⚜️ TERRA ⚜️
(Bild von Yang Jeongin)
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Ein Tag war vergangen. Ein ganzer Tag, seit ich vor Jeongin zugegeben hatte, wovor ich mich als Kind und als pubertierendes Mädchen am meisten fürchtete. Für diese Beichte war ein Prozess erforderlich, bei dem meine Seele drei Altersteile aktivierte, die alle unabhängig voneinander zu ihm sprachen. Ich konnte dabei zusehen, während ich in meinem Körper machtlos war.
Gestern empfand ich die Enthüllung um meine Ängste furchtbar. Mein Wesen fühlte sich seit Jahren nicht mehr so hilflos, wie es das gestern tat. Nicht nur, weil ich mich an die Zeit als Kind zurückerinnerte, in der ich viele Probleme mit mir selber hatte - ich fühlte mich unter anderem hilflos, weil ich mich verwundbar zeigte. Obwohl ich tagtäglich versuchte der Welt zu zeigen, dass ich furchtlos, stark und mutig war, offenbarte meine Seele an erster Stelle mir und dann Jeongin, wie die Schattenseite meiner Wahrheit aussah. Die Seite, welche ich mit allen Mitteln versuchte zu verstecken.
Dabei verstand ich gar nicht, weshalb...
Mir war zwar bewusst, dass ich mich schutzlos fühlte und dachte, meine Gefühle würden gegen mich verwendet werden... Andererseits erschloss sich mir nicht, weshalb ich sie vor mir selber versteckte...
Durch den Prozess gestern setzte ich mich mit dem Gedanken auseinander. Ich tat es in einem derartig intensiven Ausmaß, bis ich zu einem Entschluss kam. Meine Erkenntnis war letztendlich, dass ich es nicht anders gelernt bekam.
Obwohl ich als Kind bereits gegen die Paranoia ankämpfen musste und mir zu der Zeit gesagt wurde, dass das okay sei, galt anderes, seit sich mein Bruder als erster Signum verwandelte. Erst recht veränderte sich der Wert meiner Gefühlswelt, als klar wurde, dass ich gekrönt werden würde.
Meine Emotionen waren zu dem Zeitpunkt (und auch danach) nicht wichtig gewesen. Keine einzige Menschenseele hatte sich darum geschert, wie es mir nach dem Tod meines geliebten Bruders ging oder nach dem meines Vaters, der darin verwickelt war. Niemand ließ mir meine Trauerphase, auch nicht, nachdem meine Mutter Suizid begann. Ich durfte nicht einmal verstehen, was in mir anfing sich zu verändern und was ich werden würde.
Es hieß starrsinnig: „Yeji! Du bist etwas Besonderes und du musst diese Welt deshalb anführen."
Das war mir gar nicht so wirklich bewusst gewesen... Mir wurde bis gestern nie bewusst, wie eigensinnig jeder um mich herum dachte, obwohl ich ein Kind war. Ein Kind, das verwirrter nicht hätte sein können, parallel dazu aber mit soviel Druck überlastet wurde, dass es sich selber vergaß. Ich ignorierte mich, meine Seele und meine Vergangenheit. Damit einhergehend mied ich meine Gefühle, Bedürfnisse, Wünsche, Träume, Ziele und Hoffnungen...
Auf einmal war nur noch die Zukunft bzw. jeder Revolutionsschritt, die Menschen/ Signums und der Palast wichtig. Ich selber geriet total in den Hintergrund.
Das bedauerte ich sehr.
Nun verstand ich auch, weshalb mein inner Child sich rächen wollte... Nachdem ich all meine Gefühle mied, verleugnete, verdrängte, zu hassen lernte, vor allem die Angst, nahm ich es dem Kind in mir nicht mehr übel.
Ich konnte es nachvollziehen.
Einen Tag später empfand ich die Enthüllung um meine Ängste daher nicht mehr allzu furchtbar. Schließlich brachte sie mehrere Gedankensteine ins Rollen, wodurch ich anfing mich zu verstehen. Ich hatte fast schon das Gefühl, es tat mir gut.
Das klag so absurd, aber... Das stimmte.
Ein Teil in mir fühlte sich endlich frei. Frei, weil ich mal darüber reden konnte... Weil ich es mal zugab... Weil ich es loswurde... Weil ich es mir eingestand...
Das führte dazu, dass ich mich auf die heutige Sitzung umso mehr freute. Ich war gespannt darauf, was mich erwarten würde.
Da der andere Teil in mir jedoch noch immer unsicher war, erwartete ich nicht allzu viel. Meistens erlitt ich mehr Rückschläge als Erfolge, somit sollte ich es nicht überstürzen. Das wollte ich auch nicht.
Ich hatte meinem inner Child etwas versprochen; ich würde von nun an auf ihn eingehen.
Das klappte nicht, wenn ich meine Lage absichtlich beschleunigte.
Aus diesem Grunde gab ich mich mit den Ergebnissen des letzten Tages zufrieden. Genauso erfreute ich mich an meinen Erkenntnissen, beließ es aber bei den bereits ausgeführten Punkten.
Jeongin hatte wohl recht behalten... Die Emotionen laut auszusprechen, regte in einem mehrere Reflexionsprozesse an, was sich wie etwas ganz besonderes anfühlte...
Wenn er recht hat, wieso bist du dann so angespannt, machten mich meine Gedanken auf meinen körperlichen Zustand aufmerksam. Dadurch blickte ich auf meine Hände nieder, die ich wie von selber an meine Oberschenkel rieb.
Ich schluckte hart, als mir bewusst wurde, wie warm mir eigentlich war und wie unregelmäßig das Herz in meiner Brust schlug. Meine Atmung ging flach, da ich unbewusst versuchte sie zu kontrollieren. Ähnlich, wie ich die Kontrolle über meine Gedanken zurück erlangen wollte, indem ich mir meine aktuelle Situation positiv einredete.
Obwohl dies bisher ganz gut lief, wusste ich, dass ich im Moment nicht nur total abwesend war, was sich durch meine nervösen Hände zeigte, sondern auch ziemlich unkonzentriert.
All das, weil ich vor Jeongin saß...
Aufgrund der Vorfreude auf das Training wollte ich nicht wahrhaben, dass ich eigentlich total überfordert war. Ich konnte nicht fassen, was ich gestern getan hatte, denn... Durch die Erzählung meiner Ängste fühlte ich mich auf einmal so... Ich fühlte mich... Ich war plötzlich...
Hilflos, fiel mir wieder ein.
Nackt.
