Chaotisches Treiben herrscht am Hafen. Riesige Schiffe legen an, laute Rufe hallen durch die Luft. Männer laufen an Linea vorbei, um im nächsten Moment mit Fässern und Säcken auf ihren Schultern wieder zurück zu laufen.
Schiffe fahren hinaus, Schiffe kommen an. Überall, wohin sie auch blickt, sieht sie Männer, die entweder Waren entladen oder Schiffe beladen.
"Wahnsinn", haucht sie, während sie inmitten des Tumults steht und beobachtet wie ein riesiges rostbraunes Schiff den Hafen ansteuert.
Sie dreht sich einmal um sich selbst und sieht sich um. Nun ist sie endlich ihrem Ziel einen Schritt näher gekommen. Sie ist am Hafen.
Und nun?
Eine gute Frage. Wie soll es nun weiter gehen?
Sie muss entweder ein Schiff finden, das nach Alchandria fährt und sie mitnimmt oder sie muss jemanden finden, der sich dafür bezahlen lässt.
Geld hat sie noch. Sie hat beim letzten Einbruch gut zu gegriffen. Ihre Taschen gut gefüllt. Dank einer alten Dame, die einen so tiefen Schlaf hatte, dass sie ihr sogar die Perlenkette vom Hals klauen konnte und diese brachte ganze sieben Silbertaler ein, als sie sie dann später verkauft hat.
"Hey!", ruft sie aus und hält einen vorbeilaufenden Mann mit blonden kurzen Haaren und Dreitagebart am Oberarm fest.
"Was?", fragt er ungehalten, mustert sie kurz und entzieht ihr dann seinen Arm. "Was willst du?" Er spuckt die Worte förmlich aus.
"Fährt ein Schiff von hier nach Alchandria?", fragt Linea zwischen zusammengebissenen Zähnen.
"Keine Ahnung." Er grinst und entblößt dabei eine Reihe gelber Zahnstummel. "Vielleicht, vielleicht auch nicht", schiebt er hinterher und verschränkt die Arme hinter seinem Kopf.
"Wie viel?" Spitz kommen ihr diese beiden Worte über die Lippen, genau wissend, dass er nicht der redselige Typ ist, schon gar nicht ohne, dass er dafür eine Gegenleistung bekommt. Und wie die aussieht, weiß Linea zur Genüge.
Das Funkeln in seinen Augen bestätigt ihren Gedanken, als er völlig entspannt antwortet: "Soviel wie dir diese Information wert ist. Alles?"
Linea seufzt, widersteht dem Drang ihre Schläfen zu massieren, greift in ihre Tasche, drückt dem Mann einen Silbertaler in die Hand und sagt: "Das ist alles, was ich habe."
Der Mann betrachtet den Taler eingehend, nimmt ihn zwischen die Zähne und beißt zu. Betrachtet ihn wieder.
Dann lässt er ihn in der Hosentasche verschwinden und sieht Linea freundlich an.
"Ich bin mir sicher, dass das nicht alles war, aber ich sag es dir trotzdem."
"Wie gnädig", entschlüpft es Linea ehe sie es verhindern kann.
Der Mann grinst sie an und nickt.
"Morgen in der Früh fährt ein Schiff. Das da." Er dreht sich um und zeigt auf ein hellbraunes, das ruhig im Hafen liegt.
"Wenn du mit fahren willst, musst du den Kapitän fragen. Er sitzt meist im Bullauge."
"Bullauge?", wiederholt Linea verwirrt, "Was soll das sein?"
"Das ist ein Fenster von einem Schiff", erwidert der Mann dümmlich und zeigt wieder dieses dämliche Grinsen.
"Das weiß ich", erwidert Linea gereizt.
"Das ist eine Schänke am Ende des Hafens, da lang", mischt sich eine krächzende Stimme ein.
