12. Kapitel

Der letzte Tag. Der letzte Tag ... Den Vormittag habe ich damit verbracht, mein Leben wieder in den Griff zu kriegen und mich damit abzufinden. Am Nachmittag habe ich jede zweite Minute geheult, was davon zeugt, dass ich es nicht geschafft habe. Aber am Abend... da reiße ich mich zusammen.

Meine Schritte tragen mich neben Adam her. Ich versinke stellenweise im Schnee und Adam muss mir wieder heraushelfen. Das passiert so oft, dass ich kurz davor bin, ihn in den Schnee zu schupsen, weil er sich so elegant wie eine Raubkatze bewegen kann. Als ich aber aufsehe und in Adams strahlendes Gesicht, werde ich davon abgehalten. Wir sind da.

Der Weihnachtsmarkt erstreckt sich vor uns und ich nehme seine Hand, um mit ihm die letzten paar Meter zu laufen. Dann stehen wir mitten im Trubel. Es ist der Markt, auf dem wir auch letztes Mal waren. Mich durchzuckt ein freudiger Schauer.

„Komm!" Wir schlendern durch den Schnee und schauen uns erst alle Stände an. Ein letztes Mal... Aber das macht sie nicht weniger schön. Wir kaufen nichts, außer gebratene Mandeln und Kinderpunsch. Auf die Erklärung, warum wir keinen Glühwein trinken, da wir ja schon so groß sind, habe ich folgendes einzuwenden: Ich brauche meine Füße beim Tanzen. Immerhin muss ich verhindern, dass Adam mir auf die Füße tritt.

„Und Adam, bist du bereit?" Er weiß für was und ich stecke meine Mandeln in die Tasche und trinke den Punsch zu eEnde. In freudiger Erwartung funkeln meine Augen und ich binde mir noch schnell einen Zopf, damit mir meine Haare nicht im Weg sind. Er nickt und nimmt meine Hand in seine.

Dieses Mal ist leider keiner da der singt. Aber dafür haben wir eine Lösung gefunden. Ich schreibe meinem Dad eine Nachricht, er und meine Familie werden für gute Stimmung sorgen.

Dann fange ich an zu zählen.

Eins... Ich blicke zu Adam.

Zwei... Ich stelle mich vor ihn hin und greife nach seinen Händen.

Drei... Ein letztes Luftholen, dann wirbeln wir los.

Die Musik springt aus Lautsprechern an und ich kann mir ein Lachen nicht verkneifen, als ich an Adams Brust lande, der die Drehung noch perfektionieren muss.

„Weiter", grinse ich und bewege meine Füße, bewege meine Hände, bewege meine Hüften. Wir schweben durch den Weihnachtsmarkt. An lächelnden Gesichtern vorbei und wieder zurück an unseren Platz. Ich lächele Adam an als er seinen Griff um meine Taille verstärkt und mich näher an sich drückt.

„Noch eine Drehung?", will ich ihn herausfordern. Er funkelt mich an, reagiert aber so schnell, dass ich erst verwundert in der Gegend herumdrehe bis Adam mich wieder an sich zieht.

Ich lache, und lache. Meine Wangen sind freudig erhitzt, meine Haare haben sich aus dem Zopf gelöst und Adam streicht ein paar verirrte Strähnen nach hinten. Ich starre ihn an. Nichts anderes will ich mehr machen.

Unsere Schritte werden gemütlicher und langsamer und ich klammere mich an ihm fest als meine Lippe anfangen zu beben. Adam blinzelt bis er begreift was los ist und mein Kinn anhebt.

„Ariel?" Er sieht mich besorgt an und drückt mich noch näher an sich.

„Ich..." Ich blinzele ein paar Mal. "Ich will nicht gehen", bringe ich nur schwer heraus und schaffe es irgendwie weiter zu tanzen.

„Wir werden uns wiedersehen", spricht Adam mir Mut zu und wirbelt mich noch einmal herum. Ich knalle wieder an seine Brust und schmunzele.

„Du bist echt der Held der Drehungen!", lache ich.

„Ich weiß doch", gibt er zu und kommt näher. "Ari?"

„Ja, Adam?" Ich blicke zu ihm auf.

„Darf ich meine kleine Meerjungfrau küssen?", raunte er mir zu.

Sein Atem trifft mein Gesicht und ich erschaudere wohlig. Ich starre ihn an, während seine Hand Kreise an meinem Rücken zeichnet. Ich nicke. Nickte einfach nur, nicht imstande etwas anderes zu tun.

„Ja?" Adams Augen weiten sich. Ich nicke als mir eine Träne die Wange hinunter zu fliesen droht.

„Ja, Adam!" Ich nicke, nicke immer wieder. Meine Füße stolpern fast über sich selber, Adams Hand kann mich aber gerade noch retten. Ich klammere mich an ihn. Dann nimmt er mein Gesicht in seine Hände. Wie hypnotisiert stelle ich mich auf die Zehenspitzen. Ist das gerade echt?

Seine Augen versengen meine Haut. Es fühlt sich echt an, mehr als das. Ich versinke, höre auf zu atmen als seine Lippen nur noch Zentimeter von meinen entfernt sind. Ich werde verglühen. Das werde ich. Am Ende wird nichts mehr von mir übrigbleiben.

Es ist eine leichte Andeutung als seine Lippen meine streifen. Er verharrt auf der Stelle, sein Atem geht schneller. Ich grinse. Dann drücke ich meine Lippen ganz auf seine.

Ein leichtes Stöhnen entweicht seiner Kehle als ich mich an ihn drücke, als würde es kein Morgen geben. Das gibt es für mich auch nicht. Ich nehme alles mit, was dieser letzte Abend mir schenkt. Will alles, brauche alles!