Verletzbar.
Eine Lachnummer.
Obwohl ich genau wusste, dass Jeongin nicht derartig von mir dachte, zog sich in mir alles zusammen. Das Gefühl des Unwohlseins konnte ich nämlich nicht abstellen. Ich konnte nichts dagegen ausrichten, dass sich ein Teil in mir, trotz positiver Empfindung, schämte. Ich schämte mich für das, was gestern gesagt wurde.
Daraus resultierte meine Nervosität; die Tatsache, dass ich mich auf der intimsten Ebene meiner Emotionen öffnete, machte mich nervös.
Wissend, dass war erst einer von sieben Energieflüssen...
Ohne es bemerkt zu haben, bildete sich ein Schweißfilm auf meiner Stirn, wobei sich mittlerweile ein Zittern in meinem Körper breit machte.
Wieso brachten die Teile meiner Seele Jeongin überhaupt solch ein großes Vertrauen entgegen? Kam das etwa von mir? Traute ich ihm unterbewusst? Konnte ich mich auf ihn verlassen, ohne das zu wissen? Spürte das meine Seele? Kam das von meinem inner Child? Was war mit der Nervosität? Kam das auch von ihm? Wollte es mich warnen?
Dein inner Child wollte das..., erinnerte ich mich an die Worte der Achtjährigen. Wehre dich nicht...
Aber warum? Was war an Jeongin besonders? Wer garantierte mir, dass er meine Nacktheit, meine Verletzbarkeit, meinen Scham, mein Unwohlsein, meine Ängste, meine Sorgen und meine Nervosität nicht ausnutzte? Wie konnten das die einzelnen Teile meiner Seele wissen? Woher nahmen sie sich die Garantie des Vertrauens?
Die Luft zwischen meinen Gedankengängen angehalten, rieb ich mir kräftiger übers Bein. Diese Fragen in mir sorgten dafür, dass sich meine negativen Gefühle verstärkten.
Den Kopf leicht gehoben, sah ich den Ignis direkt vor mir sitzen, der mich anschaute und auf irgendwelche Reaktionen meinerseits wartete. Er wartete auf weitere Ergebnisse, die aus der Freimachung des Energieflusses resultierten. Er wartete darauf, dass wir zum nächsten Schritt überleiteten.
Aber würde das klappen? Konnte ich weiter machen?
Was ging ihm überhaupt durch den Kopf? Wenn er mal ehrlich war, würde er mich dann am liebsten auslachen wollen? Mit dem Finger auf mich zeigen, um mir zu verdeutlichen, wie erbärmlich ich mich verhielt? Dachte er, ich sei fähig? Schwach? Wäre gescheitert? Zu weiterem nicht in der Lage? Hatte sich seine Meinung seit gestern nicht verändert?
Die Augen geschlossen, kniff ich mir mittlerweile ins Bein. Wenn es nach mir ginge, hätte ich es bevorzugt mir mit den Fingernägeln das Fleisch von meinen Beinen zu reißen, damit ich etwas anderes fühlen konnte... Außer diese Zweifel... Damit das Zittern nachließ... Damit meine Gedanken schwiegen...
„Yeji?", sprach er meinen Namen und es war, als wäre mein Herz stehengeblieben.
In der Sekunde die Augen geöffnet, blickte ich in seine grüne Iris.
„Was ist los?"
Die Zähne aufeinander gebissen, wünschte ich mir, dass es anders wäre. Ich wünschte mir mehr Mut und Zuversicht. Ich wollte doch einfach nur normal sein. Musste ich ständig mit der Angst reagieren?
Das bist du..., hörte ich eine Stimme in meinem Kopf, weshalb ich das Kinn recken musste. Und das ist in Ordnung. Fühlst du denn nicht sein Herz?
Ich hörte mich selber... Neben all den dunklen Gedanken hörte ich meine eigene Stimme. Die, der Dreizehnjährigen...
Schließe die Augen, zweiundzwanzigjährige Yeji. Fühlst du nicht sein Herz? Hörst du es nicht? Hörst du ihn denn nicht...?
Obwohl mir nicht danach war, weil mir vor lauter Nervosität übel wurde, tat ich dennoch, was meine jüngere Version mir sagte. Ich schloss die Augenlider und gab Jeongin keine Antwort, wie er sie verlangte. Stattdessen schluckte ich hart, atmete durch und fokussierte seine Brust. Dabei achtete ich auf meine Ohren sowie meinen eigenen Herzschlag, welcher raste. Sein Herz wiederum pumpte in einer Melodie, wie ich sie bisher noch nie hörte, dabei vernahm ich schon unzählige Herzen...
Boom... ... ... ... Boom... ... ... ... Boom... ... ... ...Boom... ... ... Boom... ... ... Boom... ... ... Boom... ... ... Boom... ... ... ...Boom... ... ... ... Boom... ... ... ... Boom... ... ... Boom... ... ...
Boom... ... ... Boom... ... ... Boom... ... ... ...
Sein Herzschlag klang sehr ruhig, fast schon entspannt... Es war, als hätte seine Gefühlswelt, die sich in der Mitte des simplen Organs trafen, nicht eine einzige Sekunde vom Gift dieser Welt gekostet... Als hätte es nie Wut, Trauer, Enttäuschung, Hass oder Eifersucht geschmeckt...
Dabei hörte ich die Töne der genannten Emotionen. Sie waren tief in ihm verborgen, aber sein Herz ließ er sich von ihnen nicht dominieren. Jeongin begrüßte lediglich den Frieden...
Ja... Ich hörte Frieden. Ich hörte Entspannung. Ich hörte Freiheit. Ich hörte Sicherheit. Ich hörte Einigkeit. Ich hörte Harmonie. Ich hörte Liebe...
All diese positiven Klänge sorgten für eine Gänsehaut auf meiner Haut und für eine schlagartige Stille in meinem Kopf. Meine Gliedmaßen lockerten sich, mein Geist ließ sich von den Tönen leiten, wobei meine Seele diese Ruhe in vollen Zügen genoss. Ich hatte selten solch schöne Klänge vernommen...
Deshalb... Vertrauen wir ihm. Deshalb... Haben wir uns geöffnet. Deshalb... Haben wir keine Angst davor wir zu sein..., hallte die Stimme der Dreizehnjährigen in meinem Kopf. Sein Herz ist der Grund für unser sicheres Gefühl...
Ich hatte es verstanden. Ich begriff, was die Teile meiner Seele spürten und ich konnte nachvollziehen, weshalb sie sich öffneten.
