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Blinzelnd öffnete Ellenor ihre Augen und blickte in Samuels besorgtes Gesicht. Schwach erinnerte sie sich daran, wie sie in Ohnmacht gefallen war, als Samuel ihr die Existenz des Übernatürlichen bewiesen hatte. Einen Wimpernschlag später, haftete ihr Blick auch schon an den schwarzen Schwingen, die aus Samuels Rücken herausragten. „Wie fühlst du dich?" Ihre Augen flogen augenblicklich wieder zu seinem und ein wolliger Schauer jagte über ihren Rücken. „Gut.", antwortete sie Samuel und lächelte ihn leicht an. „Wirklich?", fragte jener erneut besorgt nach und strich ihr eine Strähne aus dem Gesicht. „Nein.", hauchte sie leise und bemerkte, wie sich sein Gesichtsausdruck verdüsterte. „Es geht mir hervorragend." Samuels Augenbrauen hoben sich überrascht und auch Ellenor konnte nicht verstehen, warum es ihr so gut ging, nach dem Schock, den sie zu verarbeiten hatte. „Aber ich habe doch in deinen Augen gesehen, wie du mich erkannt hast. Jenen, der dein Dorf verfluchte.", flüsterte Samuel und senkte beschämt den Kopf. Aus einem Gefühl heraus, ohne wirklich zu wissen, warum, legte Ellenor eine Hand an seine Wange und lächelte ihn beruhigend an. „Das stimmt nicht. Nicht du hast das getan.", erklärte sie ihm. Seine Augenbrauen zogen sich verwirrt zusammen und er lehnte seinen Kopf weiter in ihre Berührung. „Das Dorf", fuhr sie fort, „hat sich selbst verflucht. Du hast uns lediglich eingesperrt. Aber das ist nicht der wahre Fluch. Der Fluch ist die stetige Einsamkeit und der Anstieg selbstischer Ansichten und Taten, für was du überhaupt nichts kannst. Abgesehen davon, musst du deine eigenen Gründe dafür haben, dass du uns einsperrtest, und nicht jene Gründe, die dir jeder andere anhängen will." Samuels Augen weiteten sich überrascht und nahm ihre Hand zwischen seine Hände, bevor er einen Kuss auf sie haucht, danach drückte er sie fest auf seine Brust, dorthin, wo sein Herz schlug. Bis in jede kleinste Zelle ihres Körpers, spürte Ellenor seinen Herzschlag und ihr schien, als würde ihr Herz sich seinem Takt anpassen. Die Wärme nahm sie so plötzlich und allumfassend ein, dass ein leises Seufzen ihrem Mund entwich. Samuel zog sie fest in seine Arme und tat somit genau das, was sich Ellenor tief im Herzen wünschte. „Ich danke dir. Du bist jene Erste, die mich nicht als Monster sieht.", sagte er dicht neben ihrem Ohr und hauchte einen Kuss unter dieses. Glücklich lächelte sie, war aber im nächsten Moment komplett verwirrt. „Jene?", fragte sie im Flüsterton, als würde sie die angenehme Stimmung zwischen ihnen zerstören, wenn sie lauter spräche. „Das Erläutere ich dir ein andermal. Es gibt wichtigere Dinge, die wir vorerst noch besprechen müssen." Vorsichtig stand Samuel auf, Ellenor noch immer in seinen Armen haltend. Ellenor lehnte sich noch mehr gegen Samuel und genoss dieses Glücksgefühl, welches in vollem Tempo durch ihren Körper floss. Nirgendwo anders hatte sie sich jemals so wohl gefühlt, wie in Samuels Armen. Auch wenn sie das jetzt noch nicht verstand, war sie sich sicher, dass sie es irgendwann verstehen würde. Bis dahin kostete sie das Gefühl weiter aus. Doch es dauerte nicht lange, bis sie neugierig wurde. „Samuel?", fragte sie leise. Sofort huschte sein Blick zu ihr und blieb auch dort als er sich in Bewegung setzte. Er zog fragend eine Augenbraue hoch. „Deine Flügel, darf ich sie berühren?" Erwartend blickte sie ihn an, als er erschrocken stehen blieb. Zögerlich, gar unsicher, führte er eine seiner Schwingen zu Ellenor, welche ihre Fingerspitzen genauso zögerlich wie Samuel ausstreckte. Als ihre Finger sanft über die dunklen federn strichen, stellte sie fest, wie weich sie waren. Sie streichelte den Flügel mit der ganzen Hand. Aus dem Augenwinkel konnte sie beobachten, wie Samuel genüsslich die Augen schloss, doch sie erschrak, als sein Atem stoßweise kam. „Habe ich... habe ich irgendetwas falsch gemacht?", stotterte sie, während sie ihre Hand vorsichtig zurückzog. Doch ihre Hand wurde von Samuel abgefangen, welcher sie wieder auf seinen Flügel legte. „Du hast überhaupt nichts falsch gemacht. Meine Flügel sind nur äußerst sensibel und empfindlich.", erwiderte Samuel sanft und Ellenor entspannte sich sofort wieder. Sie stieß einen Schwall Luft aus und lehnte ihren Kopf gegen Samuels Brust. Dieser setzte sich in Bewegung und ging sicheren Schrittes auf Thomas zu, der immer noch an der Eiche wartete und so besorgt schien, wie es Samuel ebenfalls noch vor wenigen Momenten war. „Ist alles in Ordnung?", fragte er, Ellenors Gesicht begutachtend. Innerlich verdrehte diese die Augen, äußerlich aber, lächelte sie ihren Großvater an. Jetzt konnte sie doch nachvollziehen, warum ihr Thomas etwas verheimlicht hatte. Gutfinden tat sie dies dennoch nicht. „Es ist alles in Ordnung, Großvater. Mir geht es gut." „Hervorragend.", korrigierte Samuel sie sogleich augenzwinkernd. Ellenor kicherte kindlich und streckte Samuel, nicht weniger kindlich, die Zunge entgegen, woraufhin Samuels wunderschönes Lachen einmal mehr ertönte, was Ellenor wiederum zum Lächeln brachte. Dieser Tag war doch nicht so schrecklich, wie Ellenor noch am Nachmittag festgestellt hatte.

