen bei meiner Rückkehr leise zu sein", murmelte er, während er in seine Schuhe und seinen weißen Kittel schlüpfte.
In diesem Moment spürte Helen Verachtung in ihrer Magengrube aufsteigen. Verachtung für diese grässlich weiße Farbe, welche für James nur Unheil bedeutete. ,,Dad, bitte tu das nicht", flehte sie jetzt und stand mit zwei Schritten vor ihrem Vater. ,,Sie haben James belogen! Sie haben ihm die Information gegeben, dass es erst nach dem Frühstück soweit sein würde. Sie werden ihn umbringen!", flehte sie und hatte ihren Vater bei dem Ärmel seines ensetzlich weißen Kittels gefasst. Er legte nun misstrauisch die Stirn in Falten.
,,Woher kennst du den Soldaten, Helen?", fragte er scharf. Seine Stimme verwandelte sich von dem liebevollen Singsang in ein gefährliches Zischen. Helen schluckte schwer. Sie hätte nachdenken sollen. Nun hatte sie sich ganz offiziell verraten. Schweigend senkte sie den Blick. ,,Du bist draußen gewesen", stellte ihr Vater monoton fest, ein fassungsloses Kopfschütteln folgte. ,,Und ich dachte, du wärst dir über die Gefahren bewusst. Ich dachte, dir könnte man vertrauen", murmelte er und wandte sich ab.
Helen sah sprachlos mit an, wie er nach seiner Tasche griff.
Ein drängendes Klopfen an der Stahltür kündete an, dass der Wachmann langsam seine Geduld verlor. ,,Dad, bitte... Bitte tut das nicht...", flüsterte Helen, sie spürte wie ihr Tränen in die Augen stiegen. Wie konnte ihr Vater das so einfach wegstecken? Wie konnte er die Schreie, die Qualen der Menschen, die sie als Versuchstiere benutzten, einfach so hinnehmen und weiterhin seine Arbeit machen?
Sie hatte ihn nie als herzlosen Menschen gesehen. Welchen Gewinn zog er hier heraus? ,,Du wirst es verstehen, Helen. Eines Tages wirst du meinen Grund kennen und verstehen", murmelte er nur, dann flog die Tür hinter ihm zu. Helen schnappte nach Luft, als sie hörte, wie sich der Schlüssel im Schloss drehte. Ihr Vater schloss sie ein. Das erwies nun offensichtlich, dass sie sein Vertrauen sowas von verloren hatte.
Sie machte einen Satz auf die Tür zu, zerrte wie eine Verrückte an der Klinke, welche sich jedoch keinen Zentimeter bewegte. Ebenso wenig die Tür. Wütend trat sie gegen das Stahl und zog dann mit einem Schmerzenslaut ihr Bein zurück.
Verdammt. Sie hätte nicht so dumm sein und sich verraten sollen! Nervös tigerte sie in dem kahlen, dunklen Raum auf und ab. Würde sie James jemals wiedersehen? Vermutlich nicht. Bis ins Morgengrauen hatte er gesagt. Jetzt kam nicht einmal das zustande, nicht für ihn. Nur für sie.
Seine Kette hatte sie sich um den Hals gelegt. Nun zog sie sie unter ihrem Shirt hervor.
Im schwachen Licht der Glühbirne schimmerte sie silbern und dennoch aber leicht abgenutzt. Man erkannte Macken und Kratzer in dem Metall, das ihn als Soldaten der 107. Infanterie auszeichnen sollte. Ob er stolz auf seinen Ruf als Seargant Barnes gewesen war? Mit Sicherheit.
Sie wollte sich gar nicht ausmalen, wie sehr er gerade litt. In diesem Flügel hörte man die Schreie, wenn es soweit war. Und Helen wartete mit Bauchschmerzen darauf, die Seinen zu hören, während sie sich auf ihre Matratze kauerte, ihren Rücken an die Wand presste und die Kette umklammerte.
Sie hatte nie gebetet, nur in die Anwesenheit des lieben Gottes vertraut und sie geschätzt. Doch jetzt, jetzt betete sie. Für ihn. James Buchanan Barnes. Den gebrochenen Soldaten.
