FIFTEEN

,,Losing her - the only one who's ever known
who I am, who I'm not and who I wanna be"

FIFTEEN: November 2012

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Sibirien. Es war kalt und verschneit und Helen hatte sogar einen Moment überlegt, einfach jemanden auszurauben und sofort wieder zurück zu fliegen. Ihre Erinnerungen an diesen Ort waren überwiegend negativ. Nur die kurzen Momente, die sie mit Bucky geteilt hatte, ließen sich als etwas Gutes bezeichnen. Das einzig Gute, das zwischen den Mauern dieser Hölle damals vorgegangen war. Die Geldbörse stahl sie allerdings wirklich jemandem, einer jungen Frau, die so aussah, als sollte ein bisschen weniger Geld ihr keine all zu großen Schwierigkeiten bereiten. 

Damit besorgte sie sich etwas zu Essen und dickere Kleidung. Die abgenutzten, alten Sachen stopfte sie in die nächste Mülltonne. Genauso die gestohlene Geldbörse, nachdem sie die letzten Scheine in ihrer Jackentasche verstaut hatte. Sie wollte nicht stehlen, doch sie hatte keine andere Wahl. Wie sonst sollte sie in dieser fremden Welt klar kommen? Sie entdeckte ein Schneemobil in einiger Ferne und trat auf den älteren Herren zu, der es startklar machte. ,,Können Sie mich ein Stück mitnehmen?", fragte sie und reichte ihm zwei der Scheine. 

Misstrauisch musterte er sie. ,,Na schön, spring auf", nuschelte er dann in seinen langen, dunkelgrauen Bart und Helen kletterte auf das Schneemobil. Auch dieses hatte man deutlich modernisiert. Helen wollte all diese Veränderungen nicht wahrhaben. Hatte sich das alles wirklich in achtundsechzig Jahren entwickelt? Sie fuhr soweit mit, wie ihr möglich war und stellte, nachdem sie einen Blick auf die Karte, die sie im selben Laden wie ihre Kleidung gekauft hatte, geworfen hatte, fest dass es nur noch vier Kilometer bis zu der Basis waren. 

Falls sie denn noch existierte und im Krieg nicht zerbombt worden war. Auch wenn Helen das den Hydra-Soldaten nur so wünschte. Den Tod sollten sie finden, was Anderes verdienten sie nicht für all die Gräueltaten, die sich mittlerweile sicherlich über eine viel längere Liste zogen, als Helen wirklich vermutete. Sie kämpfte sich durch den Schnee, der an dieser Stelle beinahe kniehoch lag und ihr diese wenige Kilometer dennoch zu einem Kampf machte. Ein Kampf durch das Eis. 

Helen zitterte am ganzen Körper, trotz der wintertauglichen Kleidung, als sie die großen und massiven Türen aus Gestein vor sich ausmachen konnte. Das Heulen des Windes war stärker geworden und sie beeilte sich, darauf zu zulaufen. Sie musste erst einmal raus aus dieser schneidenden Kälte, dem Schneesturm, welcher sich langsam aber sicher in der eisigen Luft aufstaute. Sonst würde sie erfrieren. Sie konnte schon alles oberhalb ihrer Stiefel nicht mehr spüren. 

Dennoch wurde sie aufmerksam. Die Türen waren nicht vollständig verschlossen, ein Spalt stand offen und pfeifend gelang die eisige Luft ins Innere der verschneiten Lagerhalle. Sie schluckte. Es musste noch jemand hier sein und ihr Herz schlug schneller, als sie an Bucky dachte. Konnte es sein? War er hier? Mit einem leisen Ächzen zog sie eine der beiden Türen weiter auf, um ins Innere zu schlüpfen. Der Wind schlug sie nun mit einem Knall hinter ihr zu und Helen fuhr zusammen. Sie hatte leise sein wollen, um unbemerkt zu bleiben. Das war ihr ja ausgezeichnet gelungen. 

Schwaches Licht brannte, nur stellenweise funktionierten die Lampen noch. Die Restlichen hatten bereits den Geist aufgegeben und Helen musste fast ein wenig lächeln, als sie ein verkohltes, zerfetztes Haargummi an einer Lampe ausmachen konnte. Es tat gut, etwas Vertrautes zu sehen. Die verschachtelten Gänge hatten sich nicht verändert, nur dass nun hohe Regale daran empor ragten, voller Akten und Aufzeichnungen Hydras. Jedem ihrer Widersacher wäre es ein unglaublicher Schritt zur Bekämpfung der Nazi Organisation, wenn sie das hier entdeckten. Ob Shield ein Widersacher Hydras war und sich das hier zu Nutzen machen könnte? 

Helen wurde aus ihren Überlegungen gerissen, als sie das Laden einer Waffe hörte. ,,Keinen Schritt weiter", ertönte eine kühle Stimme. Erst erschrak Helen sich, doch der Schreck legte sich schnell, als sie die raue und dunkle Stimme erkannte. Tatsächlich. Er war hier. Und nun direkt hinter ihr, mit geladener Waffe. Langsam drehte sie sich um, die Hände schluckend erhoben. ,,Bucky...", hauchte sie und Tränen traten ihr in die Augen. Da stand er. Und er sah noch immer genauso aus, wie damals. Sein Haar umspielte sein Gesicht und obwohl dieses verhüllt war, wusste Helen ganz genau, dass er es war. 

Er zog sich das Tuch vom Gesicht. ,,Wer bist du?", zischte er und Helen schluckte hart. Natürlich. Es war nicht Bucky. Es war nie Bucky gewesen, seit Ewigkeiten schon nicht mehr. Wann war er nur zuletzt er selbst gewesen? ,,Helen. Du kennst mich", hauchte sie zittrig und ihre Stimme versagte. ,,Wir haben beide für Hydra gearbeitet", setzte sie heiser nach, es zerriss ihr das Herz. Sie hatte sich das anders vorgestellt. Wie naiv von ihr. 

