EIGHTEEN

,,That's enough for now, he
should've never left you broken"

EIGHTEEN: November 2012

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,,Ich hätte dich längst töten müssen." Diese Worte waren nicht unbedingt das, was man nach einer gemeinsamen Nacht erwartete. Aber sie waren das, was Helen in früher Morgenstunde aus einem tiefen Schlaf riss. Ebenso die kalte Hand, die sich um ihre Kehle schloss, drauf und dran, zu zu drücken. Aus glasigen Augen sah sie zu ihm auf, zu ihm, Bucky, aus dessen Gesicht jede Emotionen verschwunden zu sein schien. Nun war da wieder kalte Leere in seinen Augen und über ihr lehnte wieder der Mann, den Helen liebte und doch mit am meisten fürchtete, sobald er die Kontrolle über sich selbst verlor. 

,,Mein Auftrag beinhaltet keine lebenden Zeugen", stieß er nun hervor und eine eiskalte Faust schloss sich nun um ihr Herz, zerquetschte es, nachdem es letzte Nacht zum ersten Mal seit langem wieder so etwas wie Hoffnung empfunden hatte. Helen schluckte. Ihr Herz raste so sehr, dass sie das Gefühl hatte, es könnte ihr jeden Augenblick aus der Brust springen. ,,Was willst du jetzt tun? Mich wirklich töten?", flüsterte sie leise, denn sie wagte es nicht, lauter zu sprechen. Sie traute sich nicht. Sie hatte zu sehr Angst davor, dass ihn das noch wütender machen könnte.

,,Du hast meine Schwäche ausgenutzt", zischte er und Helen versuchte den aufwallenden Schmerz in ihrer Brust zu ignorieren. ,,Habe ich das?", fragte sie ihn heiser, beinahe schon mit brüchiger Stimme. Langsam begann sie, es einzusehen. Sie hatte ihn bereits vor achtundsechzig Jahren schon längst und lange verloren, als sie das letzte Mal aus der Tür seiner Zelle getreten war.

Er fixierte sie, das kalte Blau seiner Augen völlig emotionsfrei. ,,Ich habe etwas getan, das wir beide wollten", flüsterte sie jetzt und schloss die Augen, aus Angst, die Tränen nicht mehr lange zurückhalten zu können. Die Hand an ihrer Kehle verschwand und er zog sich zurück. Sie atmete auf, doch stieß einen erschrockenen Laut aus, als er sie an den Knöcheln aus dem Bett riss. ,,Ich will, dass du gehst. Jetzt", zischte er und Helen drehte sich der Magen um. Er wollte... Er wollte, dass sie sich hinaus in den Schneesturm begab? Er wollte sie jetzt wegschicken? 

,,Hast du mal nach draußen gesehen?", fragte sie ihn mit weinerlicher Stimme, doch er schüttelte unbarmherzig den Kopf. ,,Wenn du bleibst, sehe ich mich gezwungen, dich zu töten", raunte er und unter Tränen begann Helen, sich anzuziehen. Ihre Hose, ihren Pullover, die Stiefel, die sie vor den Kamin geschoben hatte. Er beobachtete sie mit wachsender Ungeduld, seine Körperhaltung zum Zerreißen gespannt. Da war er nun wieder... Wie hatten sie ihn in der Aufzeichnung genannt? Der Winter Soldier. 

Sie zog sich den gefütterten Mantel über. Schon wenn sie an das Eis da draußen dachte, begann sie zu zittern. Nun trat sie vor ihn. ,,Ich werde dort draußen sterben...", flüsterte sie. Ein letzter Versuch, ihn von seiner harten Entscheidung abzubringen. Doch dieser Versuch scheiterte. ,,Du hast eine Chance, das Dorf ist nicht weit von hier. Wenn du schnell gehst, kannst du es schaffen. Ich lasse dir diese Chance", gab er kalt zurück und öffnete die Tür. Pfeifend wehte eiskalter Wind ins Innere der Hütte, brachte Schneeflocken mit sich, welche auf dem warmen Holzboden schmolzen und eine Pfütze zu Helens Füßen bildeten. 