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,,Was auch immer Sie vorhaben, es wird nicht funktionieren", knurrte er, als man seine Hand- und Fußgelenke in metallene Fesseln legte, welche sich schon jetzt unangenehm in seine Haut schnitten und sicherlich blutige Riemen an seiner Haut hinterlassen würde, wenn man sie ihm wieder abnahm.
Er sah die Spritzen zu seiner Rechten liegen. Serum. Es schimmerte dunkelrot in den durchsichtigen Kanülen. Blanke Panik hatte ihre Faust um sein Herz geschlossen und drückte mit aller Gewalt zu. Im Morgengrauen hatte er zu Helen gesagt... Ob er es noch erleben würde? Noch er selbst sein würde?
,,Haben Sie das Betäubungsmittel, Sharpe?", wandte sich der kleinwüchsige, blonde Mann an den Wissenschaftler zu seiner Rechten. Bucky folgte seinem Blick. Er sah die Ähnlichkeit zu Helen sofort. Die selben weichen Gesichtszüge, die gleiche Augenpartie. Nur die Farbe seiner Iris war dunkler, viel dunkler. In dem Licht der Neonröhren wirkten sie beinahe schwarz. ,,Hier, Sir", meinte er jetzt, ohne Bucky eines Blickes zu würdigen und wandte sich ab.
Er schien komplett kalt zu sein. Oder er hatte ein Ziel vor Augen, dass er vor Buckys Wohl stellte. Ganz gleich wie man es sah, er war ein gottloser Mistkerl. In Buckys Augen zumindest war er das. Ob Helen es wusste? Ob Helen wusste, dass sie ihn jetzt schon aus seinem Zimmer - oder eher, seinem kleinen Gefängnis und ins Labor gezerrt hatten? Er würde nicht freiwillig Hydras Laborratte spielen!
Wütend zerrte er an den Fesseln und fuhr zusammen, als man die Spritze gut gezielt in eine der hervorstechenden Venen an seinem Unterarm rammte. Das Betäubungsmittel breitete sich rasant aus. Er spürte, wie ihm innerhalb weniger Sekunden schwindelig wurde und ließ den Kopf zurück auf die Kopflehne des Stuhls fallen, auf welchem er gefesselt war.
Er bemerkte wie durch einen Schleier, wie sich kaltes Eisen an seine Schläfen presste. Eine Maschine. Eine Maschine, die ihm zu hundert prozentiger Wahrscheinlichkeit den Kopf waschen würde.
,,Wir beginnen mit dem Arm", hörte er die Stimme von Sharpe sagen und Metall klirren. Dann hörte er gar nichts mehr, schwarze Lichtpunkte flackerten vor seinen Augen. Solange, bis da nur noch Dunkelheit war. Dunkelheit und brennender Schmerz, welchen er trotz des Betäubungsmittels und der halben Bewusstlosigkeit spüren konnte. In seinen Schläfen, in seiner Schulter. Gleißend, fahrig und schnell. Gefährlich.
Es würde ihn wahnsinnig machen, dass er nur halb bei Bewusstsein war und alles mitbekommen würde. Definitiv. Und vermutlich war genau das auch ihr Ziel.
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Helen würde ihre Unwissenheit noch ganz verrückt machen, so viel stand fest. Sie hörte nichts. Und genau das war das Schlimme. Kein einziger Laut hallte durch die verschachtelten Gänge von Hydras Basis außerhalb in der tiefsten Schneelandschaft. Sie hatten ein gutes Versteck gewählt. Niemand würde sich freiwillig zwischen die Gletscher der hohen Berge wagen. Niemand würde von all dem etwas mitbekommen. Niemand würde die Schreie hören. Niemand würde das tun.
Im Morgengrauen hatte er gesagt. Dieses Morgengrauen brach nun, um sieben Uhr morgens an. Drei Stunden war ihr Vater schon fort. James ebenfalls. Es fühlte sich schrecklich an, davon ausgesperrt zu sein.