,,Helen...", murmelte er und Verwirrung lag in seinem Blick. ,,Das kann nicht... Ich kann nicht... Ich... Ach verdammt!" Knurrend wandte er sich ab und raufte sich durchs Haar. Seine letzte Gehirnwäsche schien schon etwas zurück zu liegen, seine Bewegungen wirkten langsamer und schwächlicher, als sie es normalerweise taten. Der eiskalte Soldat in ihm, hätte geschossen, ohne Fragen zu stellen, aber Bucky... War er näher, als sie erwartet hatte? 

Sie war unsicher, doch dann schob sie sich dennoch hinter ihn und zögerte erst noch, ehe sie aber sanft seine Schulter berührte. Kaltes, hartes Metall. Damals hatte Helen geglaubt, das Herz des Soldaten, sei ähnlich gestrickt. Doch immer wenn dann wieder Bucky in ihm zu Vorschein gekommen war, hatte sie ihre Meinung geändert. ,,Sie haben dich lange nicht mehr gelöscht, oder?", fragte Helen leise und er drehte den Kopf. Schwarze Ränder waren mit Farbe um seine so schönen Augen gezogen, vermutlich, um ihn noch gefährlicher aussehen zu lassen. Seine Augen wirkten glasig. 

,,Es liegt eine Zeit zurück", antwortete er ihr, seine Stimme klang hohl. Leer. Irgendwie dumpf. Helen nickte leicht. Das merkte man ihm an. ,,Aber du arbeitest noch für sie, nicht wahr?", fragte sie ihn leise, er nickte. Er wirkte verwirrt, aufgelöst und so durcheinander, dass Helens Auftreten ihn erst jetzt aus der Konzentration gebracht haben musste. Sie sah ihn weiterhin an. Ihr Herz klopfte wie verrückt, raste so sehr, dass sie schon fast keine Luft mehr bekam. Oh Bucky... 

Einen Moment noch lagen Verwirrung und vielleicht sogar Wärme in seinem Blick, dann stieß er sie grob von sich weg und die Kälte kehrte zurück. Oh nein. Verdammt, sie hatte ihn doch fast gehabt! 

,,Es reicht. Ich sollte das tun, was richtig ist." Seine Stimme war schneidend und kalt. Helen erschauderte und schluckte hart. ,,Das ist nicht das, was du willst. Bitte. Ich kann dir helfen, ein Leben außerhalb von Hydra zu führen", flüsterte sie verzweifelt und er sah sie kalt an. ,,Es gibt kein Leben ohne Hydra", entgegnete er eisig und packte sie bei den Haaren. Mit ruckartigen Bewegungen schmetterte das Monster in ihm Helens Kopf immer wieder gegen die eisernen Regale. Ihre Beine gaben unter ihr nach, er behandelte sie wie eine Puppe- mit fließender Leichtigkeit und absoluter Brutalität.

Sie schrie und weinte. Sie kam gar nicht auf den Gedanken, sich zu wehren. Sie wollte es auch gar nicht. Es würde ihn noch viel wütender machen. Nach dem dritten Mal konnte sie spüren, dass etwas warmes ihren Nacken hinab rann. ,,Bucky! Du könntest deine eigenen Entscheidungen treffen!", schluchzte sie bitterlich, doch er rammte ihren Kopf nur zwei weitere Male gegen das Eisen. Helen begann langsam aber sicher, Sternchen zu sehen. Ihre Schläfen dröhnten und wummerten. ,,Ich bin nicht Bucky", knurrte der Soldat, als er vor dem wimmernden Bündel in die Hocke ging. Er betrachtete sie aus leerem Blick, versuchte sie zu verstehen. Das alles zu verstehen. 

Seine Gesichtszüge wurden weicher. Es war beinahe, als habe sein Verstand eine Art Wackelkontakt. Er führte sich auf, als wäre er von innen heraus wie in zwei gespalten. ,,Du liebst Pflaumen und trägst normalerweise immer eine Tarotkarte mit dir herum, Bucky. Die Sonne, sie spricht für Hoffnung. Du hast sie von deiner Mutter. Diese Kette hier, gehört dir. Dir, James Buchanan-", begann Helen heiser erneut, doch ein Faustschlag gegen ihren Kiefer warf ihren Schädel zur Seite und ließ sie schlagartig verstummen. 

Dennoch richteten sich die Augen ihres Gegenübers auf das silberne Band um ihren Hals. ,,Du dientest als Soldat damals in der 107. Du warst so stolz darauf, ein Sergeant zu sein und hast mir so viel darüber erzählt. Über Steve, deinen besten Freund. Du hast mich geküsst, mehrmals sogar. Du hast mich das Licht in der Dunkelheit Hydras genannt, die Spitznamen meines Vaters für mich fandest du alle furchtbar...", hauchte sie erstickt und röchelte, spuckte einen Schwall Blut auf den harten Felsboden. 

,,Ich war immer da, wenn du mich gebraucht hast, Bucky. Immer, wenn du es wolltest", flüsterte sie und sah ihn an. Seit einigen Sekunden war keinerlei Reaktion mehr von ihm gekommen, seine Mine war einfach nicht zu deuten. Schweigsam starrte er die Kette an, hatte sie zwischen seine Finger genommen. Und Helen fürchtete schon, dass er sie ihr vom Hals reißen und sie zerstören würde, in der blanken Wut, die das Monster in ihm leitete.

Sie wagte es in diesem Moment nicht einmal zu atmen, als er den Blick hob und ihr zum ersten Mal seit achtundsechzig Jahren wieder richtig in die Augen sah. 

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