Dann höre ich auf. Mein Herz versucht in meiner Brust zu platzen, so aufgeregt und unter Spannung bin ich.

Ich bringe Abstand zwischen uns als ich lautes Gemurmel um uns herum höre. Menschen sind um uns versammelt, sehen uns zu, sie tanzen, singen, sie sind glücklich. Ich strahle! So sehr werde ich nie mehr strahlen können

Ich sehe Adam an, beuge mich hoch zu ihm, und streife sein Ohr als ich ihm etwas zuflüstere. Nächstes Jahr wieder, du Weihnachtswunder.

Er scheint erleichtert zusammenzufallen unter meinem Versprechen. Ich werde wiederkommen. Komme was wolle.

Das einzige woran ich denke, als ich Adams Lippen auf meinen spüre, ist Liebe. In mir und um uns herum. Und es ist das schönste Gefühl der Welt, meinen besten Menschen der Welt gefunden zu haben.

                                  ♡

Abreise.

Am nächsten Tag packen wir. Adam hat bei mir übernachtet und ist am Morgen früh aufgestanden, um uns zu helfen. Wir lassen uns keine Minute aus den Augen, so auch jetzt nicht als er mir hilft, meinen Koffer im Auto zu verstauen.

Meine Kehle fühlt sich ausgetrocknet an, so als würde sie nicht die richtigen Worte finden können. Davor habe ich schon den ganzen Tag Angst. Doch nun, als ich an Adams Seite noch einmal in die Hütte stiefele, um zu überprüfen, ob wir alles haben, kann ich durchatmen. Es ist Adam. Und es gibt für so etwas nie die richtigen Worte.

„Ihr habt alles", erklärt er und nimmt meine Hand. Meine Mom sperrt ab und wir gehen alle gemeinsam hinunter zum wartenden Auto.

Mit jedem Schritt, den ich mit Adam mache, fühlt es sich so an, als würde ich ihn verlassen. Also drücke ich seine Hand fester, um ihn ja nicht zu verlieren. Vor dem Auto sehe ich zu ihm auf. Ich schüttle den Kopf als ich nasse Augen bekomme. Die Realität prasselt auf mich ein.

„Ich..." Adam denkt gar nicht daran mich aussprechen zu lassen. Er zieht mich an sich und schlingt die Arme um mich. Wie gestern klammere ich mich an ihn und will ihn nicht frei geben.

„Ich kann nicht fahren...", schluchze ich und verberge mein Gesicht an seiner Brust. Er drückt mir einen Kuss auf die Stirn und schafft Abstand damit er mir in die Augen sehen kann.

„Ari, wir schaffen das!" Er sieht mir in die Augen. Dann sackt er selbst zusammen und drückt mich nochmal in seine Arme. Ich schluchze als sein Körper ebenfalls anfängt zu beben und presse ihm dabei sicherlich die Luft aus. Er hebt mich hoch und trägt mich die letzten Meter zum Auto. Dann macht er die Tür auf und stellt mich davor ab.

Unsere Augen fesseln sich. Ein Abschied. Jetzt. Eine weitere Träne rinnt meine Wange hinab Er wischt sie liebevoll weg. Ich strecke mich zu ihm hoch damit ich ihm einen letzten Kuss geben kann.

Unsere Tränen vermischen sich. Der Kuss ist sanft, unendlich sanft und trotzdem trägt er die Sehnsucht, die mich überstreift mit sich. Ich würde ihn nicht mehr sehen. Sehr lange Zeit.

„Ari, komm, wir müssen los!", befiehlt mein Dad aus dem Auto. Ich werde rot als ich alle Augen auf mir spüre.

Dann nicke ich langsam. Ganz langsam. Setze einen Schritt nach hinten. Ich ... Adam nimmt meine Hand und hindert mich daran ins Auto zu steigen.

„Nächstes Jahr, Ari. Versprich es mir! Nächstes Weihnachten wieder hier!" Seine Stimme bricht.

Ich muss mich zusammen reißen, um sprechen zu können. „Drauf kannst du wetten, du bester Mensch der Welt!", schluchze und lache ich gleichzeitig. Dann nickt Adam und lässt mich los.

Ich mache einen Schritt zurück. Weg von ihm. Wenn ich es jetzt nicht mache, kann ich nicht mehr gehen.

„Mach's gut, Weihnachtswunder und super Tänzer!" Ich steige ein. Fuß um Fuß.

„Mach's du's besser, kleine Meerjungfrau und Nicht-Werferin." Er grinst, als er die Autotür zudrückt. Ich schüttle verärgert den Kopf.

Dann fährt mein Vater so abrupt los, dass ich mich aufsetze, um Adam noch schnell zu winken. Er winkt ebenfalls und schenkt mir eine seiner besten Kusshände. Dann ist er außer Sichtweite. Er ist weg.

Weg.

Vorbei.

Langsam lasse ich mich zurück in den Sitz fallen. Vorbei. Ein verdammtes Jahr?... Ein Jahr. Das ist viel zu lange. Aber, wenn es sein muss, würde ich alles machen. Alles!

Mit jedem weiteren Meter weg von Adam weiß ich, dass harte Zeiten anbrechen werden. In einem Jahr kann sich viel tun. Ich habe Angst. Ich werde zurück in meinen Alltag gezogen. Mit allem was dazu gehört. Trotzdem werde ich die Zeit hier nie vergessen. Auch dieses Jahr lang nicht.

Versprochen ist versprochen! Das steht fest und daran klammere ich mich. Ich ziehe meine Meerjungfrauenkette aus meinem Pulli hervor und lächele.

Bis nächstes Weihnachten, Adam.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top