3. Kapitel: Borgin und Burkes


Ich schließe kurz meine Augen, bevor ich sie wieder öffne und direkt in den Spiegel vor mir sehe. Meine langen Haare fallen mir über die Schulter, meine Lieder wirken wie immer schwer und meine blasse Haut scheint fast zu leuchten in dem dämmrigen Zimmer.

Heute ist es so weit. Ich rücke den schwarzen Umhang zurecht, der sich etwas zu fest um meinen Hals schnürt. Meine Finger stecken in schwarzen Lederhandschuhen, meine Füße in hohen schwarzen Stiefeln, meine Beine in einer schwarzen Hose und mein Oberkörper in dem selben Oberteil, das ich auch getragen habe, als mein Vater mir das Dunkle Mal einbrannte.

Mein Blick fällt auf die Totenmaske, die neben mir auf dem Boden liegt. Es ist mein erster wirklicher Auftritt als Todesserin und ich weiß, dass ich auch dieses Mal nicht versagen darf. Ich atme tief durch, bevor ich sie zwischen die Finger nehme und begutachte.

Sie ist schwarz wie alles, was ich trage. Der Mund ähnelt einem Gitter, die Augen sind leer, damit man etwas sieht und der Rest ist verdeckt, sodass einen keiner erkennt (was eigentlich nötig ist. Jeder, der sich uns in den Weg stellt stirbt).

„Asbeel, bist du fertig," ertönt die Stimme meines Vaters nicht weit von der Tür. „Ja, bin ich," antworte ich hastig und setze mir die Maske auf, kaum, dass die Tür auffliegt.

Auch mein Vater trägt komplett schwarze Sachen und sein Gesicht wird wie meines von der Totenmaske verdeckt. Wir sehen uns für ein paar Sekunden durch die Augenschlitze an, bevor er nickt.

„Dann lass uns gehen."

Ich sehe ein letztes Mal in den Spiegeln. So ist es fast erträglich mich zu sehen. Kopfschüttelnd wende ich mich ab, ziehe meine Kapuze über, sodass meine Maske von Schatten verdeckt wird.

Mit klackernden Schuhen stolziere ich aus dem Raum, mein Zauberstab locker in der Hand und mein Mantel leicht flatternd.

Draußen im Gang wartet mein stummer Vater, der wieder nur nickt und vorangeht. Ich folge ihm, wortlos. Mir ist es nicht unbedingt recht, dass ich ausgerechnet mit meinem Vater diesen Auftragt erledigen muss, aber man kann das nicht entscheiden, insbesondere nicht, wenn der Dunkle Lord es so möchte.

Bella ist nicht da. Um ehrlich zu sein bin ich ziemlich froh. Sie würde nur meine Konzentration stören. Narzissa steht wahrscheinlich in der Küche und Draco...nun der liegt wohl oben in seinem Bett und macht sich Gedanken darüber wie er das Verschwindekabinett im Raum der Wünsche reparieren kann.

Ich beiße mir auf die Lippe. Disziplin. Ich straffe meine Schultern. Disziplin. Ich umschließe meinen Zauberstab fester. Disziplin. Mein Gesicht verwandelt sich in eine Maske. Disziplin.

Mein Vater stößt die Tür, die leise ächzt, ohne Vorsicht auf und tritt hinaus in eine kühle Nacht. Ich folge ihm. Ein bleicher Vollmond scheint von dem wolkenverhangenen Himmel herab, Nebel wabert durch die Dunkelheit wie giftige Dämpfe und eine eisige Kälte scheint aus dem Boden zu steigen.

Ich sehe zu meinem Vater, der ganz sanft nickt. Der Plan steht, jeder weiß, was er zu tun hat. Jetzt geht es um unser Können, was wir beide zweifellos besitzen.

Es gibt einen Knall, der gruselig in der Stille wiederhallt und mein Vater ist verschwunden. Dann gibt es einen zweiten Knall und auch ich werde vom Nebel verschlungen, als wäre ich nie hier gewesen.

Sekunden später tauche ich neben meinem Vater wieder auf. Wir stehen vor einem Hauseingang, der in den Schatten der Nacht verborgen liegt. Rechts von uns befindet sich eine Straße, die auch in diesen späten Stunden ziemlich gut befahren ist. Über uns flackert eine Straßenlaterne, die kaum, dass mein Vater seinen Zauberstab hebt, erlischt.

Ich nicke ihm zu, dränge mich etwas an die Hauswand und beobachte den Eingang, der im Dunkeln liegt. In dem Wohnblock wohnen ausschließlich Muggel, außer unser Opfer, was uns sehr zu gute kommt. Mein Blick zuckt zu der Kamera, die genau über der Eingangstür hängt. Wortlos hebe ich meinen Zauberstab und sie erstarrt, getroffen von einem Schockzauber.

Damit hätten wir wohl freie Bahn. Ohne zu zögern geht mein Vater auf die Tür zu, richtet seinen Zauberstab darauf, sodass sie aufspringt und betritt das Treppenhaus, indem sofort das Licht angeht. Ich schnippe mit meinem Zauberstab und wir stehen wieder in der vollkommenen Dunkelheit. Das ist nur zu Sicherheit, weil wir dann nicht wissen, wer uns von draußen zusieht.

Fast lautlos huschen wir das Treppenhaus hinauf, Stufe für Stufe. Meine Schuhe klackern gruselig in der Stille, hallen an den hohen Wänden wieder und begleiten uns auf dem Weg nach oben. Meine Finger schließen sich fester um meinen Zauberstab, mein Herz beginnt schneller zu schlagen und mein Puls steigt an. Disziplin.

Mein Vater bleibt vor einer Tür stehen und sieht mich an. Ab jetzt stehen wir unter Zeitdruck. Sobald ein Nachbar bemerkt, dass Emmeline in Schwierigkeiten steckt wird er die Polizei rufen und denen wollen wir nicht begegnen.

Tief ein und ausatmend stelle ich mich vor die verschlossene Tür und richte meinen Zauberstab auf das Schlüsselloch. Es gibt einen Knall, das Holz splittert und die Türe wird von der Wucht der Explusion aus den Angeln gerissen, sodass wir problemlos die Wohnung betreten können. Von innen ertönt der Schrei einer Frau und hektische Stimme klingen durch die nächste verschlossene Tür.

„Collportus," ruft jemand und es ertönt ein leises Klicken.

Ich lächle hinter meiner Maske ganz sanft. Der Zauberstab meines Vaters zuckt, sodass sich eine Appariersperre über die ganze Wohnung legt und ich richte meinen auf die verschlossene Tür.