Stille herrschte nun unter den dreien. Stille, die Ellenor nutzte, um nachzudenken, über all das, was an diesem Tag alles passiert war. Es kam ihr wie Wochen vor, die zwischen dem Aufstehen und dem jetzigen Moment, vergangen waren. An einem Tag hatte sich so viel geändert. Teils zum Guten, Teils zum schlechten. Doch was für eine Rolle spielte Ellenor nun bei alle dem? Es gab nun so viele Fragen zu beantworten, wie zum Beispiel, was Ellenor nun war, oder wie sie ihren Seelenverwandten finden könnte. Ihren Seelenverwandten. Jemand, den sie unbedingt finden wollte, finden musste. Tief im Herzen spürte sie, dass sie ohne ihn niemals glücklich werden könnte. Sie wollte auch gar nicht ohne ihn glücklich werden. Nun besaß sie das Wissen, einen zu haben, doch nicht, wo er sich befand oder wie sie erkennen konnte, dass sie ihn gefunden hatte. Noch bevor sie schlafen ginge, musste sie das noch herausfinden, sonst würde sie diese Nacht nicht überleben. Ihr Seelenpartner war schon jetzt, ohne dass sie ihn kannte, das wichtigste Wesen für Ellenor. Und einmal mehr gab es etwas, dass Ellenor weder ändern konnte noch wollte. Es war nun eine andere Zeit als noch in der Bibliothek oder mit ihrer Mutter, wo sie ihrem Leben nachgetrauert hatte. Denn jetzt hatte sie eine Chance, wenn auch nur eine geringe, aber sie hatte sie.



Hey Leute,

dieses Mal kommt das Kapitel pünktlich. Und wie immer, hoffe ich, dass es euch gefallen hat.

Fragen:

Werden sich Ellenors Fragen noch beantworten?

Wird Ellenor ihren Seelenverwandten finden, oder hat sie das vielleicht schon getan?

Hinterlasst gerne Votes, Kritik und Kommentare.

LG Bensheegirl 

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