Kapitel 21

Lorelei und ihre Crew raubten noch zwei weitere englische Schiffe aus, stockten ihre Vorräte auf einer kleinen Insel im Atlantischen Ozean nach. Die untergehende Sonne tauchte den Raum in ein goldenes Licht. Der massive schwarze Tisch in der Mitte wirkte noch angsteinflößender als zuvor. Von außen hörten sie das Getümmel der Piraten. Lorey saß am Kopfende des Tischs, beide Beine übereinander geschlagen auf dem dunkeln Holz. George und James hatten sich im Raum verteilt. George kruschte in einer Truhe. Pergament raschelte darin. Er zog eine Karte hervortrat an den Tisch und platzierte sie in der Mitte. „Hier gibt es einige kleiner Dörfer an der Küste, die seit der englischen Besetzung nicht sehr gut bewacht werden. Gold gibt es nicht viel, aber wir sind ja noch am Anfang", er war voller Leidenschaft für ihr neues Leben. James stand am Fenster, warf Lorey einen wissenden Blick zu. „Hast du einen Plan?", fragte sie ihren ersten Offizier, ignorierte die Blicke von James. „Wir sind zwar eine kleine Truppe, gerade genug, um in See zu stechen. Doch mit dir sind wir unaufhaltsam", Lorey nahm die Füße vom Tisch, zog die Karte näher an sich heran und lauschte den Erklärungen von George. „Lorey", versuchte James ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Sie ignorierte ihn. Seit einigen Wochen versuchte er auf sie einzureden, dass sie George die Wahrheit sagte. Doch sie wollte nicht. Sie wollte ihm noch etwas Freude an seiner Arbeit lassen. Er hatte soviel für sie getan, jetzt war sie daran ihm etwas zurückzugeben. Die Mannschaft der Flying Dutchman bestand aus toten Piraten, sie wusste, er würde ihr folgen und seine Zeit war noch nicht gekommen. „Lorey", versuchte er es erneut. „Nein", ihr Tonfall war lauter als gedacht, George stoppte mit seinen Ausführungen, sah zwischen den beiden hin und her. „Was geht hier vor sich?", Lorey strafte James mit ihren Blicken. Natürlich war George nicht dumm. „Nichts, fahr fort", sie tippte auf einen Ort auf der Karte „Hier fangen wir an?", „Sag es ihm", sie versuchte George in ein weiteres Gespräch zu verwickeln. Der Pirat durchschaute sie, er zog das Stück Pergament zurück. Sah sie abwartend an. „Was sollst du mir sagen? Was verheimlichst du?", Lorey stand auf. „Ich bin der Kapitän, ich muss nicht allen meine Pläne offenbaren", enttäuscht schnaubte George auf. Ein schlechtes Gewissen machte sich in Lorey breit. „Ja, aber ich bin dein erster Offizier", er drehte sich weg. „Und dein Freund", Lorey sah zu James, dieser nickte in Richtung des halbblinden Mannes. Lorey schob ihren Stuhl zurück. Das Holz scharte über den Boden. Sie legte ihm eine Hand auf den Arm, zwang ihn, sich zu ihr umzudrehen. „Ich verfolge einen Plan", Georges gesundes Auge sah sie eindringlich an. „Einen anderen als du glaubst", er entzog sich ihrem Arm, richtete sich etwas auf. „Die Piraterie war und ist nicht mein Ziel, es ist nur Mittel zum Zweck", sie sah Hilfe suchend zu James, er machte eine Handbewegung, sie solle weitersprechen. „Mein Vater ist Davy Jones", „Der ehemalige Kapitän der Flying Dutchman?", Lorey nickte „Er starb ehe, ich ihn richtig kennenlernen konnte", buchstäblich durch Jack Sparrows Hand. Er schlich sich seit Wochen nun zum ersten Mal in ihre Gedanken, sie schüttelte den Kopf, um wieder einen klaren Gedanken zu fassen. „Meine Mutter, Calypso", George unterbrach sie. Hob ungläubig eine Hand. „Calypso, die Meeresgöttin", er fuhr sich durchs Gesicht. „Du