„Confringo," flüstere ich leise und erneut splittert Holz unter einem berstenden Knall.

Ein roter Strahl zischt Zentimeter an mir vorbei und zertrümmert eine Kommode hinter mir. Ich nicke meinem Vater zu. Jetzt beginnt er, der Kampf, den wir gewinnen werden. Mit einem Satz lande ich im Wohnzimmer und greife die Frau an, die wohl den Fluch in meine Richtung geschickt hat. Laut den Fotos, die ich gesehen habe, muss das Emmeline Vance sein.

Nicht weit von ihr steht ein Mann, der sich hinter dem Sofa duckt, um den Flüchen meines Vaters zu entgehen, während mein Zauberstab hin und her zuckt und versucht die Verteidigung von Emmeline Vance, die verbissen gegen mich kämpft, zu durchbrechen.

Hinter meinem Opfer zerspringt eine Vitrine und geht klirrend und scheppernd zu Boden, doch die Hexe kämpft erbittert weiter, ihre Lippen aufeinandergepresst. Ich beiße hinter der Maske meine Zähne zusammen, mein Zauberstab zuckt und meine Flüche nehmen an Kraft zu. Wieder kann ich spüren wie die Fasern meines Zauberstabes sich mit meinen Adern, mit mir, verbinden. Wir sind eins.

Mein Todesfluch rast Zentimeter an ihr vorbei. Und genau diese eine Sekunde, in der sie erschrocken keucht, nutze ich aus, um ihre Verteidigung zu durchbrechen. Ihr Zauberstab wird ihr aus der Hand gerissen, fliegt ein paar Meter durch die Luft und landet scheppernd im Flur.

Sie starrt mich mit weit aufgerissenen Augen an und weicht zurück, bis sie gegen die Wand stößt. Ihre Hände verkrampfen sich.

„Ihr werdet nicht siegen," flüstert sie leise. Ich richte wortlos meinen Zauberstab auf ihr Herz. Disziplin. „Wirklich nicht?", flüstere ich zurück. „Avada Kedavra."

Ein grüner Strahl zischt auf sie zu, ihre Augen weiten sich, sie atmen ein, ein letztes Mal und er trifft sie direkt im Herzen, sodass sie zusammensinkt und auf dem Boden liegen bleibt. Tot.

Ein Fluch schießt Zentimeter an mir vorbei und zertrümmert einen Bilderrahmen. Blitzschnell wirble ich herum und erfasse den Mann, der vorhin noch hinter dem Sofa Schutz gesucht hat. Nicht weit von ihm entdecke ich auch meinen Vater. Er liegt am Boden, aus seiner Nase läuft Blut und er scheint von einem Schockzauber getroffen zu sein.

„Hat er dich alleine gelassen?", frägt er leise. Ich mustere ihn ernst. „Vielleicht," antworte ich leise, bevor ich einen Todesfluch in seine Richtung schicke, den er aber abblockt.

Unsere Zauberstäbe zucken hin und her, sein Gesicht wirkt angestrengt und die Luft zwischen uns scheint vor lauter Flüchen zu flimmern. Er ist stark, sehr stark. Er drängt mich immer weiter zurück, doch ich gebe nicht auf. Wieder kann ich spüren wie die Verbindung zu meinem Zauberstab wächst, wie wir wieder eins werden. Seine Flüche werden stärker und erdrückender, die Luft scheint von der Energie geladen zu sein. Und dann passiert es. Für eine Sekunde passe ich nicht auf. Mein Zauberstab fliegt im hohen Bogen durch den Raum, knallt gegen die Wand und landet klappernd auf dem Sofatisch.

Mein Herz bleibt stehen, meine Hand erschlafft und meine Augen in der Todessermaske richten sich auf den Mann, der ein triumphierendes Grinsen im Gesicht hat.

„Und, was tust du jetzt?", frägt er leise. Ich atme ruhig ein und aus. „Du hast sie getötet, ich werde dafür euch beide nach Askaban bringen."

Unter meiner Maske zeichnet sich ein belustigtes Lächeln ab. Nein, das wirst du nicht. Blitzschnell zuckt meine Hand zu der Innentasche meines Mantels, zieht ein Messer heraus und in einer eleganten Drehung, mit der ich seinem Fluch ausweiche, schleudere ich es von mir.

Ein lauter Schmerzensschrei hallt durch die Stille der Wohnung, klagend und schwach. Ich atme aus. Die Hand des Mannes ist mit meinem Messer, welches sich durch die Handinnenfläche bohrt, an die Wand genagelt, sein Zauberstab liegt am Boden und er verzieht schmerzhaft sein Gesicht.

„Ich dachte du wärst eine Hexe," keucht er. „Ich bin mehr als das," antworte ich, schnappe mir meinen Zauberstab und richte ihn auf sein Herz. „Avada Kedavra."

Der Strahl trifft ihn mitten in die Brust und löscht alles aus, löscht das Leben aus seinen Augen, löscht das komplette Leben in seinem Körper. Tod. Disziplin. Hastig ziehe ich das Messer aus seiner Hand und verstaue es wieder in meiner Innentasche. Messerwerfen – wohl das einzig nützliche, was Bellatrix mir gezeigt hat und für das ich ein erstaunliches Talent habe.

Mein Blick zuckt zu meinem Vater, der immer noch geschockt und mit blutender Nase auf dem Boden liegt.

„Enervate," flüstere ich leise und bringe wieder Leben in den zusammengesackten Körper. „Beeil dich, sie sind beide tot," teile ich ihm mit, als er seine Augen öffnet.

Er nickt nur und richtet sich stöhnend auf, seinen Zauberstab umklammernd. Entfernte Stimmen dringen an mein Ohr. Sekunden später ertönen Fußstapfen vom Treppenhaus.

„Beeil dich," knurre ich und mache eine hastige Bewegung mit meinem Zauberstab, sodass sich die Appariersperre sofort auflöst.

Er nickt mir zu, es gibt einen Knall in der Stille und er ist verschwunden. Die Stimmen werden lauter, die Fußstapfen auch. Ein weiterer Knall und auch ich löse mich einfach auf, als wäre ich nie da gewesen.

Ich starre an die Decke des Zimmers. Die Matratze ist hart, der Raum abgedunkelt durch die schweren Vorhänge und in meinen Ohren erklingt das einzige Lied, das ich auf meinem Walkman hören kann. Ich schließe meine Augen.

Oh, somewhere over the rainbow bluebirds fly
And the dream that you dare to,
Oh why, oh why can't I?

