FORTY-FOUR
,,I'm paralyzed
Where is the real me?
I'm lost and it kills me
Inside
I'm paralyzed"
FORTY-FOUR: Januar 2013
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Die Dunkelheit hatte von ihr Besitz ergriffen... Und Helen hatte es zugelassen. Sie hatte Bucky nicht nur verletzt, nein, sie hatte ihn auch im Stich gelassen. Sie hatte ihn Hydra überlassen... Und dem Winter Soldier. Ihren Bucky... Und ein Teil in ihr verzieh sich das nie. Ihr Hass richtete sich in erster Linie gegen sich selbst - doch Rearlight... Rearlight richtete ihn gegen den Rest der Welt. Helen kauerte auf dem Boden eines schäbigen Hotelzimmers... Teneriffa hatte Rearlight hinter ihnen gelassen, sie war zurück in New York. In Spanien gab es nichts mehr, sicher hatte Hydra den Winter Soldier auch längst zurück nach Amerika gebracht. Und nun war sie hier. Und sie war alleine. Die Rothaarige hatte alle Vorhänge des Hotelzimmers zugezogen, trug einen Hoodie von Bucky - und hatte die Kapuze noch immer tief in ihr ungesund blasses Gesicht gezogen. Sie sah krank aus. Ihre Augen waren blutunterlaufen, ihre Augenringe tief. Sie hoben sich dunkel in ihrem Gesicht hervor, ihre Lippen waren ausgetrocknet und aufgerissen. Drei Tage waren vergangen... Oder waren es fünf? Sie wusste es nicht. Sie konnte es nicht sicher sagen. Sie wusste nicht einmal, wann sie zuletzt geschlafen hatte... Da war einfach nichts mehr. In ihrem Kopf befand sich ein einziges schwarzes Loch, ihre Gedanken waren ein unzusammenhängendes Wirrwarr.
Es gab nur einer Sache, welcher sie sich fortlaufend bewusst war. Sie hatte Bucky im Stich gelassen. Sie hatte ihn verletzt. Es war ihre Schuld. Vielleicht hätten sie fliehen können... Ja, vielleicht hätten sie das tun können, wenn sie nicht noch mit ihm diskutiert hätte. Oder es hätte nur sie erwischt, wenn sie alleine zu dem schicksalshaften Hinterausgang gegangen wäre. Egal wie man es drehte... Sie war schuldig. Der Winter Soldier war zurück, würde für Hydra kaltblütig morden und Angst, sowie Schrecken verbreiten - und seine Opfer konnte man genauso auf ihr Konto schreiben, wie auf seines. Sich alldem bewusst zu sein, tat einfach zu sehr weh. Es machte ihr das Atmen unfassbar schwer. Rearlight die Entscheidungen zu überlassen und sich einfach ängstlich und verletzt in sich selbst zu verstecken... Das war so einfach, dass Helen nicht anders konnte. Es war feige, verantwortungslos. Sie sollte aufstehen, Steve und Sam kontaktieren, Bucky retten. Doch sie gab auf. Es gab keine Hoffnung für Menschen wie sie, für Supersoldaten... Menschen wie sie sollten einfach nicht existieren. Sie stellten nicht nur eine deutliche Bedrohung für andere, sondern auch eine für sich selbst da. Sie brachten das Friedensgleichgewicht der Welt durcheinander. Nur wegen ihnen gab es überhaupt eine... noch dunklere Seite, Konflikte entstanden, die zu Kriegen führten... Es war das Beste, wenn sie Rearlight in ihr gemeinsame Verderben rennen ließ. Selbstzerstörung... Das traf es gut.
Ihr Magen meldete sich mit einem schmerzhaften Knurren. Es ähnelte dem eines wilden, ausgehungerten Tieres... Es fühlte sich nahezu wie ein stechendes Schaben an ihrer Bauchdecke an. Sie musste etwas essen. Es musste schon eine ganze Weile her sein... Doch soweit kam auch Rearlight. Sie rappelte sich auf, schwankte einen Moment und hielt sich stöhnend am Türrahmen des Badezimmers fest, ehe sie durch das abgedunkelte Hotelzimmer trat... Doch bis auf die leeren Verpackungen der Müsliriegel fand sie nichts mehr... Die Minibar bot nur eine Menge unterschiedlicher Getränke ein, eines alkoholischer als das andere. Sie musste raus. Zu dem kleinen Supermarkt am Ende der Straße... Nur kurz. Rein, etwas Essbares greifen, bezahlen und wieder raus. Sie griff nach ihrer Geldbörse, ließ sie tief in den Taschen des Kapuzenpullovers verschwinden und verließ mit der Schlüsselkarte das Hotelzimmer. Still huschte sie zu den Aufzügen, schlüpfte in einen der beiden Fahrstühle und drückte den abgenutzten Falter für das Erdgeschoss. Ihre Schläfen schmerzten. Schwindel befiel sie, ließ sie sich an der Wand abstützen und keuchend ihre Stirn gegen den veralteten, etwas vergilbten Spiegel drücken.