willst mir erzählen, dass die Meeresgöttin und der Seefahrer der Toten deine Eltern sind", Lorey nickte. Es war das erste Mal, dass sie ihm dieses Geheimnis auch offenbarte. Viele kannte ihre Geschichte, doch nur die wenigsten kannten ihre Herkunft. „Ja", bestätigte sie. „Okay, die Geschichte will ich hören", George grinste. Lorey war etwas überfordert, doch eigentlich sollte es sie nicht überraschen. George vertraute ihr blind. Wieso also sollte er glauben, dass sie lügt. Es war nur gerecht, wenn sie ihm das gleiche Vertrauen entgegenbrachte. „Die Flying Dutchman braucht immer einen Kapitän", er nickte zustimmend. Die Geschichten über das Schiff und seinen Begebenheiten waren ebenso bekannt wie die ihre. „Will Turner ist nicht dieser Kapitän", George Augen wurden größer als er begriff. „Du bist es", „Aye", stimmte sie ihm zu. Sie würde es sein. „Der Fluch bindet ihn daran. Wenn wir ihn finden, brechen wir ihn", Lorey war voller Zuversicht. „Wie finden wir sie?", überrascht sah sie den Mann vor sich an. Sie hatte damit gerechnet das er zunächst darauf bestehen würde das sie ihr Piraten Handwerk weiter fortführen. Dass er sie für verrückt erklären würde. „Schau mich nicht so an. Ich weiß, dass du verrückt bist", empört öffnete sie den Mund, bereit ihm ihre Widerworte entgegenzuschleudern. „Ich mag verrückte Dinge, wieso also nicht", ein breites Grinsen legte sich auf seine Lippen. „Lasst uns die Flying Dutchman finden", seine Worte füllten ihr Herz mit Wärme. Wie konnte sie je daran zweifeln, dass George ihr nicht half. Zwischen ihnen beiden herrschte seid Anfang an eine Anziehung, sie gehörten zusammen, wie Pech und Schwefel. „Aye".

Es war eine düstere Nacht. Sie hatten einige Monate damit verbracht, ein Schiff ausfindig zu machen, welches auf See ein tragisches Ende gefunden hatte. Es waren viele Monate gewesen. Lorey war bewusst, dass diese Suche nicht leicht werden würde. Ihr Antrieb war so stark gewesen, dass es ihren gesunden und realistischen Verstand überdeckte. Eine kalte Brise wehte über das Schiff, ließ die zerschlissenen Segel flattern. Kurz nach ihrem Beschluss, die Flying Dutchman zu erobern, erläuterten sie der Crew ihre Pläne. Sie waren zunächst etwas skeptisch, doch nach und nach stimmten sie mit ein. Als Kompromiss wollten sie der Piraterie weiterhin nachgehen. Wenn sie das Schiff gefunden hatten und Lorey Kapitän war, konnte sie alle ihrer Wege gehen. Was mit der Pearl geschehen würde, hatte die Brünette noch nicht überdacht. Falls George sie nicht begleiten wollte, würde sie ihm das Kommando geben. Sie hatten in den vergangenen Monaten viele Raubzüge unternommen. Die Hickens Brüder fassten in den Pubs immer wieder Gerüchte über ein schwarzes Schiff auf. Eine Crew aus Geistern, die in der Nacht kamen und raubten, was sie in die Finger kriegen konnten. Ihre Anführerin, die Lorelei. Ein Geist so schön und bleich wie der Mond. Sie hatten sich einen gewissen Ruf aufgebaut. Die Lorelei und ihre Geistercrew. Sie kamen immer nachts. Eine Strategie von Savana. Nachts, wenn alle schliefen und in ihren Betten lagen, war ihre Zeit. Sie schlichen in die Häuser, Schatzkammern und Burgen. Stahlen, soviel sie brauchten. Manchmal auch etwas mehr. Lorey hatte nun eine erlesene Sammlung verschiedener Mäntel. Sie hatte einen gewissen Faibel dafür entwickelt. Weiß und Schwarz waren ihre neuen Farben, in denen sie sich kleidete. Sie wirkten mysteriös und gespenstisch, passend zu dem Ruf den sie