Meine Gedanken driften ab, fliegen davon und landet irgendwo über dem Regenbogen, fern von dem was ist und fern von dem, was ich bin.

Ich sitze im Gemeinschaftsraum, ganz hinten alleine in einer Ecke. Ich mag den Ravenclawturm wirklich gerne. Schon nach wenigen Wochen fühle ich mich hier wie Zuhause. Die hohen Regale im Gemeinschaftsraum, die fast alle Wände säumen und mit Büchern gefüllt sind, das große Fenster, das auf den See weißt und die vielen gemütlichen Lesesesseln – es ist wie gemacht für mich. Auch die Schlafsäle sind mit ihren großen Himmelbetten und den kleinen Fenstern viel bewohnbarer und schöner, als das Zimmer in dem ich im Waisenhaus schlafen musste.

Aber auch Hogwarts ist einfach nur...magisch. Die vielen sprechenden Bilder, die Geister, die beweglichen Treppen und die Große Halle – es ist alles so faszinierend. Natürlich habe ich mich in der ersten Woche nicht wirklich zurechtgefunden, doch dank meinem guten Gedächtnis kenne ich mich jetzt, in meiner vierten Woche schon ziemlich gut aus. Wahrscheinlich liegt das auch an den Streifzügen, die ich spät abends durch das Schloss unternehme.

Mein Blick fällt auf ein paar meiner Mitbewohnerinnen, die nicht weit von mir sitzen und kichernd ihre Köpfe zusammengesteckt haben. Ja, das hat sich leider nicht geändert. Wo auch immer ich bin, keiner scheint mir auch nur annähernd eine Sekunde lassen zu wollen, in der ich nicht beschimpft und verachtet werde.

Ich seufze leise und sehe wieder auf das Buch, das ich gerade lese. Bücher...nun sie sind wohl meine einzigen Freunde hier auf Hogwarts. Ich hatte gehofft, dass es anders wird, dass man mich akzeptieren wird, doch damit lag ich wohl falsch. Und dennoch...vielleicht kommen sie ja noch zu Besinnung und lassen mich wenigstens in Frieden.

Meine Mitschülerinnen stehen auf und verschwinden kichernd die Treppe hinauf in den Schlafsaal. Ein paar ältere Schüler sehen ihnen genervt nach, während ich schweigend weiterlese. Seit ich hier bin habe ich noch mehr gefallen an Büchern gefunden, als im Waisenhaus. Nicht nur, weil es in unserem Turm so viele davon gibt, sondern auch, weil ich mich in den Geschichten anderer flüchten kann, weil ich der Realität für wenige Sekunden entschlüpfen kann, weil ich durch die Gedanken eines andern frei sein kann. Es ist ein wunderschönes Gefühl, fast wie Musik hören, nur, dass Musik hören mich noch viel weiter davontragen kann, viel weiter, als manche Menschen sich erträumen.

Mein Blick fällt auf die Uhr, die in unserem Gemeinschaftsraum hängt. Es ist fast acht, was für mich bedeutet Zeit ins Bett zu gehen. Leise seufzend richte ich mich auf, räume das Buch in meinen Händen an die richtige Stelle zurück und husche dann durch den Gemeinschaftsraum.

Natürlich folgen mir die Blicke vieler Schüler, obwohl ich stumm und fast lautlos unterwegs bin. Es ist allein mein Aussehen, allein meine schwarzen Haare, alleine meine schweren Lieder, es ist ganz allein Bellatrix, die mir diese Aufmerksamkeit beschert.

Dann verschwinde ich in dem Treppenhaus, tauche in die Schatten ein, die die hohe Wendeltreppe auf den Boden wirft. Ich hatte mir so sehr gewünscht, dass es anders wird, so sehr. Aber manchmal...nun...manchmal hat man eben nur keinen Wunsch frei.

Ich husche schweigend weiter die Stufen hinauf. Die erste Abzweigung vom Treppenhaus ist der Schlafsaal der Jungen aus meinem Jahrgang, die zweite führt zu einer separaten Treppe, die direkt vor die Tür meines Zimmers, das ich mir mit den anderen Mädchen teile, führt.

Ich zögere als ich davorstehe, meine Hände verschlingen sich ineinander und irgendwie habe ich ein ungutes Gefühl im Magen. Vorsichtig legen sich meine kleinen blassen Finger um die Klinke und drücken sie herunter. Leises Gekicher empfängt mich. Mein Blick huscht nach rechts. Die Mädchen sitzen dicht zusammengedrängt auf einem Bett. Ich seufze leise. Vielleicht ändert sich das ja noch eines Tages – hoffe ich zumindest.

Mit gesenkten Lieder husche ich wortlos an ihnen vorbei und will mich gerade auf mein Bett werfen, das ganz am Ende des Zimmers steht, als ich etwas zusammenzucke. Auf meiner Matratze liegt mein Koffer, geöffnet und verwüstet, obwohl ich ihn eigentlich ordentlich verstaut habe.

Mit wachsender Unmut trete ich Näher und schlucke schwer. Ein paar meiner Anziehsachen sind zerrissen, ein Bild vom Waisenhaus wurde mit Stiften verunstaltet und das einzige Foto, das ich von meiner Mutter und von meinem Vater habe, liegt auf dem Boden.

Mit einem Kloß im Hals bücke ich mich und hebe es auf. Jemand hat in Großbuchstaben darübergeschrieben: Du bist hier unerwünscht.

Ein Geschmack von Bitterkeit und Enttäuschung sammelt sich wie Gift in meiner Galle an, doch ich sage nichts. Etwas verkrampft hebe ich das Bild auf und lege es zurück unter mein Kopfkissen, wo es die Mädchen wohl herhaben und werfe dann einen bedauernden Blick in meinen Koffer. Das ist alles was ich habe und leider auch alles, was ich mir leisten kann.

„Da muss wohl jemand deine Sachen verwüstet haben," sagt eine hochnäsige Stimme hinter mir, die mich kurz zusammenfahren lässt. Ich schweige. „Nun, die Botschaft ist wohl eindeutig, nicht?"

Ich drehe mich vorsichtig zu meiner Mitbewohnerin um, die mit ihren langen Beinen, den blauen Augen und den blonden Haaren das genaue Gegenteil von mir ist. Ihre Freundinnen kichern im Hintergrund.