,,Auch wenn ich nicht weiß, womit du diese Chance verdienst", setzte er nach und Helen versuchte bemüht, nicht zusammen zu brechen. War sie ihm so fern? Er hatte sie damals bei Hydra selbst als Winter Soldier einige Male beschützt. Hatte er das vergessen? Er schickte sie in den sicheren Tod, ganz gleich wie er anders argumentierte, sie würde das nicht überleben. ,,James...", flüsterte sie und suchte den Blick des dunkelhaarigen Mannes. ,,Bitte tu das nicht", wimmerte sie und wollte ihn berühren, doch er trat augenblicklich einige Schritte zurück. 

,,Geh", brachte der Soldat in ihm ohne jedes Gefühl hervor und Helen schluchzte leise, aber wandte sich ab und trat in den Schnee, in welchem sie beinahe bis zu den Knien einsank. Er durchnässte sofort den Stoff ihrer Hose. Die Tür knallte hinter ihr zu und die junge Frau fuhr zusammen. Die Verletzungen, die der Winter Soldier ihr am gestrigen Abend zugefügt hatte, schmerzten und brannten noch immer. Das helle Tageslicht ließ Helen die Augen zusammen kneifen, der weiße, glitzernde Schnee ließ alles noch umso greller wirken und blendete sie, so sehr, dass ihr angeschlagener Kopf zu schmerzen begann, kaum hatte sie vier Schritte gemacht. 

Der Wind pfiff ihr um die Ohren und sie schlug den Kragen ihrer Jacke hoch, kämpfte sich weiter und als sie sich das nächste Mal umblickte, konnte sie die Holzhütte nicht mehr sehen. Sie sah nur weiß, Schnee über Schnee. Heiße Tränen rannen ihre eiskalten Wangen hinab. Wie konnte er ihr das antun? Kein Mensch wagte sich bei solch einem Sturm nach draußen. Es war klar, dass sie umkommen würde. Über jedes Hinweisschild zog sich so eine dicke Eisschicht, dass Helen nicht erkennen konnte, was darauf stand. Sie hatte keinerlei Orientierung mehr. 

Wo war sie und wie weit war sie nun gegangen? Jegliches Zeitgefühl versagte. Sie sah zum Himmel auf. Dichte Wolken zogen sich darüber zusammen, eiskalter Wind schlug ihr ins Gesicht. Langsam verlor sie das Gefühl in ihren frierenden Beinen, bis zu den Schenkeln war sie in dem Schnee eingesunken und versuchte sich, weiter zu zwingen. Sie zitterte am ganzen Körper. Es dauerte nicht mehr lange, bis Helen ihre Beine tatsächlich nicht mehr spürte und sich auf einen vereisten Felsbrocken zog. Nur eine Pause... Eine kurze Pause. 

Verzweifelt versuchte sie, mit ihren bloßen Händen ihre Schenkel warm zu reiben, doch scheiterte kläglich. Es war so kalt, ihr war so kalt... Und dann war da auch noch diese zermürbende Erschöpfung. Das Wissen, dass sie nicht mehr weit kommen würde. Selbst die größte Kämpfernatur würde es mit bloßen Schritten nicht durch dieses Wetter schaffen, durch den massiven Schneefall und den pfeifenden Wind, der eisern an ihrer durchnässten Kleidung zerrte. 

Sie blies sich gegen die tauben Fingerspitzen, während sie sich auf dem Felsen zusammen kauerte. Er hatte ihr das angetan. Der Winter Soldier, welcher James Barnes erfolgreich aus seinem eigenen Verstand gedrängt hatte, hatte sie hier raus geschickt. Und ihr erneut bewiesen, sie sollte ihn nicht lieben. Doch wieso konnte sie ihn anstelle dessen dann nicht einfach hassen?