An der Seite des Blonden erscheint plötzlich ein alter Mann, der wie Haut und Knochen wirkt. Mit seiner schmalen Hand klopft er dem Jüngeren auf die Schulter, um ihn an dieser im nächsten Moment mit sich zu ziehen.
"Verdammt aber auch, ich hätte ihr noch mehr abknöpfen können", beklagt sich der Blonde aufgebracht und wirft dabei einen Blick über die Schulter.
"Mach einfach deine Arbeit", erwidert der Ältere und zieht ihn unnachgiebig mit sich.
~•~
Das Bullauge ist definitiv keine Schänke, es ist viel schlimmer als das. Ein Saufgelager, das sich bis auf den Hafen ausbreitet.
Sie sieht die Schänke noch nicht mal, dafür bereits ihre Opfer.
Gestandene Männer, die wie kleine Kinder über den Asphalt krabbeln und unverständliches von sich geben.
Langsamen Schrittes geht Linea an ihnen vorbei, nur um im nächsten Moment stehen zu bleiben, da ihr der Weg von zwei Raufbolden versperrt wird, die einander wie Stiere ansehen.
"Wie konntest du das nur tun?", heult der erste Stier, woraufhin der zweite antwortet: "Ich nahm was mir gehört!"
"Aber es war meine Frau. Ich!", der Erste zeigt auf sich selbst, "Ich habe sie geheiratet!"
"Ich sah sie zuerst. Liebte sie zuerst!"
"Aber ich habe sie geheiratet!", kreischt der erste Stier und läuft schwankend auf seinen Gegenüber zu und versetzt ihm einen Kinnschlag.
Der Kopf des zweiten Stiers fliegt zurück, Blut spritzt.
Linea betrachtet die Szene kopfschüttelnd, während sie das Duo umrundet und hinter sich lässt.
Knurren, das auch aus der Kehle eines Tiers stammen könnte, ertönt in ihrem Rücken. "Ich bring dich um!"
Dumpfe Geräusche werden laut, gefolgt von Gestöhne und wütendem Geschrei.
Ihr Weg führt sie an einem leblosen Körper vorbei, der in seinem Erbrochenen liegt. Linea rümpft angewidert die Nase, als sie über ihn hinweg steigt.
Ein wenig weiter stehen drei Männer an einem Geländer und der eine sieht so aus, als sei das das Einzige, was ihn aufrecht stehen lässt, während seine Kumpels ihm bemitleidend auf die Schulter klopfen und aus ihren Krügen fleißig trinken, so als wollten sie schnellstmöglich seinen Zustand erreichen.
Auch an ihnen geht Linea vorbei, bis sie an einem Gebäude ankommt, das wie ein Schiff aussieht.
Das Bullauge ist eine Tür. Ein riesiges Loch, das man gelb eingerahmt hat. Darüber an Nägeln hängen Fischernetze herab und in ihnen befinden sich vertrocknete Fische, deren Augen leer auf Linea hinabblicken.
Widerlich...
Was für eine geschmacklose Dekoration und so gar nicht passend zu dem schillernden Larua.
Linea blickt in das Loch hinein und sieht im schummrig grünen Licht zig Männerrücken.
Es ist voll. Großartig...
Sie spürt Widerwillen erneut so eine Spelunke zu betreten. Astria hatte ihr gereicht und die dort war bei Weitem nicht so schlimm wie dieses Ungetüm hier.
Linea beißt sich auf die Unterlippe, ballt die Hände zu Fäusten und betritt das Bullauge.
Schweißgeruch schlägt ihr entgegen gemischt mit dem Gestank von Alkohol und Tabak.
Sie unterdrückt mühevoll ein Würgen, während sie sich durch die Menge schlängelt und tunlichst darauf achtet die Männer nicht mehr zu berühren, als sie es unbedingt muss.
Am Ende muss sie nach Alchandria schwimmen, um den beißenden Geruch aus ihrer Kleidung zu bekommen.
