Kapitel 1

"Ich sollte vielleicht nachsehen...", flüsterte er sich selbst zu, als er von seinen Papierstapeln, hinüber zu dem runden Fenstern der Dachgeschosswohnung linste. Er verzog den Mund, knickte die Ecke eines ordentlich beschriebenen Zettels um, während er sich mit seiner rechten Hand langsam zu dem quadratischen Lichtschalter arbeitete um das orange, grelle Strahlen der Deckenlampe erlöschen zu lassen.
Langsam rutschte er von dem unbequemen Schreibtischstuhl herunter, beugte sich leicht, als er zu den dünnen Glasscheiben herantrat und einen Blick nach unten warf. Die perfekte Sicht. Eigentlich konnte man von hier aus nur das Blätterdach der Eichen betrachten,- hatte nichtmal eine Chance das Leben in der pulsierenden Stadt zumindest aus der Ferne mitzuerleben- aber wenn man sich dann doch weit genug nach vorne lehnte bot sich einem die Möglichkeit nach unten auf den schmalen Fußgängerweg zu linsen, dorthin, wo die Klingeln waren. Und auch eben dort wo eine fünfköpfige Gruppe Männer stand die bei ihm sturmläuteten. Einer von ihnen schüttelte den Kopf, versuchte die anderen wegzuziehen, zeigte auf einen ungewissen Punkt in die andere Richtung, aber seine Kameraden hatten kein Interesse sich darauf einzulassen.

Und einmal mehr ertönte das Geläute. Es würde dennoch zwecklos bleiben. Kein vernünftiger Mensch hatte den Ansporn sich mit Leuten wie denen zu unterhalten. Niemand der dem Pfad der Tugend zu folgen ersuchte. Das dort, direkt vor der Eingangstür des Treppenhauses, was um diese Uhrzeit längst schon zugeschlossen war, war eine Gang Teufel. Dämonen. Wesen der Unterwelt. Eben jene, die dich versuchten herunterzuziehen. Dich in Probleme stürzten.
Aber bist du einmal mit ihnen einen Deal eingegangen, gab es kein Zurück mehr. Auch wenn man von alldem nichts mehr wissen wollte, man war ein Opfer ihrer Angriffe, ihrer Treffen... Des Alkohols den sie mit dir zu trinken verlangten.

Ja, Ivan Reid, der sich derzeit vor die Heizung gekauert hatte war ein solches Opfer. Zwar könnte man eine Freundschaft die man während der Studienzeit eingegangen ist- dabei mal die ein oder andere Party mit diesen Gangstern besucht hatte- nicht als 'Pakt' bezeichnen, diese Kerle wiederum führten sich dennoch auf als wäre es einer.
Sie haben das Studium abgebrochen. Das war ihr Fehler, sie waren auf die falsche Seite gerutscht, nicht Ivan. So sollten sie doch so freundlich sein ihn nun fortan in Ruhe zu lassen. Kein Wort wollte er mit denen mehr wechseln, es würde auch nichts sinnvolles bei rum kommen. Einen 'Spießer' würden sie ihn nennen- wie damals schon- und ihn dann wieder zu Aktionen nötigen aus denen man sich als guter Bürger lieber heraushalten sollte.

Er ließ sich auf einen alten Sessel in der Ecke fallen, hielt sich die Ohren zu. Sein Kopf drohte jede Sekunde zu explodieren wenn sie ihn nicht in Ruhe ließen. Nicht nur sein Kopf, auch er selbst stand mit einem Fuß schon im Wutausbruch. Krallte sich in den mitgenommenen Stoff, mahlte die Zähne aufeinander und musste sich zwingen ruhig zu atmen um sich nicht vom Dach zu stürzen.
Anders als die, die ihn um zwei Uhr morgens beim Schlafen am Schreibtisch störten, musste er früh aufstehen und arbeiten. Aber wenn er sich beschwerte kamen von allen Seiten glorreiche Kommentare wie 'Dann hättest du kein Lehrer werden dürfen'. An sich hatte er kein Problem mit dem Beruf, tat es gerne, brauchte dafür aber genügend Schlaf. Den er durch solche Umstände nicht erhielt.
Ungehalten biss er sich auf die Unterlippe, fasste sich an den Kopf, verwüstete seine nussbraunen kurzen Haare.

Wieder ein Geräusch. Diesmal anders. Er musste seine schlaftrunknen Gedanken eine Weile ordnen ehe er feststellte dass es von seinem Handy kam.
Woher hatten diese Typen aufeinmal seine Nummer? Die gab er niemanden. Wahrlich, niemandem außer der eigenen Familie.