In Jeongins Herz war keine Spur einer Verurteilung zu sehen, die sich gegen mich richtete oder die sich gegen überhaupt irgendjemanden richtete... Dafür war sein Wesen zu ausgeglichen, was ich beinahe nicht geglaubt hätte, wenn ich sein Herz nicht aktiv belauschen würde.
Diese Ruhe...
Sie wirkte sich auf mich aus, sodass ich nach einem tiefen Atemzug fühlte, wie mein Zittern nachließ. Ich nahm keine nervösen Hände mehr auf meinen Beinen wahr und auch war von meinen Hitzeanfällen nichts mehr zu spüren.
Ich hatte nie einen Grund zur Sorge, denn... Jeongin gab mir keinen.
Ich musste es endlich begreifen.
Er war nicht mein Feind. Er war ein Verbündeter. Einer, der den Frieden und die Harmonie anstrebte...
„Besser?", fragte er, wodurch ich meine Augen wieder öffnen musste.
Ein entspanntes Schmunzeln legte sich über meine Lippen, bevor ich nickte.
„Sehr schön. Dadurch, dass der Ignis in dir am stärksten lebt, könnte das Feuerelement mit deinem Grundelement gleichgesetzt werden und wir können die Gefühle des anderen spüren. Du meine und ich deine", kam es von Jeongin, was erklärte, weshalb ich ihn auf einmal fühlte, wie ich es einst mit den Aquas tun konnte. „Ich habe neben deiner Nervosität bemerkt, dass du dich schlagartig beruhigt hast... Woran liegt das, wenn ich fragen darf?"
Der Blauschopf konnte mein Herz genauso wahrnehmen, wie ich seines. Diese Realisation tat ich erst jetzt, wobei mir einfiel, dass ich jeden aus meinem Zimmer fühlen könnte, wenn ich wollte. Nun waren es nicht mehr die Aquas, mit denen ich emotional verbunden war, sondern die Ignis.
Erst dachte ich, es wäre traurig, wenn ich die Aquas nicht mehr spürte. Doch dann überlegte ich, inwiefern mir das helfen würde, wenn ich die Emotionen der Ignis lesen konnte. Es würde mir in vielen Situationen zu Gute kommen, wie in dieser hier...
Zu Jeongin aufgesehen, überlegte ich für einen Moment, ob ich ihm die Wahrheit sagen sollte, bis mir einfiel...
Ich würde nicht mehr lügen, wenn es um meine Gefühle ging. Ich würde nie mehr lügen, um mich stärker zu fühlen. Ich hatte es sowas von satt mir selber etwas vorzumachen...
„Ehm...", räusperte ich mich, weil es mich dann doch etwas Überwindung kostete. „Ich musste mich mit dem Gedanken anfreunden, dass...", versuchte ich die richtigen Worte zu finden. „Wie du..."
Genervt ausgeatmet, spannte ich die Kiefer an, als ich einen erneuten Versuch startete.
„Ich habe mich nach der gestrigen Offenbarung meiner Gefühle erstmals damit anfreunden müssen, dass du in einen verschlossenen Teil meiner Seele blicken durftest", gestand ich endlich. „Einen von sieben, möchte ich anmerken... Das hat mich... Unwohl fühlen lassen", nickte ich schlussendlich. „Ja, genau. Es hat mich unwohl fühlen lassen dir nach so einer ehrlichen Sitzung nochmals unter die Augen zu treten."
Ich war selten so ehrlich über meine Gefühle gewesen. Wenn ich meine Erinnerungen durchkämmte, konnte ich mich an keinen Moment entsinnen, an dem ich mal offen und ehrlich darüber sprach, wie es mit meinem Gefühlszustand aussah. Ich konnte mich nicht einmal daran erinnern je eine Emotion zur Sprache gebracht zu haben...
Das gerade... Sah ich als einen großen Schritt in eine gute Richtung. Auf dem Wege in diese Richtung konnte ich lernen an mir, meinen inneren Knoten und meiner mentalen Verfassung zu arbeiten.
Ich war fast schon stolz gewesen...
Sei stolz, zweiundzwanzigjährige Yeji, hörte ich die Stimme der Achtjährigen, was mein Schmunzeln nur vergrößerte.
„Du wolltest mir nicht gegenübertreten? Etwa aus Scham?", fragte Jeongin nochmals nach. „Verstehe ich das richtig?"
„Ja, tust du.", bestätigte ich ihm, obwohl es mir für einen Bruchteil der Sekunde erneut unangenehm wurde.
Das machte sich an meinen Händen bemerkbar, die wiederholt über meine Oberschenkel fuhren. Das lenkte den Blick des Grünäugigen auf meine Hände, als er begann zu verstehen. Ich musste ihm keine weiteren Erklärungen mehr liefern, damit er begriff, was genau ich gemeint hatte.
„Habe ich etwa das Gefühl vermittelt, du müsstest dich für irgendwas schämen?", wollte er wissen, wobei er die Augenbrauen leicht zusammenzog.
Ich wollte gerade widersprechen, als Jeongin fortfuhr, ohne mir die Gelegenheit gegeben zu haben.
„Ich weiß, dass wir einen miesen Start hatten", sagte er, was mich die Schultern sacken ließ. „Und ich weiß auch, dass ich ziemlich verurteilend wirken kann oder distanziert, aber dem ist nicht so...", schüttelte er leicht den Kopf, um seine Worte zu unterstreichen.
Etwas überrascht aufgeblickt, reflektierte ich, was er mir versuchte zu sagen.
Jeongin wollte mir mitteilen, dass ich keinen Grund zur Sorge hatte. Ich musste mich für meine Gefühle nicht schämen, da er mich nicht verurteilen würde. Er hatte es selber erwähnt... Unsere erste Begegnung verlief ziemlich mies, zumal unsere darauffolgenden Treffen auch nie wirklich positiv ausgingen. Dadurch hätte ich nicht wissen können, inwiefern ich ihm seine Worte glauben sollte, die er an mich richtete...
Da ich bis vor wenigen Minuten jedoch den Klang seines Herzens belauschen durfte, erkannte ich die Ehrlichkeit in seinen Worten...
Ganz gleich, wie er von außen hin wirkte; Jeongin verurteilte mich nicht. Er verstand mich.
„Ich möchte dir entgegen kommen, Yeji", hörte ich den Blauschopf wieder sagen, wodurch ich in seine grünen Augen sehen musste. „Nachdem du dich mir gestern bezüglich deiner Ängste geöffnet hast, habe ich überlegt, sollte ich mich dir auch öffnen. Schließlich kann ich nachvollziehen, wie du dich fühlst und woher dein Scham kommt..."