,,Daddy! Daddy sieh mal, was ich gebastelt habe!" Vergnügtes Kichern hallte von den Wänden wider, ein vierjähriges Mädchen rutschte von dem Küchenstuhl und ihr Vater sah von seinen Büchern auf, ein liebevolles Lächeln umgab seine Lippen. ,,Was haben wir denn hier?", schmunzelte er und sie strahlte. ,,Eine Papierblume... Sieh, wenn du sie so auseinander faltest... dann blüht sie."
Die Türen des Fahrstuhls öffneten sich, rissen Helen aus den Erinnerungsfetzen, die sie immer dann erreichten wenn der Schmerz in ihrem Kopf zu stark wurde. Sie blinzelte, ehe sie sich zögernd von der Wand abstieß und mit eingezogenem Kopf durch die Lobby des Hotels lief. Es war mehr eine Absteige... Doch es war gut, solange es still war. Und das war es. Sie drückte die Türen auf und trat nach draußen. Die Wintersonne traf sie beinahe wie ein Schlag und ließ sie den Kopf noch weiter senken, eine Hand vor ihr Gesicht halten. Das rötliche Glimmen verließ ihre eigentlich rehbraunen Augen nicht mehr, seitdem Abend, an dem sie Teneriffa... und den Winter Soldier hinter sich gelassen hatte. Sie überquerte die befahrene Straße. Sie befand sich in Brooklyn... Sie wusste selbst nicht weshalb sie ausgerechnet hierher gekommen war. Vermutlich weil hier alles angefangen hatte. Hier... In Brooklyn...
,,Ich tanze nicht." Ein verlegenes Lächeln, sie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Die große Stark-Expo... Feuerwerk, das bunte Lichter über die Stadt warf und den Himmel in ein prächtiges Farbspiel verwandelte. ,,Nun komm schon." Ein charmantes Schmunzeln, stahlblaue Augen... Ein warmer Blick. Der Charme war ihm an der Nasenspitze anzusehen. ,,Das ist mein letzter Abend in Freiheit und du bist das schönste Mädchen, das mir bisher begegnet ist... Schenk mir wenigstens fünfzehn Minuten?" Er reichte ihr seine Hand. Sie kicherte, sah sich nach ihrem Dad um, der eigentlich nur ein paar warme Kastanien holen wollte... Die Helen überhaupt nicht ausstehen konnte. ,,Na schön", schmunzelte sie. ,,Mit wem habe ich das Vergnügen?" Ihre blasse Hand legte sich in seine. Es fühlte sich richtig an. ,,Sergeant James Barnes", schmunzelte ihr Gegenüber, ließ sie grinsen. ,,Sollte mich das beeindrucken?", entgegnete sie, was ihn heiser lachen ließ. ,,Ich weiß nicht, sollte es das?"
,,Passen Sie doch auf!" Helen sah auf. Sie war mit einer älteren Dame zusammengestoßen, Einkäufe rollten über den Asphalt... ,,Bitte... Bitte entschuldigen Sie", brachte sie heiser hervor, stolperte weiter. Bucky... Deshalb war er ihr damals in der Zelle so bekannt vorgekommen. Immer schon hatte es ihr praktisch auf der Zunge gelegen. Aufgewühlt drückte sie die Türen zum Supermarkt auf. Kühle Luft kam ihr entgegen, sie war erleichtert der Sonne zu entkommen. Das regelmäßige Piepen der Kasse hatte etwas Beruhigendes. Tief atmete sie durch, ließ ihren Blick schweifen. In der Backwarentheke lächelten sie frische Brötchen an und Helen griff nach einer Tüte, nahm sich zwei davon... Ihre zitternden Beine trugen sie weiter durch den kleinen Laden. Doch sie schwankte, war nicht bei Sinnen. Ihr Kopf tat so unerträglich weh... Dann hielt sie inne. Die Tüte entglitt ihren blassen Fingern. ,,Nein...", flüsterte sie erstickt. Weitere Erinnerungen wollten sich nach oben drängen, weitere Erinnerungen, die sie noch mehr aufwühlen würden... Sie konnte das nicht mehr. Nicht noch mehr. ,,Stopp..." Ihre Hände pressten sich an ihre Schläfen, doch sie bekam sich nicht mehr in den Griff... Als nächstes hörte sie Glas splittern. Schreie, Panik. Menschen drängten sich aus dem Laden. Es war wie ein Filmriss... Alles war schwarz. Sie kniete auf dem Marmor, als sie aufsah. Flammen... Sie züngelten an den Regalen hinauf. Rauch stieg ihr entgegen, nistete sich in ihrer Brust ein. Ließ sie husten. War sie das gewesen? Hatte sie... Hatte sie die Leitungen zum explodieren gebracht?