sich versuchte aufzubauen. George war in einen Juwelenrausch geraten, er sammelte Smaragde so viele er konnte, seine Kajüte glänzte grün, wenn die Sonne hineinschien. James hatte sich keine neuen Angewohnheiten zugelegt. Er tat stets, was Lorey von ihm wollte. Es war der Brünetten etwas unangenehm. Er war so aufopfernd, obwohl sie diejenige gewesen war, die ihm damals das Herz gebrochen hatte. Sie versuchte immer wieder sich selbst zu überwinden, ihm zu geben, was er wollte. Doch jede Nacht, wenn sie vor seiner Kajüte stand und anklopfen wollte, um endlich ein klärendes Gespräch zu führen, zog sich ihr Herz schmerzhaft zusammen. Es heilte nicht. Jack hatte zu lange darin gewütet, es auseinandergenommen und zerrissen. Sie brauchte noch Zeit. Ein weiterer kühler Windhauch brachte sie wieder ins hier und jetzt. Lenkte ihren Blick auf das Frack, welches zerschellt an einem Felsen klaffte. Es waren bereits einige Stunden vergangen, in denen sie in der Dunkelheit warteten. Die Flying Dutchman würde noch vor der Morgendämmerung kommen und die Seelen mit sich nehmen. Sie auf die andere Seite führen. Eine ehrenvolle Aufgabe. Der Mond begann bereits seinen Rückzug in die Dunkelheit. Das Gemurmel der Crew entging Lorey nicht. Sie hielt ihren Blick fest auf dem Horizont. Kniff die Augen zusammen, hielt Ausschau nach den Moosbewachsenen Segeln. Fühlte das Wasser um sie herum. Doch nichts. Eine weitere Stunde verging, dann noch eine und noch eine. James trat an sie heran. „Ich glaube nicht, dass sie kommen", Lorey schüttelte die Hand von ihrer Schulter, die er ihr auferlegt hatte. Sie würden kommen, sie war sich sicher. „Es ist ihre Aufgabe. Will würde niemals so nachlässig sein wie mein Vater", sie hörte die sich entfernenden Schritte hinter sich. Eine weitere Stunde verging. Das Mondlicht war bereits verblasst, wich dem ersten Strahl der Sonne. Kein grüner Schimmer, nur das goldene Licht der Sonne. Aufgebracht schlug Lorey auf das Holz der Reling. Sie wandte sich vom Meer ab, stürmte unter Deck. Vielleicht war es ein nachlässiger Fehler von Will gewesen, vielleicht war in dieser Nacht ein weiteres Schiff gesunken, um welches sie sich zuerst gekümmert hatten. Vielleicht würden sie in der nächsten Nacht kommen, um ihre Aufgabe auszuführen. Lorey würde nicht aufgeben, sie glaubte fest daran, dass Will kommen würde. Sie warteten die nächste Nacht, blieben wach in der Dunkelheit. Doch auch in dieser Nacht kamen sie nicht. Auch nicht in der nächsten und der übernächsten. Loreys Glaube schrumpfte immer mehr. Wieso war er nicht gekommen. Wieso hatte er ihre Seelen nicht auf die andere Seite gebracht, wie es seine Aufgabe war. War der Fluch der Dutchman nicht an das Schiff gebunden zu sein. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Will zu einem ebenso grausamen Monster wie ihr Vater werden würde. Nach der letzten Nacht, die sie vergebens gewartet hatten, hatte sich die Frau in ihre Kajüte verzogen. Sie brauchte Ruhe, musste ihre nächsten Schritte sorgfältig planen. Ein Klopfen ließ sie Aufsehen. „Herein", James Gestalt betrat den großen Raum. Loreys Kajüte, einst die von Jack. Ein großes, wunderschön geschnitztes Bett stand in der Mitte des Raumes. Der Schreibtisch, an dem sie saß, stand leicht schräg in einer Ecke. Der Mann ging auf sie zu, blieb vor dem Schreibtisch stehen und stütze beide Arme darauf. „Wir finden sie", versuchte er ihr neuen Mut zu schenken. „Wieso ist sie nicht gekommen?", es war