„Ja, durchaus. Wer immer es war, es kann kein Ravenclaw gewesen sein, nicht?", antworte ich ganz ruhig und sachlich. „Ich meine wer wäre so gemein, dumm und hinterlistig einem Mädchen, dass nichts hat ihre einzigen Klamotten kaputt zu machen. Wer wäre so eifersüchtig auf ein Mädchen, dass alles verloren hat und jetzt mit leeren Händen dasteht? Nein, es kann eigentlich kein Ravenclaw gewesen sein, oder?"

Sie starrt mich perplex an. Diesen Moment nutze ich, um in mein Bett zu krabbeln und die roten Vorhänge darum herum zuzuziehen.

Ich schließe meine Augen. Von den Mädchen dringt leises Getuschelt zu mir herüber, dessen genauen Wortlaut ich nicht verstehe. So gesehen ist es mir auch egal. Gerade ist mir eigentlich alles egal.

Ich starre beklommen auf meinen durchwühlten Koffer und auf die zerrissenen Klamotten. Da ist keine Wut in mir, sondern nur Enttäuschung. Ich habe so sehr gehofft, dass ich hier ein neues Leben beginnen kann, dass ich hier Freunde finden werde...dass ich hier glücklich werden kann.

Stattdessen werde ich abgestoßen, als wäre ich ein Stück Dreck, obwohl kein einziger von ihnen mir jemals in die Augen gesehen hat. Sie urteilen über mich, weil sie meine Mutter kennen, sie urteilen über meinen Namen, nicht über mich selbst.

Und dann geschieht es. Eine Träne, glasklar und heiß, rinnt meine Wange hinab, meine Augen beginnen zu brennen und ein bitteres Gefühl setzt sich in meinem Hals fest. Ich habe so sehr gehofft ein neues Leben anfangen zu können. Ich habe es so sehr gehofft.

Someday I'll wish upon a star
Wake up where the clouds are far behind me
Where trouble melts like lemon drops
High above the chimney top
That's where you'll find me

Ich schlucke schwer und starre wieder an die Decke. Die Melodie verklingt in meinen Ohren, der Text erstirbt und es wird still um mich. Ich blinzle.

Ich habe so Angst, dass das alles verloren geht, dass ich zu dem werde, was alle in mir gesehen haben wollen. Ich weiß, dass da diese Kammer in meinem Herzen und diese Stimme in meinem Kopf ist. Aber da gibt es auch diese Disziplin, dieses Talent für die Unverzeihlichen Flüche und diese Boshaftigkeit, die es mir allein ermöglicht solche Zauber hervorzubringen. Was ist, wenn das Böse in mir, meine vererbte Grausamkeit eines Tages überwiegt, wenn ich wirklich wie meine Mutter werde, so wie sie es alle gesagt haben? Was ist dann? Ich wollte das doch alles nie. Das einzige, was ich wollte war ein neues Leben voller Liebe und Farben. Ein Wunsch, der mir nie erfüllt wurde. Und deshalb sitze ich jetzt hier, mein wahres Ich eingesperrt in eine Kammer und meine Farben verblasst und ergraut in einer blutenden untergehenden Sonne.

Ich bin nicht meine Mutter.

Ich starre den Laden an, der mitten in der trostlosen Winkelgasse steht. Er ist wie ein Feuerwerk...wie eine Explosion von Farben. Es ist ein unglaubliches Spektakel, fast ein Wunder in dieser Zeit.

Links und rechts gibt es zwei große Schaufenster. In dem einen scheint alles zu sprühen, zu funkeln, zu glitzern, zu knallen und zu explodieren, sodass einem vom bloßen Hinsehen die Tränen in die Augen steigen. Es ist ein Feuerwerk von Farben, als würde jemand diese graue und triste Welt einfach anmalen.

Das zweite Schaufenster ist von einem lila Plakat überklebt, das denen vom Ministerium sehr ähnelt. Allerdings unterscheidet sich der Text wohl definitiv von dem des Originals.

Wer ängstigt noch du-weißt-schon-wer

Ihr solltet EHER Angst haben vor

DU-SCHEISST-NIE-MEHR –

die Verstopfungssensation, die die Nation in Atem hält!

Ich beginne zu lachen. Es bricht einfach aus mir heraus. Ein helles und wunderschönes Lachen, so fröhlich und frisch wie der Frühling, sodass es gar nicht in meine graue Umgeben passt und schon gar nicht zu meiner Erscheinung.

Sekunden später schrecke ich vor mir selbst zurück. Ich lache eigentlich nicht...ich lache eigentlich nie. Ich kann mich auch nicht wirklich daran erinnern einmal im Leben wirklich herzhaft und ehrlich gelacht haben. Aber dieser Spruch auf diesem lila Plakat...der hat es wohl geschafft mir ein Lachen zu entlocken, ein Zeichen, dass das, was in der Kammer meines Herzens eingesperrt ist noch lebt, dass es noch existiert, dass es immer mehr bereit wird auszubrechen.

Ich ziehe meine Kapuze tiefer ins Gesicht, sodass die Schatten mein Gesicht zerfressen. Ich könnte mich daran gewöhnen zu lachen. Es ist etwas Schönes...ja, fast etwas Befreiendes. Aber ich darf nicht...noch nicht.

Hastig senke ich meinen Blick, senke meine schweren Lieder, sodass alles von mir verschluckt wird, was mich hier in der Winkelgasse zwischen lauter Zauberern verraten könnte. Meine hohen Stiefel klackern unheimlich in der Stille, die nur von gedämpften Expulsionen aus Weasleys Zauberhafte Zauberscherze unterbrochen wird. Mein langer schwarzer Umhang flattert um meinen dünnen Körper und meine Hände sind tief in den Taschen meines Mantels vergraben.

Die Winkelgasse hat sich verändert. Natürlich, es gab schon immer Nebengassen, die in zwiespältigen Straßen geführt haben. Aber die Winkelgasse an sich war immer eine fröhliche und reichlich besuchte Einkaufsmeile für Zauberer in London. Jetzt...nun jetzt wirkt sie trostlos, farblos und abgestorben, als hätte ihr jemand das Leben aus der Seele gesaugt.

Ich weiß, dass ich das nicht sagen dürfte, aber ich finde die alte Winkelgasse mit den vielen Geschäften, den bunten Schaufenstern und den verschiedensten Hexen und Zauberer besser, als die trostlose und deprimierend wirkende Gasse, die sie jetzt ist. Mir ist natürlich klar, dass alles, von Hogwarts bis zum Ministerium genau so wird, sobald Voldemort die Macht übernommen hat. Der Dunkle Lord stielt der Welt ihre Farben, er macht sie grau und trist, weil er es wahrscheinlich nicht erträgt, dass andere ein erfülltes Leben leben.