„Was? Wie jetzt...?", blinzelte ich verwundert über seine plötzlichen Aussagen. „Warum?"
„Wie gesagt. Ich kann deine Lage nachvollziehen. Ich verstehe, was für ein Unwohlsein dich überkommen haben muss. Deshalb... Möchte ich dir entgegen kommen", erklärte er, was mich noch immer total verwunderte - nein, es erstaunte mich... „Zumal unser Vertrauen zueinander dadurch gestärkt wird und du damit besser vorankommen kannst."
Zwischen seinen Augen hergesehen, glaubte ich, dass ich in einem Traum gefangen sein müsste. War ich wirklich wach? Verhörte ich mich auch nicht? Verstand ich alles richtig, was meine Ohren erreichte?
Intuitiv nach meiner Stirn gefasst, musste ich erstmal verarbeiten, dass Jeongin -mein derzeitiger Mentor, Meister, Lehrer und Verbündeter- mich in meinen Gefühlen nicht nur verstand, sondern versuchte mir entgegen zu kommen. Das wollte er, indem er ein Geheimnis mit mir teilte.
Dabei war er nicht einmal verpflichtet dazu gewesen...
Weshalb machte er das? Weshalb wollte er eines seiner Geheimnisse, seiner Gefühle, seiner Gedanken freiwillig mit mir teilen...? Etwa nur, um unser Vertrauen zueinander zu stärken und damit ich mich weiter entwickeln konnte?
Ich dachte automatisch daran, wie Jeongin mir einst erzählte, dass er durch den Tod der Sofia bemerkte, wie ernst die Lage war. Er sagte, er fühlte sich verpflichtet mir Beihilfe zu leisten.
War es ihm tatsächlich derartig wichtig gewesen? So wichtig, dass er dafür sogar das tun würde, was ich niemals freiwillig getan hätte; über seine eigenen Gefühle sprechen...?
„Dir liegt echt etwas daran, dass ich mich weiter entwickle, oder? Dass ich mir den Palast zurückhole und den Feind besiege?"
„Vielleicht", musste er schlucken. „Vielleicht... Habe ich aber auch einfach nur das Bedürfnis dir zu helfen."
Er presste die Lippen aufeinander, als wollte er das nicht sagen, während ich mein Erstaunen kaum mehr verbergen konnte.
Er will uns verstehen...
Er hat uns verstanden...
Er mag uns...
Er will unser Vertrauen...
Er will die Zusammenarbeit...
Er möchte dir beistehen...
Er will uns verstehen.
Er hat uns verstanden.
Er mag uns.
Er will unser Vertrauen.
Er will die Zusammenarbeit.
Er möchte dir beistehen.
Die Stimmen in meinem Kopf, die spezielle Teile meiner Seele darstellten, welche bereits ihre Jahre lebten, sprachen wild auf mich ein und wiederholten ihre Worte. Sie wiederholten sie so lange, bis ich sie verstand. Bis ich verstand, was sie mir versuchten zu sagen...
Ich musste ihm vertrauen.
Ich sollte ihm vertrauen.
Ich wollte ihm vertrauen...
In Jeongins Gesicht gesehen, nickte dieser, als er einatmete und gestikulierte.
„Jeder Mensch, selbst jeder einzelne furchtlose Terra, muss sich am Ende des Tages eingestehen, dass es da eine Sache gibt, vor der man Angst hat. Das ist völlig normal...", fing der Blauschopf an, der tatsächlich von seiner Angst berichten wollte.
Für uns.
Für mich...
„Mit dieser Wahrheit habe ich mich eine ganze Zeit schwer getan, aber hey. Davon brauche ich dir ja nichts zu erzählen, hm", zog sich sein Mundwinkel auf, als er die Achseln zuckte und fortfuhr. „Grundsätzlich bin ich keine Person, die große Furcht empfindet, wenn ich ehrlich bin, außer...", hob er den Blick, was dafür sorgte, dass mir ein Schauer über den Rücken lief. „Es geht um den Tod... Ich habe unvorstellbare Angst vor dem Tod."
„Du hast Angst vor dem Tod?", musste ich ungläubig die Kinnlade fallen lassen.
„Ich korrigiere", räusperte er sich und ich wusste anhand dessen, wie er gelegentlich den Blick abwandte, dass ihm das Thema unangenehm war. „Ich kann und will nicht mitansehen müssen, wie ein Signum oder ein Mensch stirbt. Sobald jemand dem Tod ins Gesicht blickt, sei es auch eine Person, die ich erst seit einigen Minuten kenne, habe ich das Gefühl, meine Seele verlässt meinen Körper. Aus Angst..."
Den Mund vorsichtig geschlossen, ließ ich die Räder in meinem Kopf drehen, um Jeongins Angst nachvollziehen zu können.
Der Ignis, der nicht nur unterkühlt, distanziert sowie zurückhaltend wirkte, beschrieb die Angst, welche er vor dem Tod hatte. Damit war gemeint, dass er nicht dabei zusehen konnte, wie Personen in seinem Umfeld ums Leben kamen.
Bei dieser Erkenntnis verstand ich auch, was der wahre Grund hinter Jeongins plötzlichen Hilfe war... Als er sagte, dass der Tod von Rosé ihm wie ein Warnsignal vorkam, hatte er eigentlich die Alarmglocken der Angst gemeint, die in seinem Kopf läuteten. Die Alarmglocken, die sich vor weiteren Todesfällen fürchteten...
„Du kannst also nicht mitansehen, wie jemand getötet wird?", fragte ich, dabei durchfuhr mich zugleich eine Gänsehaut, da ich selber einst getötet hatte...
„Ja. Mord ist meiner Meinung nach nicht nur einer der schlimmsten Sünden, die man begehen kann... Die Tatsache, wie mit dem Thema umgegangen wird, löst in mir Ängste aus. Seit der Revolution, so habe ich das Gefühl, ist Mord in jedem Falle gerechtfertigt und ganz ehrlich? Ich hasse es."
Augenblicklich setzte sich in mir die Emotion der Schuld frei, für die ich gerade keine Zeit besaß. Mit ihr würde ich mich noch früh genug befassen, das wusste ich.
Das Thema um Mord und Tod setzte viele Erinnerungen in mir frei, an die ich ungern zurückdachte. Um diese also im Keim ersticken zu lassen, nickte ich, damit ich Jeongin vermittelte, dass ich ihm zuhörte.
