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"Ich dachte, mit Fahrtwind kommt es etwas authentischer rüber, verstehst du?", klärte mich Stegi auf, welcher schreien musste, damit er das laute Motorgeräusch übertönte. Ich nickte nur. Stegi verschwand kurz in das Innere des Bootes, bevor er mit einer Kette wiederkam. Oh nein. "Könntest du vielleicht deine Kette ablegen?", fragte er mich. "Eigentlich ungern" "Bitte?" "Ich trag sie eigentlich immer, geht es nicht auch einfach so?" "Es ist doch nur ganz kurz" Er flehte mich mit seinen Hundeaugen an. Widerwillig gab ich nach und nahm sie ab. Stattdessen legte ich die silberne Kette von Stegi an. "Danke. Ich versprech dir, ich beeil mich" Mit diesen Worten stellte er seine Kamera ein. Ich positionierte mich am Geländer. Auf einmal kam er auf mich zu und fing an mein Hemd aufzuknüpfen. "Mach das am besten so", sagte er dabei. Kann er nicht einfach normal mit mir reden? Ich bin ein erwachsener Mann, ich kann meine Hemden selber aufknöpfen. Schon wieder bekam ich Fieber. "Lehn dich am Geländer an und tu deine eine Hand in die Tasche" Ich gehorchte mal wieder. Er schoss die Fotos und zeigte sie mir.
Noch bevor ich irgendetwas antworten konnte, fuhr neben uns ein Speedboot entlang. Durch die erzeugten Wellen wurde unser Boot ins Wanken gebracht. Wir mussten uns beide am Geländer festhalten. Doch durch die Bewegung fiel mir meine Kette ins Wasser. Ich wollte sie noch fangen, aber war zu langsam. "Nein!", schrie Stegi hinter mir auf. Am liebsten wäre ich direkt hinterher gesprungen.
(Flashback) Ich versuchte die Perlen auf die Schnur aufzufädeln, doch bekam es einfach nicht hin. Meine Mutter kam von der Arbeit nach Hause und sah mich am verzweifeln. "Schatz, alles in Ordnung?" "Ich bekomm das nicht hin", antwortete ich mit einem Schmollmund. Sie zog ihre Schuhe aus und setzte sich zu mir an den Tisch. "Komm, wir machen das gemeinsam" So verbrachten wir die nächste halbe Stunde. Immer eine Perle nach der anderen, bis ich am Ende eine vollständige Kette hatte. "Siehst du, klappt doch. Du musst nicht immer alles sofort hinbekommen. Gib dir selber etwas Zeit" Sie gab mir einen Stirnkuss, bevor sie sich dem Kochen widmete. Damals, mit vier Jahren, war sie mir noch zu lang. Jetzt, mit 25 passte sie perfekt. Das war sie, das war das letzte Erinnerungsstück an meine Mutter, bevor sie eine Woche später einen tödlichen Unfall hatte. Die Kette war weg, somit auch meine Mutter.
Ich war wütend, wütend auf Stegi, obwohl er nichts dafür konnte. Wütend auf mich. Ich hätte wissen müssen, dass sowas passiert. Warum bin ich nur so dumm? Ich starrte die glänzende Wasseroberfläche an, versuchte meine Tränen zu unterdrücken. "Es tut mir so leid", hörte ich im Hintergrund. Ich wollte kein Mitleid, nicht von ihm. Ich wollte einfach nur weg von hier. Kurz darauf hielt Stegis Vater wieder am Ufer. Ich sprang von Bord, murmelte "Danke, für die Fahrt" zu dem Mann, dann verschwand ich schnellen Schrittes. Immernoch in Stegis Klamotten, selbstverständlich. Aber das war mir egal. "Basti, warte doch", rief er hinter mir, doch ich war schneller. In meiner Wohnung angekommen riss ich mir die Kette vom Hals und schmetterte sie auf meinen Tisch. In meinem Schlafzimmer schmiss ich mich geradewegs ins Bett und schrie in mein Kissen
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