Ich schüttle meinen Kopf. So etwas dürfte mir gar nicht in den Sinn kommen, so etwas kann mich ruinieren, kann alles auffliegen lassen, was ich so mühsam aufgebaut habe. Und das darf nicht passieren – zu mindestens noch nicht. Später vielleicht, wenn das, was in mir verborgen ist, bereit ist zu blühen und in mir aufzugehen, aber jetzt ist es dafür noch zu früh.

Ich sehe mich um, mein Blick zuckt in alle Richtungen, bevor ich hastig in eine graue und von Schatten zerfressene Nebenstraße einbiege. Die Präsenz des Dunklen, das Gefühl der Kälte und die Trostlosigkeit scheint hier einen Höhepunkt erreicht zu haben. Aber das war schon immer so...vielleicht nicht ganz so extrem.

Die Nokturngasse. Es ist die Straße für schwarz magische Artefakte. Hier regiert das Böse, immer und zu jeder Zeit, hier überwiegen die Schatten und nie das Licht. Ich schließe kurz meine Augen. Doch die Dunkelheit in meinem Herzen, das Böse, das beginnt alles zu vernichten, ist in mir viel größer als hier zwischen den zwielichten Gestalten dieser Welt.

Schritte. Ich schrecke auf, öffne meine Augen und greife zu meinem Zauberstab. Eine Gestalt, ebenfalls ganz in schwarz, hetzt auf mich zu, sich immer wieder nervös umblickend. Ich ziehe meine Kapuze automatisch noch tiefer ins Gesicht.

Der Mensch kommt näher, seine Umrisse werden klarer und ich atme auf. Es ist Draco. Seine wasserstoffblonden Haare hängen ihm strähnig ins Gesicht, sein spitzes bleiches Gesicht wirkt wie ein Licht in dieser dunklen Gasse und seine schlaksige hohe Gestalt scheint etwas unbeholfen.

„Asbeel?", frägt er leise, als er fast vor mir steht und ich nicke schweigend. „Ich habe nicht viel Zeit...Mom macht sich Sorgen," fährt er fort. Ich nicke wieder nur. „Dann sollten wir uns beeilen," erwidere ich, als er mich anschweigt.

Er nickt, sieht sich noch einmal unruhig um und hastet dann auf den Laden direkt gegenüber von uns zu. Es ist ein älterer Laden über dem ein etwas vergilbtes Schild hängt: Borgin und Burkes. Ich persönlich war noch nie hier, weiß aber von dem Aufenthalt im Anwesen des Lestranges, dass dieser Laden schwarz magische Artefakte verkauft und einkauft. Viele Todesser haben verräterische Gegenstände hier abgeben, als der Dunkle Lord auf einmal verschwunden war.

Draco umfasst die Klinke und reißt sie auf, sodass im Laden ein energisches Klingeln ertönt. Ich schweige. Um ehrlich zu sein brauche ich auch nicht viel sagen. Sobald Borgin mein Gesicht sieht wird er wissen, wie ernst die Sache ist. Ich muss mich nicht einmal als Bellatrix ausgeben. Auch so weiß man jetzt schon unter den Todessern, dass ich, Asbeel Lestrange, niemand bin, mit man Streit haben sollte.

Ich betrete hinter Draco den spärlich beleuchteten Laden. Er ist ziemlich voll. Überall stehen Tische, die verschiedene Artefakte ausstellen, an den Wänden türmen sich Regale mit Büchern und weiteren Objekten und dort wo dann noch frei ist sind größere Sachen platziert (unteranderem auch das Verschwindekabinett, das Draco repariert haben möchte).

Borgin steht hinter einem hohen Dresen, ein schleimiges Grinsen aufgesetzt. Seine alten Hände liegen auf dem Holz, sein Blick zuckt zu mir, versucht unter meine Kapuze zu dringen, was ihm natürlich nicht gelingt.

„Schönen guten Tag, wie kann ich Ihnen helfen," erkundigt er sich freundlich, als wir nichts sagen. „Guten Tag, Mister Borgin," erwidert Draco mehr oder weniger freundlich, während er durch die Reihen schlendert, direkt auf das Verschwindekabinett zu. „Sagen Sie, haben Sie nie daran gedacht dieses hier zu reparieren?"

Borgin sieht immer wieder nervös zu mir, versucht aber weiterhin freundlich und fachmännisch zu sein.

„Nun, es ist keine leichte Angelegenheit, wenn Sie verstehen." Draco schweigt und mustert das Verschwindekabinett, das ein wenig so aussieht wie ein Schrank. „Kann ich Ihnen helfen oder...," versucht es Borgin, doch ich unterbreche ihn. „Sie können durchaus. Sagen Sie, wie repariert man ein Verschwindekabinett? Und würden Sie von sich behaupten, dass Sie dazu in der Lage wären?"

Borgin schweigt und sieht von Draco zu mir und wieder zurück. Er scheint etwas nervös. Vielleicht ahnt er, wer ich bin.

„Nun, wie ich schon sagte, ist es eine sehr schwere Sache, aber es besteht durchaus die Möglichkeit es zu reparieren, auch, wenn ich nicht weiß, ob ich das schaffe," erklärt er in einem Ton, der eindeutig zeigt, dass er sich nicht wirklich darauf festlegen will, dass er es richten kann. „Ich hoffe für Sie, dass Sie es können," erwidere ich kühl und schlendere auf Draco zu, der weiterhin das Kabinett mustert. „Ich muss so eines reparieren," erklärt mein Cousin dem fragend dreinblickenden Borgin. „Und ich möchte, dass Sie mir sagen, wie das funktioniert."

„Es ist sehr schwer, mein Junge – nichts, was man unterschätzen sollte. Viel Arbeit, verstehen Sie," antwortet Borgin undeutlich. „Das heißt Sie können das reparieren," stelle ich fest und deute auf das Verschwindekabinett. „Nun...ich könnte," erwidert Borgin die Finger ineinander verschlingend.

Jetzt verschwinde ich hinter dem Schrank und sehe ihn direkt an. Ohne zu zögern ziehe ich meine Kapuze vom Kopf. Seine Augen weiten sich, sein Gesicht verzieht sich zu einer Maske des Grauens und seine Hand zuckt zu seinem Zauberstab.

„Keine Angst, ich bin nur ihre Tochter," sage ich kühl, woraufhin er hastig sein Gesicht glättet und mit dem selben schleimigen Lächeln zu uns sieht, wie zuvor. Allerdings scheint er begriffen zu haben wie ernst die Lage ist, in der er sich befindet.