„Ich verstehe."
„Dabei belasse ich es dann auch. Erstmal...", schnalzte er mit der Zunge.
Im nächsten Moment drückte er die Hände in die Erde und neigte den Rücken zurück, worauf er mich wieder ansehen konnte.
Da ich gestern an seiner Stelle saß, begriff ich, dass er das Thema vorübergehend abharken wollte. Irgendwann würde es zwischen uns beiden sowieso nochmals zur Sprache kommen, weshalb ich das Bedürfnis hatte es ihm zu vereinfachen.
„Okay", respektierte ich daher seine Distanz. „Danke, Jeongin..."
„Ich habe zu danken, Yeji...", nickte der Ignis, was beinahe dafür sorgte, dass meine Wangen sich erhitzten.
Aber ich kam gerade noch so davon.
„Brauchst du noch einen Moment?", hob er eine Augenbraue.
„Nein. Wir können gerne loslegen."
An der Stelle nickte der Blauschopf. Er nahm sich meine Bereitschaft anzufangen zur Kenntnis, ließ uns beiden dennoch einen Moment, bevor er loslegte. Der kurze Moment genügte, um das vorherige Gespräch zu verarbeiten und erstmal abzuharken.
„Ich würde dir gerne noch etwas mitteilen, nachdem unsere gestrige Sitzung so erfolgreich war...". räusperte er sich. „Ich weiß, dass du regelmäßig an den Ignis in dir denkst, weil du Angst davor hast, er könnte deinen Körper wieder zu irgendwelchen Reaktionen zwingen. Dennoch möchte ich, dass du dir bewusst machst, dass er nicht nur böse ist."
Die Stirn gerunzelt, musste ich intuitiv hart schlucken, weil wir plötzlich über den neuentstandenen Ignis in mir sprachen. Der Teil in mir, der für die aktuellen Panikattacken verantwortlich war, die mich nach langem wieder begleiteten, ähnlich wie all meine Ängste. Selbst, wenn das Feuerelement die letztem 24 Stunden keinen Ton von sich gab, hatte Jeongin Recht behalten; ich dachte regelmäßig an ihn. Ich dachte daran, wie er jederzeit aufkommen konnte, um mich wieder an irgendeinen Ort in meinen Erinnerungen zurück zu schleppen, damit ich vor lauter Panik nicht mehr klar denken konnte.
Ich fürchtete mich tatsächlich vor ihm und war daher froh darüber, dass er sich nicht zeigte.
Was meinte der Blauschopf nun, wenn er behauptete, der Ignis in mir sei nicht nur bösartig? Fühlen tat ich nämlich genau das Gegenteil...
„Okay... Was bedeutet das?"
„Du darfst nicht vergessen, dass dein Inner Child dem Feuerelement die Aufgabe gab an der Front für seine Gefühle zu kämpfen, aber das Kind in dir hat gleichzeitig befohlen, wie boshaft der Ignis sein soll", erklärte Jeongin, was dazu führte, dass sich meine Augenbrauen interessiert aufzogen. „Ja, klar, denn der Ignis in dir ist nicht nur böse oder nur nett. Er ist die Mitte der beiden Extremen, wie jedes Element. Vermutlich hat dein inneres Kind den Ignis auch nur aktiv werden lassen, weil er der Teil in jedem Signum ist, welcher verdrängt."
„Der Ignis verdrängt unsere Gefühle?", fragte ich nochmal nach, um zu verstehen.
Das hieß... Jedes mal, wenn ich beschlossen hatte, meine Emotionen zu ersticken, damit ich rational kämpfen konnte, war es das Feuerelement, dass mir diese Möglichkeit verschaffte? Nicht etwa, weil ich ihn darum bat?
Nun erklärte sich mir auch, weshalb mein inners Kind ausgerechnet den Ignis zu mir schickte...
„Der Ignis verdrängt, der Terra verabscheut, der Aerea weicht aus und der Aqua fürchtet sich - das sind die Schattenseiten der Elemente. Schattenseiten, mit denen wir leben müssen und Schattenseiten, mit denen wir lernen müssen umzugehen", atmete Jeongin aus. „Ich bin mir sicher... Jetzt, wo du das verstanden hast, in Zusammenhang mit dem gestrigen Prozess und dem allgemeinen Konflikt in dir, wirst du die Energieflüsse freikriegen", ermutigte er mich. „Denke daran, dass du dich an all deinen Elementen bedienen kannst! Nutze sie gemeinsam, um deine inneren Knoten lösen zu können und trenne sie nicht voneinander... Beachte sie als ein Ganzes."
Die Brust gehoben, nickte ich selbstsicher.
Ja, das würde ich tun! Ich würde mich an all meinen Elementen bedienen, denn sie lebten alle in mir, ob nun passiv oder aktiv... Sie lebten in mir. So widersprüchlich sie sich auch waren, ich konnte sie gemeinsam nutzen, weil sie dennoch eine Einheit waren und nur zusammen funktionierten. Das musste ich lernen und ich musste auch lernen damit umzugehen.
Nein, du sollst... Müssen tust du nichts, redete die dreizehnjährige Yeji plötzlich zu mir.
Das ließ mich für einen Moment die Luft anhalten, bevor ich verstanden nickte.
Genau... Ich musste gar nichts.
„Okay...", atmete ich aus, wobei sich eine leichte Aufregung in mir äußerte.
Das änderte nichts an der Tatsache, dass ich bereit war.
„Dann wiederhole ich noch einmal... Der erste Energiefluss befindet sich auf der Höhe des Beckenbodens. Er ist rot und wird von der Angst blockiert. Sein Element ist die Erde...", machte Jeongin eine knappe Einleitung, was dafür sorgte, dass meine Aufregung umso mehr anstieg.
Meine Hände wurden bereits eiskalt und das Herz in meiner Brust fühlte sich schwer an.
„Nun erzähle mir, Yeji. Du und niemand sonst... Wovor hast du Angst?", schaute er mir direkt in die Augen, was dafür sorgte, dass ich eine Gänsehaut bekam.
Das Grün in ihnen strahlte dermaßen kräftig, dass ich schlucken musste. Ich nahm den Blick jedoch nicht ab. Stattdessen bediente ich mich am Erdelement, schöpfte von ihm meinen Mut, biss die Zähne zusammen und ballte die Hände.
Ich würde endlich in Worte fassen, was mir Angst machte. Nicht, wie ich es gestern tat... Ich würde mir selber beweisen, dass ich es konnte. Meine armen zerbrechlichen Seelenteile dürften sich ausruhen.