 

Er stand in der Hütte. Beinahe vierzig Minuten war sie nun fort, es herrschte Stille. Nur das Heulen des Windes war zu hören, als er aus dem Fenster blickte. Der Schnee lag gefährlich hoch, heute würde er nicht mehr zur Basis zurückkehren können, um die wichtigen Dokumente, die Hydra dringend brauchte, zu besorgen. Etwas Blitzendes auf dem Tisch zog seinen Blick auf sich und misstrauisch trat der Winter Soldier näher. Die Kette, die die junge Frau als die Seine bezeichnet hatte, lag noch immer an Ort und Stelle und verschmähte ihn nun, als er danach griff. 

Sergeant James Buchanan Barnes. 
107. Infanterie. 

Er musterte die Aufschrift und zuckte zischend zusammen, als einen Moment Schmerz durch seinen Kopf jagte. 

Er saß auf einer Pritsche und blickte sie an. Helen. Er kannte ihren Namen, er verband ihn mit etwas Gutem. Mit Hoffnung. Nun zog er sich seine Kette ab, Angst und Schmerz lieferten sich ein Duell in seinem Brustkorb, als er sie in ihre Handfläche legte. ,,Achtest du für mich darauf? Ich will nicht, dass sie mir das letzte Stück Heimat nehmen...", flüsterte er heiser. Er vertraute ihr, sie war sein Licht in jeder Dunkelheit. Obwohl er sie nicht lange kannte, wusste er das. Helen nickte und ihre zarten Finger schlossen sich um das kratzige Silber. ,,Ich werde darauf achten, ich verspreche es dir."

Mit einem Stöhnen rieb er sich die Stirn. Die Bilder, die vor seinem inneren Auge aufgeblitzt waren, hatten einen glühenden Schmerz in seinem Kopf hinterlassen. ,,Helen...", murmelte er, dann fiel ihm die Kette aus der Hand. Mit einem leisen Laut landete sie auf der Tischplatte, als ihm bewusst wurde, was er getan hatte. Da war sie wieder, die Person, die zwischen der Güte von James Barnes und der Grausamkeit des Winter Soldiers weilte und immer dann zum Vorschein kam, wenn seine Löschung längere Zeit zurück lag. 

Natürlich wusste er, was Hydra mit ihm tat. Was für Schmerz sie ihm zufügten. Oftmals hatte er mit dem Gedanken gespielt, sein schreckliches Leben einfach zu beenden. Er wollte das nicht mehr, er wollte, dass das alles aufhörte. Eigene Entscheidungen treffen... Wie lange war es nun her, dass er das gekonnt hatte? Doch nun entschied er. Er entschied, dass er sie sofort suchen musste. Wenn sie nicht schon längst dort draußen erfroren war. 

Sich seine Jacke genommen, verließ er die Hütte und schlug den Kragen hoch, als ihm der eisige Wind um die Ohren jagte. Noch konnte er schemenhaft erkennen, wo sie lang gegangen war, doch es würde nicht mehr lange dauern, bis der Schnee ihre Spuren gänzlich bedeckt hatte. Dann würde James sie niemals wieder finden. Er musste sich beeilen. Und dabei hoffen, dass der Winter Soldier nun nicht alles getötet hatte, was die andere Seite in ihm, was James Buchanan Barnes noch hatte. 

Seine Hoffnung. 

Er spürte etwas in sich zerbrechen, ohne dass er definieren konnte, was genau es war - oder weshalb es zerbrach. Es war nur ein Gedanke, der seinen Körper vor Schmerz starr werden ließ. Bei diesem Wetter, den Minustemperaturen und dem starken Schneefall, hatte er höchstwahrscheinlich Helen Sharpe umgebracht. 

Die eine Person, von welcher er in diesem Moment wusste, dass ein Teil von ihm sie liebte. Er brüllte ihren Namen in seiner Verzweiflung, doch alles was ihm antwortete, war das Heulen des Windes. Es schikanierte ihn, machte sich darüber lustig. Verspottete ihn, weil er ein Mörder war. Der Mörder seiner eigenen, letzten Hoffnung. 

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