Die Sirenen der Polizei ließen sie den Kopf heben. Flucht... Sie musste verschwinden. Mit gesenktem Kopf verließ sie den Laden, huschte in die Gasse... Hustend, mit der Kapuze tief im Gesicht. Die Panik und Hysterie war groß, niemand sah sie... So konnte sie gezielt zurück in das Hotel huschen, mit leeren Händen, einem noch größeren Chaos an Gedanken. Das Tageslicht hatte sie zusätzlich aufgewühlt, hatte sie durcheinander gebracht. Wut brannte regelrecht in ihren Adern, während die Nachrichtensender bereits längst an der gegenüberliegenden Straßenseite vor Ort waren. Nun war es nur noch eine Frage der Zeit. Steve und Sam würden das hier mit Sicherheit auf sie zurückführen können... Vielleicht würden sie Bucky retten können. Vielleicht auch nicht. Im nächsten Moment flog die Zimmertür hinter ihr zu. Wieder wie ein Filmriss, als seien ihr die letzten Minuten im Fahrstuhl einfach entfallen. Oder sie niemals gewesen. Es war, als würde man durch Fernsehsender zappen... Das Bild änderte sich stockend, viel zu schnell, um alle nötigen Informationen aufzunehmen. Viel zu schnell um zu verstehen. Ihre Beine gaben unter ihr nach... Helen sank auf den Teppichboden, der seine beste Zeit bereits hinter sich hatte. Das war sie... Ihre ganz persönliche Hölle. Und sie war alleine... Alleine mit sich selbst... und Rearlight.
,,Steve? Da ist etwas, das du unbedingt sehen solltest..." Steve Rogers sah auf und setzte das Gewicht, das er gerade eben noch gestemmt hatte, zurück in seine Halterung. Schweiß glänzte dünn auf seiner Stirn, doch sonst war Captain America während seinem Training nicht einmal ein Funken von Anstrengung anzusehen. Dennoch warf Sam ihm ein Handtuch zu - und geschickt fing Steve es auf. ,,Wovon redest du?", murmelte er rau und Sam reichte ihm sein Smartphone... Eine Explosion in Brooklyn. Seine Stirn legte sich verwirrt in tiefe Falten und er sah fragend zu Sam, doch dieser schüttelte den Kopf. ,,Sieh dir das Video dazu an...", murmelte er, in seinem Gesicht war Sorge zu sehen. Sorge um eine alte Freundin, von welcher es beiden lieber gewesen wäre, sie in Sicherheit zu wissen. Steve scrollte runter und öffnete das Live-Video... Und er brauchte einen kurzen Moment, bis er sie seitlich verschwinden sah... Und auch wenn Helen sich hinter einer Kapuze verbarg, erkannte Steve sie auf den ersten Blick - und die roten Locken, die unter dem Kapuzenpullover hervorfielen. ,,Was...", entwich es ihm fassungslos und er schüttelte den Kopf, sah Falcon an. ,,Denkst du, sie war das?", fragte er dann ungläubig und Sam nickte langsam. ,,Ich will es nicht denken... Aber ja. Ich denke, sie ist auf jeden Fall dafür verantwortlich", entgegnete er und Steve rieb sich aufgewühlt die Stirn.
,,Aber was ist mit Bucky?", murmelte er. ,,Wir müssen sie finden", meinte er dann und sah wieder auf. ,,Irgendwas scheint schief gelaufen zu sein... Ich dachte, sie würden eine Weile abtauchen können... Doch wenn Helen wieder hier in New York ist..." Steve schüttelte finster den Kopf. ,,Kann das nur bedeuten, dass Hydra sie gefunden hat...", beendete Sam düster den Satz seines Freundes. Gestern erst war das neue Jahr angebrochen. Die Wintersonne fiel durch die hohen Fenster des Trainingsraums im Hauptquartier der Avengers. Erst gestern auf Tonys Silvesterfeier hatte Steve an Bucky und Helen gedacht... Und gehofft, sie hätten das neue Jahr zusammen anbrechen können - mit Frieden in Aussicht. Doch ganz offensichtlich... war ihnen dieser weniger vergönnt gewesen.
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Ich bins nochmal!
Danke nochmal an alle, die unter dem letzten Update kommentiert haben! Ich hätte nie erwartet, dass hier so viele aktive Leser sind... Warum höre ich nie was von euch? Das war wirklich unglaublich, vielen Dank! ❤
Nun im vierundvierzigsten Kapitel gebe ich euch nun auch mal eindeutige Erinnerungen, weshalb Bucky Helen schon bei ihrem Treffen damals im Hydrabunker so bekannt vorkam!
Ich hoffe das Kapitel hat euch gefallen und ich würde mich freuen öfter von euch zu hören!
Eure Mary
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