Ich bekam das schon hin!
Dabei war es soviel, was mir aus Furcht auf den Schultern lastete...
„Zugegeben... Habe ich vor so vielen Dingen furchtbare Angst...", atmete ich aus, obwohl ich es hasste, diese Tatsache zu beichten. „Angefangen damit der Welt als Sönigin nicht gerecht zu werden... Ich fürchte mich davor mich zu verlieren... Personen, die ich liebe zu verlieren... Den Bezug zur Realität zu verlieren... Manchmal fühlt es sich an, als würde mir alles mögliche aus den Händen gleiten, jegliche Kontrolle, obwohl ich genau davor panische Angst habe...", ratterte ich in einem Atemzug runter. „Ich habe Angst davor Bindungen einzugehen, aus dem dummen Grund, meine Geliebten zu verabschieden, wie ich es mit meiner Familie tun musste. Ich habe Angst davor zu sagen, was ich fühle... Manchmal, um es mir selber nicht einzugestehen, manchmal, um mir meinen Status als Sönigin nicht wertlos zu machen, manchmal, um mein Umfeld nicht traurig zu machen...", schloss ich für einen Moment die Augen, da ich merkte, wie durcheinander ich sprach.
Ich wollte mich sammeln...
„Meine größte Angst", hob ich das Kinn an, worauf sich meine Augen öffneten und ich den Blick von Jeongin empfing. „Richtet sich gegenüber mir selbst... Ich kann keine Sekunde ruhig sitzen, ohne den Gedanken daran zu verlieren, dass ich jederzeit das hilflose kleine Mädchen werden kann, was ich einst war. Dafür müssen nur meine paranoiden Ängste zurückkehren. Es gibt keine Sekunde, in der ich mich nicht davor fürchte, mich selbst zu verlieren. Seit dem Ignis in mir nur noch mehr...", nuschelte ich den letzten Satz. „Ich habe Angst vor meinem eigenen Kopf..."
Als hätte ich bis eben einen schweren Karton auf den Rücken getragen, den ich endlich los wurde, fielen meine Schultern. Ich konnte erleichtert ausatmen, wobei ich merkte, wie müde ich auf einmal wurde. Nach dem ich endlich das aussprach, was mir seit Jahren auf der Seele lastete, fühlte ich mich erleichtert und bereit mich auszuruhen... Mein gesamter Körper schien auf diesen Moment gewartet zu haben...
Obwohl in meinem Kopf ein Chaos ausgebrochen sein müsste, weil ich nicht nur durcheinander drauf los redete und meine Gedanken sowie Gefühle laut aussprach, war er ruhig... Mein Kopf war ruhig. Er fühlte sich leicht an.
So hatte ich mich noch nie gefühlt...
Du hast uns endlich entlastet, zweiundzwanzigjährige Yeji, sprach die Stimme der Dreizehnjährigen.
Hatte ich das?
Geblinzelt, realisierte ich, dass ich Jeongin noch immer ansah. Dieser begutachtete jeden Millimeter in meinem Gesicht, was mir merkwürdig vorkam, doch... Ich fing an mich allmählich daran zu gewöhnen.
„Okay, Yeji...", nickte er sanft, was beinahe wie ein Dank gewirkt hatte. „Was möchtest du gegen diese Ängste unternehmen?"
Was ich gegen diese Ängste unternehmen wollte?
Ich musste intuitiv an die Situation zurückdenken, in der Reno und ich im Bett lagen und über meine Ängste sprachen. Ich dachte regelmäßig an die Situation zurück, wenn es um die Bewältigung meiner Ängste ging...
Akzeptiere deine Lage endlich, Yeji, hatte er gesagt. Doch lerne damit umzugehen, dann siehst du auch, dass dich alles, selbst deine Angst, vorantreiben kann...
„Ich möchte sie normalisieren und akzeptieren...", dachte ich nach, sprach aber laut. „Jemand hat mal zu mir gesagt, dass solche Emotionen ein wesentlicher Teil von einem sind. Ich kann sie nicht einfach ablegen. Ich muss lernen mit ihnen zu leben."
„Bist du denn dazu bereit?", fragte der Blauschopf, dem die Rolle des Lehrenden gerecht wurde.
„Ob du's glaubst oder nicht... Ich vermute, das bin ich.", sagte ich selbstbewusst.
Irgendetwas in mir... Schien sich zu verändern. Das spürte ich bereits seit gestern, als meine Seele sich teilte. Ich nahm wahr, dass ich mich veränderte, seit ich beschloss mich aktiv mit meinen Emotionen auseinanderzusetzen...
Positiv veränderte...
Denn ansonsten hätte ich es niemals hinbekommen meine Ängste laut auszusprechen. Die Wahrheit war, dass ich die Gedanken zu meinen Ängsten nicht einmal für mich selber ausgeführt hätte.
Somit wusste ich es. Irgendwas in mir veränderte sich...
„Sehr gut, Yeji. Du reflektierst und lernst schnell", lobte Jeongin mich auf einmal, was mich beschämt beiseite sehen ließ.
Sobald er ansetzte, um fortzufahren, überspielte ich den Moment, indem ich mir übers Haar fuhr.
„Du scheinst mir plötzlich sehr offen zu sein, was deine Gefühle angehen. Das kommt uns sehr gut. Deshalb schlage ich vor...", hob er fragend die Hand. „Nur, wenn du dich dabei gut fühlst... Versuch in dein Unterbewusstsein zu tauchen und nach deinem Erdelement Ausschau zu halten, denn... Wer weiß. Vielleicht hast du Erfolg...?"
Sobald ich verstand, was genau mir Jeongin gerade mitteilte, schlich sich ein Gedanke in meinen Kopf, der mir sagen wollte: „Nein... Du wirst nie erfolgreich sein."
Auf diese Stimme wollte ich aber nicht hören. Ich würde sehr wohl in mein Unterbewusstsein abtauchen und nachgucken, ob sich irgendwas veränderte. Jeongin, der sonst immer sehr achtsam war, schlug den Schritt vor, was schon etwas zu bedeuten hatte.
Hinzukommend konnte ich selbstständig einschätzen, ob der Besuch in mein Unterbewusstsein gut oder schlecht war. Seit gestern hatte ich den Eindruck, dass ich es versuchen könnte. Wenn mir der Besuch in das Innere meines Ichs schadete, würde ich das herausfinden und den Vorgang abbrechen.