Linea schiebt sich weiter vorwärts.
"Hey!", ruft plötzlich eine kehlige Stimme über das Lallen anderer hinweg.
Sie spürt einen harten Stoß in die Seite, der ihr nicht nur die Luft raubt, sondern auch ihr Gleichgewicht.
Ohne es zu wollen stützt sie sich an einer fremden Schulter ab und drückt sich wieder in den aufrechten Stand.
Ein unheilvolles Brummen ertönt, als die Schulter sich dreht und ein Glatzkopf sie aus zusammengekniffenen Augen ansieht. Ihr schwant Böses. Sie will gerade zu einer Entschuldigung ansetzen, da holt er auch schon aus. Ohne zu überlegen, lässt sie sich einfach auf die Knie fallen.
Eine Etage tiefer, umgeben von zig Beinen, beobachtet sie wie die Faust des Glatzkopfes den Rücken eines anderen Mannes trifft.
Oh, oh...
Dieser dreht sich blitzschnell um und das, obwohl er so massig wirkt, dass man ihm diese Geschwindigkeit kaum zutrauen kann.
Er stiert den Glatzkopf an, öffnet den Mund und schreit ihn aus tiefster Kehle an. Laut und langgezogen. Speichel regnet auf Linea herab.
Jetzt geht es rund.
Als wäre ihr Gedanke ein Startschuss, springt der Schrank auf den Glatzkopf zu, da aber Linea vor seinen Beinen hockt, kommt es wie es kommen muss.
Mit dem Ausdruck von Überraschung gerät der Schrank ins Stolpern und während er wie eine Boje auf hoher See zu schwanken beginnt, rempelt er zig weitere Rücken an.
Höchste Zeit hier raus zu kommen.
Sie kann förmlich spüren wie die Atmosphäre sich aufheizt. Befeuert von Testosteron und übergroßen Egos.
Auf allen Vieren krabbelt Linea zu dem äußeren Rand der Schänke, während sie gekonnt Beinpaaren ausweicht.
Schreie dröhnen, etwas geht zu Bruch, Holzsplitter fliegen durch die Luft, regnen auf ihren Rücken herab.
Plötzlich wird sie hochgezogen. Ein erschrockenes Quitschen entkommt ihrer Kehle. Sie schlägt nach dem Arm, versucht sich aus dem Griff zu winden, doch er gibt nicht nach. Die Hand hält sie eisern fest. Zieht sie durch ein Meer massiger, verschwitzter Körper.
Linea kann den Besitzer nicht sehen. Sie ist zu klein und die Männer um sie herum zu fett. Sie verdecken den restlichen Körper des Armes vollständig.
Bis zu dem Moment, als sie sich wie Bäume am Waldrand lichten. Der Streitherd befindet sich in der Mitte der Schänke. Dorthin stürmen die Männer, um ihren Aggressionen freien Lauf zu lassen. Doch hier nahe der Wand ist es leer. Linea könnte beide Arme von sich strecken und würde niemanden berühren.
Scheinbar muss sie jemanden ihren Dank aussprechen. Sie wurde aus einem Meer gerettet, in dem sie drohte zu ertrinken.
Sie dreht sich um und erblickt einen Mann, der mit dem Rücken zu ihr, vorn über gebeugt, dasteht und laut atmet.
"Alles in Ordnung?", fragt sie vorsichtig und streckt die Hand nach seiner Schulter aus. Doch bevor auch nur ihre Fingerspitzen sie berühren können, richtet sich der Mann auf und sie erblickt einen dunkelbraunen Haarschopf.
Sie lässt die Hand sinken, richtet ihre Kapuze und tritt ein Schritt zurück.
"Vielen Dank, dass Ihr mir geholfen habt", sagt sie.
"Es war mir ein Vergnügen", antwortet er mit einer Stimme, die Linea mehr als bekannt vorkommt und als er sich umdreht, weiß sie auch woher.
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