„Nun, wenn Sie es in den Laden bringen, Mister Malfoy, dann kann ich sehen, was sich machen lässt," versuchte es Borgin. „Das geht nicht. Es muss bleiben wo es ist. Verkaufen Sie das nur nicht, geben Sie es nicht weg, verstehen sie," antwortet Draco kühl. „Natürlich, natürlich."

„Ich hoffe Sie verstehen, dass das hier ihre volle Aufmerksamkeit beansprucht," füge ich eisig hinzu. „Ich weiß nicht...ich habe auch zu tun...", stottert er etwas unbeholfen.

Ohne mit der Wimper zu zucken ziehe ich den Ärmel meines linken Unterarms hoch, Draco tut es mir gleich. Auf meiner blassen Haut kommt es zum Vorschein, schwarz und gruselig, das Dunkle Mal. Borgin zuckt, sein Gesicht wird blass und er schluckt schwer, obwohl er sich wirklich bemüht sein Ausdruck zu bewahren. Auch Draco zeigt ihm sein Tattoo, der Totenkopf aus dessen Mund eine Schlange quillt.

„Ich werde meine volle Aufmerksamkeit darauf lenken," bestätigt Borgin hastig. „Sehr gut. Kennen Sie Fenrir Greyback? Er ist ein Freund der Familie. Er wird von Zeit zu Zeit hier vorbeischauen, um auch klarzustellen, dass das hier wirklich ihre Gedanken beansprucht," erhöht Draco den Druck auf den Verkäufer. „Ich glaube nicht, dass das...", versucht es Borgin, doch ich unterbreche ihn eisig. „Das entscheidet Draco, was nötig ist und was nicht." Borgin nickt hastig und verbeugt sich dann tief. „Erzählen Sie keinem etwas davon, haben Sie das verstanden?", zischt Draco noch. „Natürlich, natürlich," erwidert Borgin und macht eine weitere Verbeugung.

Ich nicke nur und wende ihm den Rücken zu, während ich mir meine Kapuze wieder tief ins Gesicht ziehe, sodass es fast unmöglich ist mich zu erkennen. Draco folgt mir mit hastigen und schnellen Schritten. Ohne umschweifen stoße ich die Tür auf, sodass die Klingel wieder hysterisch bimmelt, und trete hinaus in die triste und von Schatten zerfressene Gasse.

Die Ladentür kracht hinter Draco ins Schloss, während ich etwas weiterlaufe, damit Borgin uns nicht mehr im Sichtfeld hat. Mein Cousin bleibt vor mir stehen und sieht mich mit seinen ausdruckslosen grauen Augen an.

„Danke," sagt er schließlich. „Kein Problem," antworte ich schlicht. „Rodolphus meinte er hätte einen längeren Auftrag für mich. Ich bin vielleicht Monate unterwegs." Draco schweigt. „Ich bin eh in Hogwarts," grummelt er. „Ich denke nicht, dass du willst, dass ich dich ans Gleis begleite," murre ich und er schüttelt leicht grinsend den Kopf. „Gut, dann werden wir uns wohl hier verabschieden müssen," stelle ich fest.

Er sieht erschrocken zu mir auf, seine Augen blitzen und sein blasses Gesicht erweckt einen besorgten und auch etwas traurigen Eindruck.

„Wieso? Wir sind doch...", stammelt er. „Es geht morgen los," unterbreche ich ihn knapp. „Was ist das für ein Auftrag? Ich meine warum bist du so lange unterwegs?", frägt er hektisch. „Ist nicht für deine Ohren bestimmt," antworte ich etwas kühl."

Wir schweigen uns wieder an. Er scheint sowohl besorgt als auch ein wenig enttäuscht. Er tut mir fast ein bisschen leid.

„Bist du an Weihnachten wieder da?", frägt er dann leise. „Ich...ich...weiß es nicht," stammle ich etwas überfordert. Gefühle waren noch nie mein Ding. „Ich bin an Weihnachten Zuhause," murrt er nebensächlich, will mir aber indirekt damit sagen, dass ich kommen soll, wenn ich fertig bin. „Ich werde mich bemühen an Weihnachten da zu sein," flüstere ich schließlich und sehe ihn an.

„Wir sehen uns also wieder," sagt er. „Ja, wir sehen uns wieder," bestätige ich zwar etwas trocken, aber Draco scheint das zu reichen.

Wieder schweigen wir uns an, bevor ich ihm ganz vorsichtig auf die Schulter klopfe. Er sieht mich etwas überrascht an.

„Ich glaub an dich," flüstere ich leise und hauche ihm einen Kuss auf die Stirn. „Ich glaub auch an dich, was immer du auch tun musst," erwidert er ganz sanft lächelnd. Ich nicke nur. „Bis dann," sage ich noch, bevor er einen Knall gibt und ich verschwinde, als hätte es mich nie gegeben.

„Igor Karkaroff," wiederhole ich nachdenklich und sehe meinen Vater dabei ernst an. „Ja. Er war ein Todesser, erschien aber nicht, als der Dunkle Lord ihn rief. Wie es aussieht kneift er. Und wie du dir wahrscheinlich denken kannst will unser Meister seinen Tod," erklärt Rodolphus schlicht. „Er ist also ein Verräter," stelle ich fest. „Ja...ein Verräter. Deshalb schickt der Dunkle Lord zwei Todesser und ein paar Greifer los, um ihn zu finden und zu töten," erklärt er weiter. „Er war Schulleiter in Durmstrang. Das einzige was wir über ihn wissen ist, dass er in den Norden geflüchtet ist. Wahrscheinlich in den skandinavischen Ländern." Ich starre ihn kurz an: „Das ist alles. Wir wissen nicht wo die Schule liegt, von der er Schulleiter war, wir wissen nicht, ob er in Begleitung ist und wir wissen auch nicht ob Außenstehende von seiner Flucht wissen."

„Niemand weiß wo genau Durmstrang liegt. Wir wissen dafür aber, dass Karkaroff wohl alleine unterwegs ist und niemanden von seiner Flucht erzählt hat," erwidert mein Vater. „Das heißt es kann nicht sein, dass der Orden ihn schützt?", hacke ich nach. „Nein, Karkaroff hatte nie Interesse am Orden oder an Dumbledore," antwortet Rodolphus.

