37 》Der Plan
Die Nacht war düster und quälte meinen Verstand. Dämonen jagten mich, zerrten an meinen Gliedern und flüsterten mit tiefer Stimme schrecklicher Geschichten in mein Ohr, die durch Mark und Bein gingen. Die vom schwarzen Rauch umhüllten Geister nahmen die Gestalt von Mick an, der mir die Kleider vom Leib reißen wollte, von Jon, der mich so laut anschrie, dass die Erde zu beben begann, und auch von Tony, der mich in seinen Armen wiegte und mir versicherte, dass ich mich um nichts zu sorgen hatte, mich im nächsten Moment jedoch von sich stieß und zuließ, dass mein Körper vom kalten Boden verschluckt wurde. Während meiner Kehle verzweifelte Hilferufe entwichen, sah er mich bloß starr an und räusperte sich.
"Für mich war es nichts weiter als ein Spiel, verstehst du das nicht? Ich brauche dich nicht, das habe ich nie getan. Du warst einfach nur ein weiterer Mensch, der dachte, er könnte mich verstehen, mich ändern. Dachtest du, du könntest die Scherben einfach so wieder zusammensetzen, ohne dich daran zu schneiden?"
Ich rief ihm immer wieder zu, dass er mir helfen sollte, doch er tat nichts. Er ließ mich untergehen - ohne mit der Wimper zu zucken. Und in seinen Augen spiegelte sich dabei keinerlei Emotion - weder Erleichterung noch Trauer.
Nach mehreren Stunden, in denen ich von derartigen Albträumen gequält worden war, richtete ich mich schweißgebadet auf und stützte den Kopf kraftlos in meine Hände. Was hatte ich bloß getan? Was war aus meinem alten Leben geworden? Das Leben, das mich zwar nicht zufriedengestellt, aber wenigstens in Sicherheit gewogen hatte? Wieso hatte ich alles für diesen einen Mann aufgegeben, den ich im Endeffekt doch nicht kannte? Für einen Mann, der mich nie in sich blicken ließ? Der mich fallen gelassen hatte, als ich mir sicher gewesen war, er wäre alles, was ich je bräuchte? Ein Mann, dem anscheinend einzig und allein sein Leben am Herzen lag.
Ich verstand es einfach nicht. Es war doch nicht möglich, dass ich mir Tonys sorgsame Blicke nur eingebildet hatte. Dass diese Momente, in denen wir uns schweigend angesehen und unsere Augen hatten sprechen lassen, nichts weiter als eine Lüge gewesen waren. Es erschien mir vollkommen abwegig, dass die Nächte, in denen wir nebeneinander im Bett gelegen und uns über die seltsamsten Dinge unterhalten hatten, nicht echt gewesen waren. Wir hatten das Drama mit Aiden gemeinsam durchgestanden. Er hatte mir seine Hand gereicht und mir aufgeholfen, nachdem ich gefallen war. Anders als in meinen Albträumen. Er hatte mir in einer harten Zeit ein Lachen geschenkt, obwohl ihm selbst nicht nach Lachen zumute gewesen war.
Erst jetzt war mir klar, dass Tony mir nie seine wahre Seite gezeigt hatte. Er hatte von Anfang an ein Geheimnis in sich getragen. Und ich hatte ihn nie danach gefragt, was nicht stimmte. Ich hatte nie wirklich mit ihm darüber geredet. Wie hatte ich bloß so egoistisch und blind sein können? Warum hatte ich mir selbst eingeredet, alles wäre wunderschön und es bestände kein Grund zur Sorge, obwohl ich gesehen hatte, dass es Tony alles andere als gut ging? Er hatte sich unmittelbar vor meinen Augen betrunken - direkt bei unserer ersten Begegnung! Wie hatte ich so naiv sein und denken können, ein gebrochener Mann mit einem gebrochenen Herzen wäre fähig dazu, sich mir zu öffnen und mich vielleicht sogar zu lieben? Ich war ja so dumm.