Helen drückte ihren Kopf gegen die Felswand. Jetzt verstand sie, weshalb James das die ganze Zeit getan hatte. Es half einem buchstäblich dabei, einen kühlen Kopf zu bewahren. Vermutlich würde Helen sonst jeden Moment komplett ausflippen und dieses vermaledeite Zimmer in Schutt und Asche legen. Sie spürte wie Verständnislosigkeit und Zorn in ihrem inneren wüteten und sich darum stritten, was von beiden gerade stärker war oder Überhand übernahm.
Abrupt erhob sie sich von ihrem Bett, begann wieder auf und ab zu tigern. Sie würde keine Ruhe finden, bis sie nicht wusste, was gerade mit James passierte. Und sie wusste, sie würde deshalb ruhelos ausharren. Vermutlich sogar für Tage, bis sie genaueres wusste.
Sie schob sich an das Waschbecken und drehte den Wasserhahn auf, klatschte sich eine kalte Ladung Wasser ins Gesicht, in der Hoffnung, so ihre erhitzten und pulsierenden Nervenzellen zu beruhigen. Sich selbst zu besänftigen. Es gelang ihr nicht und sie starrte ihr Spiegelbild in dem schäbigen, quadratischen Wandspiegel an, welcher schon Risse hatte und an den Ecken immer weiter abbrach. Das Wasser rann ihr Gesicht hinab, tropfte von ihren Lippen und ihrer Nasenspitze.
Sie musste die Zeit des Wartens ertragen. Egal, wie lange es dauern würde. Sie blickte die silberne Kette an, die aus ihrem Auschnitt und damit offen um ihren Hals baumelte. Im Spiegel funkelte sie geheimnisvoll. Sie musste es für ihn tun, sie musste für und auf ihn warten. Um hinterher das reparieren zu können, was ihr eigener Vater in diesem Moment zerstörte.
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Die Schmerzen waren höllisch. Sie waren wie züngelnde Flammen, welche gerade sein Gehirn niederbrannten. Verzweifelt klammerte er sich an den letzten Anker, der ihm geblieben war. Er wusste noch, wer er war, als er spürte, wie er langsam zu sich kam. James Buchanan Barnes.
Sie hatten ihm noch nicht das Gedächtnis geraubt. Sie hatten ihn nur unglaublich gequält. Er versuchte die Augen zu öffnen. Das kühle Metall an seinen Schläfen war verschwunden, nur in Fesseln lag er nach wie vor.
Ein merkwürdiges Gefühl lag in seiner linken Körperhälfte. Sie kam ihm schwerer vor. Er zwinkerte. Das Licht der Neonröhren blendete ihn einen Augenblick, als er langsam die Hände hob. Metall funkelte kontrastreich zu seiner blassen Haut in dem Schein der künstlichen Birnen. Er wollte nach Luft schnappen. Der metallene Arm ließ sich vollkommen normal bewegen und wies in dieser Hinsicht keinerlei Unterschied zu seinem Rechten auf. Nur das Metall, das Metall ließ ihm übel werden. Was hatten sie mit ihm gemacht?
,,Seargent Barnes." Jemand schob sich in sein verschwommenes Blickfeld und Bucky zwinkerte. Das Betäubungsmittel wirkte noch immer, es verschleierte seine Sicht und seine Sinne. Vermutlich wäre schon der Schock und Wahnsinn mit ihm durchgegangen, wäre es anders. Sie wollten also, dass er sich noch erinnerte. Es war noch nicht soweit. Er würde seinen Verstand noch nicht verlieren, heute nicht. Aber wenn er nicht bald weg von hier kam, dann ein andermal.
,,Wir werden ihn in eine andere Zelle verlegen, der Arm verleiht ihm stärkere und vor allem schnellere Reflexe. Er könnte gefährlich werden", hörte Bucky Sharpe sagen und leises, zustimmendes Murmeln.
Eine andere Zelle? Ein neues Gefängnis? Dann würde er Helen nie wiedersehen. Es würde nie wieder ein Morgengrauen geben, in welchem Helen Sharpe durch die Tür von James Buchanan Barnes trat. So zumindest sah es aus.
Und das ließ Buckys Hoffnung mit einem Mal vollkommen schwinden. Es gab sie nicht mehr. Es gab keine Hoffnung mehr.
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