„Gut, mit wem werde ich diesen Auftrag erfüllen?", erkundige ich mich. „Ein Haufen Greifer und ein Todesser. Er ist auch noch nicht lang dabei – ungefähr so wie du. Der Dunkle Lord ist sich aber sicher, dass ihr hervorragend für diesen Auftrag geeignet seid," antwortet mein Vater. „Wie heißt er...der Todesser?", frage ich weiter. „Jay. Er ist ein Reinblut," erwidert Rodolphus. Ich nicke nur. „Morgen geht es los. Das Zelt liegt schon in deinem Zimmer," sagt mein Vater. „Und noch etwas, halt die Greifer bei Laune." Ich nicke wieder, obwohl ich nicht genau weiß, was er damit meint. „Ich hoffe für dich, dass du nicht scheiterst."

Und mit diesen Worten dreht er mir den Rücken zu und lässt die dunkle Tür meines Zimmers krachend zurück ins Schloss fallen. Ich seufze ganz leise und trete ans Fenster.

Das waren vielleicht die letzten Worte, die er an mich richten kann. Und er sagt: „Ich hoffe für dich, dass du nicht scheiterst." Meine Finger umschließen den weichen Stoff der schwarzen schweren Vorhänge und ziehen ihn etwas Beiseite, sodass ich direkt hinunter in den verwilderten und trostlosen Garten sehen kann.

Er ist mein Vater und er hat die Möglichkeit mir etwas zu sagen, bevor ich für Monate verschwinde und vielleicht sogar nie wiederkehre mit diesen Worten gefüllt. Ich schlucke schwer. In diesem Satz steckt so wenig Liebe, so wenig Zuneigung, dass man nicht im Entferntesten auch nur darauf kommen könnte, dass er mein Vater ist.

Früher, als ich kleiner war, da habe ich mir immer vorgestellt, dass meine Eltern verstorben sind, dass sie im Kampf gegen das Böse gefallen sind. Es war ein wunderschönes Gefühl auch nur daran zu denken, dass da jemals jemand war, der einen geliebt hat, der für eine da war, der sogar für einen gestorben ist. Ich glaube ich hätte verstorbene Eltern mehr lieben können als meine...ich könnte mir sogar vorstellen, dass die Liebe von toten Eltern stärker ist, als die, die mir meine schenken. Es klingt vielleicht absurd sich das auch nur vorzustellen oder daran zu denken, aber für mich war es immer...etwas Schönes.

Vielleicht ist es banal, aber es macht einen großen Unterschied ob du weißt, dass deine Eltern dich geliebt haben, aber leider verstorben sind oder ob du weißt, dass du deinen Eltern egal bist. Und genau diese Gleichgültigkeit, diese Lieblosigkeit, genau das ist es, was dich kaputt macht, was dich noch viel mehr runterzieht als der Tod.

Deshalb habe ich mir früher eben immer vorgestellt, dass meine Eltern gestorben sind. Ich konnte schon damals diese Gleichgültigkeit nicht ertragen und heute kann ich es noch viel weniger. Es zerreißt mich zu wissen, dass da niemand ist, der mich liebt, der mich in den Arm nimmt. Es lässt mich Stück für Stück brechen, lässt dieses Schloss, welches die Kammer in meinem Herzen abschließt, immer schwächer werden. Ja, es macht mich kaputt niemand zu haben und niemand zu sein.

Ich dachte immer irgendwann hört es auf, ich dachte irgendwann gibt es ein Happy End, irgendwann gibt es einen Tag, an dem sich alles ändert, an dem alles besser wird. Ich hatte mich geirrt. Es gibt kein Happy End, aber es gibt eine Geschichte. Die Geschichte meines Lebens. Das ist der Grund, warum ich immer noch hier bin, warum ich nicht längst gestürzt bin, wo mich doch keiner hält...weil ich meine eigene Geschichte ganz für mich alleine schreibe, Tag für Tag. Und irgendwann, da werde ich sie erzählen können, Stück für Stück.

So gesehen hat jede Geschichte ein Happy End, nicht? Man muss nur entscheiden, wo man aufhört zu erzählen.

Ich lächle ganz sanft, mein Blick hinaus in die Dämmerung gerichtet. Jeder von uns sollte eines Tages etwas zu erzählen haben, ob es nun gut oder böse ist oder von beiden etwas. Ist das nicht ein Grund, warum man lebt? Damit man später, wenn alles an einem Vorbeizieht und die Jahre immer kürzer werden...damit man dann etwas zu sagen hat, damit man dann immer noch seine Stimme erheben kann.

Meine Geschichte ist vielleicht nicht die schönste, aber, wenn ich im richtigen Moment aufhöre sie zu leben, dann hat sie immer noch ein Happy End, nicht wahr?

Eine Träne läuft mir über die Wange, wie so oft, wenn ich mich in der Philosophie dieser Welt verliere. Es ist nur eine einzige Träne, so klar wie die Sterne am Himmel und so heiß, dass sie eine brennend nasse Spur auf meiner Wange hinterlässt. Ich schließe meine Augen.

Das ist jetzt wohl mein drittes Jahr hier an dieser Schule und ich habe immer noch keine Freunde. Zwei Jahre sind vergangen. Ich seufze schwer und lehne mich gegen den Bettpfosten. Die roten Vorhänge sind um mich gezogen wie ein Schutz, eine Wand zwischen mir und der Welt. Ich kann mich eigentlich nicht daran erinnern diese Vorhänge auch nur einmal nicht zugezogen zu haben.

Seit dem Vorfall in der ersten Klasse mit dem Koffer verzaubere ich gleich am ersten Tag im neuen Jahr all mein Hab und Gut so, dass keiner es außer mir anfassen kann. Ein Mädchen aus meinem Schlafsaal muss wohl mit den Auswirkungen, die eintreten, wenn es doch jemand tut, Bekanntschaft gemacht haben, denn seit dem Vorfall mit dem Koffer ist nie wieder etwas geschehen.

Es hört sich vielleicht seltsam an, aber ich bin gerne hier...in Hogwarts. Mit der Zeit habe ich mich daran gewöhnt, dass keiner Kontakt mit mir haben möchte, dass keiner da ist, der auch nur ein Wort mit mir sprechen will. Ich habe gelernt alleine zu sein. Und so habe ich mit den Jahren ein Leben hier in Hogwarts aufgebaut, dass ich echt in Ordnung finde. Zweifellos...mit Freunden wäre es noch viel schöner, aber so geht es auch.