Ein stechender Eisengeschmack breitete sich in seinem Mund aus. Er hatte sich die Lippe blutig gebissen.

Rasend vor Wut sprang er auf, knallte die Tür zu, als er in das Schlafzimmer stürmte, und schnappte sich achtlos das kleine Smartphone was den Nachtschrank zierte- so gut wie nie den Platz wechselte, wenn er daheim war.
Gerade als er im Inbegriff war abzuheben und lauhals zu schimpfen, fiel sein Blick auf den Namen. Seine jüngere Schwester Maisie. Vor geschlagenen vier Stunden hatte ihr Ehemann ihn informiert, dass sie in den Wehen liege und Ivan zum zweiten Mal Onkel werden würde. Der im Gegensatz dazu hatte jedoch aktuell seine ganz eigenen Probleme. Zwar hatte er gesagt man solle ihn benachrichtigen, wenn das Kind auf der Welt sei- er hatte immerhin nicht mit einem verdammten Anruf gerechnet-, aber nun hatte er keine Lust auf dieses übliche Geplänkel und vorallem nicht auf die Frage, wer bei ihm denn noch so spät- oder eher früh- klingelte. Er wollte mit niemanden reden, niemanden sehen, niemanden hören, einfach schlafen.
Oder zumindest die Ruhe haben, dass er sich an seine 'Spießer'-Aufgaben begeben konnte. Man musste damit leben, dass er kein Partylöwe mehr war, nie etwas verbotenes tat, keine Drogen konsumierte- mit Ausnahme von Kaffee-, immer übervorsichtig war und eine überstrapazierte Schamgrenze hatte. Wenn man damit nicht ertragen konnte durfte man gerne wieder abtreten. Die wenigsten kamen mit ihm aus. Das ist auch der Grund dafür dass bisher jede Beziehung nicht länger als ein halbes Jahr angehalten hatte. Nichteinmal richtige Freunde hatte er, weil er allen zu langweilig war.
Aber gut so.
Dann musste er sich nicht den Kummer anderer anhören und sich nicht unnötig beleidigen lassen wenn er etwas tat, was andere für merkwürdig empfanden. Zudem er dem Gefühl, jemanden zu vermissen durch seine Art des Denkens vollkommen aus dem Weg gehen konnte. Einsamkeit mag auch nicht das beste sein, aber um den entgegen zu wirken brauchte er einfach nur kurz vor die Tür gehen. Reden tat man gerne mit ihm. Er hatte so einige kuriose Geschichten auf Lager.

Es war um ihn herum urplötzlich so ruhig geworden... Hatten sie endlich das nötige Maß an Gnade aufgebracht, dass er sich weiter erholen durfte?
Ivan atmete laut auf, ließ sich auf die harte Madratze fallen. Er sollte wirklich überlegen umzuziehen. In ein ganz anderes Viertel. Aber nur deshalb schien es völlig unnötig zu sein. Mit seinen jetzigen Lebensverhältnissen war er mehr als zufriedengestellt. Seine Nachbarn waren still, die Miete niedrig und er war in der Nähe guter Verkehrsanbindungen etwas am Rande der Stadt. Zudem befand er sich sieben Minuten von dem Gymnasium in dem er arbeitete entfernt. Wo fand man sonst derartig gute Verhältnisse? Selbst wenn, konnte er es sich auf Dauer sicherlich nicht leisten. War er wohl gezwungen das jeden zweiten bis dritten Tag über sich ergehen zu lassen, bis er ihnen überdrüssig war.

Er ließ sich tiefer in das Bett sinken. Sein Leben lief in letzter Zeit definitiv nicht so wie er es sich vorgestellt hatte. Die übliche Alltagsschleife in der man nunmal gefangen war.
Arbeit und Schlafen, immer den selben Leuten im Supermarkt begegnen, sich stets ein und dieselben Kommentare anhören müssen, wie groß doch seine Augenringe geworden waren. Man frage sich woher die wohl kamen...?
Vielleicht würde er dieses Mal ganz ohne aufwachen- sofern das überhaupt möglich war- wenn er jetzt auf der Stelle einschlief.
Das war sogar leichter als erwartet.
Die festen Griffe seiner Traumwelt zogen ihn zu sich, ließen ihn in die Tiefen seiner Gedanken und Vorstellungen eingleiten.

Wäre sein Tagesverlauf auch nur halb so spannend wie seine Träume...

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