Ich würde es daher ausprobieren...
Den Rücken angebunden aufgerichtet, schloss die Augen und begab mich tonlos in die tiefste Stufe meines Geistes. Diese Aufregung, welche mich vorher bereits überkam, ließ nicht nach. Sie schien zuzunehmen.
Das war in Ordnung, sprach ich mir zu. Natürlich war ich aufgeregt... Schließlich würde ich nun herausfinden, ob ich irgendwelche Fortschritte machte... Es war okay, wenn ich Rückschläge erlitt, redete ich mir parallel dazu ein.
In der dunklen Umgebung meines Unterbewusstseins erschienen, drehte ich mich einmal um meine eigene Achse. Während mich die Finsternis von allen Seiten empfing, leuchtete ein kleiner Fleck auf. Ein Fleck, der mir bekannt war und bei dem ich wusste, was mich da erwarten würde. Mein inner Child befand sich an dem einzigen hellen Ort. Vermutlich war es nicht alleine...
Auf die Helligkeit zugegangen, schluckte ich hart. Mein Herz fing an schneller gegen meine Brust zu schlagen, wobei mir ein Schauer über den Rücken lief. Noch bevor meine Gedanken anfingen um meine Aufregung zu kreisen, stellte sich mir jemand in den Weg. Das führte dazu, dass ich erschrocken zurückwich.
Ich keuchte und fasste mir an die Brust. Aufgeblickt, schaute ich in braune Augen; ich konnte in die meine sehen...
„Du...", rutschte es mir über die Lippen.
Ich hörte meine eigene Stimme laut hallen. Seit die Personifizierung des Feuers in meinem Unterbewusstsein auftauchte, bekam ich die Gabe mich in mir drinnen verbal auszudrücken. Das war mir zuvor nicht möglich gewesen.
"Ich...", flüsterten die Lippen des Ingis, was sich enorm laut anhörte.
Meine Hand gesenkt, schaute ich in sein Gesicht. Dabei konnte ich erkennen, dass sein Blickverhalten meidend war. Der Ignis vor mir fokussierte nicht meine Augen, wie er es sonst gerne tat. Seine Haltung wirkte scheu, keineswegs heimtückisch oder spöttisch, wie ich es gewohnt war. Seine Mimik war weich, wobei seine Mundwinkel hinab gingen, ähnlich wie die Gesamtmuskulatur in seinem Gesicht. Die blasse Haut ignoriert, fiel mein Blick auf seine Hände, die er auf und zu bewegte. Meine Augen wanderten wieder auf die Höhe seines Gesichtes, während ich regelrecht spürte, dass alles an ihm einen scheuen Eindruck machte und keine Konfrontation anstrebte.
Ich konnte kein verrücktes Grinsen erkennen, keine durcheinandergeratenen Gefühle wahrnehmen und auch wurde ich keiner verzerrten Realität gegenübergestellt.
Interessiert zwischen seinen Augen hergesehen, fing der Ignis an sich zu bewegen.
„Du bist hier, Yeji... Erzähle mir doch...", schwebte er um meinen Körper herum. „Warum? Und warum... Arbeitest du mit ihm zusammen?"
Die Augenbrauen zusammengezogen, neigte ich den Kopf.
Obwohl das gänzliche Wesen des Ignis mir zeigte, dass er sich heute nicht in Bestform befand, hörte ich, wie er versuchte mich vom Gegenteil zu überzeugen.
Wollte er mich etwa unsicher machen, obwohl er derjenige war, dessen Unsicherheit förmlich Funken versprühte? Schließlich konnte ich ihn fühlen...
„Hast du ein Problem damit? Sonst hast du mich auch immer herzlich empfangen", merkte ich an. „Oder geht es dir darum, dass Jeongin mich herschickte?", kam es in einem streitlustigen Ton aus mir, um mehr herausfinden zu können.
Dabei wusste ich, dass Jeongin alles mithörte, was ich mit dem Ignis besprach.
„Ich mag ihn nicht."
Das hatte der Ignis in mir ehrlich zugegeben, was mich dazu brachte zu grinsen. Er mochte Jeongin nicht? War das der Grund für seine Stummheit in den letzten Stunden gewesen...?
„Tauchst du deshalb nicht auf? Weil du Angst vor ihm hast?", vergrößerte sich mein Lächeln.
Als ich diese Frage stellte, tauchte der Körper des Ignis, der meinem glich, blitzartig vor mir auf. Seine Iris verfärbte sich Kupferrot, als er sich mir mit seinem ausdruckslosen Gesicht näherte. Vor lauter Schadenfreude konnte ich auf seine abrupte Nähe kaum eingehen, denn...
Der Ignia schwieg... Meine Frage ignoriert, konnte er mich nur ansehen.
Das bedeutete, dass ich recht hatte. Die Personifizierung des Feuers fürchtete sich vor Jeongin. Sie fürchtete sich so sehr, dass von ihrer Seite aus keine Lebenszeichen mehr kamen. Ich verbrachte mit dem Blauschopf wohl soviel Zeit, dass sich das Feuerelement davon unsicher machen ließ.
Woran lag das bloß? Hatte der Ignis in mir Angst, Jeongin könnte ihn durch sein Wissen und durch meine hohe Aufnahmefähigkeit davon scheuchen? Für immer eliminieren?
Das musste es sein.
Mein Grinsen war nun so breit gewesen, dass der Ignis anfing zu knurren.
„Hör auf damit...", warnte er, wobei seine Stimme eine Tiefe annahm, wie ich sie von mir selber nicht kannte.
Wie vorteilhaft all das doch war...
„Du kannst mich mal.", sagte ich bloß, als ich die Version, welche mir bis auf dem feinsten Partikel glich, beiseite drückte.
Das Grinsen in meinem Gesicht bestand, während ich auf den Lichtfleck zuging, auf dem sich mein Inner Child befand. Dabei wusste ich, würde meine Ignoranz die Personifizierung des Feuers rasend machen.
Das genoss ich so sehr...
„Yeji!", wurde mir hinterher gerufen, aber ich fühlte mich dem Ignis im Augenblick viel zu überlegen, als mich von ihm einschüchtern zu lassen.
Ich fühlte mich mir selber überlegen...
Seit ich dem Ignis in mir das erste Mal begegnete, fühlte ich mich endlich stärker als er es war. Nicht nur, weil er sich aufgrund von Jeongins Präsenz eingeschüchtert fühlte. Meine Überlegenheit resultierte aus dem Gefühl der Selbstkontrolle. Ich ließ mich von dem Ignis nicht manipulieren oder irreleiten.
