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„Jetzt beruhige dich, Kind! Das ist nicht das Ende der Welt. Du wirst 17. Dir hätte klar sein müssen, dass es bald soweit sein würde. Du hast ab deinem Geburtstag zwei Wochen Zeit jemanden zu finden." Ellenor schluchzte bei den harten Worten ihrer Mutter einmal auf und wischte sich anschließend die Tränen aus dem Gesicht. Sie musste darüberstehen. Es war ihre Obliegenheit sich um das Dorf zu kümmern und wenn sie nicht heiraten würde, würde sie ihre Obliegenheiten nicht erfüllen können. Trotzdem würde sie versuchen das Herz ihrer Mutter zu erweichen. Zwei Wochen waren schließlich nicht genug Zeit, um sich zu verlieben. „Es vermag keinen Mann in diesem Dorf zu geben, nach dem sich ich mich lechze. Mutter, ich bitte dich. Gib mir etwas mehr Zeit." predigte sie ihrer Mutter ihre Qual. Doch die Miene ihrer Mutter wurde nicht gerade sanfter. Entweder Ellenor hatte etwas Falsches gesagt oder ihr Ton war nicht angemessen gewesen. Vermuten tat sie ersteres. „Sei lieber froh, dass du keinen dieser Nichtsnutze magst und nimm lieber jemanden, der etwas im Kopf hat. Die Liebe tut nur weh, mein Kind. Hoffe lieber, ihr niemals zu verfallen. Du wirst keine weitere Zeit bekommen." Die Worte ihrer Mutter brachten Ellenor zum Nachdenken. Irgendwie hatte sie schon recht, doch liebe brachte nicht nur Schmerz. Sie konnte einem alles Glück der Welt verschaffen, wenn man es nur zu ließe.
Irgendetwas musste ihr einfallen. „Sagst du das, wegen Vater?" flüsterte Ellenor. Ihr Herz klopfte bis zum Anschlag und sie könnte sich selbst ohrfeigen. Es ziemte sich nicht so mit ihr Mutter zu reden. Sie könnte das bitter bereuen. Schnell senkte Ellenor ihren Kopf, hatte aber einen Blick auf ihre Mutter erhaschen können. Sie wirkte so als läge eine tonnenschwere Last auf ihr und drückte sie nach unten. Ihre Haltung hatte an Steifheit verloren und ihr Rücken war nicht länger durchgedrückt. Ihre Schultern hingen unten. Sie wirkte nicht mehr wie Ellenors Mutter, sondern wie eine alte Frau, die schon so viel Schmerz und Leid erfahren hatte, dass Ellenor sich nur schämen konnte. Ihre Mutter hatte so viel mehr Lebenserfahrung als sie. Ellenor wusste, dass ihre Mutter nichts ohne einen anständigen Grund sagte und doch hatte sie an ihrer Mutter gezweifelt. Und das nicht zum ersten Mal. „Du hast recht. Ich liebte deinen Vater, über alles. Und was hat es mir eingebracht. Ein nerviges Gör und schmerzen. Mehr nicht. Und wage es nicht noch einmal, so mit mir zu reden! Ich erwarte Respekt von dir." Ellenor zuckte zusammen. Und dann war es um sie geschehen. Ihre Mutter hatte grade ihre eigene Tochter beleidigt! Das konnte sie nicht auf sich sitzen lassen. „Nur weil du leidest, willst du anderen ihr Glück verweigern? Liebe bringt nicht nur Schmerz! Du kannst Liebe nicht gänzlich schlecht reden, weil du Vater verloren hast. Andere sind glücklich und ich will es auch sein. Selbst wenn ich mich dafür mit einem ‚nervigen Gör' zufriedenstellen muss. Denn im Gegensatz zu dir, werde ich meine Kinder lieben!" Ellenor zitterte und sie ballte ihr Hände zu Fäusten. Ihre Augen bohrten sich in die, ihrer Mutter. Und dann erstarrte sie.