eine rhetorische Frage, Lorey erhoffte sich keine Antwort. Keiner von ihnen konnte wissen, was wirklich an Deck des Schiffes vor sich ging. Vielleicht war der Flying Dutchman etwas zugestoßen, vielleicht hatte Will sich ins Land der Toten verkrochen. Ergab sich seinem Schicksal, nie bei seiner Frau und seinem Kind leben zu können. Es ihnen einfacher zu machen, wenn er nie wieder kämme. „Ich gebe noch nicht auf", ihre Stimmer klang wieder gefasster. Sie wusste nicht welche Umstände Will fern hielten, vielleicht war es ein unglücklicher Zufall. Sie richtete sich auf. „Wir suchen weiter", James sah ihr tief in die Augen, er sah ihre Erschöpfung, sanft legte er eine Hand auf die ihre. Sie ließ es geschehen. „Ruh dich aus, du siehst erschöpft aus." Sein Daumen machte kreisende Bewegungen auf ihrem Handrücken, es beruhigte sie, gab ihr ein sicheres Gefühl. „Danke", es kam unerwartet, der Mann wusste nicht wie er reagieren sollte, er zog nur eine Augenbraue fragend nach oben. „Wofür?", Loreys Blick wurde sanft, sie entspannte sich merklich. „Dafür das du immer für mich da bist", ihre goldenen Augen trafen auf seine. „Ich weiß, dass es schwer ist für dich. Dass ich dir nicht gebe, was du willst", er legte nun auch seine zweite Hand auf die ihre. „Lorey", fing er sanft an. „Ich hatte nicht geglaubt, dich je wiederzusehen. Jeder Tag mit dir ist mir ein Geschenk", ein kleiner Teil in ihrer Brust erwärmte sich bei seinen Worten. Ihr Herz schmerzte etwas weniger. Sie merkte erst, dass ihr eine Träne die Wange hinunterlief, als James sich ihr ein Stück entgegenbog und mit seinem rechten Daumen die Träne fort strich. Seine Hand verweilte noch eine ganze Weile dort. Lorey wusste nicht genau, wie sie damit um gehen sollte. Sie wollte das er sich von ihr entfernte, doch auch wieder nicht. Ihr Blick legte sich automatisch auf seine Lippen, glitt dann zurück zu seinen Augen. Ein Schimmer fand sich in ihnen. Er hatte sich weiter über den Tisch gelehnt, ihrem Gesicht entgegen. Sein Blick schweifte nun ebenfalls zu ihrem Mund. Ihr Atem ging stoßweise. „James", sie war nicht fähig ihm zu sagen er solle gehen. Seit langem hatte sie diese Nähe vermisst. Auch, wenn nicht er es war, mit dem sie diese Nähe teilen wollte. „Ich weiß", James wollte sich entfernten, Lorey hielt ihn auf. Der kurze Hauch der Kälte, der sie erfasst hatte, als er sich zurücklehnte, war der Anreiz. Sie hatte ihn vermisst. Er wusste, dass er ihr etwas bedeutete. Es war selbstsüchtig, was sie tat. Sie ließ ihn wieder los. „Es tut mir leid", sagte er. Lorey wusste nicht, wovon er sprach. Bis er sich vollends über den Tisch beugte, ihr Gesicht mit beiden Händen umfasste und seine Lippen auf ihre legte. Der Kuss war zärtlich, nicht fordernd. Lorey war lange nicht so geküsst worden. Sie lehnte sich seinen Lippen entgegen, zog ihn ein Stück an sich. Sie wusste nicht, was sie dazu veranlasste. Nach ein paar Minuten lösten sie sich voneinander, schnappten nach Luft. „James", versuchte sie einen Satz zu bilden. Er unterbrach sie, legte ihr einen Finger auf die Lippen, strich zärtlich den Bogen ihrer Wange nach. Er sah ihr noch einmal in die Augen, ehe er die Kapitänskajüte verließ. Loreys Herz krampfte sich zusammen. Nicht weil sie traurig war, dass er gegangen war. Sondern, weil sie seinen Blick gesehen hatte. Trauer lag darin und Resignation. Darüber, dass sie nie für einander bestimmt gewesen waren.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top