Ich beharrte auf meine Standhaftigkeit, wodurch sich die neu entstandene Version in mir auch mal fürchtete.
Den Weg bis in die Helligkeit bestritten, landete mein Blick auf mein inneres Kind, das noch immer an Ketten hing. Sein Kopf war nach unten geneigt, doch ich sah keine Pfütze mehr vor seinem Körper.
Mein Herz erlitt einen Stich, als ich daran dachte, dass ich mir nicht bewusst war, was meine Mini-Version eigentlich darstellte. Sie war nicht nur ein Teil meines Unterbewusstseins... Sie war mein Unterbewusstsein, denn diese Version vor mir, das war ich. Sie bestand aus Einzelheiten meines Ichs, was bedeutete, in ihr lebten all meine Lebensjahre; die achtjährige, zehnjährige und dreizehnjährige Yeji. Neben ihnen aber auch alle anderen Altersklassen, denn... Diese Version da... Das war Ich. Sie war mein Inner Child. Meine Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Einfach alles...
„Es tut mir leid...", sprach ich leise.
Ich hielt die Entschuldigung für nötig, nachdem ich die Version von mir, das Kind in meinem Körper, all die Jahre peinigend quälte. Ich quälte es so sehr, dass es keine andere Möglichkeit sah, als eines der vier Elemente gegen mich kämpfen zu lassen. Mir tat es wirklich sehr leid, dass ich nicht eine einzige Sekunde mal an mich selber dachte. Das machte mich ziemlich selbstsüchtig.
„Wirklich... Sehr leid..."
Mein Blick glitt von seinem Körper an die Arme, die jeweils am Feuer- und Wasserelement hingen. Die Ketten schmiegten sich um seine Handgelenke, wobei sie so eng saßen, dass ich bereits erkannte, wie seine Hände blau anliefen und sich um das Metall eine Rötung bildete.
Ich schluckte, als ich die Hand hob, da ich sehen wollte, ob ich nach dem Metall fassen konnte. Noch bevor ich jedoch nach den Ketten greifen konnte, ertönte ein lautes Klacken, was dazu führte, dass ich meine Hand ruckartig zurückzog. Aus großen Augen auf die Ketten gesehen, konnte ich erkennen, wie sie aufsprangen und unmittelbar auf den schwarzen Boden niederfielen, wo sie sich auflösten.
Geblinzelt, hob ich vorsichtig das Kinn, um zu meinem inneren Kind zu sehen, dessen Gesicht noch immer nicht zu sehen war. Mit gesenktem Kopf schwankte es leicht vor, bevor es nach seinem Handgelenk fasste.
Perplex dagestanden, schien mein Herz stehengeblieben zu sein. Ich konnte weder etwas in meinen Gedanken hören, noch traute ich mich etwas zu tun oder zu sagen. Stattdessen malte ich mir aus, wie mich das Kind in mir gleich schlagen würde. Aus Rache...
Doch das geschah nicht.
Stattdessen hob das Kind die Hand. Mit einer einfachen Bewegung tauchte auf einmal das Symbol des Erdelementes hinter ihm auf, was mich erschrocken die Luft einziehen ließ. Zurückgestolpert, weiteten sich meine Augen.
Das Grün des Smaragdes funkelte schlagartig so grell, dass es fast die gesamte Finsternis erhellte. Im nächsten Moment legte sich die Helligkeit, was nichts an dem Glitzern veränderte, das der Smaragd von sich gab.
„Wow...", machte ich nur, bis ich es realisierte.
Das Symbol des Erdelements... Mein Inner Child ließ es aufleuchten! Es ließ das Symbol aufleuchten, was dafür sprach, dass ich es schaffte! Ich hatte den Zugang zum Erdelement hergestellt! Ich konnte den ersten Energiefluss freibekommen!
Ich hatte es geschafft.
Mir kamen beinahe die Tränen, während sich ein Lächeln um meine Lippen schmiegte.
„Jeongin...", kam es freudig aus mir, worauf ich durch meine Augen wieder in die Realität zurückkehrte. „Ich glaube, ich hab's geschafft..."
Den hellen Ort in der dunklen Umgebung verlassen, fand ich mich vor dem Blauschopf wieder, der aus aufmerksamen Augen zu mir sah. Meine Freude kaum fassen könnend, lehnte ich mich lachend vor.
„Ich habe es geschafft!"
„Wie schön für dich.", ertönte auf einmal eine autoritäre Stimme, die dafür sorgte, dass mich ein unangenehmes Gefühl übernahm und sich die Haare auf meinem Körper aufstellten.
Die Gänsehaut erreichte selbst die feinen Härchen auf meinem Nacken, wobei ich in den ersten Sekunden stocksteif da saß. Selbst den Atem hielt ich an, als ich begriff, dass es eine Stimme war, die hier unten nichts zu suchen hatte.
Changbin stand direkt hinter mir...
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Hiiiiii ✨
LEUTE. Ich saß so lange an diesem Kapitel ✌🏼. Unfassbar ey. Ursprünglich hatte ich die kommende Auseinandersetzung mit Changbin auch in diesem Kapitel stehen und hatte dann irgendwie 12.000 Wörter oder so, deshalb HELL NO. Musste das Kapitel jetzt mit einem Cliffhanger enden lassen 🥲 . Tut mir leid 🥲...
Ich weiß auch, dass außer dem Cliffhanger nicht unbedingt was wichtiges passiert ist I AM SORRY 🥲...
Naja... Wie man es nimmt hahaha WEIL. Ich baue Jeongin und Yeji endlich auf 😎. Kostet mich zwar meine Seele, aber das muss sein ✌🏼.
Anyways. Wie fandet ihr die beiden in Kombi?
Wie findet ihr Changbins plötzliches Erscheinen und vor allem... Was erwartet uns denn jetzt? Ihr wisst ja bereits, dass er im Auftrag des Wolfes da ist, mhmmmmmm 😶
Mal sehen, wann das nächste Kapitel dann kommt NÄ. Ich hoffe doch sehr, früh genug. Es steht bereits zu 60% 🥲...
Bis dahin! Ich wünsche euch eine wundervolle Woche 😇, ganz viel Gesundheit und Energie ☀️!
In love, N ❤️
Ps. Ich wünsche der Muslim-Community ein gesegnetes Fest! Mögen eure Gebete, Träume und Wünsche angenommen und in Erfüllung gehen 🍀. Genießt den Tag mit Familie und/ oder Freunden 🤍...
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