Ich hatte ihn angeschrien, verurteilt und letztlich sogar von mir gestoßen, statt ihm zuzuhören. Warum hatte ich ihm nie offen und ehrlich gesagt, dass er sich in jeder Lebenslage auf mich verlassen konnte? Dass es mir eben nicht egal war, wie er sich fühlte, weil ich ihm helfen wollte. Dass ich ihm dabei helfen wollte, wieder zu sich selbst zu finden, und ihm zeigen wollte, wie wundervoll er war. Dass er mich erfüllte. Dass seine sarkastischen Bemerkungen, sein Lachen, seine Fürsorglichkeit und all die anderen Eigenschaften, die er besaß, Gründe dafür waren, ihn zu lieben. Und dass ich genau das tat - ich liebte ihn. So sehr, dass es schmerzte. Er war der Einzige, der mein Herz höher schlagen ließ und er war auch der Einzige, der es mit nur einem Wort, nur einem Blick, in tausend Teile zerschmettern konnte. Ich spürte diese Sehnsucht nach ihm, obwohl ich ihn hassen wollte. Aber egal wie sehr ich mich anstrengte - ich konnte es nicht. Aiden hatte recht: Tony Stark war meine größte Schwäche. Und zugleich auch das Beste, was mir je passiert war.
Mit wackeligen Beinen erhob ich mich von der Matratze und nahm einen tiefen Atemzug. Ich musste das alles wieder gerade biegen. Nicht nur mit Tony, sondern auch mit Marceline. Sie hatte ich in den letzten Wochen komplett vernachlässigt, dabei war sie immer für mich da gewesen und ich hatte ihr versprochen, ihr beizustehen. Immerhin hatten wir uns mit der Bar eine gemeinsame Zukunft aufgebaut - einen Traum, den ich einfach so aufgegeben hatte, ungeachtet von den Gefühlen meiner besten Freundin. Ich hasste mich für meinen Egoismus.
Vielleicht sollte ich auch mit Jonathan reden. Die Dinge waren zwischen uns schlichtweg aus dem Ruder gelaufen. Er war immer so ein netter Kerl gewesen und ich hatte ihn wahrhaftig geliebt. Es war nicht fair von mir gewesen, dass ich mein altes Leben und meine Beziehung vom einen Tag auf den anderen verlassen hatte.
Ein wenig bekräftigter stieß ich mich von der Kommode ab und steuerte zielsicher die Türe an. Ich musste hier weg. Ich musste wieder die Zügel in die Hand nehmen und durfte mein Leben nicht aus den Fugen geraten lassen - nicht mehr. Ich musste die Scherben alle aufheben, auch wenn ich mich daran schnitt. Denn sie mussten wieder zusammengesetzt werden - kostete es, was es wollte.
Ich drückte die Klinke hinunter, doch im gleichen Moment wurde die Türe von außen aufgedrückt.
"Elli, du bist ja schon wach!", begrüßte mich Aiden mit aufgeweckter Stimme, weswegen ich die Zähne aufeinander biss. Warum musste dieser Mistkerl in mein Leben getreten sein? Er hatte alles nur noch schlimmer gemacht. Ich spürte, dass ich meine Hände wütend zu Fäusten ballte. In mir keimte das Verlangen auf, meinen ganzen Frust und all den Schmerz an diesem Mann auszulassen, der sich mein Bruder nannte. Und ohne nachzudenken, hob ich meinen Arm und holte nach ihm aus, doch Aiden trat mit flinkem Schritt zur Seite, sodass meine Faust ins Leere schellte und ich nach vorne stolperte.
"Ein erbärmlicher Versuch, Lizzy", er lachte auf, ergriff meinen Unterarm und drehte mir diesen mit Leichtigkeit auf den Rücken, sodass ich schmerzend aufstöhnte.
"Wir haben einen Deal, erinnerst du dich? Du hilfst mir und ich verschone im Gegenzug dein Leben und das deiner Liebsten", säuselte er mir ins Ohr und kam mir gefährlich nahe, sodass ich meinen Kopf angewidert von seinem wegdrehte.
"Oh, hat das jemand Angst?", fragte er unschuldig und lachte auf, als ich ein leises und mehr als unglaubwürdiges "Nein" herauspresste.
"Lügen bringt nichts. Ich kenne dich besser als du dich selbst", er lockerte seinen Griff und ließ schließlich ganz von mir ab. Aufatmend rieb ich mir über meinen schmerzenden Unterarm und drehte mich dann zögernd zu Aiden um.