In der großen Halle esse ich meistens alleine, allerdings vermeide ich Kommentare in dem ich einfach lese oder mit meinem Walkman Musik höre. Im Unterricht sitze ich mittlerweile immer alleine, was auch ein Vorteil sein kein. Die Stunden verbringe ich entweder damit aus dem Fenster zu starren oder aufzupassen (nur bei Binns erlaube ich es mir ebenfalls Musik zu hören). Den Rest meiner Freizeit verbringe ich entweder draußen, in der Bibliothek oder an einem Ort, wo ich ganz alleine bin. Den Gemeinschaftsraum habe ich meiden gelernt, obwohl er mir wirklich gut gefällt. Um Streit zu umgehen komme ich immer erst kurz vor der Ausgangssperre in den Turm und verschwinde dann gleich in meinem Schlafsaal.

Das mag sich vielleicht alles unglaublich langweilig anhören, aber mich macht es...glücklich. Klar, ich könnte glücklicher sein, aber so wie es ist, passt es schon. Ich habe meine Musik und Bücher. Madam Prince kennt mich mittlerweile wahrscheinlich besser, als mein Hauslehrer. Ich sitze jeden Tag in der Bibliothek und lese, von Schulbüchern bis Romane. Bücher sind neben der Musik meine besten Freunde. Durch sie kann ich der Realität entschlüpfen und für ein paar Stunden einfach in einer anderen Welt leben. Auch der Verbotene Wald ist ein beliebtes Ziel meiner Spaziergänge geworden. Ich habe die Hippogreifs entdeckt, nachdem Hagrid sie uns im Unterricht gezeigt hat. Seidenschnabel fliegt mit mir manchmal sogar über das Gelände von Hogwarts, aber nur, wenn er gut gelaunt ist. Und Hagrid selbst...nun, der musste mich schon oft genug aus dem Verbotenen Wald herausfischen. Aber eigentlich habe ich das Gefühl, dass er mich ganz gerne hat.

Tja, und das war es dann schon. Mehr gibt es nicht zu sagen, mehr gibt es nicht in meinem Leben. Momentan bin ich darüber echt froh. Dank Harry Potter, der vor wenigen Wochen am ersten Schultag die komplette Schülerschaft aufgewühlt hat, bin ich fürs Erste in Vergessenheit geraten. Von mir aus kann das so bleiben.

Ich seufze leise und greife unter mein Kopfkissen, um das Bild meiner Eltern hervorzuziehen. Es ist wieder sauber, ich konnte den Stift wegzaubern. Ich sehe es eine Weile an, bevor ich es neben mir auf die Matratze segeln lasse.

Der Wunsch meine Eltern kennen zu lernen ist existent. Auch, wenn ich weiß, dass sie Mörder sind, dass meine Mutter zwei Menschen in den Wahnsinn gefoltert hat...auch, wenn ich weiß, dass sie Todesser sind und deshalb in Askaban sitzen. Ich würde sie trotzdem gerne kennen lernen. Vielleicht, weil ich die Hoffnung, dass sie mich in den Arm schließen und trotz ihrer Taten lieben, bis heute nicht verloren habe. Mir ist natürlich klar, dass das nicht geschehen wird. Aber was wären wir Menschen schon ohne Hoffnung?

Auf der anderen Seite ist da aber auch Angst. Nicht nur vor der großen Enttäuschung, sondern auch vor meiner eigenen Entscheidung. Meinen Eltern wird es wichtig sein, dass auch ich ein Todesser werde, natürlich nur, wenn Voldemort zurückkehrt.

Um ehrlich zu sein ist genau das meine größte Angst: Dem Bösen zu verfallen. Was ist, wenn ich wirklich so bin wie meine Mutter, wenn die selbe Grausamkeit auch in mir lebt und sich eines Tages entfaltet? Was ist, wenn ich die Entscheidung fällen muss und ich eigentlich keine Wahl habe, weil niemand da ist, der mir hilft zu überleben, falls ich mich gegen meine Eltern kämpfen muss? Was ist, wenn ich es tun muss, um zu überleben?

Das sind alles Fragen, die in meinem Kopf umherschwirren, Fragen, vor deren Antworten ich mich fürchte. Ich will doch nur ein ganz normales Mädchen sein, so wie alle anderen auch.

Mein Blick fällt wieder auf das Foto. Meine Mutter starrt mich an, ihre wilden Locken offen über ihre Schulter fallend. Ihre Lieder sind schwer, ihr Gesicht blass und ihre Lippen voll. Nein, ich werde nie ein normales Mädchen sein können.

Ich schlucke schwer und blicke auf den Unterarm meiner Mutter, wo sich das Dunkle Mal befindet. Es ist etwas unscharf auf dem Bild, aber dennoch gut zu erkennen. Aber bedeutet das, dass ich, nur, weil ich so aussehe wie Bellatrix Lestrange, eine Todesserin werden muss?

Für alle anderen bedeutet es genau das, für mich nicht. Aber tief in meinem Herzen weiß ich, dass ich keine Wahl haben werde, dass ich eines Tages genau dort ankommen werde, wo ich nie hinwollte. Tief in meinem Herzen weiß ich, dass ich keine Wahl haben werde, vorerst nicht.

Ich öffne meine Augen wieder. Genau das, was ich damals fürchtete, ist heute die Realität, obwohl ich so gehofft hatte, dass es nicht so kommt. Aber was bringt Hoffnung schon im Leben, was bringt es dir immer zu glauben...immer zu hoffen? Es bringt dir nur Enttäuschungen und das tut weh. Ich würde sogar behaupten, dass die Enttäuschung am meisten schmerzt.

Ich seufze wieder schwer und senke meine schweren Lieder. Was würde ich für jemanden geben, der kommt und mich in die Arme schließt, der mein Verlangen nach Nähe, Liebe und Zuneigung stillt und mich wieder auf den richtigen Pfad führt. Was würde ich dafür geben, wenn es diesen jemand gäbe.

Aber ihn gibt es nicht, da ist niemand, niemand, der mir dieses Gefühl von Geborgenheit gibt, niemand, der mich in den Arm nimmt, niemand, der mich liebt. Ich habe lange daran geglaubt, dass es immer jemanden gibt, der einen liebt, dass es immer jemanden gibt, der wegen einem in der Früh aufsteht, ich habe wirklich daran geglaubt. Aber das sind alles Lügen, Vorstellungen, die nicht erfüllt werden, nicht in dieser Welt, nicht in diesem Leben.

Es zieht mich runter, zweifellos. Es stielt mir den Sinn hinter all dem, den Grund, warum ich noch hier bin. Und obwohl ich am eigenen Leib erfahren habe, dass da niemand ist, der einen liebt, gibt es da immer noch diese beschissene Hoffnung, die nur Enttäuschungen bringt. Die Hoffnung, dass eines Tages doch noch jemand meinen Weg kreuzt, den ich lieben kann.


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