Ihrer Mutter lief eine Träne aus dem Auge, doch sie wischte sie energisch weg. Dann wurde ihre Miene zu Eis. Ein klatschendes Geräusch ertönte in dem kleinen Raum und Ellenor riss entsetzt ihre Augen auf. Ihre Hand wanderte zu ihrer Wange, welche anfing unangenehm zu pochen. Tränen stiegen ihr in die Augen. Ihre Mutter starrte sie genauso erschrocken an und ihre Augen huschten panisch durch den Raum, bevor sie möglichst schnell zur Tür eilte. Als die Tür hinter ihr zu schlug, ging Ellenor zu Boden. Ihre Schultern bebten, ihr Körper zitterte. Tränen liefen in Strömen über Ellenors Gesicht und sie schluchzte immer wieder auf. Die Luft im Raum schien immer weniger zu werden. Doch Ellenor war es gleich. Es war nur eine einzige Sache, die einfach nicht in ihren Kopf hineinwollte. Ihre Mutter hatte sie geschlagen.
Immer wieder schniefte sie auf und nach einiger Zeit, stieg ihr der Seifengeruch ihres Zimmers wie Nebelwolken in die Nase. Schwankend stand Ellenor auf und krallte sich an dem Pfosten ihres Bettes fest, um nicht umzufallen. Sich and der Wand entlang tastend, lief sie immer einen Schritt nach dem anderen gerade aus, bis sie an ihrem Fenster ankam. Mit viel Schwung riss sie die Holztür auf und augenblicklich kam ihr kühle Luft entgegen. Sie lies sich hinab gleiten und presste ihren ranken Körper an die Wand, wie ein verzweifeltes Mädchen sich an den Körper ihres Geliebten drücken würde. So kauerte Ellenor nun da. Wie ein bedauernswürdiges Häufchen Elend. In ihrem Herzen von allen abgeschieden, lag sie gepeinigt auf dem Boden. Auf dem Boden der Tatsachen. Ihr Herz voller Marter und es gab niemanden auf dieser Welt, der ihr diesen Marter zu nehmen vermochte. Hart schlug sie sich die Hände vor den Mund und schrie. Schrie aus vollem Leibe, bis ihre Stimme versagte. Doch nichts geschah, Es wurde nicht weniger.
Innerhalb weniger Augenblicke wurde Ellenor der Fluch um dieses Dorfes mehr und mehr deutlich. Der Fluch war nicht die Tatsache, dass man nicht aus diesem Dorf entkommen konnte. Es war auch nicht der dauernde Regen oder der düstere Wald, ebenso wenig war es der graue Himmel, welcher den Wald mit Nebelwolken überzog. Nein. Das alles war kein Fluch, das war alles schon davor hier gewesen. Als noch niemand daran dachte, was hier später einmal passieren würde.
Als die Menschen noch glücklich waren. Und das war der Punkt. Als die Menschen noch glücklich waren. Denn jetzt waren sie es nicht mehr. Jeder hier war von der Trauer geplagt, von der ewigen Depression. Es war nicht der Regen, wie alle sagten, der einen traurig machte. Es war der große Egoismus und die fast grenzenlose Armut, die die Menschen hier plagten. Kein Wetter war es, was einen peinigte, welches einen schmähte. Es waren allein die Menschen, die sich gegenseitig noch unbarmherziger verhielten. Jeder gleichsam. Die Männer zu den Frauen, die Reichen zu den Armen. Niemand wart ausgeschlossen, außer einige wenige, die die Wahrheit erkannt hatten. Die Wahrheit über den Fluch, die Ellenor soeben erfahren hatte. Der wirkliche Fluch war die gigantische Einsamkeit in diesem Dorf, die sich wie ein Schleier von Nebelwolken über den düsteren Wald legte. Und keiner vermochte diesen Fluch zu brechen. Keiner.
Ich hoffe das Kapitel hat euch gefallen. Hinterlasst gerne einen Vote und einen Kommentare.
LG Bensheegirl.
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