"Würdest du mir bitte endlich verraten, wie genau ich helfen soll? Ich bin weder ein Ex-Marine, noch kann ich irgendwas hacken, fliegen oder fahren", murmelte ich und hielt den Blick an ihm vorbei gerichtet, weil ich seine entschlossen ernste Miene nicht ertrug. Er hatte recht: diese Aktion hatte mit Angst eingejagt, denn sie hatte Aidens düstere, kaltblütige Seite und sein fehlendes Interesse am Wohl anderer abermals offenbart.
"Du wirst deinen Job lieben", Aidens Stimme klang seltsam amüsiert, "Es ist ganz einfach, dir wird nichts passieren. Zieh' einfach das an, was bei dir in der Kommode liegt und komm' in zehn Minuten zur Lagebesprechung."
Er klopfte mir noch aufmunternd auf die Schulter, ehe er hinfort marschierte. Ich schaute ihm irritiert hinterher, kehrte dann jedoch in das Zimmer zurück und zog neugierig die Schublade der Kommode auf. Als ich eine kugelsichere Weste, ein schwarzes Paar Jeans und einen schwarzen Hoodie fand, schnürte sich meine Kehle zu und ich realisierte zum ersten Mal, dass ich mich auf etwas einließ, was sehr wohl gefährlich war und mich unter Umständen sogar mein Leben kosten könnte. Mit zuckenden Fingern strich ich über den Stoff der Weste und zweifelte daran, dass sie mich wirklich vor der Tödlichkeit einer Schusswaffe schützen konnte.
Doch trotz all meiner Ängste und Unsicherheiten, die meinen ganzen Körper beben ließen, saß ich zehn Minuten später umgezogen an dem langen Tisch im Besprechungsraum des Bunkers, inmitten von Kriminellen, die mich allesamt mit kritischem Blick beäugten.
"Ähm, Boss", begann Marsha, die mir gegenüber saß, in skeptischem Tonfall, "Nichts für ungut, aber deine kleine Schwester wirkt nicht sehr...bereit."
Meine Finger trommelten auf die raue Holzplatte und ich spürte, wie die Schweißperlen meine Stirn hinab rannen. Es war, als würden sich die Augenpaare, die auf mich gerichtet waren, wie kleine Nadeln in meine Haut bohren.
"Aiden, bist du sicher, dass wir sie mitnehmen sollen?", schaltete sich nun auch der dickliche Mann namens Lester ein, "Marsha hat schon recht. Elizabeth wirkt sehr...instabil."
"Ohne sie geht der Plan nicht auf", entgegnete Aiden und raufte seine dunklen, kinnlangen Haare, "Ich werde euch jetzt erklären, wie wir vorgehen werden, also spitzt eure Lauscher. Wir wissen: diese Schweine haben es auf uns abgesehen. Sie haben unser hart erarbeitetes Geld gestohlen, um uns aus der Reserve zu locken. Ich denke nicht, dass es ihnen um die Moneten geht. Geld ist mächtig, aber viel mächtiger sind die Kräfte, über die ich verfüge. Oh Wiley sehr passend, du fragst dich: wieso? Die Geheimnisse anderer Menschen sind wertvoller als alles andere auf dieser Welt. Sie entscheiden über Leben und Tod, über Liebe und Hass, über Krieg und Frieden. Und ich bin fähig, Zugang zu diesen Geheimnissen zu erlangen. Hydra machte mich zu der mächtigsten Waffe unseres Planeten, ohne zu ahnen, dass ich ihnen zum Verhängnis werden könnte. Sie dachten, sie hätten mich unter Kontrolle, doch das war nichts weiter als Naivität. Sie waren Narren, weil sie dachten, sie könnten mein Leben bestimmen wie es ihnen passte. Wir alle haben unser altes Leben hinter uns gelassen - das Leben, in dem man uns so, wie wir sind, nicht akzeptiert, sondern verstoßen hat. Wir alle haben gekämpft, um dorthin zu gelangen, wo wir heute fest verwurzelt stehen. Doch man will uns abermals entwurzeln. Und das dürfen wir nicht zulassen."
"Ja!", die lauten Jubelrufe der anderen erfüllten den Raum, während ich immer tiefer in den Stuhl rutschte und still betete, nicht zu sterben. Ich hatte einiges falsch gemacht, aber ich brauchte noch eine Chance, um alles wieder richtig zu stellen. Ich wollte endlich wieder schlafen können, ohne von meinen Dämonen verfolgt zu werden. Ich wollte mich bei denen entschuldigen, die ich enttäuscht hatte. Ich wollte mein Herz wieder entfalten und lieben können. Ich wollte atmen.
"Folgender Plan", setzte Aiden an, als wieder Stille eingekehrt war, "Dank Marshas Genie konnten wir die Fährte unserer Gegner bereits aufnehmen. Sie sind nicht so schlau wie sie gedenken zu sein. Wir konnten ihr Versteck ausfindig machen: ein altes Kino - seit einigen Jahren verlassen - in Tamaulipas, genauer gesagt in der Kleinstadt San Fernando. Dort haben sie ihr Lager aufgeschlagen. Und dort werden sie untergehen. Lester, du wirst den Hubschrauber startklar machen. Viktor, du kümmerst dich wie immer um unsere Ausrüstung. Marsha, du besorgst die Baupläne des Gebäudes und suchst den bestmöglichen Einstiegsort. Da wir keinen Fahrer brauchen, fällst du raus, Wiley. Mach dir mal wieder eine schöne Zeit mit deiner Freundin. Oh und Lizzy: beruhige dich. Dir wird nichts passieren."
Ich zuckte zusammen, als er eine Pistole auf der Tischplatte zu mir hinüber schob.
"Ich...ich", setzte ich an, doch meine Stimme war so zittrig und leise, dass selbst ich nicht glaubte, sie käme aus meinem eigenen Mund. Ich starrte die Waffe mit großen Augen an und spürte, dass der Kloß in meinem Hals bis ins Unermessliche wuchs.
"Du willst niemanden töten, ich weiß", sprach Aiden meine Gedanken schließlich laut aus, wozu ich nicht in der Lage war, "Die ist nur für den Fall, dass etwas schieflaufen sollte. Aber keine Sorge: das lasse ich nicht zu. Wir haben eine Vereinbarung und du weißt, dass ich mich daran halten werde, solange du es auch tust."
Meine Finger legten sich auf den Griff der Waffe und als hätte diese Berührung etwas in mir ausgelöst, begann mein Herz heftiger gegen meine Brust zu trommeln.
"Kann sie überhaupt mit so einem Ding umgehen?", mischte sich Carlos argwöhnisch ein und ich warf Aiden einen kurzen Blick zu.
"Das kann sie", erwiderte dieser und sah mich wissend an, "Unser lieber Vater hat dich damals mehr als nur einmal zum Schießstand mitgenommen. Und Dank mir weißt du auch endlich wieso. Der Danes Familie ist es schon immer leicht gefallen, ihre dunkelsten Geheimnisse hinter dem Vorhang der Normalität zu verstecken. Wäre ich nicht gewesen, hättest du nie erfahren, wer du wirklich bist. Wahrscheinlich wärst du unseren Feinden längst ins Netz gegangen. Sie hätten dich entweder für ihre kleinen, psychotischen Experimente missbraucht oder dein Leben beendet. Aber darum musst du dich nicht mehr sorgen. Wir werden dem Ganzen ein Ende bereiten. Wir alle werden wieder ruhig schlafen können."
Was Aiden dabei wohl außen vor ließ, war die Tatsache, dass ich erst wieder ruhig schlafen könnte, wenn sein Herz aufgehört hatte zu schlagen.
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10 Tausend Reads und über 1,5 Tausend Votes - ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll. Es ist einfach nur unfassbar, dass so viele Menschen diese Geschichte lesen. Ich verstehe es nicht und das werde ich nie, aber ich möchte mich bei euch bedanken. Es macht mich so unendlich glücklich, wenn ich sehe, dass einigen von euch diese kleine Story gefällt.
Ich möchte mich mal wieder für die lange Wartezeit und dieses Übergangskapitel entschuldigen, aber die letzten Wochen waren echt nicht leicht für mich. Jetzt geht es mir aber deutlich besser und ich bin auch endlich mit meinen schriftlichen Abiprüfungen durch und habe wieder Zeit und Lust aufs Schreiben. An der Stelle ein besonderes Danke an Chartac - ohne dich hätte ich diese Geschichte wahrscheinlich längst links liegen gelassen. Du bist einfach nur toll!
Ich glaube, das nächste Update wird schon sehr bald folgen, weil ich hier endlich mal wieder Schwung in die Kiste bringen will :D
Danke für eure Geduld, eure Unterstützung und natürlich wie immer:
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